: De rijke Republiek. Gilden, Assuradeurs en Armenzorg 1500 -1800. Amsterdam 2000 : I.I.S.G., Stichting Beheer, ISBN 90-5742-033-3 480 S. € 176,52 für 4 Bde.

: De eenheidsstaat. Onderlinges, armenzorg en commerciele verzeraars 1800 - 1890. Amsterdam 2000 : I.I.S.G., Stichting Beheer, ISBN 90-5742-033-3 419 S. € 176,52 für 4 Bde.

: De ontluikende verzorgingsstaat. overheid, vakbonden, werkgevers, ziekenfondsen en verzekeringsmaatschappijen 1890 - 1945. Amsterdam 2000 : I.I.S.G., Stichting Beheer, ISBN 90-5742-033-3 479 S. € 176,52 für 4 Bde.

: De welvaartsstaat. Volksverzekeringen, verzekeringsconcerns, finaciele dienstverleners en instituionele beleggers 1945 - 2000. Amsterdam 2000 : I.I.S.G., Stichting Beheer, ISBN 90-5742-033-3 444 S. € 176,52 für 4 Bde.

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rolf-Ulrich Kunze, Institut für Geschichte, Universität Karlsruhe

Ende der 1990er Jahre beauftragte der niederländische Verbond van Verzekeraars das 1914 gegründete Amsterdamer Nederlandsch Economisch-Historisch Archief (NEHA) mit Vorstudien zu einer Gesamtdarstellung der neuzeitlichen Geschichte des Versicherungswesens in den Niederlanden. Das NEHA setzte diesen Dokumentationsauftrag bereits im Jahr 2000 in eine vierbändige monumentale Wirtschafts-, Kultur- und Sozialgeschichte der Niederlande unter dem Titel ,Zoeken naar Zekerheid. Risico’s, preventie, verzekeringen en andere zekerheidsregelingen in Nederland 1500-2000’ um.

Die vierbändige Dokumentation verbindet den handbuchartigen wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Überblick mit ausführlicheren thematischen Epochendarstellungen zu ausgewählten Problemen individueller und kollektiver Risiken und bietet ferner die Anschaulichkeit eines exzellenten Bildbandes. Daher lässt sich das Werk auf verschiedene Weisen lesen. Alle vier Teile ergeben zusammengenommen eine politisch, kulturell, wirtschaftlich und sozial kontextualisierte Geschichte der Niederlande in der Neuzeit mit einem Schwerpunkt auf der Frage, welche Risiken eine Gesellschaft wahrnimmt und welche Antworten sie darauf gibt. Jeder Teil für sich enthält eine vollständige Epochendarstellung mit eigenen Hauptthemen zur Thematisierung bestimmter typischer Risiken in einer bestimmten Zeit. Wer sich für die epochenübergreifenden Querschnittgeschichten der Reaktionen auf ein ganz bestimmtes Risikomanagement, z.B. den Schutz vor Krankheit, Armut, Natur- oder Marktgewalten oder bestimmten Industrialisierungsfolgen interessiert, kann die vier Bände zum Nachschlagen nutzen. Zudem lässt sich jeder Band als Bildgeschichte lesen: die Visualisierung gerade der anthropologischen Konstanten des Themas Lebensrisiken und des charakteristisch niederländischen Kampfes mit dem Meer hat keineswegs illustrativen, sondern erkenntnisleitenden Charakter. Die ausgewählten Bilder zeigen z.B., welche Bedeutung die natürlichen Risiken der Landesnatur für das sozialmoralische Klima einer Gesellschaft haben, dass und wie aus der Tradition des defensiven Sicherheitsdenkens gegenüber den Bedrohungen des Meeres die aktive Gestaltung der Landkarte durch Projekte wie den Abschluss der Zuiderzee hervorgehen kann. Biografische Skizzen, begriffliche Erläuterungen und verständlich kommentiertes Zahlenmaterial erleichtern die Benutzung.

Den Autoren gelingt es in diesen ineinandergreifenden Darstellungsformen, die niederländische Geschichte als eine ,Suche nach Sicherheit’ zu präsentieren. Die Relevanz des Themas mag man daran festmachen, dass es im Jahr 2000 allein in den Niederlanden über 1.000 Schadensversicherungs-, 244 Lebensversicherungsgesellschaften und 1.039 Pensionsfonds gab. Drei erkenntnisleitende Fragen strukturieren die vier Bände: welche realen Risiken gab es und wie wurden sie wahrgenommen? Welche Formen von Risikoprävention, Risikomanagement und Schadensabwicklung wurden entwickelt? Welche Sicherheitsnormen und –standards reagierten auf welche Gefährdungssituationen und wie effektiv waren sie? Wo thematisch die Möglichkeit dazu bestand, haben die Autoren versucht, die Besonderheiten niederländischer Regelungsformen mit der Entwicklung in anderen europäischen Ländern zu vergleichen.

Der im ersten Band enthaltene theoretisch-methodische Teil führt auf zehn Seiten gut verständlich in die wissenschaftstheoretische und –soziologische Problematik von Begriffen wie ,Risiko’ und ,Prävention’ ein. Das Leitbild des Textes bleibt dabei der Essay, was dem hohen Niveau der Unterscheidung von Risiken des Lebenszyklus, Krankheitsrisiken, Einkommensrisiken, Eigentums- und Katastrophenrisiken sowie der Problemeinführung in typische Regelungsprobleme im Bereich von Sicherheit: adverse selection, moral hazards und freerider problem, keinen Abbruch tut. Jeder Band enthält ein umfangreiches Literaturverzeichnis.

Risiken und Risikowahrnehmungen verändern sich im kulturellen und sozialen Wandel, aber die Herausforderung durch stets neue Risiken bleibt, und diese Herausforderung ist keineswegs allein materieller Natur. Ausdrücklich betonen die Autoren, dass zum Umgang mit Gefahren, Risiken und der Angst vor beidem nicht allein die wirtschafts- und sozialgeschichtliche, sondern selbstverständlich und zumal aus niederländischer Erfahrung die kirchengeschichtliche Perspektive gehört. Christlich motivierte Armenfürsorge, Diakonie und die theologischen Deutungstraditionen des Menschen in der von ihm veränderten Welt sind integraler Bestandteil einer umfassenden Sozial- und Mentalitätsgeschichte der individuellen wie kollektiven Risikobewältigung, Risikovorsorge und Risikoverteilung.

Die Autoren haben sich für eine Periodisierung in vier Zeitabschnitte entschieden: 1500 bis 1800, 1800 bis 1890, 1890 bis 1945, 1945 bis heute. Innerhalb dieser Zeit vollzieht sich der Wandel der Vorsorgemaßnahmen von informellen zu formellen, individuellen zu kollektiven Formen und von Realien zu Geld. Die Darstellung setzt um 1500 ein, um das kulturelle und wirtschaftlich-soziale Umfeld der Entstehung der Republik der Vereinigten Niederlande charakterisieren zu können. In der Zeit von 1500 bis 1800 fielen die kleinen Niederlande mit einer Einwohnerzahl zwischen 1,5 und 2 Millionen durch einen vergleichsweise hohen Lebensstandard und Urbanisierungsgrad sowie als attraktives Einwanderungsland auf. Mit ihren Handelsnetzwerken entwickelte sich die Republik zur maritimen Welthandelsmacht. 1 Die sozialen Institutionen waren die weitgehend autonomer, dynamischer Städte in einem sozialkommunikativen Verdichtungsraum, der im 17. Jahrhundert sein goldenes Zeitalter erlebte. 2 Das Zeitalter Napoleons beendete um 1800 nach einer längeren Verfallsperiode die niederländische Vormachtstellung als Handels- und Finanzplatz. Weder der Modernisierungs- und Kulturschock unter französischer Besatzung, die vorübergehende Vereinigung mit dem sich ansatzweise industrialisierenden Belgien bis 1830 noch der Kolonialbesitz konnten einen wirtschaftlichen take off stimulieren. Erst die Reformen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Ära des liberalen Verfassungsvaters von 1848, Johan Rudolf Thorbecke, schufen einen institutionellen Rahmen für eine im europäischen Vergleich bereits nachholende Modernisierung. 3 Die Periode von 1890 bis 1945 ist durch die beginnende soziale Ausgestaltung des institutionellen Rahmens u.a. durch Sozialgesetzgebung und Infrastrukturpolitik gekennzeichnet, 4 sie ist zugleich die erste Blütezeit großer Versicherungsgesellschaften. Die Zeit seit 1945 bietet neue Dimensionen der ,Suche nach Sicherheit’: Wiederaufbau, Dekolonisierung und neue Migrationswellen, Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft bei gleichzeitiger Industrialisierung der Landwirtschaft, westernization und Internationalisierung, ,Entsäulung’ der niederländischen Gesellschaft durch Verschwinden der sozialmoralischen Milieus, Vordringen des Staates durch ein sozialkompensatorisches Modell des Wohlfahrtsstaats bis an die Grenzen der Finanzierbarkeit und dessen ebenso radikaler Rückbau seit Ende der 1980er Jahre.

,Zoeken naar Zekerheid’ ist nicht nur ein methodisches Modell, sondern vor allem ein Darstellungsstandard integrativer Kultur- und Sozialgeschichte an einem wirtschaftsgeschichtlichen Beispiel. Das hat neben der Exzellenz der handwerklichen Arbeit in dieser Dokumentation auch seine ,fachklimatischen’ Gründe. In der niederländischen historischen Fachkultur hat es die zeitweise dogmatische Fixierung von diskursbeherrschenden Teilen der Sozialgeschichte auf makrotheoretische Konzepte wie in der deutschen Geschichtswissenschaft während der sozialhistorischen Diskurshegemonie bis Anfang der 1990er Jahre 5 nicht gegeben: Sozialgeschichte konnte sich dort im engen westeuropäisch-transatlantischen Austausch und Verbund seit der Zeit Johan Huizingas als integrativ angelegte Mentalitäts- und Sozialgeschichte entwickeln, die Berührungsängste weder vor der ,harten’ Wirtschafts- noch vor der ,weichen’ Kulturgeschichte kannte, und sich nicht durch die Ausgrenzung ganzer Themengebiete wie der Kirchengeschichte 6 profilieren zu müssen meinte.

Anmerkungen:
1 Vgl. Claudia Schnurmann, Atlantische Welten. Engländer und Niederländer im amerikanisch-atlantischen Raum, 1648-1713, (= Wirtschafts- und sozialhistorische Studien, Bd. 9; zugl. Habil.-Schr. Göttingen 1996), Köln 1998.
2 Johan Huizinga, Nederland’s beschaving in de zeventiende eeuw. Een schets, Haarlem 1941 (überarb., erw. Fassung eines Kölner Vortrages von 1932, dt. u.a.: Holländische Kultur im siebzehnten Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1977).
3 Siep Stuurman, Wacht op onze daden. Het liberalisme en de vernieuwing van de Nederlandse staat, Amsterdam 1992.
4 Vgl. H. Daalder, Van oude en nieuwe regenten. Politiek in Nederland, Amsterdam 1995.
5 Hans-Ulrich Wehler, Historisches Denken am Ende des 20. Jahrhunderts 1945-2000, (Essener Kulturwissenschaftliche Vorträge, Bd. 11), Göttingen 2001, S. 43-60, S. 61 ff.
6 Kritisch z.B. Lothar Gall, Der Weg in die Moderne. Wehlers dritter Band einer ,Deutschen Gesellschaftsgeschichte’, in: HZ 263 (1996), S. 133-141.

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