J. Johrendt u.a. (Hrsg.): Rom und die Regionen

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Titel
Rom und die Regionen. Studien zur Homogenisierung der lateinischen Kirche im Hochmittelalter


Herausgeber
Johrendt, Jochen; Müller, Harald
Reihe
Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Neue Folge 19
Erschienen
Berlin 2012: de Gruyter
Anzahl Seiten
VIII, 495 S.
Preis
€ 119,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Werner Maleczek, Institut für österreichische Geschichtsforschung, Universität Wien

Der Sammelband dokumentiert den Abschluss eines von der DFG geförderten wissenschaftlichen Netzwerkes, das sich in den Jahren 2007 bis 2010 dem Aufstieg der römischen Bischöfe zur unbestrittenen Führungsinstanz der lateinischen Christenheit widmete. Das verbindende Thema waren die vielfältigen Interaktionen zwischen dem kurialen Zentrum und den Ortskirchen. Der vorliegende Band gibt den Diskussionsstand des letzten Treffens im Jahre 2009 wieder. Zum Großteil vertiefen die Autoren des Sammelbandes eigene, schon publizierte Forschungen, sodass man sich öfters des Eindrucks des déjà-lu nicht erwehren kann. Auch das magische Jahr 1198 der mittelalterlichen Papstgeschichte, das durch das Kehr’sche Papsturkundenwerk noch verfestigt wurde, prägt nach der Vorgabe der Herausgeber die Mehrzahl der Aufsätze und macht wieder einmal deutlich, wie aufwändig Papst- und Kurialgeschichte ab dem Pontifikat Innocenz‘ III. wegen der langwierigen Quellenaufarbeitung ist.

Nach der programmatischen Einleitung aus der Feder der beiden Herausgeber umfasst der erste Teil unter dem mit einem Fragezeichen versehenen Titel „Instrumente zentraler Steuerung?“ die folgenden Beiträge: Thomas Wetzstein zeigt, dass das Papsttum seinen Anspruch auf Anerkennung als Leitungsinstanz der lateinischen Kirche auch im Bereich des Finanzwesens geltend machen konnte. Die Synthese aus der (überwiegend deutschsprachigen) Forschungsliteratur stellt die besonders seit der Gregorianischen Reform fließenden Einkünfte dar, wobei zwischen regelmäßigen Abgaben (Schutzzinse einzelner Klöster, der für England besser zu verfolgende Peterspfennig, Lehnszinse) und Schenkungen und fallweisen Abgaben (zum Beispiel Palliengeldern) unterschieden wird. Dabei interessiert besonders das Problem des Transportes der Gelder, welches auf Zwischenglieder wie Cluny, Templer, Kaufleute/Kreditgeber, Pilger zurückgreifen ließ, während Kollektoren nur punktweise tätig wurden. Die Historia Compostellana mit ihren vielen, auch pittoresken Details zu unterstützenden Geldzahlungen und Geschenken an Päpste und Kardinäle wird intensiv herangezogen. Auch der Liber Censuum von 1192 und seine Vorstufen werden als Indizien einer regelmäßigen, entwickelten und weitgespannten Finanzverwaltung dargestellt.

Matthias Schrör untersucht das Phänomen der Bistumsexemtion anhand der Beispiele von Le Puy-en-Velay und Bamberg. In beiden Fällen handelt es sich nicht um eine langfristig geplante päpstliche Aktion, sondern die Initiativen gingen von der Ortskirche aus, um die Jurisdiktion der Metropoliten abzustreifen und die eigene Position aufzuwerten. Insgesamt sollte die Bedeutung der Exemtionen nicht überschätzt werden. Für jene von Le Puy gibt es ein Privileg Calixts II. vom 5. September 1120, für Bamberg fehlt die Urkunde. An der Kurie ging man nach einer langen Phase der allmählichen Kompetenzverschiebung auf das Papsttum hin von der zwischen 1230 und 1245 vollzogenen Exemtion aus.

Lotte Kéry relativiert die scheinbare Eindeutigkeit dieses Rechtsinstituts, mit dem die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der monastischen Gemeinschaften in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht gewährleistet und zugleich die Verfügungsgewalt des Papsttums innerhalb der Kirche realisiert werden sollte. Die Zurückhaltung scheint allein schon dadurch gerechtfertigt, dass der Begriff der Exemtion bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes kaum in den Quellen aufscheint und auch keinerlei kirchenrechtliche Definition oder Erläuterung durch die Kanonistik erfahren hat. Einiges deutet darauf hin, dass das Papsttum die Exemtion von Klöstern auf Einzelfälle beschränkt sehen wollte. Die Merkmale für die Exemtion lassen sich nicht einfach definieren. So kommt man nicht umhin, jedes einzelne Exemtionsprivileg auf seinen rechtlichen Gehalt hin zu überprüfen, denn ein Formular für Exemtionsprivilegien gab es nicht. Gandersheim und Cluny geben dabei das Material für die Einzeluntersuchung her. Als Fazit stellt die Autorin fest, dass die Päpste bis zu Innocenz III. sorgfältig darauf achteten, mit der Verleihung der Exemtion nicht den Anschein willkürlicher Rechtssetzungen und Privilegierungen zu erwecken und damit bischöflichen Widerstand zu provozieren. Was die Exemtionspraxis gegenüber den neuen Orden betrifft, so zeigt sich, dass die Päpste keine Generalvollmachten für ganze Ordensverbände erteilten. Auch hier ist eine differenzierte Vorgangsweise festzustellen.

Harald Müller verweist mit Blick auf delegierte Gerichtsbarkeit darauf, dass sich das „lateineuropäische Phänomen, geradezu ein hochmittelalterlicher Erfolg der Modernisierung und Homogenisierung“ (S. 145), noch nicht flächendeckend beschreiben lässt, weswegen die Regionen in diesem Forschungspanorama vorgestellt werden, für welche zufriedenstellende Spezialstudien existieren: das nördliche Frankreich, England und einzelne Zonen des Reiches.

Claudia Zey liefert einen weiteren Forschungsüberblick zum päpstlichen Legatenwesen mit breiten bibliografischen Angaben, der das baldige Erscheinen der 2002 approbierten Habilitationsschrift der Autorin zum Thema erhoffen lässt. Neuere Forschungsansätze zur Kommunikation, zur Medialität und zum Rituell-Zeremoniellen sind wegen der größeren Quellenmenge für die Zeit ab dem 13. Jahrhundert zu vermelden beziehungsweise zu erwarten.

Der zweite Teil trägt den Titel „Homogenisierungsprozesse in den Regionen“, vermeidet also den bisher üblichen Begriff der Zentralisierung. Im Herzogtum Normandie und den Grafschaften Touraine, Maine und Anjou lassen sich, wie der Beitrag von Harald Müller und Jörg Peltzer zeigt, die thematisierten Aspekte der zunehmend intensiver werdenden Rom-Beziehungen gut nachzeichnen, vor allem dank reichlich fließender Quellen, während die hier ebenfalls behandelte Bretagne größere dunkle Flecken aufweist. Bemerkenswert erscheint die zunehmende Rolle des kanonischen Rechtes, durch die Delegationsgerichtsbarkeit forciert, die in der Normandie und im Groß-Anjou einige systematische Dekretalensammlungen entstehen ließ, so die drei Varianten der Rotomagensis, die Sangermanensis und die beiden Abrincenses. Rouen ist damit im späten 12. Jahrhundert eines der Zentren des gelehrten Rechtes neben Bologna und Rom. Jedenfalls zeigt dieses westfranzösische Beispiel, dass die Homogenisierung der lateinischen Kirche und ihre Ausrichtung auf das Papsttum als ein Prozess des Gebens und Nehmens besser zu interpretieren ist denn als eine bewusste und geplante Zentralisierung durch den römischen Pontifex.

Auch im materialreichen Beitrag von Ursula Vones-Liebenstein, der sich auf eine breite Basis neuerer Literatur stützt und wesentliche Ergebnisse in Tabellenform zusammenfasst, wird die Wechselwirkung zwischen den von der Peripherie ausgehenden Initiativen und deren Aufnahme durch das Papsttum überzeugend dargestellt. Dabei begünstigte die herrschaftlich starke Zersplitterung dieses Raumes und die gerade dort dominierende Verflechtung des Episkopates in den weitgehend autonom agierenden Adel die Suche nach der römischen Autorität, die in einer frühen Phase den Kampf gegen die Simonie und ab dem letzten Viertel des 12. Jahrhunderts den Kampf gegen die Häresie als Hebel einsetzte, um die Verhältnisse kirchlich und schließlich auch politisch neu zu ordnen. Der von Innocenz III. ausgerufene Albigenserkreuzzug gegen die Unterstützer der Katharer krempelte die politische Landschaft um und führte zur Eingliederung der Narbonensis in das französische Königreich. Aber damit verlor schließlich das Papsttum seine Möglichkeiten, im Süden Frankreichs entscheidend einzugreifen.

Nicolangelo d’Acunto behandelt Aspekte päpstlicher Zentralisierung in der Lombardei im 11. und 12. Jahrhundert. Angesichts der Vielgestaltigkeit kommunaler Autonomie in Oberitalien und der Komplexität der dortigen örtlichen kirchlichen Strukturen ist Skepsis gegenüber einer zielgerichteten päpstlichen Zentralisierungspolitik angebracht, zumal auch die einzelnen Päpste sehr unterschiedliche Persönlichkeiten waren, deren Wirkungsmöglichkeiten durch politische Auseinandersetzungen wie den Investiturstreit und kirchliche Konflikte wie die Schismen des 11. und 12. Jahrhunderts eingeschränkt waren. Die Beschränkung auf die Diözesen Mailand, Pavia, Lodi, Cremona, Brescia, Bergamo und Como zeigt nichtsdestoweniger eine Zunahme der Papsturkunden ab der Mitte des 12. Jahrhunderts als Indikator für den gesteigerten Einfluss. Die von der Kurie ausgeschickten päpstlichen Legaten waren im betrachteten Zeitraum selten wirklich erfolgreich. Als wirkungsvoller erwies es sich, die Legatenfunktion an einzelne herausragende Mitlieder des Episkopates zu verleihen, wie zum Beispiel an Mailänder Erzbischöfe, die auch bei der Stabilisierung der Obödienz im Schisma von 1159/1177 entscheidend mithalfen. Auch die Zunahme der Kardinäle lombardischer Provenienz ab dem zweiten Drittel des 12. Jahrhunderts zielt in diese Richtung. Zeitweilig machen sie zwischen einem Viertel und einem Drittel des Kardinalskollegiums aus.

Jochen Johrendt untersucht mit Sizilien und Kalabrien zwei Regionen des normannischen Königreiches – warum nicht auch Apulien? –, das durch das Lehensverhältnis mit dem Papsttum verbunden war, und zeigt deutlich, dass die Zentralisierung der lateinischen Kirche kein teleologischer Prozess war. Bei der Betrachtung aller Bereiche, die Indikatoren für die zunehmende Ausrichtung der Kirche auf Rom sein hätten können, zeigt sich eine bemerkenswerte Rom-Ferne, die freilich zwischen Kalabrien und der Insel differenziert gesehen werden muss. Die Erklärung bietet sich an: Der Herrscher, der von Urban II. die apostolische Legation übertragen erhalten hatte, war stets eifersüchtig auf seine dominante Stellung in der neu eingerichteten Kirche auf Sizilien, aber auch auf dem Festland bedacht, ließ sie sich in Benevent 1156 verbriefen und sorgte auf verschiedene Weise für einen eng bemessenen päpstlichen Einfluss. Bischofsernennungen waren fast ausschließlich königliche Angelegenheit, Legaten kamen praktisch keine ins Land, Exemtionen und Papstschutz waren selten, die delegierte Gerichtsbarkeit kam gegen die gut entwickelte königliche Gerichtsbarkeit kaum an und der personelle Austausch zwischen den Regionen und der Kurie war sehr bescheiden. An der Rom-Treue des Episkopates bestand kein Zweifel, aber sie führte nur zu mäßiger gegenseitiger Beeinflussung. Die manifeste Änderung dieser bescheidenen Beziehung nach 1198 dauerte nur kurz und war in der Vormundschaft Innocenz‘ III. über den kleinen Friedrich II. begründet.

Przemysław Nowak stellt die relativ wenigen Zeugnisse im Rahmen einer Geschichte der Kirchenorganisationen in Ostmitteleuropa vor, wobei die umfangreiche Forschungsliteratur in den westlichen und östlichen Sprachen in den Anmerkungen breit zitiert wird. Etwas ausführlicher wird das „Dagome-iudex-Regest“ aus der Kanonessammlung des Deusdedit besprochen, das die Schenkung des Gnesener Besitzkomplexes an die römische Kirche durch Herzog Mieszko I. (vor 992) dokumentiert, ferner kanonistische Handschriften aus der Kapitelsbibliothek in Krakau, die freilich nicht an Ort und Stelle entstanden waren.

Rainer Murauer präsentiert in großer Detailfreude und aufgefächerter Systematik die etwa 300 Papsturkunden für die Empfänger im Erzbistum Salzburg. Zwischen Erzbischof Gebhard (1073–1085) und Eberhard II. (1200–1246) zeichnete sich Salzburg durch eine ausgesprochen papsttreue Einstellung aus, was während des Investiturstreits und während des alexandrinischen Schismas zu kriegerischen Auseinandersetzungen und zu Schismen innerhalb der Diözese führte. Als kirchenrechtliche Besonderheit haben die mit päpstlicher Zustimmung eingerichteten „Eigenbistümer“ Gurk (1072), Chiemsee (1216), Seckau (1218) und Lavant (1226) zu gelten. Ihre Bischöfe wurden vom Salzburger Oberhirten ernannt, nur das Gurker Domkapitel wehrte sich und erreichte nach einem jahrzehntelangen Prozess 1232 das Wahlrecht. Die enge Verbindung mit der Zentrale in Rom wurde durch die Verleihung der Würde eines ständigen Legaten an den Salzburger Erzbischof seit 1179 deutlich. Die zahlreichen Klöster und Stifte erfreuten sich fast alle eines päpstlichen Gunsterweises, häufig gelangten pompöse Privilegien in die Klosterarchive. Aber zu einer regelrechten Exemtion kam es nur beim Chorherren-Stift St. Zeno in Reichenhall und beim Benediktinerkloster Michaelbeuern.

Das Thema des Beitrags von Stefan Burkhardt war nicht leicht in den Griff zu bekommen, da die im Spannungsfeld von Zentrum und Peripherie untersuchten Mainzer Erzbischöfe mehrfache Funktionen in sich vereinigten: Oberhirte einer nicht sehr großen Diözese, Metropolit eines riesigen Sprengels, der von den Alpen bis zur Elbemündung, vom Hunsrück bis zu den Weißen Karpaten reichte und ihm keine einheitliche Disziplinargewalt über seine Suffragane zukommen ließ, prominentester Fürst des Reiches mit weitgespannten weltlichen Aufgaben. Dementsprechend ist der Befund bei der Auswertung der Themenbereiche uneinheitlich. Päpstliche Weihen wurden von den Erzbischöfen mitunter zur Befestigung der eigenen Position angestrebt, hinsichtlich ihrer Suffragane jedoch abgelehnt, um die eigene Stellung als Metropolit nicht zu gefährden. Auf der Seite der Mainzer Erzbischöfe wirkten vor allem drei Faktoren einer „Romhörigkeit“ entgegen: Das Beharren auf der eigenen metropolitanen Stellung; die Wahrung der Interessen gegenüber anderen geistlichen Institutionen in der Diözese; eine Art „reichsfürstliches Selbstbewusstsein“. Gerade bei Mainz zeigt sich die Bedeutung der jeweiligen Persönlichkeit im Verhältnis zu Rom: Adalbert von Selenhofen als gefügiger Exekutor päpstlicher Direktiven versus Christian von Buch als Hauptvertreter der kaiserlichen Gegenpäpste. Liturgie, Kirchenrecht und erzbischöfliche Delegationsgerichtsbarkeit verweisen eher auf eigenständig-mainzische Traditionen als auf die Übernahme des päpstlichen Modells.

Die abschließenden Bemerkungen von Claudia Märtl legen das Fragenraster auf die spätmittelalterlichen Beziehungen zwischen der Peripherie und der römischen Zentrale und konstatieren in eleganter Synthese, dass die allgemein verwendeten Schlagworte – Pfründenmarkt, Reformunwilligkeit, Aufblähung des kurialen Apparates und Ablasshandel zur Geldbeschaffung, Reduktion des Universalismus zur italienischen Politik, theologische Verflachung durch den Humanismus – zu kurz greifen. Es tun sich durch den langfristigen Vergleich Forschungslücken auf. Hoch zu preisen ist das sorgfältig gearbeitete Register im Anhang, das alle Beiträge nach Orten und Personen, leider nicht nach Sachen, erschließt.

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