J. Egyptien (Hrsg.): Erinnerung in Text und Bild

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Titel
Erinnerung in Text und Bild. Zur Darstellbarkeit von Krieg und Holocaust im literarischen und filmischen Schaffen in Deutschland und Polen


Herausgeber
Egyptien, Jürgen
Erschienen
Berlin 2012: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
415 S.
Preis
€ 99,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Elzbieta Kapral, Universität Łódź

Das Ende des Zweiten Weltkriegs liegt schon beinahe 70 Jahre zurück. Jedoch scheint die Omnipräsenz dieses folgenschweren, historischen Ereignisses (sowohl in allen Bereichen der Kunst, wie auch in den öffentlichen Debatten) die bekannten Worte von William Faulkner zu bestätigen: „Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.“ Obwohl es immer weniger Zeitzeugen gibt, lebt die Vergangenheit fort. Sie wird zum einen in Denkmälern, Museen und anderen öffentlichen Institutionen als kollektives Gedächtnis aufbewahrt, zum anderen in Form von privaten Erinnerungen an die nachfolgenden Generationen weitergereicht. In vielen Fällen werden die Erinnerungen außerdem künstlerisch umgesetzt und in Form eines literarischen Textes, eines Films oder Musikstücks popularisiert. Dem Thema der Darstellbarkeit von Krieg und Holocaust im literarischen und filmischen Schaffen in Deutschland und in Polen war im Jahre 2010 in Katowice eine deutsch-polnische Tagung gewidmet. Die dort präsentierten Beiträge liegen nun in einem von Jürgen Egyptien herausgegebenen Sammelband vor, der den Titel: „Erinnerung in Text und Bild“ trägt.

Wie aus der vom Herausgeber verfassten Einleitung hervorgeht, sollte mit dem Tagungsthema nicht nur die deutsch-polnische Verständigung gefördert und somit auch eine positive Grundlage der Nachbarschaft im vereinten Europa geschaffen werden, sondern auch die problematische Geschichte der beiden Völker intensiv behandelt werden, unter besonderer Berücksichtigung des Zweiten Weltkriegs. Der Sammelband bietet einen Überblick über zahlreiche Aspekte dieses facettenreichen und schwierigen Themas. In den Beiträgen wurde sowohl die polnische als auch die deutsche Perspektive präsentiert: Die in den einzelnen Artikeln besprochenen Werke entstammen der west- und ostdeutschen sowie der polnischen Literatur-, Film- und Musikgeschichte. Diese perspektivische Vielfalt stellt einen besonderen Wert des Sammelbandes dar.

Die Autoren haben es sich zur Aufgabe gestellt, der Frage nachzugehen, wie mit dem Thema des Zweiten Weltkriegs in literarischen und filmischen Werken sowie in der Musik umgegangen wurde und wie die (privaten oder kollektiven) Erinnerungen in Literatur, Film und Musik umgesetzt wurden. Dabei ist positiv hervorzuheben, dass die meisten von ihnen darum bemüht sind, neben vielgelesenen Werken, die zum jeweiligen Kanon beider Länder gehören, auch solche zu analysieren, die heute meist nur einem engen Kreis von Fachleuten und Interessierten bekannt sind. Die Artikel lassen sich inhaltlich in verschiedene Themenbereiche unterteilen, wie etwa die Auseinandersetzung mit dem Trauma des Krieges, die zerstörerischen Auswirkungen des Kriegsalltags auf die menschliche Psyche, die Mechanismen der Vergangenheitsbewältigung, Frauen im Krieg, Antisemitismus und Holocaust.

Dem Holocaust und seiner Darstellbarkeit in der Literatur wird relativ viel Platz eingeräumt. Eröffnet wird der Sammelband mit einem Artikel von Wolfgang Emmerich. Er geht der Frage nach, aus welchem Grund in der Literatur des auf dem Mythos des Antifaschismus gegründeten ostdeutschen Staates die Darstellung des Holocausts zu einer Seltenheit gehörte, obwohl das Thema des Zweiten Weltkriegs des Öfteren aufgegriffen wurde. Dabei konzentriert er sich auf die erzählende Prosa und präsentiert einen aufschlussreichen Überblick über Werke von DDR-Autoren, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg auseinandersetzen. Zu demselben Themenkomplex gehören unter anderem auch die Beiträge von Ewa Jurczyk, Magdalena Daroch und Aleksandra Ubertowska. Die Autorinnen bemühen sich, dem Leser anhand von ausgewählten Beispielen aus der polnischen und deutschen Literatur zu veranschaulichen, wie die Schriftsteller das Unfassbare doch in Worte zu fassen versuchten und sich um eine eigene Herangehensweise an dieses komplexe Thema bemühten. Bei Jurczyk sind dies Wolfgang Borchert und Tadeusz Borowski, Daroch macht literarische Werke der 1960er-Jahre, die Besuche ehemaliger Konzentrationslager beschreiben, zum Gegenstand ihrer Analyse. Die Autorin untersucht unter anderem die Texte von Tadeusz Różewicz, Peter Weiss und Andrzej Brycht und überlegt zusammen mit den Schriftstellern: „Was geschieht in den Köpfen der Menschen der zweiten und dritten Generation, die durch ein ehemaliges Konzentrationslager laufen?“ (S. 223)

Neben diesen schon häufiger thematisierten Aspekten, findet man auch solche, die nur selten im Zentrum der Literatur- bzw. Filmforschung stehen. In diesem Kontext ist der Beitrag von Grażyna Barbara Szewczyk hervorzuheben, der der Rolle der Fahnenfluchtproblematik in erzählender Prosa gewidmet ist. Szewczyk konzentriert sich auf autobiografisch grundierte Texte, wie zum Beispiel: ‚Ein Bericht‘, ‚Winterspelt‘ und ‚Die Kirschen der Freiheit‘ von Alfred Andersch, ‚Entfernung von der Truppe‘ von Heinrich Böll und ‚Der Deserteur oder die große belmontische Musik‘ von Hugo Hartung. Angesichts des langen Schweigens zu diesem Thema und den auch später nur vereinzelten öffentlichen Aussagen und Stellungnahmen dazu1, liefert dieser Artikel einen Einblick darin, wie die Problematik von den deutschen Schriftstellern umgesetzt wurde.

Neben den Aufsätzen, die lediglich den deutschen oder den polnischen Werken der Literatur bzw. der Kinematografie gewidmet sind, beinhaltet der Band jedoch auch solche, in denen beide Perspektiven vergleichend gegenüber gestellt werden. Zu nennen wäre zum Beispiel der Beitrag von Zbigniew Feliszewski, der zwei in den 1970er-Jahren entstandene Filme (‚Ptaki ptakom‘ des polnischen Regisseurs Paweł Komorowski und ‚Die erste Polka‘ des deutschen Regisseurs Klaus Emmerich) analysiert. Hierbei bestätigt sich die These des Autors, „dass bei aller Ähnlichkeit der visuellen Realisierung […] ganz verschiedene Aussagen, Botschaften, Mitteilungen erzielt werden können“ (S. 375).

Die zwei letzten Aufsätze des Bandes sind der Musik gewidmet. Die Autoren Leon Markiewicz und Iwona Melson konzentrieren sich auf ausgewählte Musikstücke, um auf die Rolle dieses Mediums bei der Bewältigung des Krieges hinzuweisen. Im Fall von Iwona Melson ist es das ‚War Requiem‘ von Benjamin Britten – eine Auftragsproduktion und „ein überzeitliches Musikkunstwerk“ (S. 404), das den im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommenen Freunden des Komponisten gewidmet ist und als Warnung vor dem Krieg gedacht war. Leon Markiewicz stellt in seinem Beitrag das Schaffen polnischer Komponisten dar. Er schildert eingangs die Umstände, unter welchen sich Kultur im besetzten Warschau entwickelte, und untersucht unter anderem die in dieser Zeit als unmittelbare Reaktion auf die Kriegsereignisse entstandenen Musikstücke von Andrzej Panufnik (‚Tragische Ouvertüre‘) und Bolesław Woytowicz (‚Zweite Symphonie‘). Daneben widmet sich Markiewicz auch polnischen Werken der 1950er- und 1960er-Jahren, für die der Krieg ein Hauptmotiv darstellte. Die beiden der Musik gewidmeten Aufsätze sind relativ kurz und haben einen vorwiegend informativen Charakter, bilden jedoch eine Anregung zu einer intensiveren Beschäftigung mit dieser Thematik.

Die im vorliegenden Sammelband publizierten Aufsätze spiegeln zwar unterschiedliche Denkansätze wider, in allen Beiträgen wird aber zugleich auch die (Un-)Möglichkeit der Darstellbarkeit der historischen Ereignisse und privater Erinnerungen in als fiktional geltenden literarischen und filmischen Welten reflektiert. Auch wenn nicht alle Beiträge neue Erkenntnisse bieten und manche das Thema eher oberflächlich behandeln, ist dieser Sammelband ein gelungenes Beispiel für eine interdisziplinäre Herangehensweise an die präsentierte Thematik.

Anmerkung:
1 Vgl. dazu beispielsweise Jan Korte / Dominic Heilig (Hrsg.), Kriegsverrat. Vergangenheitspolitik in Deutschland. Analysen, Kommentare und Dokumente einer Debatte, Berlin 2011.

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