P. Langer: Macht und Verantwortung

Cover
Titel
Macht und Verantwortung. Der Ruhrbaron Paul Reusch


Autor(en)
Langer, Peter
Erschienen
Anzahl Seiten
781 S.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benjamin Obermüller, Bonn

Der Manager und Unternehmer Paul Reusch gehörte bislang zu den großen Unbekannten der Unternehmensgeschichte. Zwar ist in vielen Veröffentlichungen über ihn geschrieben worden, jedoch fehlte es bisher an einer umfassenden wissenschaftlichen Biographie, die nicht nur seine politische Seite beleuchtet, sondern auch seine unternehmerische Tätigkeit im Stahl- und Maschinenbaukonzern Gutehoffnungshütte (GHH) intensiv in den Blick nimmt. Der Oberhausener Historiker Peter Langer hat nun nach jahrelanger Recherche eine voluminöse Gesamtdarstellung über den „Löwen von Oberhausen“ vorgelegt, die beinahe zeitgleich mit der Dissertation von Christian Marx über die Coporate Governance der GHH unter Paul Reusch1 erschienen ist.

In einem eher skizzenhaften Prolog listet Langer zunächst die Stationen Paul Reuschs bis zu seinem Eintritt in die GHH auf, ohne Zusammenhänge zu verdeutlichen oder Kontinuitätslinien aufzudecken. Die sehr holzschnittartige Darstellung der ersten vierzig Lebensjahre gibt wenig Auskunft über die historischen Bedingungen des Aufstiegs. Paul Reusch wurde am 9. Februar 1868 in Königsbronn in Württemberg geboren. Sein Vater legte mit seiner Erziehung schon früh den Grundstein für das unternehmerische Denken des Sohnes und forcierte dessen Ausbildung im Bergbau- und Hüttenwesen. Der Beruf und die Stellung des Vaters spielten bei Reuschs Lernprozess, unternehmerisch zu denken und langfristig im Sinne des Unternehmens zu planen, eine zentrale Rolle. Reusch ergriff die Möglichkeit, in den von seinem Vater geführten Jenbacher Berg- und Hüttenwerken eine Position als Assistent zu bekleiden. So erschloss sich dem jungen Mann die unmittelbare Lebenswelt des Bergbaus und Hüttenwesens. Nach seinem einjährigen Militärdienst wechselte er zu der Budapester Firma Ganz & Comp., Eisengießerei und Maschinen-Fabrik-AG. 1895 fand er schließlich in Mähren eine Anstellung als Oberingenieur bei der Witkowitzer Bergbau- und Hüttengewerkschaft.

Bereits mit 37 Jahren wurde Paul Reusch dann in den Vorstand der GHH berufen und nur drei Jahre später zum Vorstandsvorsitzenden ernannt. Hier nun beginnt Langers Biographie, er schildert in den nächsten Kapiteln ausführlich Reuschs politische und unternehmerische Tätigkeiten. Vor allem dessen Kampf gegen den Einfluss der SPD auf die deutsche Politik und die Machtausweitung der Gewerkschaften stehen im Fokus seiner Betrachtung, weniger geht es um die GHH als Unternehmen. Dass Paul Reusch ein Antidemokrat war und sich stets für den „Herr-im-Haus“-Standpunkt stark machte, ist nicht neu, wird aber von Langer detailreich nachgewiesen. Ausführlich lässt er Reusch selbst zu Wort kommen, indem er aus den zahlreichen Egodokumenten des GHH-Vorsitzenden zitiert. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt macht Langer unmissverständlich klar: Paul Reusch darf kein Vorbild für die heutige Generation sein, allein schon aufgrund seiner antidemokratischen Haltung in der Weimarer Republik. Doch ist er das tatsächlich? Überzeichnet Langer hier nicht die Bedeutung Reuschs in der Gegenwart? Aus dem öffentlichen Bewusstsein ist der Name Reusch schon lange verschwunden und nur einigen Oberhausenern und Historikern ein Begriff.

Dass sich Reusch während der Weimarer Republik antidemokratisch verhielt und mehrfach abschätzig und voller Verachtung über die junge Republik äußerte, ist nicht neu. Langer beschreibt jedoch detaillierter als die Forschung vor ihm und mit stupender Quellenkenntnis die Einstellung Reuschs zur Demokratie. Dabei fällt im gesamten Werk auf, dass Langer sich beinahe ausschließlich auf das Politische konzentriert und die Unternehmensgeschichte der GHH eher stiefmütterlich behandelt. Wie der GHH-Konzern funktionierte und was das Besondere an diesem Unternehmenskonstrukt war, bleibt unscharf. Dies führt dazu, dass Langer die Wirkmächtigkeit Reuschs überschätzt. So ist es nicht falsch, ihn als einflussreichen und bestens informierten Konzernlenker zu bezeichnen. Allerdings funktionierte die GHH nur durch das Zusammenspiel mit den Leitern der GHH-Konzernwerke, wie die Tochtergesellschaften bezeichnet wurden. Es war geradezu ein Kernstück von Reuschs Unternehmenspolitik, den Tochtergesellschaften viel Freiraum, gerade in Personalangelegenheiten, zu gewähren. Zudem hatte das letzte Wort stets ein Familienmitglied der Eigentümerfamilie Haniel. Eine genauere Analyse seines Netzwerks hätte die Stellung Paul Reuschs innerhalb des Konzerns differenzierte darstellen können. Auffällig bleibt über weite Strecken der Lektüre, dass Langer sich öfter in vernachlässigbare Details verliert, die nicht nur langatmig zu lesen sind, sondern den Leser mit einer großen Faktendichte schier überfordern. So schildert er bis in das kleinste Detail die Situation auf dem Anwesen Paul Reuschs, dem Schloss Katharinenhof in Backnang, während des Ersten Weltkriegs.

Nach der Lektüre der über 700 Seiten bleibt ein zwiespältiger Eindruck zurück. Einerseits beleuchtet Langer eingehend den Werdegang Paul Reuschs als Unternehmer und Politiker. Andererseits liest sich sein Werk an vielen Stellen wie eine Abrechnung. Es entsteht der Eindruck, als wolle Langer auf Biegen und Brechen ein schiefes Bild, das seines Erachtens in großen Teilen der Öffentlichkeit besteht, zurechtrücken. Die Forschungen der letzten Jahre – neben den Arbeiten von Marx ist an dieser Stelle die große Gesamtdarstellung der GHH-Konzerngesellschaft MAN2 hervorzuheben – haben jedoch ein differenzierteres Bild Reuschs gezeichnet. Es ist unbestritten, dass Paul Reusch kein Demokrat war und er einen sehr autoritären Führungsstil sowohl im Privaten als auch innerhalb der GHH pflegte. Ihn allerdings quasi im Alleingang für den Untergang der Weimarer Republik verantwortlich zu machen ist jedoch mehr als fragwürdig. Gleiches gilt für seine Rolle in der NS-Zeit. Wenngleich Reusch kein „Heiliger“ war, so ist doch sein Mut, sich Anfang 1940 gegen die Politik der lokalen NS-Machthaber zu stellen, zu loben. Dies revidiert in keiner Weise die tieferen Verstrickungen der von ihm selbst gebilligten und forcierten Aufrüstungs- und Ausbeutungspolitik der GHH seit Anfang der 1930er-Jahre. Dass am Ende der knapp 750 Seiten die Erkenntnis steht, Paul Reusch sei ein Patriarch gewesen, „der in seiner Firma Widerspruch nicht duldete“ (S. 744), ist ein wenig ernüchternd. Schon die Zeitgenossen haben dieses Urteil gefällt.

Anmerkungen:
1 Christian Marx, Paul Reusch und die Gutehoffnungshütte. Leitung eines deutschen Großunternehmens, Göttingen 2013.
2 Johannes Bähr / Ralf Banken / Thomas Flemming, Die MAN. Eine deutsche Industriegeschichte, München 2008.

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