B. De Munck u.a. (Hrsg.): Gated Communities?

Titel
Gated Communities?. Regulating Migration in Early Modern Cities


Herausgeber
De Munck, Bert; Winter, Anne
Erschienen
Farnham 2012: Ashgate
Anzahl Seiten
294 S.
Preis
€ 94,44
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lars Behrisch, Department of History and Art History, Utrecht University

Als Korrektiv zu den zahlreichen Untersuchungen zu bestimmten, oftmals ausgegrenzten Migrantengruppen möchten die Herausgeber den Blick auf den weniger ins Auge fallenden, quantitativ aber bedeutenderen ständigen Zustrom von Menschen in frühneuzeitliche Städte sowie deren darauf gerichtete, allgemeine Immigrationspolitik richten. Während durch die bisherige Konzentration auf einzelne Migrantengruppen überwiegend Ausgrenzungsphänomene in den Blick gerieten, zeige die Beachtung der „large majority of migrants who did not belong to any such recognizable (minority) group“ (S. 3; Hervorhebung im Original), dass die Regulierung von Immigration grundsätzlich nicht als Reflex auf als ‚fremd’ empfundene Zuzügler verstanden werden könne, sondern vielfältigen Logiken und Mechanismen der In- und Exklusion gehorchte, an deren Entstehen und Funktionieren unterschiedliche städtische Akteure in nicht selten antagonistischer Weise beteiligt waren.

Die Auswahl der zehn Fallstudien ist chronologisch recht ausgewogen und nimmt eine Reihe von Ländern in den Blick. Bei näherem Hinsehen handelt es sich allerdings um die ‚üblichen verdächtigen’ west- und mitteleuropäischen Städteregionen – von (Süd-)England über (vor allem Nordost-)Frankreich, die Niederlande und Deutschland nach (Nord- und Mittel-)Italien. London/Paris, Rom und Berlin markieren einmal mehr die Eckpunkte eines Dreiecks, das noch stets die Matrix der europäischen Stadtgeschichte lieferte. So gerät auch hier ausschließlich jene europäische Kernregion in den Blick, in der die frühneuzeitlichen demographischen, ökonomischen, politischen, kulturellen und konfessionellen Dynamiken am stärksten ausgeprägt waren, wie sie nicht zuletzt auch für Migrations- und Migrationssteuerungsprozesse entscheidend waren. Diese Konzentration mag als Stärke des Bandes betrachtet werden – ein expliziter Hinweis auf diese Eingrenzung wäre jedoch sinnvoll gewesen, um eine Projektion der Befunde auf „early modern Europe“ (S. 1) schlechthin zu problematisieren.

Das Fehlen einer solchen Problematisierung schlägt sich in der einleitenden Konzeptualisierung nieder, wenn als relevante städtische Einzelinstitutionen jeweils die ‚Bürgerschaft’ als Ganzes, Zünfte und andere Genossenschaften sowie Einrichtungen der Armenfürsorge genannt werden (S. 3f.): Ein Bild institutioneller Differenzierung, das schon auf deutsche Städte östlich der Elbe kaum mehr zutrifft und letztlich maßgeblich von dem den Blick der Herausgeber (und einer relativen Mehrheit der Beiträger) bestimmenden Modell der hochentwickelten und weitgehend autonomen niederländischen Städte bestimmt wird. Trifft es wirklich zu, dass sich die Immigrationspolitik der west- und zentraleuropäischen, ja womöglich gar der europäischen Städte schlechthin als Ausfluss ihrer inneren rechtlichen, politischen, sozioökonomischen und kulturellen Verfassung erklären lässt (vgl. S. 4)? Wären nicht demgegenüber über- und außerstädtische Konstellationen, Machtverhältnisse und Diskurse konzeptuell weitaus stärker einzubeziehen, mit denen jene ‚lokalen Kategorien‘ in enger Wechselwirkung standen und von denen sie, sieht man von einer Minderheit (quasi-)autonomer Städte ab, auch weitgehend abhingen?

Die Fokussierung auf lokale, innerstädtische Faktoren hängt mit einer wirtschafts- und sozialhistorisch enggeführten Perspektive zusammen. In der Konzeption der Herausgeber erscheinen politische, kulturelle und nicht zuletzt konfessionelle Parameter von Migration und Migrationspolitik als eher randständig, so dass es nur konsequent ist, lokale ‚Interessen‘ (S. 4f.) in den Vordergrund zu stellen. Darüber werden aber nicht nur die (konfessions-)politischen Rahmenbedingungen vernachlässigt, sondern auch die jene ‚Interessen’ vermittelnden und/oder über sie hinausweisenden Wertsetzungen, Kategorisierungen und Identitätszuschreibungen. Der wirtschafts- und sozialhistorischen Fragestellung soll mit diesen Einwänden nicht ihre Berechtigung genommen werden. Doch ebenso wenig wie eine ‚kulturalistische’ Auflösung von ‚Interessen’ zu ‚Zuschreibungen’ oder ‚Semantiken’ ist eine unhinterfragte wirtschafts- und sozialgeschichtliche Reduktion historischer Handlungsmotive auf vermeintlich offensichtliche, da materielle ‚Interessen’ überzeugend. Dies gilt umso mehr, wenn man den Blick auf vormoderne, noch weniger eindeutig von ökonomischen Prioritäten bestimmte Kontexte richtet – und es gilt umso mehr, je weiter man von den Niederlanden weg in das demographisch, ökonomisch, politisch und kulturell noch weniger modernisierte und damit auch konfessionell noch weniger tolerante übrige Europa blickt.

Die Privilegierung (sozio-)ökonomischer Determinanten gegenüber kulturellen und religiösen Zusammenhängen sei, so die Herausgeber, als Gegenreaktion auf deren zu starke Betonung in der bisherigen Minderheitenhistoriographie zu verstehen (S. 15). Dies ist allerdings kaum eine überzeugende theoretische oder methodologische Begründung. Einige ältere Untersuchungen mögen der Ergänzung um sozio-ökonomische Erklärungselemente bedürfen. Dass sich materielle und kulturelle Faktoren von Migration(spolitik) aber überzeugend in einer komplexen Analyse zusammenführen lassen, zeigte bereits Heinz Schillings Studie zu den niederländischen Exulanten in deutschen und englischen Städten.1 Gegenüber derartigen Arbeiten mit komplexer Faktorenanalyse fällt der hier als innovativ vorgestellte Ansatz wieder zurück.

Innerhalb des begrenzten Feldes der ökonomischen, sozialen und politischen Parameter städtischer Immigrations- und Integrationspolitik gelingt es den Herausgebern allerdings, ein komplexes Panorama von deren Vielschichtigkeit zu erstellen. Dazu dienen die analytischen Hauptkategorien „Markets“, „Communal Resources“ und „Social Stability“ (S. 5, 18). Konzise werden die unterschiedlichen und mitunter gegenläufigen gruppen- und institutionenspezischen Motivmuster zum Ein- oder Ausschluss von Immigranten ebenso wie die Spannweite der daraus resultierenden Situationen skizziert. Auch Diskrepanzen zwischen Norm und Praxis sowie die ihrerseits keineswegs eindimensionalen Interessen der Neuankömmlinge kommen zur Sprache.

Im Kontext der Kategorie ‚Social Stability’ wird zudem das interessante Konzept der „Incorporation“ eingeführt: „The allocation of newcomers to their appropriate status and corporative groups in the existing urban hierarchy“ (S. 14) sei für die Erhaltung der innerstädtischen Stabilität letztlich wichtiger gewesen als die ‚soziale Kontrolle’ der Immigranten. Solche ‚Incorporation’ habe nicht nur prekäre Gruppen, sondern gerade auch die Eingliederung von Mittel- und Oberschichtangehörigen in die korporative Hierarchie der Stadtgesellschaft betroffen. Das Konzept erlaube es, die vielschichtigen Integrationsprozesse besser zu beschreiben als eine dichotomische Entgegensetzung von ‚exclusion’ und ‚inclusion’ (S. 18).

In der zusätzlichen Kategorie ‚Identities and Communities’ werden weitere Zusammenhänge diskutiert, die sich nicht den drei Hauptkategorien zuordnen lassen. Hier kommen auch kulturelle und religiöse Faktoren zur Geltung, die aber – der Grundkonzeption entsprechend – so weit wie möglich einer städtischen ‚Identitäts‘-Politik untergeordnet werden, die wiederum primär von materiellen und funktionalen Belangen determiniert erscheinen: Religion war in dieser Lesart kulturelles Schmiermittel oder, noch pointierter formuliert, ideologischer Überbau einer zweckgerichteten Kommunalpolitik (S. 16).

Die Beiträge, die durchweg auf hohem methodischen, analytischen und darstellerischen Niveau stehen, greifen die Anregungen der Herausgeber intensiv auf. Deren Interpretationsrahmen erweist sich für all jene Beiträge als ertragreich, die sich auf wirtschafts- und/oder im engeren Sinne sozialhistorische Fragestellungen konzentrieren. Um nur ein Beispiel zu nennen, legt etwa Jan De Meester überzeugend dar, dass für die Zulassung von Bauarbeitern im Antwerpen des 16. Jahrhunderts der konjunkturelle Bedarf an Arbeitskräften ausschlaggebend war: So wurde vor dem Hintergrund des Baubooms der Jahrhundertmitte die zünftische Regulierung des Baugewerbes vorübergehend außer Kraft gesetzt, da lokale Großunternehmer von der städtischen (wie übrigens auch der landesherrlichen) Obrigkeit einen Freibrief zur massenhaften Anstellung nichtzünftischer, fremder Arbeiter erhielten.

Auf der anderen Seite fügt sich etwa Ulrich Niggemanns Beitrag keineswegs so umstandslos in die ökonomisch geprägte Perspektive. Zwar relativiert er, wie in der Einleitung betont wird (S. 15), in der Tat religiöse Motive für die Konflikte zwischen hugenottischen Einwanderern und deutschen oder englischen Handwerkern. Er unterstreicht aber auch, dass es nicht so sehr die Furcht vor der spezifischen wirtschaftlichen Konkurrenz war, die die zum Teil gewalttätigen Reaktionen gegen die Zuwanderer hervorrief, sondern eher eine grundsätzliche Mentalität der ‚Nahrung’ oder ‚moral economy’, die gegen jeglichen übermäßigen individuellen Profit gerichtet war: Eine Wertsetzung, die ökonomische ‚Interessen’ erst in einer bestimmten Form schuf – nicht in Form von Profitsteigerungsmöglichkeiten, sondern im Gegenteil von Profitbegrenzungen zum Nutzen aller, auch und gerade der schwächeren Zunftmitglieder (S. 47, 52f.). Dazu kamen in England (proto-)nationale Exklusionsmotive (S. 58): Es handelte sich also um Ausgrenzungsdiskurse, die weder mit innerstädtischen Interessenlagen noch überhaupt mit einem kulturelle Faktoren ausklammernden ‚Interessen‘-Begriff zu erklären sind.

Hanna Sonkajärvi wiederum hebt die zentrale Rolle der Konfession sowohl für den informellen als auch den formellen Status der Einwohner Straßburgs im 18. Jahrhundert hervor (S. 86ff.). Der Beitrag von Yves Junot zu den Migrationsmustern von Textilarbeitern in den südwestlichen Niederlanden zur Aufstandszeit betont sowohl die religiösen Rahmenbedingungen interregionaler Migration als auch die Bedeutung des konfessionellen Moments für die Bestrafung oder Rechtfertigung von Migranten (S. 65f., 68, 78ff.). Zugleich war die Unterscheidung zwischen legitimer und illegitimer Bettelei (S. 76) ein stark kulturell und religiös gefärbtes Paradigma. Dies stellt auch Jason P. Coy für Ulm im 16. Jahrhundert heraus: Arbeitsunfähigkeit war nur dann ein Ausgrenzungskriterium, wenn sie mit fremder Herkunft und/oder moralischer Fehlerhaftigkeit der Betreffenden einherging, denn die Erhaltung der moralischen ‚Reinheit’ der Stadtgemeinde war ebenso wichtig wie der wirtschaftliche Nutzen von Immigranten (S. 158, 163f.). Zudem argumentiert Coy, dass deren vermeintliche moralische und ökonomische Qualitäten oft genug nicht auf Einzelfallprüfung, sondern auf pauschale Zuschreibungen des Rates zurückgingen, dem es in erster Linie um seine Autorität und die grundsätzliche Geltung der von ihm formulierten Ein- und Ausschlusskriterien ging (S. 166, 173).

Wenn die Herausgeber also behaupten, „the chapters rarely consider culture and religion as relevant policy concerns in themselves“ (S. 15), so trifft dies allenfalls auf jene Beiträge zu, die sich von vornherein auf wirtschafts- und sozialhistorische Zusammenhänge konzentrieren.

Der Band besitzt zweifelsohne das Verdienst, den Blick stärker auf das Gesamtpanorama städtischer Migrationspolitik hinzulenken und zugleich einen differenzierten Zugang zu den dahinterstehenden Szenarien ökonomischer, sozialer und politischer Faktoren einzufordern. Die Beiträge führen die zentrale Bedeutung von Migration im Alltag der Städte wie auch der (west- und mittel-)europäischen Gesellschaften der Frühen Neuzeit allgemein ebenso vor Augen wie eine dominierende Grundspannung städtischer Immigrationspolitik, die ständig zwischen der Notwendigkeit, den Zuzug von Arbeitskräften zu ermöglichen, und den sozialen Folgekosten vermitteln musste. Die Tendenz der Herausgeber zu einer weitgehenden konzeptuellen Beschränkung auf sozio-ökonomische Motive und ‚Interessen‘ der maßgeblichen Akteure ist jedoch problematisch: Erst die Zusammenführung von ökonomischen, sozialen und stadtpolitischen mit kulturellen, diskursiven – darunter namentlich religiös-konfessionellen – und sonstigen überstädtischen Faktoren kann der Komplexität frühneuzeitlicher Migration und ihrer lokalen Steuerung gerecht werden.

Der Band ist ausgezeichnet koordiniert und redigiert, was sich in der konzisen Einleitung ebenso ausdrückt wie in den formal (leserfreundliche Länge von jeweils etwa 20 Seiten) und inhaltlich gut integrierten Einzelbeiträgen. Eine Gesamtbibliographie und ein Gesamtregister wirken als zusätzliche Klammer.

Anmerkung:
1 Heinz Schilling, Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert. Ihre Stellung im Sozialgefüge und im religiösen Leben deutscher und englischer Städte, Gütersloh 1972. Die Arbeit fehlt auch in der Gesamtbibliographie des Bandes.

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