M. Rauert u.a. (Hrsg.): Quellen zur Geschichte der Täufer

Cover
Titel
Katalog der hutterischen Handschriften und der Drucke aus hutterischem Besitz in Europa.


Herausgeber
Rauert, Matthias H.; Rothkegel, Martin
Reihe
Quellen zur Geschichte der Täufer 18
Erschienen
Anzahl Seiten
1480 S. (Band 1: LXXIX, 660 S.; Band 2: XII, 718 S.)
Preis
€ 224,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nathanael Riemer, Institut für Religionswissenschaft, Universität Potsdam

Die Hutterischen Brüder sind eine nach dem Ideal der urchristlichen Gütergemeinschaft lebende Kommunität, die sich im Zuge der Reformation um den als Laienprediger wirkenden Hutmacher Jakob Hutter (circa 1500–1536) gebildet hat. Gemeinsam mit anderen Täufergruppen bekennen sie sich zur Glaubenstaufe, lehnen Kriegsdienst und Eid ab, treten für eine Trennung von Staat und Kirche und die Absonderung von der Welt ein. Aus Furcht vor Autoritätsverlust und einem Zerfall der Ordnungen versuchten Geistliche und Obrigkeiten die Täufergruppen gemäß dem Reichstagsbeschluss von 1529 „mit Feuer und Schwert auszurotten“ oder auszuweisen und ihre Schriften zu vernichten. Da infolgedessen ein großer Teil des Schrifttums der verschiedenen täuferischen Strömungen konfisziert und liquidiert wurde, verspricht die vorliegende Publikation einen tiefen Einblick in die Rückseiten des Zeitalters der Konfessionsbildung und etatistischen Sozialdisziplinierung.

Der insgesamt 1480 Seiten in zwei Teilbänden umfassende Katalog verzeichnet mit 462 bibliothekarischen Einträgen die bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt bekannten (durchweg deutschsprachigen) hutterischen Handschriften und Drucke aus hutterischem Besitz, die sich in universitären, kirchlichen und privaten Bibliotheken des europäischen Kontinentes befinden. Der Katalog umfasst den Zeitraum von den ältesten datierbaren Handschriften aus dem Jahre 1565 bis zu den jüngsten Texten aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Damit spiegeln die detaillierten Einträge des Kataloges das Schicksal und die vielfältige Buchkultur dieser religiösen Minderheit von ihrer Blütephase bis zur fast völligen Auflösung unter dem Druck der Rekatholisierungsmaßnahmen in den 1760er-Jahren wider.

Der unter der Leitung des Heidelberger Theologen Gottfried Seebaß erarbeitete Katalog ersetzt die 1965 von Robert Friedmann angefertigte Pionierleistung mit dem Titel „Die Schriften der Hutterischen Täufergemeinschaften“.1 Erstens ist seit 1965 eine große Anzahl von weiteren hutterischen Manuskripten entdeckt worden, zweitens hatte Friedmann lediglich bis auf die Exemplare von Peter Riedemanns Rechenschaft unsrer Religion, Lehre und Glaubens keine der gedruckten Werke aufgenommen, die in den hutterischen Gemeinschaften rezipiert wurden, und drittens waren seine Angaben unvollständig, da er aufgrund des Kalten Krieges oft auf die Mitteilungen der besitzenden Bibliotheken angewiesen war. So besteht schon ein erster Zugewinn der vorliegenden Veröffentlichung darin, die 257 bereits von Friedmann angeführten Manuskripte einer vollkommen neuen Beschreibung nach den Standards der Handschriftenkatalogisierung unterzogen zu haben, welcher eine eingehenden Begutachtung der Exemplare voranging. Daneben konnten 71 neu entdeckte Codices aufgenommen werden. Die übrigen 134 Einträge sind bei systematischen Suchen entdeckte Drucke, welche innerhalb der hutterischen Gemeinschaften für den internen Gebrauch neu gebunden und gelesen wurden.

In seiner Einleitung stellt Rothkegel zunächst die hutterische Buchkultur von den 1560er-Jahren bis ins 18. Jahrhundert vor und ordnet diese in den Kontext der Geschichte dieser Gemeinschaft ein. Das erste Arbeitsergebnis fasst er folgendermaßen zusammen: „Offenbar wurde seit 1565 der Buchbesitz der Gemeinschaft auf den fünfzig bis sechzig Bruderhöfen, auf denen im späten 16. Jahrhundert etwa 20.000 Personen lebten, planmäßig in einheitliche Ledereinbände gebunden, und es wurden Regelungen eingeführt, um die handschriftliche Vervielfältigung von Texten zu fördern und zu lenken. Da die Hutterer keine eigene Druckpresse besaßen, aber ein großes Lesepublikum mit konfessionsspezifischen Lesestoffen zu versorgen hatten, bildete sich ein Kanon von Texten heraus, von denen in großer Anzahl handschriftliche Abschriften entstanden.“ (S. XXVI) Mit Hilfe der einheitlichen Einbindung, die als „optische Signale“ (S. XXXVI) zu betrachten sind, wurde der kollektive Buchbesitz der Gemeinschaft von der nichthutterischen Literatur positiv unterschieden. Rothkegel betont, dass sich ab 1755 das Schrifttum der Hutterer signifikant veränderte. Damals schlossen sich der auf eine Restgruppe in Siebenbürgen zusammengeschmolzenen Gemeinschaft zahlreiche aus Kärnten deportierte Kryptoprotestanten an, die lutherische und pietistische Lesestoffe mitbrachten. Aus diesem Grund empfahl es sich, hier eine Zäsur zu setzen und diese jüngeren rezipierten Schriften im Katalog nicht zu berücksichtigten. Dem folgenden Überblick über die nichthutterische Rezeptions- und Überlieferungsgeschichte der Manuskripte kann entnommen werden, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Texten in der Frühen Neuzeit in der Regel auf das Interesse einzelner Gelehrter zurückzuführen ist. Im Zuge der Rekatholisierung der hutterischen Gemeinschaften wurde ein großer Teil dieser häretischen Schriften konfisziert und vernichtet, jedoch bewahrte man Belegexemplare in kirchlichen Einrichtungen zu Studienzwecken auf. Andere Handschriften und Bücher wurden von Gemeindemitgliedern versteckt und gelangten später über Umwege in die Bibliotheken. Die moderne Forschungsgeschichte zu den hutterischen Texten setzte mit den Arbeiten der mährischer Regionalhistoriker Gregor Wolný, Beda Dudík und Josef Beck in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein. Im 20. Jahrhundert führte neben den Germanisten Rudolf Wolkan und A. J. Friedrich Ziegelschmid vor allem Robert Friedmann die wissenschaftliche Bearbeitung des hutterischen Schrifttums fort.

Den 462 Katalogeinträgen vorangestellt ist eine detaillierte „Anlage der Beschreibung“, wohinter sich das Schema der Manuskript- und Buchbeschreibung verbirgt. Die in alphabetischer Reihenfolge nach dem Standort der beschriebenen Handschriften und Drucke geordnete Beschreibung geht über die übliche Ausführlichkeit der Dokumentation von frühneuzeitlichen Werken hinaus, um den charakteristischen Merkmalen der hutterischen Buchkultur gerecht zu werden. Das Beschreibungsschema für die Manuskripte enthält folgende Aspekte: Überschrift (Katalognummer, Signatur, Autor, Sachtitel und dessen Kurzbeschreibung), Schlagzeile (unter anderem mit Angaben über Format, Entstehungsort, Datierung), Umfang und Vollständigkeit des Buchblocks, Schreiber und Ausstattung, Einband (unter anderem Schema der Felderaufteilung, Blinddruckverzierung), Einträge (unter anderem Besitzereinträge, Notizen), Geschichte und Provenienz der Handschrift, Literatur zur Handschrift, Mikrofilme, Beschreibung des Inhalts sowie einliegende Zettel und Fragmente. Mit derselben Umsicht werden auch die Drucke erfasst, wobei handschriftliche Hinzufügungen, Annotierungen und angebundene Handschriften gesondert ausgewiesen werden. Zwei graphische Dokumentationen mit 18 typischen Felderaufteilungen der Buchdeckel und den charakteristischen Blinddruckwerkzeugen sowie ein Abkürzungsverzeichnis der zitierten Quellen und Literatur, zugleich eine aktuelle Bibliographie über die wesentliche Forschungsliteratur zur hutterischen Buchkultur, unterstützen die Beschreibungen der Texte.

Am Ende des Kataloges werden die Quellen durch Namens- und Ortsregister und ein Verzeichnis mit den in den Haupt- und Untertitel erwähnten Bibelstellen sowie den „Verzeichneten Stücken“ erschlossen. Bei Letzterem handelt es sich um eine alphabetische Auflistung der Titel, die sich in der Regel am ersten Substantiv orientiert (zum Beispiel Auslegung, Bericht, Brief, Ordnung, Predigt, etc.). Es wäre wünschenswert, wenn diese Liste der Titel auf eine Internetseite publiziert würde, um eine differenzierte Suche zu erleichtern. Ebenfalls könnte ein chronologisches Verzeichnis dieser Quellen nachgereicht werden, das die Titel nach ihren Entstehungsdaten erfasst.

Nichtsdestotrotz muss betont werden, dass mit dem vorliegenden Buch der hutterischen Handschriften und der Drucke aus hutterischem Besitz in Europa ein wichtiger Grundstein für die Erforschung des Zeitalters der Konfessionalisierung aus der Perspektive einer religiösen Minderheit gelegt wurde. Die umsichtige Anlage des Kataloges, der gerade die zahlreichen auf den ersten Augenblick unbedeutend erscheinenden Details der hutterischen Buchkultur dokumentiert, berücksichtigt kulturgeschichtliche Fragestellungen und verlässt damit den Rahmen der traditionellen Kirchengeschichte. Daher können nicht nur Desiderate bei der üblichen Erfassung frühneuzeitlicher Drucke in Bibliotheken angezeigt, sondern auch außergewöhnliche Befunde wahrgenommen werden: „Als überraschendstes Ergebnis des Katalogisierungsprojektes kann aber die Identifizierung von siebzehn hutterischen Handschriften gelten, die dem bisher noch weitgehend unerforschten Fachschrifttum der hutterischen Wundärzte und anderer hochqualifizierter Berufsgruppen zuzuordnen sind.“ (S. XXXVI) Somit bildet die Literatur der in Europa fast vergessenen religiösen Minderheit durchaus auch eine spannende Fundgrube für Medizinhistoriker und Wissenschaftler aus anderen Disziplinen. Der Rezensent schließt sich dem Wunsch des verstorbenen Herausgebers Gottfried Seebaß an, „es möge sich eine Institution finden, die bereit ist, die Erarbeitung eines solchen Kataloges auch für die hutterischen Handschriften und Drucke in Übersee zu ermöglichen“ (S. XXII).

Anmerkung:
1 Die Schriften der Huterischen Täufergemeinschaften, Gesamtkatalog ihrer Manuskriptbücher, ihrer Schreiber und ihrer Literatur, 1529–1667. Zusammengestellt von Robert Friedmann, unter Mitarbeit von Adolf Mais. Österreichische Akademie der Wissenschaften, Graz 1965.

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