F. Arnold u.a. (Hrsg): Orte der Herrschaft

Cover
Titel
Orte der Herrschaft. Charakteristika von antiken Machtzentren


Herausgeber
Arnold, Felix; Busch, Alexandra; Haensch, Rudolf; Wulf-Rheidt, Ulrike
Reihe
Menschen – Kulturen – Traditionen 3
Erschienen
Anzahl Seiten
186 S., 94 Abb., 4 Tab.
Preis
€ 59,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
David Hamacher, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Katholische Universität Eichstätt

Die im vorliegenden Sammelband vereinigten archäologischen Beiträge bilden den Ertrag dreier Arbeitstreffen des im DAI-Forschungscluster 3 (‚Politische Räume‘) angesiedelten Forschungsfelds ‚Orte der Herrschaft‘ aus den Jahren 2007 bis 2009. Gemäß der inhaltlichen Ausrichtung dieser Treffen gliedert sich der Band in drei übergeordnete Themenbereiche: ‚Situierung von Orten der Herrschaft‘, ‚Funktionale Ausgestaltung von Orten der Herrschaft‘ sowie ‚Wege und rituelles Handeln‘. Jeder dieser drei Aspekte wird anhand ausgewählter Fallbeispiele behandelt, die einen Zeitraum vom 13. Jahrhundert v.Chr. bis zum 11. Jahrhundert n.Chr. abdecken und sich geographisch von Syrien bis nach Spanien erstrecken. Die Vielfalt der Beiträge spiegelt sich aufgrund der verschiedenartigen Untersuchungsgegenstände (vom Palast der hethitischen Großkönige in Hattuša über keltische Fürstensitze hin zum Architekturrahmen eines Besuchs beim Kalifen in Córdoba) zudem in der Anwendung verschiedener Methoden und Herangehensweisen wider. Nicht zuletzt diesem Umstand ist es geschuldet, dass trotz der drei übergeordneten Themenbereiche der Eindruck einer doch recht großen Heterogenität entsteht, wobei mit immerhin sieben der insgesamt dreizehn Aufsätze ein Schwerpunkt der Betrachtung auf der römischen Zeit zu konstatieren ist.

Der gemeinsame Untersuchungsgegenstand wird in einer Einleitung (S. 1f.) knapp erläutert und ist den Herausgebern zufolge bewusst weit gefasst. Als ‚Orte der Herrschaft‘ werden demnach Räume bezeichnet, denen sich überlokale Herrschaftsorganisationen zur Ausübung ihrer Macht bedienten. In Anlehnung an soziologische Raumtheorien1 wird der Raum dabei als „Produkt sozialer und damit auch politischer Interaktion“ (S. 1) verstanden, wobei gemäß dem hier zugrunde gelegten Raumbegriff jenseits einer beschreibenden und rekonstruierenden Darstellung architektonischer Gebilde insbesondere die gegenseitige Wechselwirkung von Person, Handlung und Raum in den Fokus rückt.2 Angesichts der Komplexität dieser Thematik hätte man sich an dieser Stelle eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit den methodischen wie terminologischen Implikationen des Themas gewünscht, doch wird hier zumindest auf einen Beitrag verwiesen, der die konzeptionellen Grundlagen des gesamten Forschungsclusters ins Auge fasst.3

Die ersten sechs Aufsätze des Bandes gehen der Frage nach, welche spezifisch historischen Faktoren die Wahl und die Situierung eines Herrschaftsortes im Einzelnen bestimmten. Den Anfang machen hierbei Ulrich Thaler (S. 3–17) mit einem Beitrag zu Palastorten der mykenischen Kultur sowie Axel Posluschny (S. 19–31) mit einer Studie zu den so genannten frühkeltischen ‚Fürstensitzen‘ in Süddeutschland, Ostfrankreich und Böhmen. Während Thaler zu dem Ergebnis kommt, dass die Anlage von Palästen in mykenischer Zeit wohl weniger unter topographischen als vielmehr unter historischen Gesichtspunkten erfolgte, kann Posluschny zeigen, dass die Gründe für die Ortswahl frühkeltischer Herrschaftsorte im Einzelnen äußerst unterschiedlich ausfielen – „sei es aus taktischen, sozialen, ökonomischen, symbolischen oder kultischen Gründen“ (S. 30). Diese und andere hier aufgestellte Hypothesen sind plausibel, bleiben im Gesamten jedoch recht allgemein, was nicht zuletzt der Abwesenheit von schriftlichen Quellen geschuldet ist, die man mit den archäologischen Befunden konfrontieren könnte.

Eine andere Ausgangslage weisen vor diesem Hintergrund die nächsten vier Beiträge dieser Sektion auf, welche allesamt verschiedene römische Residenzen und Paläste in den Blick nehmen und hierbei sowohl auf literarische als auch auf epigraphische Zeugnisse zurückgreifen können. So setzt sich Ulrike Wulf-Rheidt (S. 33–40) in ihrer Studie zur augusteischen Residenz auf dem Palatin mit dem Verhältnis der Situierung des kaiserlichen Komplexes zur ‚monarchischen‘ Herrschaftsideologie auseinander und hebt in diesem Zusammenhang insbesondere religiöse bzw. sakrale Aspekte hervor. Durch geschickte Bezüge zu bereits bestehenden Heiligtümern, dem neu errichteten Apollontempel sowie der mythischen Sphäre der Romulus-Hütte verschaffte Augustus seiner Residenz auf dem Palatin demnach eine sakrale Aura, welche den Wohnsitz des ersten Kaisers gleichsam als „zweites, neues Kapitol“ (S. 38) erscheinen ließ.

In seinem Beitrag über die Amtssitze der Stadtpräfekten im spätantiken Rom und Konstantinopel (S. 49–71) verlagert Roland Färber schließlich den Fokus der Betrachtung vom Ort des Herrschers hin zu Orten hoher Amtsträger. Da die von ihm betrachteten Amtslokale archäologisch jedoch nicht eindeutig zu fassen sind, stützt sich die Untersuchung ausschließlich auf Schriftquellen und stadtrömische Inschriften. Überzeugend kann Färber den Amtssitz des römischen praefectus urbi im Bereich der Kirche S. Pietro in Vincoli verorten, während sein Pendant in Konstantinopel in der Nähe des Konstantinsforums zu vermuten sei. Die mitunter als sehr eng gesehene Verbindung zwischen Amtsgebäuden und Amtsgewalt geht dabei unter anderem aus einer Restaurationsinschrift aus Rom hervor, der zufolge sich verschiedene Baumaßnahmen am Amtssitz zugleich positiv auf das Ansehen der praefectura als solche ausgewirkt hätten.

Der zweite Abschnitt des Bandes befasst sich in insgesamt vier Aufsätzen mit der funktionalen Ausgestaltung von Orten der Herrschaft; behandelt werden der Palast der hethitischen Großkönige in Hattuša sowie verschiedene römische Kaiserresidenzen. In ihrem Beitrag über den flavischen Kaiserpalast auf dem Palatin (S. 97–112) stellt etwa Ulrike Wulf-Rheidt die Ergebnisse der neueren bauhistorischen Untersuchungen des ‚Domitianspalastes‘ vor. Auf Grundlage dieser teilweise beeindruckenden Befunde wird hier der Hauptzugang zum Palast sehr überzeugend im Norden vorgeschlagen – und zwar in Form eines offenen Hofes. Von dort aus gelangten die Besucher über verschiedene Gebäudeteile immer tiefer in das Innere des Komplexes, wobei weit angelegte Sichtachsen dafür sorgten, dass die Weitläufigkeit des Palastes deutlich vor Augen trat. Mit Blick auf die Gesamtentwicklung des Areals kommt Wulf-Rheidt zu dem Ergebnis, dass der domitianische Palast erstmals eine Architektursprache entwickeln konnte, „mit der der gesamte Palatinhügel als palatium städtebaulich höchst wirkungsvoll in Szene gesetzt wurde“ (S. 111).

Alexandra W. Busch versteht ihren Aufsatz zum Schutz und der Verteidigung kaiserlicher Residenzen (S. 113–123) als „erste Annäherung an das bislang vernachlässigte Thema“ (S. 115). Ihre These, wonach römische Herrschaftssitze des ersten bis dritten Jahrhunderts n.Chr. in der Regel keine Verteidigungsanlagen aufwiesen, da der princeps vor allem durch seine Leibwache geschützt wurde, ist nachvollziehbar. Die Argumentation wäre jedoch überzeugender ausgefallen, hätte man sich auf eine breitere Quellengrundlage berufen können. Besonders deutlich wird dieser Makel, wenn Busch im Fazit schließlich einen grundlegenden Wandel am Übergang vom dritten zum vierten Jahrhundert n.Chr. konstatiert, diesen jedoch mit lediglich zwei Beispielen zu belegen versucht. Lohnenswert wäre darüber hinaus auch eine Unterscheidung zwischen städtischen und ländlichen Palästen bzw. Residenzen gewesen, deren Anforderungsprofil auch in fortifikatorischer Hinsicht aufgrund ihrer jeweiligen spezifischen Situierung variieren konnte.

Im dritten und letzten Abschnitt des Bandes beschäftigen sich schließlich drei Untersuchungen mit Wegen und rituellem Handeln an Orten der Herrschaft. Am Beispiel der rituellen Wege des babylonischen Königs während des Neujahrsfestes zwischen Palast, Steppe und Tempel (S. 139–147) kann etwa Claus Ambos zeigen, auf welche Weise auch die jeweils verschieden konnotierten Himmelsrichtungen in das rituelle Handeln einbezogen waren und welche ideologischen Aspekte hiermit zum Ausdruck gebracht wurden. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang zudem die Einbeziehung temporärer Orte der Herrschaft wie etwa ein Gefängnis aus Rohr, dessen konzeptuelle Anlage wiederum Rückschlüsse auf die Konstruktion dauerhafter Herrschaftsarchitektur erlauben kann.

Auch im Beitrag von Felix Arnold zum Empfangszeremoniell im umayadischen Córdoba (S. 163–178) wird deutlich, wie eng das Verhältnis zwischen Architektur und Zeremoniell mitunter zu fassen war. Am Beispiel eines Empfangs beim Kalifen von Córdoba im Jahr 971 kann Arnold zeigen, auf welche Weise das Zusammenspiel der beiden Bereiche dazu diente, die Beziehung zwischen dem Herrscher und seinen Besuchern zu definieren. Die Architektur setzte den Handlungen dabei bestimmte Rahmen, kann selbst jedoch nichts über die Art dieser Handlungen aussagen. Lassen sich die archäologischen Befunde aber mit einer schriftlichen Überlieferung in Verbindung bringen, können hier äußerst aufschlussreiche Einblicke gewonnen werden, wie Ambos und Arnold in ihren Beiträgen eindrücklich vor Augen führen.

Nach der Darstellung der insgesamt dreizehn Fallbeispiele hätte man sich am Ende eine Art von Zusammenfassung gewünscht, in der die aufsatzübergreifenden Forschungsergebnisse noch einmal klar benannt und auf die in der Einleitung formulierte Fragestellung bezogen worden wären. Der Eindruck der Heterogenität bleibt somit bestehen, da insbesondere die zu Beginn aufgeworfene Frage nach der sozialen und politischen Produktion des Raumes von Aufsatz zu Aufsatz verschieden gewichtet wird. Die durchaus vorhandenen Ambitionen, die doch sehr unterschiedlichen Einzelbefunde innerhalb eines übergreifenden Bezugssystems einzuordnen, sind dabei besonders gut in den Beiträgen der letzte Sektion zu fassen, da hier die Dynamik im Wechselverhältnis von Person, Handlung und Raum ausgesprochen deutlich hervortritt. Jenseits eines übergeordneten Forschungsinteresses liegt die Stärke des Bandes jedoch nicht zuletzt in der Qualität seiner Einzeluntersuchungen, die jede für sich genommen einen anregenden Beitrag zur Diskussion um antike Herrschaftsorte leisten kann.

Anmerkungen:
1 Als Referenzwerke werden an dieser Stelle angegeben: Georg Simmel, Der Raum und die räumlichen Ordnungen der Gesellschaft, in: Ders., Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, hrsg. von Otthein Rammstedt, Georg Simmel Gesamtausgabe 11, Frankfurt am Main 1992, S. 687–790; sowie Martina Löw, Raumsoziologie, Frankfurt am Main 2001, S. 263–273.
2 Siehe hierzu etwa auch Aloys Winterling (Hrsg.), Zwischen ‚Haus‘ und ‚Staat‘. Antike Höfe im Vergleich, in: Historische Zeitschrift. Beihefte, Neue Folge 23, München 1997.
3 Nicole Kehrer (Red.), Menschen, Kulturen, Traditionen. Die Forschungscluster des Deutschen Archäologischen Instituts, ohne Ort und Jahr, S. 41–61.

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