M. Icks: The Crimes of Elagabalus

Cover
Titel
The Crimes of Elagabalus. The Life and Legacy of Rome’s Decadent Boy Emperor


Autor(en)
Icks, Martijn
Erschienen
London 2011: I.B. Tauris
Anzahl Seiten
XII, 276 S.
Preis
£24.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Fündling, Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

Der vom Verlag gewählte Titel ist aufs Anlocken außerwissenschaftlichen Publikums berechnet gewesen, wie auch die Entscheidung für End- statt Fußnoten andeutet – durchaus mit Erfolg, da inzwischen eine Taschenbuchausgabe auf dem Markt ist. Interessant genug ist Icks’ Thema dafür allemal, das bis auf weiteres wohl überhaupt nur als Rezeptionsgeschichte schreibbar ist. Nicht die schwer greifbare Person Kaiser Elagabals (218–222 n.Chr.), sondern ihr Bild in der Überlieferung fasziniert und polarisiert. Mit vereinten Kräften haben Cassius Dio, Herodian und die Historia Augusta der Beschäftigung mit ihm dabei ein wahres Minenfeld aus Stereotypen und Phantasieprodukten in den Weg gelegt. Tyrannen- und Luxustopik sind hier bis zur Karikatur getrieben; das Interesse der letzten anderthalb Jahrhunderte konzentriert sich allerdings auf die kaum je hinterfragten erotischen Experimente und Normverletzungen: „a sexual preference for men, a predilection to dress and act as a woman, a dynamic sex life with many different partners“ (S. 218). Während sich die Koordinaten der Geschlechterrollen verschieben und die Theoriebildung der sexuellen Identität kaum Schritt mit deren Auffächerung in der Gegenwart zu halten vermag, trifft gerade Elagabal einen Nerv. Große Teile der überschaubaren altertumswissenschaftlichen Beiträge zum Thema sind genau deshalb in der mit Moral und Unmoral befrachteten Hülle steckengeblieben, statt zum Kern des Problems vorzudringen.

Für die dringend nötige Sichtung – und zur Senkung des Blutdrucks bei der Quellenlektüre – leistet Icks einen wertvollen Beitrag. Scharf getrennt von der Elagabaldeutung werden in verhaltenem Stil erst die Biographie des Kaisers („The boy on the throne“, S. 10–43), dann die Vorgeschichte seiner Familie und des syrischen Elagabalkultes („The child priest from Emesa“, S. 44–60) und schließlich Indizien kaiserlicher Selbstdarstellung auf religiösem Gebiet vorgestellt („The invincible priest-emperor“, S. 61–91). Die Historiographie im Kontext von Quellengattungen mit stärker dokumentarischem Charakter zu betrachten, ist überfällig, kann aber, wie sich kürzlich gezeigt hat, mit einer Zersplitterung in positivistische Einzelnotizen enden.1 Diese Gefahr vermeidet Icks souverän. Interpretationsvorschläge werden mit Augenmaß und Zurückhaltung vorgestellt; letzte Tiefe im Detail ist nicht angestrebt, sondern das Schaffen einer Verständigungsgrundlage. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass auf dieser Basis weitere Aussagen möglich werden. Methodisch überzeugt vor allem, wie reflektiert die erzählenden Quellen als Deutungshilfe statt – wie bisher allzu oft – als Tatsacheninventar genutzt (oder wegen Subjektivität ignoriert) werden.

Als gesichert gelten dürfen künftig die beiden folgenreichen Wendepunkte der Herrschaftszeit: zunächst die aktive Durchsetzung des Gottes Elagabal seit Ende 220, später unter dem Eindruck des Widerstandes gegen diesen allzu exotischen Summodeismus die Adoption des Caesars Alexianus Mitte 221. Hochinteressant ist Icks’ Hinweis auf Unstimmigkeiten beim Geburtsdatum dieses Nachfolgers, die anzudeuten scheinen, dass Severus Alexander das Kind der Iulia Mammaea mit ihrem ersten Mann, einem unbekannten, spätestens 212 verschollenen Konsular, war (S. 58). Das Projekt einer Götterehe mit der Göttin „Urania“ aus Karthago (S. 32f.), also mit Tanit / Caelestis, dürfte schlicht auf die Herkunft der Septimii aus Lepcis Magna zurückgehen und kann die xenophoben Reaktionen auf Elagabals religiöse Zumutungen angeheizt haben. Schwer vorstellbar ist die Annahme, der Bau des Templum Elagabali sollte bis spätestens Ende 221 beendet worden sein (S. 28); ein Neubau in so kurzer Zeit hätte, angefangen mit den acht Säulen, große Logistikprobleme und Zusatzkosten verursacht, falls man keine massiven Qualitätseinbußen etwa bei der Bauskulptur in Kauf nahm – oder andere Bauten plünderte, was die feindselige Überlieferung kaum verschwiegen hätte.

Mehr Präzision wäre allerdings im Kapitel „The rejected ruler“ zur antiken und byzantinischen Geschichtsschreibung möglich gewesen (S. 92–122). So hat selbstverständlich nicht Sir Ronald Syme (S. 7), sondern bereits Hermann Dessau aufgezeigt, dass die Historia Augusta auf einen einzigen Autor, der nicht vor dem Ende des 4. Jahrhunderts schrieb, zurückgehen muss;2 nicht Andrea Scheithauer (S. 108), sondern die Historia Augusta selbst unterscheidet principes boni, medii und mali (HA Car. 3,8). Für Herodian hat Martin Zimmermann dessen fast vollständige Abhängigkeit von Cassius Dio nachgewiesen und zentrale Aussagen über die paideia als Leitstern der narrativen Umgestaltung dieses Materials getroffen.3 Dios eigene Position als zu Kurswechseln genötigter Funktionär der severischen Dynastie ist noch untererforscht, ebenso seine Beziehungen zu anderen Prominenten (wie dem geschmähten Valerius Comazon, vgl. S. 95); ähnlich steht es um Marius Maximus, falls man die gängige Identifikation des lateinischen Biographen mit dem zweimaligen Konsul und praefectus urbi akzeptiert. Lohnend, aber langwierig wäre ein Versuch, die völlige Ausblendung der Außenpolitik in allen Quellen zu revidieren. Prosopographische Erkenntnisse zieht Icks hauptsächlich heran, um personelle Kontinuitäten aus der Zeit vor 218 nachzuweisen; die ‚Überlebenden‘ der Herrschaft Elagabals unter Severus Alexander und dessen Nachfolgern wären aber ebenfalls einen genaueren Blick wert. Unter den Reaktionen der Historia Augusta auf Cassius Dio (vgl. 109) sollte auch Dios Bezeichnung des Kaisers als „Sardanapalus“ (S. 98–101) erscheinen; bei der korrespondierenden Namensverformung von Iulia Soaemias zu „Symiamira“ denkt der Autor der Historia Augusta offensichtlich an Semiramis.4

In den Abschnitten zum nachantiken Elagabalbild herrscht angesichts der Materialfülle, die Icks in einem Anhang darstellt (S. 219–223), beachtliche Ökonomie. Besonders prägende Zugänge und Neuinterpretationen stehen im Vordergrund. Gelehrte und Künstler konzentrierten sich bis zum Anbruch der Moderne auf den launisch-verschwenderischen Willkürherrscher („The evil tyrant“, S. 123–147), ehe aus dem ‚weibischen‘ Kaiser seit etwa 1850 ein Prototyp der Dekadenzidee und der Orientklischees wurde: Elagabal der Nicht-Mann (sozusagen ein Pathicus Maximus) wird Elagabal der Androgyne. Icks’ besondere Aufmerksamkeit gilt den zur Identifikation neigenden Porträts bei Stefan George und Louis Couperus; in der kritischen Geschichtswissenschaft der ersten Forschergenerationen registriert er das konsequente Totschweigen eines verfänglichen Themas („The decadent emperor“, S. 148–179). Eine Bagatelle zur Elagabal-Rezeption sei beigesteuert: Heliogabalus Morpheus Edeward Franke alias Hobble-Frank zählt zu jenen nicht restlos maskulin gekleideten Bewohnern von Karl Mays Wildem Westen, auf die Zweifler an der sexuellen Orientierung des Erfolgsautors verwiesen haben.5

Besonders vielschichtig und gelungen ist der Blick auf die Literatur seit 1914 und die immer noch distanzierten Beiträge aus den Altertumswissenschaften ausgefallen („The modern prince“, S. 180–213). Eine hübsche Pointe ist Icks’ Hinweis, dass Antonin Artauds Essay „L’anarchiste couronné“, der Elagabal zum bipolaren Selbstinszenierer und Rebellen gegen die sterile römische Ordnung stilisierte, mitunter als Fachaufsatz missverstanden worden ist (S. 217) – man fühlt sich an die häufige Fehlinterpretation von Marguerite Yourcenars „Mémoires d’Hadrien“ (deutsch „Ich zähmte die Wölfin“) als wissenschaftliche Hadrian-Biographie erinnert.6 Der Trend der letzten Jahrzehnte – die meist pathetische, mitunter ironische Umdeutung zur affirmativen Ahnenfigur der Gay-Pride-Bewegung – hält bis in die Gegenwart an, hat aber inzwischen reichlich Konkurrenz bekommen: Elagabal dient der Kritik am Starkult ebenso wie für das Lob jeder Art von konventionswidrigem Lebensstil, womit er sich als inhaltsentleerter Motivspender und Chiffre präsentiert, nicht mehr als historische Gestalt, die sie in der tradierten Form ja tatsächlich auch nur ansatzweise ist. Dieses ‚Regietheater‘, dessen Dynamik Icks treffend als postmodern kennzeichnet (ein Überblick: S. 195f.), dürfte künftige Inanspruchnahmen Elagabals als Ikone sexueller Selbstdefinition erschweren. Zu rechnen ist mit ihnen gleichwohl: Da die Historia Augusta ihn mit einer Quadriga nackter Frauen herumkutschieren lässt (Heliog. 29,2), erscheint er auch in dieser Hinsicht als offizieller Vorreiter, beruhigenderweise unter Hinweis auf die Phantasie des Autors7 – doch die Legende lebt.

Für Orientierungszwecke ist der am Schluss gebotene Stammbaum der Severer (S. 225) leider reichlich spartanisch ausgefallen. Die bewusste Selbstbeschränkung des Bandes generell überzeugt desto mehr. Icks hat hier in konzentrierter, vor allem aber transparenter Form ein überfälliges Stück Entwicklungshilfe für die Erforschung des beginnenden 3. Jahrhunderts geleistet und zugleich die Aufmerksamkeit auf einen vielsagend blinden Fleck der Antikenrezeption gelenkt. Sprache und typographische Korrektheit runden ein Buch ab, dessen Hauptanliegen – Klarheit und Zugänglichkeit – in mustergültiger Weise erreicht sind.

Anmerkungen:
1 Leonardo de Arrizabalaga y Prado, The emperor Elagabalus. Fact or fiction? Cambridge 2010.
2 Hermann Dessau, Über Zeit und Persönlichkeit der Scriptores historiae Augustae, in: Hermes 24 (1889), S. 337–392. Nicht benutzt zu sein scheint die kommentierte Budé-Edition der Elagabalvita von Robert Turcan (Hrsg.), Histoire Auguste, Bd. III, 1: Vies de Macrin, Diaduménien, Héliogabale, Paris 1993, S. 59–114 u. 155–236.
3 Martin Zimmermann, Kaiser und Ereignis. Studien zum Geschichtswerk Herodians, München 1999, besonders S. 222–232.
4 Vgl. Turcan, Histoire Auguste, S. 133 zu HA Opil. 9,2. Die horti Spei veteris (Heliog. 13,5; 14,2.5.7), Schauplatz von Elagabals Ermordung, und der schlechte Ruf von Soaemias passen zu Motiven des Semiramis-Stoffs, der ebenso wie die Sardanapal-Legende aus Ktesias stammt.
5 Daher die Homosexualitäts-These von Arno Schmidt, Sitara und der Weg dorthin. Eine Studie über Wesen, Werk & Wirkung Karl Mays, Karlsruhe 1963.
6 Ronald Syme, Fictional History Old and New: Hadrian, Oxford 1986; jetzt in: Anthony R. Birley (Hrsg.), Roman Papers VI, Oxford 1991, S. 157–181.
7 Vgl. Wikipedia-Artikel „Ponyplay“, <http://de.wikipedia.org/wiki/Ponyplay> (22.02.2014).

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