Cover
Titel
Konversionen in Rom in der Frühen Neuzeit. Das Ospizio dei Convertendi 1673–1750


Autor(en)
Matheus, Ricarda
Reihe
Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 126
Erschienen
Berlin 2012: de Gruyter
Anzahl Seiten
XI, 549 S.
Preis
€ 89,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ute Lotz-Heumann, Department of History, University of Arizona, Tucson

Ricarda Matheus hat eine umfassende Studie über das Ospizio dei Convertendi in Rom vorgelegt, die 2008 an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommen wurde. Das Ospizio war eine maßgeblich von den Oratorianern getragene Einrichtung, in der konversionswillige Protestanten aus allen Teilen (Nord-)Europas unterkommen konnten und sich während eines meist sechswöchigen Aufenthalts auf ihre Konversion zum Katholizismus vorbereiteten.

Das Buch ist, neben einer Einleitung und einer Zusammenfassung, in sechs Kapitel gegliedert. In ihrer Einleitung beschreibt Matheus ausführlich den Forschungsstand sowohl zu frühneuzeitlichen Konversionen als auch zum Ospizio dei Convertendi und erläutert die Quellenlage zu ihrem Thema. Sie befasst sich zudem mit der Terminologie im Umkreis frühneuzeitlicher Konversionen und führt dabei den Begriff „Konvertend“ (im Sinne von Doktorand oder Habilitand) ein. Abschließend beschreibt sie ihren methodischen Zugriff, der im Zeitalter der Kulturgeschichte durchaus überrascht: Die Autorin hat sich dazu entschlossen, mit der aus der Medienwissenschaft entlehnten Methode der Inhaltsanalyse in weiten Teilen ihrer Untersuchung quantitativ vorzugehen.

Im ersten Kapitel erläutert Matheus den historischen Hintergrund und die Vorgeschichte ihres Themas im 16. und 17. Jahrhundert. Sie behandelt zunächst die Inquisition, dann die Tradition der Oratorianer mit Filippo Neri im Vordergrund. Schließlich diskutiert sie die kurialen Konversionsstrategien, vor allem mit Blick auf Fürstenkonversionen. Im zweiten Kapitel beschreibt die Autorin den Weg hin zur Gründung des Ospizio, die nur durch die Unterstützung des Papstes und einiger Kardinäle gelingen konnte. Die konkrete Ausgestaltung des Ospizio wurde aber maßgeblich von den Oratorianern bestimmt. Neben der Verwaltung des Hospizes untersucht Matheus in diesem Kapitel Aufnahmezahlen, Verweildauer sowie den Alltag im Hospiz, der von einer Gratwanderung zwischen „christlicher Nächstenliebe“ und „Sozialdisziplinierung“ (S. 173) geprägt gewesen sei.

Im zweiten Kapitel wendet sich Matheus den Konvertenden zunächst in makrohistorischer Perspektive zu: Sie wertet die Register der Jahre 1673 bis 1750, die rund 6.700 Konvertenden umfassen, statistisch aus, um über Alter und Geschlecht, konfessionelle Herkunft innerhalb des Protestantismus, sozioprofessionelles Profil und Herkunftsländer Aussagen treffen zu können. Im Ergebnis kann sie festhalten, dass das Ospizio dei Convertendi deutlich mehr Männer als Frauen aufnahm und auch deutlich mehr Jüngere als Ältere. Beides erklärt Matheus mit der weiten Reise nach Rom und der Tatsache, dass vor allem (Kunst-)Handwerker und Kaufleute sowie Soldaten und Seeleute im Hospiz um Aufnahme baten – Berufsgruppen, die an sich schon eine hohe Mobilität aufwiesen. Im Hinblick auf die Herkunftsländer standen das Reich und die habsburgischen Erblande an erster Stelle, gefolgt von den Britischen Inseln, Frankreich und den Niederlanden. Die Autorin versucht in diesem Kontext, Hypothesen zum Zusammenhang zwischen Ereignissen und Prozessen im Herkunftsland und der Präsenz von Konvertenden in Rom herzustellen, die jedoch auf der vorhandenen Quellenbasis Spekulation bleiben müssen.

Das vierte Kapitel mit dem Titel „Konversionsentscheidungen im Kontext“ wird man wohl, vor allem vor dem Hintergrund der neueren Konversionsforschung, als das zentrale Kapitel der Arbeit bezeichnen wollen. Hier wendet Matheus eine Mischform von qualitativer (heuristischer) und quantitativer (inhaltsanalytischer) Quellenanalyse an, um Aussagen über die Motivationslagen, individuellen Entscheidungsräume, Wissensbestände und konfessionellen Identitäten dieser vor allem aus den mittleren und unteren Gesellschaftsschichten stammenden Konvertiten zu machen. Dazu untersucht sie 622 Aufnahmeprotokolle des Hospizes, die für die Zeit von 1689 bis 1702 überliefert sind. Matheus konzentriert sich dabei auf drei Fragen: Erstens untersucht sie Mobilität als Konversionsvoraussetzung und betont, dass Migration und das oft jahrelange Unterwegssein der Konvertenden mit den dazugehörigen vielfältigen Erfahrungen eine wichtige Voraussetzung für die Konversion war. Zweitens analysiert sie soziokulturelle Konversionskontexte, zum Beispiel das Gespräch mit Geistlichen, die Arbeitswelt (katholische Meister, die ihre Untergebenen beeinflussten), aber auch die Rolle der Familie. Gerade für Frauen eröffnete sich durch Konversion die Möglichkeit der Existenzsicherung durch Heirat. Aufschlussreich ist ihre Feststellung, dass auch Konvertenden der Mittel- und Unterschichten Bücher rezipierten und Argumente für ihre Konversion durch Lektüre erwarben (S. 314).

Drittens beschäftigt Matheus sich mit den argumentativen Strategien der Konvertenden. Dabei kamen die sinnlichen Eindrucke von der ‚Überwältigungsästhetik‘ des Katholizismus zum Tragen, aber auch ein beachtliches Maß an theologischer Reflexion. Auch gab es Konversionen, die aus der Erfahrung von Bedrohung und einem danach erlebten Wunder hervorgingen. Insgesamt resümiert Matheus, dass „Konversionen als Antwort auf ein emotional-ästhetisches Vakuum [erscheinen], über das in protestantischen Milieus selbst wiederholt reflektiert wurde“ (S. 357). Hier wird eine komplexe Forschungsfrage angesprochen. Ob der Protestantismus als Ganzes durch seine ‚Wunderarmut‘ die Bedürfnisse populärer Religiosität nicht erfüllen konnte und Konversionen zum Katholizismus sowie gegebenenfalls auch bestimmte Formen der Volksreligiosität vor diesem Hintergrund zu erklären sind, bleibt eine letztlich noch nicht geklärte Frage.

Im fünften Kapitel untersucht Matheus dann den Vorgang der Konversionsvorbereitung im Ospizio dei Convertendi sowie die eigentliche Konversion vor der Inquisition. Sie beschreibt die „vier Säulen“ (S. 358) der Konversionsvorbereitung: Katechismusunterricht; die auf die Konvertenden und ihre (auch sprachlichen) Bedürfnisse zugeschnittene Bibliothek des Hospizes; die Teilnahme am Oratorium und an den Messen in der nahe gelegenen Chiesa Nuova sowie ein affektorientiertes „Besichtigungs- und Pilgerprogramm“ (S. 381) in Rom. Schließlich fand die eigentliche Abschwörung vor der Inquisition statt, gefolgt von Beichte, Kommunion und Firmung.

In einem mit „Ausblick“ überschriebenen sechsten Kapitel untersucht Matheus die Zukunftsperspektiven der Konvertiten. Angesichts der Tatsache, dass das Ospizio streng darauf achtete, dass Neukonvertierte das Hospiz nach vollzogener Konversion prompt verließen, war die Frage nach der beruflichen und materiellen Zukunft dieser Personen besonders virulent. An diesem Punkt stehen Matheus weniger Quellen zur Verfügung. Als Beschäftigungsfelder der Neukonvertierten sind vor allem Handwerk und künstlerische Tätigkeiten, aber auch militärische Dienste zu nennen, gelegentlich auch der Eintritt in einen katholischen Orden.

In ihrer Zusammenfassung stellt Matheus ihre Forschungsergebnisse in den Kontext der neueren Konversions- und Konfessionalisierungsforschung. Sie hebt das hohe Maß an „Professionalisierung“, ja „Perfektionierung“ (S. 418) der Konversionsvorbereitung im Ospizio hervor sowie das arbeitsteilige Vorgehen zwischen Hospiz und Inquisition. Im Hinblick auf die Frage nach dem Zusammenhang von Konversion und Biographiebruch argumentiert Matheus, dass die hier untersuchten Konvertiten sich bereits lange vor ihrer Konversion durch Migrationserfahrung und dadurch bedingte konfessionelle Grenzüberschreitung von ihrer ursprünglichen Lebenswelt entfernt hatten. Dabei betont sie die Rolle von Krieg und Militär für diese Art von Konversionserfahrung. Im Hinblick auf die Frage nach „religiösen Wissenskulturen“ resümiert Matheus, dass „sich die meisten Gewissenskonflikte der Konvertenden um die Frage nach der Wahrheit und damit einhergehend um die Sicherung des eigenen Seelenheils“ drehten, was auf „die zentrale Bedeutung des konfessionellen Faktors in der Lebenswelt der Insassen des römischen Hospizes“ verweise (S. 427).

Abschließend setzt sich Matheus in erfreulich differenzierter Art und Weise mit der Konfessionalisierungsthese auseinander. Die wichtigsten Punkte ihres diesbezüglichen Fazits sind: Konversionen können als Teil von Selbstkonfessionalisierungsvorgängen gesehen werden; bei der Frage nach religiöser Wahrheit werden konfessionelle Propria (wie die barocke katholische Konfessionskultur) wichtig; Konversionen setzten die Existenz von abgegrenzten Konfessionen voraus; der konfessionelle Faktor war in der Lebenswelt der Mittel- und Unterschichten verankert; übereinstimmend mit der neueren Forschung, insbesondere zum Katholizismus, ist das konfessionelle Zeitalter bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts anzusetzen.

Insgesamt ist die Studie überzeugend gegliedert, methodisch reflektiert und arbeitet einen bislang unbeachteten Quellenbestand auf. Ricarda Matheus präsentiert nicht nur eine histoire totale des Ospizio dei Convertendi im späten 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, sondern fügt ihre Forschungsergebnisse auch umfassend in die neuere Forschung zu Konversion und Konfessionalisierung ein. Eine Übersetzung des Buches ins Italienische oder Englische wäre zu wünschen, damit es eine breitere Leserschaft erreichen kann.

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