R. v. Friedeburg: Europa in der frühen Neuzeit

Cover
Titel
Europa in der frühen Neuzeit.


Autor(en)
Friedeburg, Robert von
Reihe
Neue Fischer Weltgeschichte 5
Erschienen
Frankfurt am Main 2012: S. Fischer
Anzahl Seiten
469 S.
Preis
€ 29,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Achim Landwehr, Institut für Geschichtswissenschaften, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Die Frage ist, wie man überhaupt noch ein Handbuch schreiben können soll. Das Einfachste ist schließlich immer das Schwerste, hätte Thomas Bernhard in einer solchen Situation sagen können. Und nichts anderes ist das Ziel von Überblicksdarstellungen, das ungemein Schwere, Komplexe und Verworrene ganz leicht und durchschaubar aussehen zu lassen. Verdichten, ohne zu vereinfachen, konzentrierte Komplexität anstatt oberflächlicher Simplifikation. Aber in manchen Fällen dieser Spezies (wenn auch nicht im vorliegenden) ist allein schon das Wort „Handbuch“ ein Euphemismus, denn für eine normale Hand sind solche Darstellungen nicht immer geeignet.

Wie soll man es auch anstellen, 300 Jahre Geschichte auf 400 Seiten zu komprimieren, wobei alle Regionen Europas einigermaßen angemessen repräsentiert und die thematischen Komplexe Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, Religion, Recht und einiges Andere mehr abgedeckt werden müssen? Wie soll man die Reformation in Schweden, die Naturrechtsdiskussionen in den Niederlanden oder den Aufgeklärten Absolutismus in der Toskana halbwegs sinnvoll miteinander in Beziehung setzen? Um diese Aufgabe ist per se niemand zu beneiden. Zudem ist der Band eingebettet in den großen und traditionsreichen Rahmen der Neuen Fischer Weltgeschichte, verfolgt also zumindest implizit globalhistorische Intentionen.

Nachdem man auf dem deutschen Buchmarkt längere Zeit vergeblich nach Überblicksdarstellungen zur europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit gesucht hat, sind in den vergangenen Jahren gleich mehrere erschienen.1 Es ist wohl angemessener, von Friedeburgs Darstellung in diesen Zusammenhang einzureihen, als im Kontext der Neuen Fischer Weltgeschichte zu betrachten, denn eine explizite Verbindung zu den anderen welthistorischen Bänden ist (abgesehen vom Vorwort) nicht zu erkennen.

Handbücher zur frühneuzeitlichen Geschichte haben – zumindest in Deutschland – mit einem recht offensichtlichen Problem zu kämpfen, nämlich der nicht mehr vorhandenen Voraussetzungslosigkeit, mit der man sich auf diesen Zeitraum beziehen könnte. Karl-Heinz Bohrer hat mit Blick auf die deutsche Geschichte von einem mangelnden historischen Fernverhältnis gesprochen, von einer unterentwickelten Bezugnahme auf denjenigen Bereich der deutschen Geschichte, der dem Epochenjahr 1933 vorausliegt.2 Und dies hat dazu geführt, dass man (auch, aber nicht nur) mit Blick auf die Geschichte zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert lieber gar nichts mehr voraussetzen sollte. Wer schon einmal in Einführungsveranstaltungen für Studierende des Fachs Geschichte (sic!) versucht hat, Grundlagen der Frühen Neuzeit zu vermitteln, weiß, wovon ich spreche. Und eine Fischer Weltgeschichte richtet sich der Tendenz nach an ein noch größeres Publikum. Es muss in einer solchen Darstellung also der Spagat gelingen zwischen der Vermittlung basaler Kenntnisse und der angemessenen Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes. Darüber hinaus stellt sich die Frage, für wen man eigentlich schreibt: für das interessierte Publikum oder für die Fachkollegenschaft, der man ein neues Bild des Zeitraums vermitteln möchte.

In puncto thematischer Auswahl und Organisation des Stoffes lässt sich bei Überblicksdarstellungen immer füglich streiten. So kann man fraglos feststellen, dass von Friedeburg auf Aspekte der Kultur- und Alltagsgeschichte eher geringen, auf die Politikgeschichte und insbesondere auf Fragen der Rechts- und politischen Ideengeschichte etwa stattdessen größeren Wert legt; letzteres ist nicht verwunderlich, stellt es doch einen Forschungsschwerpunkt des Verfassers dar. Aber das ist nicht der eigentliche Grund, weshalb das Buch einige Mühen bereitet. Denn von Friedeburg bemüht sich in überzeugender, wenn auch konventioneller Art und Weise, die europäische Frühe Neuzeit auf den Punkt, oder besser: zwischen zwei Buchdeckel zu bringen. Der Aufbau weist eine nach Jahrhunderten geordnete chronologische Struktur auf, wobei jedem Säkulum ein eigener umfangreicher Teil zugewiesen wird. Innerhalb dieser Teile kommen bestimmte strukturelle Elemente immer wieder zur Sprache: Bevölkerung, Wirtschaft, Staatlichkeit und politische Ereignisse, variiert um jeweils historisch spezifische Aspekte. Das spiegelt im Einzelnen sicherlich den Stand aktueller Forschung wider und gewährt einen soliden Einblick in das Thema.

Schwierig wird es aber bei von Friedeburgs Bemühen um eine möglichst hohe Verdichtung, also bei dem Versuch, viele Beispiele und Detailinformationen möglichst komprimiert darzubieten. Das könnte mit dem Versprechen einhergehen, dass die Leserschaft möglichst viel über die europäische Frühe Neuzeit erfährt, widerspricht im vorliegenden Fall aber nicht selten dem Handbuch-Grundgesetz der Komplexitätsreduktion. Denn es sind zuweilen nicht einfach nur viele, es sind mitunter zu viele Informationen. In manchen Passagen wird in jedem Satz ein neuer Sachverhalt angesprochen.

Nur ein Beispiel, in dem es um den Vorlauf zum Schmalkaldischen Krieg geht: „Kaiser Karl seinerseits ging es um die Einheit der Kirche im Reich. Dafür musste er die Lutheraner zu tiefgreifenden Kompromissen bewegen. Das war in den 1530er Jahren nicht gelungen. Das Ausgreifen Philipps von Hessen und Johann Friedrichs von Kursachsen nach Braunschweig 1542 bot Karl jedoch den Anlass, den Schmalkaldischen Bund auszuschalten, um so die evangelischen Stände zu Zugeständnissen zu bewegen. Der Landgraf von Hessen und der Kurfürst von Sachsen hatten Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel gefangen gesetzt und förderten die Reformation unter seinen Untertanen. Karl schloss auf dem Reichstag zu Regensburg eine ganze Reihe von Abmachungen, so mit Bayern, aber auch mit dem evangelischen Moritz von Sachsen, dem im Falle seiner Unterstützung Karls die sächsische Kurwürde zugesagt wurde, und schlug gegen Hessen und Kursachsen los. Obgleich er in einem Brief an seine Schwester Maria, Königinregentin der Niederlande, im Sommer seine öffentlichen Bekundungen selbst als Vorwand bezeichnete, führte er seinen Krieg nicht als Ketzerkrieg, sondern als Exekutionskrieg der Reichsacht (Juli 1546)“ (S. 92f.). Das ist viel zu voraussetzungsreich, lässt viele Nachfragen unbeantwortet, wie etwa: Warum greifen Hessen und Kursachsen nach Braunschweig aus? Wieso kommt es zu den Abmachungen zwischen Kaiser und Fürsten? Wieso soll Moritz die sächsische Kurwürde erhalten? Welche Bedeutung hat der Brief an die Schwester Maria? Was ist eine Reichsacht? Solche Ausführungen sind eigentlich nur noch für Fachleute verständlich. Das Buch ist zwar nicht durchgängig in diesem Stil geschrieben, allerdings kommen solche Passagen des Öfteren vor und können stellvertretend für ein Problem der Darstellung stehen, nämlich die zentralen Linien der eigenen Interpretation nicht deutlich genug herausstellen zu können. Stattdessen soll mit der Quantität der Informationen überzeugt werden. Das kann Überforderungserscheinungen hervorrufen. Zudem ist dieses Handbuch auch sprachlich in einem sehr nüchternen Ton gehalten, der nicht unbedingt mitreißt – auch das sicherlich ein Punkt, der für die Rezeption bei einem größeren Publikum nicht unbedeutend ist.

Die Frage bleibt also, wie man eigentlich noch Handbücher dieser Art schreiben können soll. Entweder man lässt es ganz bleiben – oder schlägt einen völlig neuen Weg ein, der mir dann auch nicht mehr im Medium des Buchs zu liegen scheint, sondern der in der Vernetzungsstruktur des Internet möglicherweise angemessenere Darstellungsformen finden könnte.

Anmerkungen:
1 Michael Erbe, Die frühe Neuzeit, Stuttgart 2007; Luise Schorn-Schütte, Geschichte Europas in der Frühen Neuzeit. Studienhandbuch 1500–1789, Paderborn 2009.
2 Karl Heinz Bohrer, Ekstasen der Zeit. Augenblick, Gegenwart, Erinnerung, München 2003.

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