G. Murano (Hrsg.): Autographa. I.1. Giuristi, giudici e notai

Titel
Autographa. I.1: Giuristi, giudici e notai (sec. XII–XVI med.).


Herausgeber
Murano, Giovanna
Reihe
Centro interuniversitario per la storia delle Università italiane. Studi 16
Anzahl Seiten
XVI, 336 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Daniels, Bibliotheca Hertziana, Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte Rom

Im Jahr 1980 legte Erich Meuthen einen Aufsatz zu einem unbekannten Autograph des Nikolaus von Kues vor, in dem er anhand einer Auswertung der Hände, die an verschiedenen Manuskripten des Werks Summa dictorum: Dampnatis Amedistis Marginalien geschrieben hatten, die Leser des Cusanus-Textes identifizierte. Kurz darauf würdigte der italienische Humanismus-Experte Agostino Sottili Meuthens Publikation in einer eigenen Rezension als „glänzenden Fund“.1 Dies war keine Übertreibung, waren es doch die Früchte von jahrzehntelangen Recherchen des Cusanus-Forschers, dem keine Hilfsmittel zur Identifizierung der Hände zur Verfügung gestanden hatten, der aber nun einen entscheidenden Beitrag zur politischen Bedeutung und zur Rezeptionsgeschichte des Werkes auf paläographischer Basis geleistet hatte.

Ein Instrument zur Identifizierung der Hände zumindest der bekannteren mittelalterlichen Autoren werden nicht nur die auf Spezialgebieten wie der Cusanus-Forschung arbeitenden Historiker vermissen, sondern vor allem auch Archiv- und Bibliotheksangestellte, die Bestandskataloge zu verfassen haben. Für den durch besonders reiche Bestände gekennzeichneten Raum Italiens hat nun die auf dem Gebiet der Autographen durch Studien, unter anderem zu Johannes Andreae, ausgewiesene Giovanna Murano2 in Zusammenarbeit mit Giovanna Morelli und unterstützt durch Thomas Woelki ein beeindruckendes Sammelwerk vorgelegt, das die Frucht langjähriger Archivstudien und zudem ein Novum darstellt, wie die Herausgeberin mit berechtigtem Stolz in ihrer kurzen Einleitung betont.

Es handelt sich um einen nicht nur biografisch-bibliografischen Katalog von Juristen, Richtern und Notaren in Italien, der die weite Zeitspanne vom 12. bis zum 16. Jahrhundert abdeckt, sondern es wird der wissenschaftlichen Gemeinde auch ein Kompendium mit Abbildungen ihrer Autographen in guter Auflösung dargeboten. Unter den ausgewählten achtundvierzig (Rechts-)Gelehrten finden sich mitunter illustre Persönlichkeiten, die insbesondere den Rechtshistorikern zumeist lediglich als Namen bekannt sind, die sich hinter juristisch verschlüsselten Belegstellen in Kommentarliteratur oder Rechtsgutachten verbergen: Accolti, Accursius, Cynus, Bartolus, Baldus, Panormitanus, Pontanus, Felino Sandei, der ältere und jüngere Sozzini und viele andere berühmte und weniger berühmte Juristen treten dem Leser in diesem ersten Band, dem weitere folgen sollen, nun ganz unmittelbar in Gestalt ihrer eigenhändigen Schriftsätze gegenüber.

Die beigegebenen Texte zu Biografie und Werk der Autoren gehen oft weit über die ansonsten vielfach üblichen Kompilationen hinaus und stützen sich in den meisten Fällen auf neues Archivmaterial. Dies gilt insbesondere für diejenigen Biogramme, welche die Herausgeberin verfasst hat, auf deren Schultern der Hauptanteil der Beiträge lag und die eine bemerkenswerte Arbeit vor allem in den italienischen Archiven geleistet hat. Mithin werden wertvolle Hinweise nicht nur für weitere biografische Studien gegeben (beispielsweise bei Pietro d’Ancarano, S. 112–120), für die sich die vorliegende Neupublikation als nicht zu umgehendes Referenzwerk ausweist. Teilweise beinhalten die Artikel auch Handschriftenstudien, die Neueditionen wünschenswert erscheinen lassen, so etwa im Fall der Monarchia des Antonio Roselli (S. 176).

In der gekoppelten Präsentation von Wirken und literarischem Schaffen der Autoren wird Wert auf die Einheit von Praxis und Theorie gelegt, ebenso wie auf das Prozesshafte der Werkgenese und Edition. Wie in der Einleitung mit Recht betont wird, ist es problematisch, dass Forscher die juristischen Schriften meist nur in mehrfach überarbeiteten Editionen des 16. Jahrhunderts (und aufwärts) konsultieren, denn darin werden Autorenintentionen häufig nivelliert. Hier hingegen wird teilweise bis ins Detail das mühevoll schrittweise Vorgehen der Autoren bei der Veröffentlichung ihrer Korpora dargestellt, so etwa bei den ‚Additiones‘ des Niccolò Tedeschi, genannt Panormitanus (S. 196f.).

Mit Martin Wagendorfer (Enea Silvio Piccolomini) und Thomas Woelki (Lodovico Pontano) konnten auch zwei deutschsprachige Spezialisten als Autoren gewonnen werden. Wagendorfer kommt dabei das Verdienst zu, auf der Grundlage seiner Habilitationsschrift eine der wenigen im Band gebotenen Detailbeschreibungen der Hand seines Protagonisten zu leisten. Das ansonsten häufige Unterbleiben dieser Beschreibungen ist vielleicht einer der wenigen Kritikpunkte, ebenso wie es die Auswahl der Autoren oder manche Präzisierung im Detail sein könnte 3, doch dies vermag den Stellenwert des Buches mitnichten zu mindern. Verdienstvoll sind die von Woelki angefertigten Register, die unter anderem auch Drucker und Kopisten der Werke verzeichnen, mit denen die italienischen Juristen zusammengearbeitet haben. Was die Kopisten angeht, so finden sich übrigens viele Deutsche unter ihnen; bei dem berühmten Felino Sandei (dessen in der Biblioteca Capitolare in Lucca aufbewahrte Bibliothek einen wichtigen Grundstock des Bandes bildet) ist es etwa ein Johannes aus Würzburg (Giovanni Erbipoli).

Zwar ist die italienische Archivlandschaft der deutschen an Materialreichtum bei weitem überlegen, doch mangelt es letzterer keineswegs an Autographen. Allein, nach Abbildungen von Autographen eines Gregor Heimburg, eines Martin Mair oder anderer sucht man heutzutage vergebens, geschweige denn, dass eine derartige Publikation wie die vorliegende die Autographen eines Conrad Celtis, eines Hartmann Schedel und so weiter gesammelt zugänglich machen würde. Und so werden Aufsätze wie die eingangs genannte Studie von Erich Meuthen auf absehbare Zeit glanzvolle Schlaglichter der Initiativen einzelner Gelehrter bleiben. Die vorgelegte Pionierstudie sollte indes auch der deutschen (und internationalen) Geschichtswissenschaft einen Ansporn bieten, insbesondere da derartigen Handbüchern ein noch größerer Wert zukommen könnte, wenn sie in Zukunft in digitale Plattformen überführt würden.

Anmerkungen:
1 Erich Meuthen, Ein unerkanntes Cusanus-Autograph im Staatsarchiv Würzburg. Die Summa dictorum „Dampnatis Amedistis“ vom Frankfurter Reichstag 1442 (Mainzer Urkunden, Geistlicher Schrank, Lade 18 Nr. 4 Libell V) und die handschriftliche Verbreitung des Werkes, in: Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter 42 (1980), S. 175–186; Rezension dazu von Agostino Sottili, in: Wolfenbütteler Renaissance Mitteilungen 6 (1982), S. 24f.
2 Giovanna Murano, Vincenzo Colli, Un codice d’autore con autografi di Giovanni d’Andrea (ms. Cesena, Biblioteca Malatestiana, S.II.3), in: Ius commune 24 (1997), S. 1–23.
3 Bei dem auf S. 197 genannten Manuel de Guallis, der in Siena die Glossen des Panormitanus vereint haben soll und in der Handschrift Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, 351 Helmst, fol. 264r–287v nachgewiesen wird, dürfte es sich um den beim Basler Konzil anwesenden Manuel de Gualbes (Gualbis) handeln; vgl. Tobias Daniels, Diplomatie, politische Rede und juristische Praxis im 15. Jahrhundert. Der gelehrte Rat Johannes Hofmann von Lieser, Göttingen 2013, S. 84f.