Titel
A Companion to Folklore.


Herausgeber
Bendix, Regina F.; Hasan-Rokem, Galit
Reihe
Blackwell Companions to Anthropology
Erschienen
Malden, Oxford 2012: Wiley-Blackwell
Anzahl Seiten
660 S.
Preis
£120.00 / € 144,00
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Markus Tauschek, Seminar für Europäische Ethnologie/Volkskunde, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Geradezu euphorisch sind die Ankündigungen, unter anderem von Barbara Kirshenblatt-Gimblett, auf der Rückseite des „Companion to Folklore“. Und in der Tat bietet der umfangreiche, von Regina Bendix und Galit Hasan-Rokem herausgegebene Band nicht nur eine höchst anregende Zusammenstellung aktueller Positionsbestimmungen zu Konzepten, Themen und Fragestellungen der Volkskunde und ihrer internationalen Schwesterdisziplinen, sondern auch einen Einblick in nationale Forschungstraditionen und die historische Genese zentraler disziplinärer Paradigmen. Den Band eint, so die programmatische Einführung der Herausgeberinnen, das Interesse für ein komplexes Phänomen, das im internationalen Kontext meist „Folklore“ genannt wird – und zwar ohne jenen pejorativen Beigeschmack, den es im Deutschen besitzt. Folklore ließe sich dann je nach Perspektive als populäre Kultur oder als Vielzahl kultureller Ausdrucksformen begreifen, durch die Individuen und Gruppen ihr soziales Zusammenleben kulturell organisieren und durch die sie ihrem Tun Sinn verleihen. Gefragt wird daher auch nach jenen expressiven kulturellen Formen, die beständig im Fluss sind und sich veränderten gesellschaftlichen Bedürfnissen anpassen. Diese Phänomene verlangen in ihrer Prozessualität nicht nur spezifische theoretische und methodische Zugänge, sondern fordern auch zu der ebenfalls zentral behandelten Frage heraus, in welchem Verhältnis „Folklore“ und „Folklore Studies“ jeweils zueinander stehen, wie sie sich gegenseitig konstituieren.

„A Companion to Folklore“ – so Bendix und Hasan-Rokem – ist der Versuch, die theoretischen, methodischen und konzeptionellen Stärken einer empirischen Kulturanalyse, wie sie die „Folklore Studies“ zur Disposition stellt, gerade auch vor dem Hintergrund konkurrierender disziplinärer Zuordnungen weiterzuentwickeln. Deshalb ist der Band durch die Überschriften „Concepts and Phenomena“, „Location“, „Reflection“ und „Practice“ gegliedert, wobei es zwischen allen Abschnitten fließende Übergänge gibt. Diese Gliederung folgt einerseits der Überzeugung, dass spezifische Wissensbestände und sich damit etablierende und konsolidierende Konzepte und Begriffe (etwa „cultural property“) im Sinne Kosellecks immer auch in ihrer Historizität zu erfassen sind und je zeitspezifische Effekte zeitigen. Andererseits fokussiert der Band mit Blick auf nationale Wissenschaftskontexte und die jeweilige Etablierung von Disziplinen, die sich mit „Folklore“ befassen, auch Fragen nach der Bedeutung konkreter Orte der Wissensproduktion und bindet die Entwicklung an politische, gesellschaftliche etc. Kontexte zurück.

Dass das Handbuch auch eine eindeutige wissenschaftstheoretische Position einnimmt, zeigt sich insbesondere in der Einleitung zum ersten Teil, der zentrale Konzepte der volkskundlich-kulturwissenschaftlich argumentierenden Disziplinen kritisch diskutiert. In dieser Einleitung weisen Bendix und Hasan-Rokem darauf hin, dass in kaum einer anderen Disziplin Feld und wissenschaftliche Analyse so eng miteinander verwoben sind: Schon ein Blick auf das Konzept Tradition zeige, wie das Fach sich durch seinen Fokus auf das Traditionale lange Zeit zu Prozessen der Modernisierung positioniert habe und wie diese Positionierungen wiederum auf die untersuchten Felder zurückgewirkt haben. Ähnliches gilt auch für das Konzept „Folklore“, mit dem sich Dorothy Noyes auseinandersetzt. Sie fragt dabei unter anderem nach historisch sich wandelnden Konzeptionalisierungen der Beziehung sozialer Gruppen zu einer je als spezifisch verstandenen, inszenierten oder imaginierten Kulturproduktion: Vom romantischen Interesse für „das Volk“ mit all den binnenexotischen Effekten seit spätestens dem 19. Jahrhundert über Gramscis Konzept vernakulärer Kultur als Basis revolutionärer Intervention bis hin zum Kulturrelativismus US-amerikanischer Prägung. Noyes’ dekonstruierender Ansatz, der sich in einer intensiven fachhistorischen Kritik niederschlägt, prägt auch die folgenden Beiträge, die sich mit dem Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit (Peter Seitl), der Poetik von Folklore (Amy Shuman und Galit Hasan-Rokem) oder dem Dreiklang von Ritual, Symbol und Mythos (Hagar Salamon und Harvey E. Goldberg) befassen. Sie alle eint zudem ein tendenziell erzählforscherisches Interesse, das auch in Francisco Vaz da Silvas („Tradition“) und Richard Baumans („Performance“) klugen Essays aufscheint. Dieses wird in den folgenden drei Beiträgen noch weiter aufgefächert: So diskutiert Sabina Magliocco, von welchen Faktoren die kulturwissenschaftliche Wissensproduktion zu religiösen Praktiken, zu Glaube und Religion oder zu alternativen Formen von Spiritualität jeweils abhing. Die exzellenten Beiträge von Gertraud Koch zur Kulturanthropologie von Arbeit und Beruf sowie von Orvar Löfgren zur materiellen Kultur beschließen den ersten Teil des Handbuchs. Dieser ist insgesamt im besten Sinne provozierend, denn er bietet nicht nur konzise Historisierungen der jeweiligen Konzepte und Phänomene an. Vielmehr loten die Beiträge auch neue Zugänge aus, identifizieren Forschungslücken und ermöglichen in ihrer dialogischen Konzeption – und dies ist insgesamt eine herausragende Leistung des Bands – vielfältige Anschlüsse an interdisziplinäre Debatten.

Dass die Analyse populärer Kultur und Folklore ein globales Projekt ist, das je zeitspezifisch in soziokulturellen, politischen und auch ökonomischen Bedingungen kontextualisiert werden muss, belegen auch die Beiträge des zweiten Teils. Hier versuchten die Herausgeber/innen unter der Überschrift „Location“, mit Autor/innen aus möglichst vielen unterschiedlichen Ländern ein breites Spektrum der jeweils national konturierten Kulturanalyse anzubieten (von Japan über Lateinamerika und Israel bis nach Russland). Diese Zusammenschau, die zwangsläufig ausschnitthaft bleiben muss, zeigt in der komparativen Lektüre deutlich, wie das wissenschaftliche Interesse an einem Gegenstand stets auch für die unterschiedlichsten Ziele instrumentalisiert – oder weniger stark: genutzt – wurde und wird; so etwa in Finnland, Irland und vielen anderen Ländern zur Konstruktion nationaler Identität. Ohne die Beiträge hier im einzelnen würdigen zu können, ließe sich dieser Teil geradezu als Beleg dafür lesen, wie notwendig nach wie vor – trotz einer vielfach vernetzten wissenschaftlichen Community – auch ein wechselseitiges Wissen über die jeweiligen nationalen Fachtraditionen und disziplinären Selbstverständnisse ist.

Der dritte Teil widmet sich schließlich in Anlehnung an Arjun Appadurai „the social life of folklore, often in reified, codified form, as it becomes a subject of elaboration, adaptation and discussion on a further level of creative agency, and is subject to preservation, as well as institutional, political, and legal power and agency“ (S. 445), weshalb die Überschrift „Reflection“ zunächst etwas irreführend erscheint. Während die ersten drei Beiträge sich mit populärer Kultur in Literatur (Christina Bacchilega), Musik (Stephen D. Winick) und Film (Pauline Greenhill) auseinandersetzen und dabei jeweils die komplexen intermedialen und intertextuellen Verflechtungen problematisieren, fragen die folgenden danach, wie populäre Kultur in neuen (mitunter kulturpolitisch motivierten) Konzepten aufgeht. Beispielhaft stellt Alison Dundes Renteln hierbei den Zusammenhang von Folklore und Recht her – einem Feld, das gerade angesichts globaler Regulierungen kulturellen Erbes oder kulturellen Eigentums mitunter heftig diskutiert wird. Deshalb verweisen auch die dazu verfassten Beiträge (Valdimar Hafstein zum Konzept „Cultural Heritage“ und Martin Skrydstrup zu „Cultural Property“) darauf, in welchen Kontexten, auf welchen internationalen Bühnen und mithilfe welcher Strategien und Mechanismen populäre Kultur verrechtlicht und zum Objekt globaler Gouvernementalität wird. Gerade die letztgenannten Beiträge, die auch die Frage diskutieren, wie Kultur zur handel- und regulierbaren Ware und zu einer global begehrten Ressource wird, zeigen überdeutlich, wie notwendig kulturwissenschaftliche Expertise in diesem Feld einerseits ist und wie schwierig doch andererseits die Positionierung kulturwissenschaftlicher Forschung innerhalb dieser hochpolitischen Felder ist.

Unter der Überschrift „Practice“ beschließen den Band drei Beiträge, die sich dezidiert Fragen der Empirie sowie der Institutionalisierung der Disziplin widmen. Übergeordnet geht es dabei darum, wie und in welchen Kontexten empirische Kulturwissenschaftler/innen arbeiten. Brigitta Schmidt-Lauber diskutiert eindrucksvoll, aus welchen Traditionslinien sich ethnographische Forschung innerhalb der deutschsprachigen Volkskunde/Europäischen Ethnologie speist und welche Prämissen dieser Forschung zugrundeliegen. Anschließend widmet sich Deborah Kodish den spezifischen Bedingungen einer US-amerikanischen „Public Folklore“ als Form einer partizipativen Kulturarbeit, die sich auch als demokratisches Projekt versteht, das Essentialismen entgegenzutreten versucht. Abschließend setzt sich Bjarne Rogan mit der Geschichte der Institutionalisierung der Volkskunde und ihrer Schwesterdisziplinen in zunehmend internationaler werdenden Wissenschaftskontexten auseinander.

Den Beiträgen sind jeweils knappe, hervorragende Einleitungen der beiden Herausgeberinnen vorangestellt, die auch die nicht immer auf den ersten Blick sichtbaren Verbindungslinien zwischen den Texten offenlegen. Diese Hinführungen zu den vier thematischen Blickachsen des Bands sorgen deshalb – gerade in ihrer pointierten Verfasstheit – in jeder Hinsicht für einen enormen Mehrwert bei der Lektüre. Die Konzeption der einzelnen Beiträge ist kohärent; die verarbeitete Literatur belegt deutlich, dass auch den Autorinnen und Autoren sehr daran gelegen war, internationale Bezüge und Verflechtungen herauszuarbeiten (was auch auf eine große redaktionelle Sorgfalt hindeutet). Besonders für erzählforscherisch Interessierte ist der Band in jeder Hinsicht ein Gewinn, doch auch darüber hinaus hat er das Potenzial, zu einem Standardwerk zu werden, das die Genese eines Phänomens sowie einer wissenschaftlichen Disziplin in Beziehung zueinander setzt und in vielfältigen, höchst anregenden Facetten beleuchtet.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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