Th. Fischer (Hrsg.): Die Krise des 3. Jahrhunderts

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Titel
Die Krise des 3. Jahrhunderts n. Chr. und das Gallische Sonderreich. Akten des Interdisziplinären Kolloquiums Xanten 26. bis 28. Februar 2009


Herausgeber
Fischer, Thomas
Reihe
Schriften des Lehr- und Forschungszentrums für die antiken Kulturen des Mittelmeerraumes - Centre for Mediterranean Cultures – ZAKMIRA 8
Erschienen
Wiesbaden 2012: Reichert Verlag
Anzahl Seiten
430 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus-Peter Johne, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Das in der Forschung lange vernachlässigte 3. nachchristliche Jahrhundert hat in neuerer Zeit viel Beachtung gefunden. Davon zeugt auch der stattliche Band eines von der Universität Köln veranstalteten Kolloquiums, das Altphilologen, Althistoriker und vor allem Archäologen in Xanten zusammenführte. In 14 Beiträgen werden zentrale und spezielle Aspekte des Gallischen Sonderreiches der Jahre 260 bis 274 vorgestellt und diskutiert.

Auf die schwierige Situation bei der Beurteilung der literarischen Quellen weist Bernd Manuwald hin (S. 13–27). Die lateinische Tradition beruht auf der sogenannten „Enmannschen Kaisergeschichte“, die die Breviarienschriftsteller Aurelius Victor und Eutrop sowie das Biographienwerk der Historia Augusta in unterschiedlicher Weise benutzt haben. Die in den Geschichtswerken des Zosimos und des Zonaras erhalten gebliebene griechische Tradition ist so unterschiedlich, dass man verschiedene Überlieferungsstränge annehmen muss. Zu Recht schlussfolgert der Autor, dass die literarischen Zeugnisse oft nur in Kombination mit den epigraphischen und numismatischen historisch ausgewertet werden können.

Dem Kampf zwischen Gallienus, dem Kaiser der Zentrale, und dem gallischen Usurpator Postumus widmet sich Karlheinz Dietz (S. 29–62). Er zeigt, dass es zwei Feldzüge des Gallienus gegen Postumus gegeben hat und Gallienus vor allem an der Rückgewinnung der Aufmarschbasis Raetien und der Beherrschung der Alpenpässe interessiert war. Eine Folge dieser Auseinandersetzungen könnte die Preisgabe des rechtsrheinischen Dekumatlandes in den 260er-Jahren gewesen sein. Auch die erst 1992 gefundene Augsburger Inschrift aus dem Jahre 260 wird von neuem analysiert.

Eine Einführung zum Stand der Forschung im politischen Bereich bietet Werner Eck (S. 63–83). Die Ausdehnung des Herrschaftsgebietes der gallischen Kaiser bis nach Spanien und Britannien wird auf der Grundlage der Inschriften bestimmt und die Existenz eines eigenen Senats für das Sonderreich mit guten Gründen in Zweifel gezogen. In der seit langem kontrovers diskutierten Frage, welche Stellung Postumus vor seiner Machtübernahme bekleidete, spricht sich Eck jetzt für einen ritterlichen Amtsträger aus (S. 77, Anm. 49) und korrigiert damit seine frühere Ansicht, er wäre ein senatorischer Statthalter gewesen.1 Der instruktive Beitrag endet mit der Interpretation einer neuen Bauinschrift aus Krefeld mit dem Hinweis auf einen Aufstandsversuch unter Postumus und einer Neudatierung der letzten Inschrift in Raetien nördlich der Donau erst in die Zeit nach 262.

Auf den altphilologischen und die beiden althistorischen Beiträge folgen elf archäologische: Dietrich Boschung beschäftigt sich mit den Porträtdarstellungen der gallischen Kaiser (S. 85–96). Er kommt zu dem Ergebnis, dass sie sich um eine eigene Bildniskonzeption bemühten, die sie von den zeitgenössischen Herrschern in Italien abhob. Der Stadt Köln und ihrem Umland in der Soldatenkaiserzeit ist die Abhandlung von Bernd Päffgen gewidmet (S. 97–150). Archäologisch lassen sich mehrere Germaneneinfälle fassen, wobei bereits die frühesten in den 230er-Jahren das Ende der Pax Romana für dieses Gebiet bedeuteten. Von 256 bis 272 diente die Stadt als Herrscherresidenz und zwischen 257 und 269 auch als Münzprägestätte. In dieser Zeit wurde die Stadtmauer erneuert.

Bei der Vorstellung von Mainz im dritten Viertel des 3. Jahrhunderts weist Alexander Heising auf die im Vergleich zu Köln ungleich schlechtere Überlieferungslage hin (S. 151–196). Eine spektakuläre Rolle spielte die Stadt allein im Jahre 269 mit der Ermordung des Postumus und den Usurpationen des Laelianus und Marius. Die öfter angenommene Existenz einer Münzprägestätte ist fraglich. Unstrittig war dagegen der Bau einer Stadtmauer seit 253 das für die Siedlungstopographie einschneidenste Ereignis der Zeit.

Um die Colonia Ulpia Traiana bei Xanten geht es in den Beiträgen von Thomas Otten und Clive Bridger: Otten behandelt das Ende der Zivilstadt zwischen 260 und 275/76 und die Jahrzehnte bis zur Errichtung der Festungsanlage innerhalb des ehemaligen Stadtgebietes (S. 197–217); Bridger stellt die Gräber des 3. Jahrhunderts in und um Xanten vor (S. 219–231). Die Bedeutung Triers im Gallischen Sonderreich erörtert Jennifer Morscheiser (S. 233–247). Im Einzelnen geht es um die wenigen Inschriften, von denen eine allerdings partiell missverstanden wird (S. 236), die Prägungen der Münzstätte und die Anlage der Stadtmauer mit der Porta Nigra, wobei sich die Autorin für eine Datierung erst in das 3. Jahrhundert ausspricht.

Wirtschaftsgeschichtlich orientiert ist der Beitrag von Eszter Harsányi über den Export von Trierer Spruchbechern nach Pannonien, von denen dort über 100 gefunden wurden (S. 249–274). Die Ursache für das Ende dieser Exporte um 260 wird jedoch nicht in der Existenz des Gallischen Sonderreiches, sondern in den Barbareneinfällen in den mittleren Donauraum und dem damit zusammenhängenden Niedergang des Wirtschaftslebens gesehen. Für den archäologisch gut erforschten Raum Mayen-Koblenz kann Angelika Hunold keine unmittelbaren Auswirkungen des Sonderreiches feststellen (S. 275–306). Münzschätze mit Schlussmünzen aus diesen Jahrzehnten, Siedlungsunterbrechungen und Anzeichen einer Stagnation stellen keine Besonderheiten für die Rheingrenze im 3. Jahrhundert dar.

Mit dem vieldiskutierten Ende des obergermanischen Limes beschäftigt sich Marcus Reuter (S. 307–323). Während die Zerstörung des rätischen Limes inzwischen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das Jahr 254 datiert werden kann, ist für die Aufgabe der obergermanischen Grenzbefestigung ein jahrzehntelanger Prozess anzunehmen, der mit dem Germaneneinfall von 233 begann. Das Kastell Osterburken wurde wohl 254 zerstört, Niederbieber sicher 260, und die letzten Limeskastelle dürften beim Zusammenbruch des Gallischen Sonderreiches verlassen worden sein. Die Behauptung, Aurelian habe bei dem Sieg über Tetricus auf den Katalaunischen Feldern 274 ein sinnloses Blutbad angerichtet, das zu einer immensen Schwächung der Rheinarmee führte (S. 319f.), findet in den Quellen keine Fundierung. Der Rückblick des Panegyricus von 311 bezieht sich auf den Aufstand von Autun 269/70 und nicht auf die Niederlage des Tetricus.2 Die Entdeckung von fünf Gräbern aus dem letzten Drittel des Jahrhunderts in einem Villenareal im Rhein-Sieg-Kreis mit ungewöhnlich reichen Beigaben zeigt nach den Ausführungen von Sonja Schmutzler, dass es auch in diesen Jahrzehnten „Nutznießer der Krise“ gegeben hat (S. 325–342).

Der letzte, umfangreichste Beitrag von Andreas Rau ist nicht auf der Tagung in Xanten gehalten worden und greift thematisch auch weit über die Zeit des Sonderreiches hinaus. Er behandelt die archäologisch fassbaren Beziehungen des Römischen Reiches zum nördlichen Barbaricum, insbesondere nach Skandinavien im gesamten 3. Jahrhundert (S. 343–430). Unter Heranziehung ausgewählter Sachgruppen werden die verschiedenen Möglichkeiten erörtert, wie Objekte römischer Herkunft in den Norden gekommen sein können, wobei auch der innergermanische Austausch betont wird.

Das Gallische Sonderreich und sein Umfeld ist in diesem Band unter sehr verschiedenen Aspekten so eingehend vorgestellt worden, dass keine künftige Behandlung des Themas wird daran vorbeigehen können.

Anmerkungen:
1 Vgl. Werner Eck, Die Statthalter der germanischen Provinzen vom 1.–3. Jahrhundert, Köln 1985, S. 223f.
2 Vgl. Ingemar König, Die gallischen Usurpatoren von Postumus bis Tetricus, München 1981, S. 148–156; Klaus-Peter Johne u.a. (Hrsg.), Die Zeit der Soldatenkaiser, Berlin 2008, Bd. 1, S. 305 (Udo Hartmann) und S. 334f. u. 338 (Andreas Luther).

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