Klosterstraße 36. Sammeln, Ausstellen, Patentieren.

Klosterstraße 36. Sammeln, Ausstellen, Patentieren.

Veranstalter
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Zusammenarbeit mit der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.04.2014 - 06.07.2014

Publikation(en)

Cover
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (Hrsg.): Klosterstraße 36. Sammeln, Ausstellen, Patentieren. Zu den Anfängen Preußens als Industriestaat. Berlin 2014 : Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, ISBN 978-3-923579-19-8 216 S., 117 Abb. € 14,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Mende, Stiftung Stadtmuseum Berlin

Die vom Geheimen Staatsarchiv veranstaltete Ausstellung zu den „Anfängen Preußens als Industriestaat“ findet der Besucher im Ausstellungssaal der Kunstbibliothek am Berliner Kulturforum. Ihn erwartet hier ein informationsgesättigter Rundgang durch die Geschichte der staatlichen Gewerbeförderung Preußens im 19. Jahrhundert. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der ersten Jahrhunderthälfte und damit bei der erfolgreichen Startphase der Industrialisierung unter deren bedeutendsten Förderer Peter Wilhelm Beuth. Ausgehend von den im Geheimen Staatsarchiv aufbewahrten Überlieferungen des Ministeriums für Handel und Gewerbe werden die Grundsätzlichkeiten und Hauptstränge dieser Entwicklung dargestellt. Ausstellung und Katalog vermitteln daher vorrangig einen Blick auf die administrativen Implikationen des Industrialisierungsprozesses. Vier Kapitel geben Auskunft über 1. die Ausgangslage des reformbedürftigen Agrarstaates Preußen in der Zeit um 1800, 2. die staatliche Gewerbeförderung in all ihren Facetten, 3. den Themenblock der „Technischen Intelligenz“, und schließlich 4. den Ausblick, der mit Verweis auf den Fortschrittsoptimismus und die Technologiegläubigkeit des fortgeschrittenen 19. Jahrhunderts, auf den militärischen Innovationsschub des Ersten Weltkriegs abzielt. Im Fokus der Gesamtdarstellung steht naturgemäß die eigentliche Gewerbeförderung selbst und damit die Gewerbereformen, die zu jener Zeit geschaffenen administrativen Strukturen, ihre Hauptakteure und Institutionen, sowie der „Wissenstransfer“ und die Methoden der Gewerbeförderung. Unter Letzteren lassen sich die Anwerbung von Fachkräften, die Ausbildung des technischen Nachwuchses und schließlich auch der Patentschutz subsumieren. Das Thema der „Technischen Intelligenz“ widmet sich zunächst den Hauptbranchen Textil, Bergbau, Infrastruktur und Landwirtschaft, um sich dann den Erfindern und Unternehmern, darunter Borsig, Krupp und Siemens, zuzuwenden sowie ausgewählte und mitunter exotische Erfindungsgattungen vorzustellen. Ohnehin wird den Erfindungspatenten viel Raum eingeräumt, einerseits um die Innovationsfreude jener Zeit aufscheinen zu lassen, andererseits wegen der Ambivalenz des Patentwesens: Denn die praktische Förderung Einzelner widersprach genaugenommen dem wirtschaftsliberalem Dogma der freien Entfaltung der Kräfte. Örtlich festgemacht wird der Ausgangspunkt der gesamten Betrachtung am Sitz der Technischen Deputation in der Klosterstraße 36, wo auch das Gewerbeinstitut und der preußische Gewerbeverein – sämtlich unter Beuths Führung – ansässig waren.

Die Gesamtdarstellung ist in sich logisch strukturiert: ein fortschreitender Erzählfluss, der die zahlreichen Informationen stringent und didaktisch wiederzugeben weiß. Die Objekte sind, erwartungsgemäß, überwiegend Archivalien, also Schriftgut, bestenfalls Zeichnungen, mitunter aber auch Gemälde und Fotografien. Vorrangig handelt es sich um Dokumente der staatlichen Gewerbeorgane sowie um Patentanträge und -schriften, die zudem oft Konstruktionszeichnungen enthalten. Dreidimensionales ist selten: Gezeigt wird Obligatorisches wie die Büsten von Beuth und Borsig, doch zählt auch ein Exemplar des Zeigertelegraphen von Siemens & Halske von 1848 dazu. Ergänzenden Charakter haben drei Medienstationen, an denen die technische Funktionalität ausgewählter Erfindungen, zumeist Maschinen, durch Fachleute der TU Ilmenau in interaktiven und bewegungsanimierten Grafiken sehr geschickt simuliert wurde.

Das ambitionierte Ausstellungskonzept hat Christiane Brandt-Salloum erarbeitet. Sie hat sich um die systematische Erschließung der Überlieferung des preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe große Verdienste erworben und stellt nun die Ergebnisse ihrer akribischen Forschungen erstmals vor. Das mit Unterstützung von Reinhart Strecke und Michaela Utpatel zustande gekommene Projekt hat seine Stärken in der umfassenden Darstellung, die detailreich auch scheinbar Nebensächliches ins Auge fasst – was angesichts der gewaltigen Überlieferungsmenge sicher kein einfaches Unterfangen war: So besitzt das Geheime Staatsarchiv Unterlagen von mehr als 4.000 Patenten. Doch leistet diese Ausstellung in der Tat Pionierarbeit. Nicht nur, weil es eine Präsentation dieser Art noch nicht gegeben hat, sondern weil selbst die einschlägige Fachliteratur, auch wenn sie überschaubar ist, durch die hier vorgelegte Materialfülle überflügelt wird. Der ausgiebige Blick auf den auf bürokratischem Weg angeschobenen preußischen Industrialisierungsprozess auf der Basis einer behördlich verordneten Liberalisierung der Wirtschaft, ist äußerst verdienstvoll aber auch mutig – denn einem Thema wie diesem, wird es schwerlich gelingen, größere Besucherströme zu generieren.

Auch der sperrige, ganze drei Zeilen füllende Ausstellungstitel dürfte eher abschreckend wirken. Tatsächlich erwartet den Besucher hier eine traditionelle „Papier-Ausstellung“, der es an wirklich sensationellen Einzelobjekten mangelt und für die man sich Zeit nehmen muss, um solche Preziosen wie die winzige Entwurfsskizze Alfred Krupps von 1867 zur „Riesenkanone“ überhaupt zu entdecken. Die inhaltlich wohltuende didaktische Stringenz und die Fülle der dargebotenen Informationen verstärken den trockenen Charakter dieses ohnehin spröden Themas, zumal, da die archivalische Kompetenz der Ausstellungsmacher die Konzentration auf den institutionellen Kern der staatlichen Gewerbeförderung bedingt hat. Politische, kulturelle und technische Aspekte werden aus diesem Grund vernachlässigt. So bleiben die Bemühungen um Geschmacksbildung und die Ästhetisierung des Alltags, auch die künstlerische Ausbildung der Produzenten durch die Kunstakademie außen vor, ebenso wie die von der Technischen Deputation herausgegebenen „Vorbilder für Handwerker und Fabrikanten“. Auch die oft als Gewerbeförderung zu deutenden gezielten Ankäufe des Königshauses sowie die Bauaufträge, die zumal durch Karl Friedrich Schinkel an besonders innovative Unternehmen gingen, bleiben daher unberücksichtigt. Zudem ist der technologische Aspekt der gezeigten Erfindungen unterrepräsentiert. Auch wenn die Ausstellungsmacher mit den computeranimierten Patentzeichnungen einen Ausgleich anstrebten, kommt doch insgesamt das Faszinierende an der Technik der damaligen Innovationen kaum zum Tragen.

Die Ausstellungsdramaturgie und -gestaltung sind traditionell gehalten. Hohe Ausstellungselemente begrenzen Blick und Wegführung, ihr tiefblauer Anstrich verdunkelt zusätzlich den ohnehin aus konservatorischen Gründen gedimmten und gänzlich tageslichtfreien Raum. Da dramatisierende Lichtinseln und wechselnde Farben weitgehend fehlen, lädt die Ausstellung zum ruhigen und beinahe kontemplativen Durchschreiten ein. Ungewöhnlich ist der Versuch, die Passepartouts farblich mit dem blauen Hintergrund in Einklang zu bringen, so dass die Objekte beinahe schwebend wirken. Zweidimensionale Exponate aus Papier überwiegen und angesichts ihrer Dominanz mag in manchem Besucher der Wunsch nach dem bewegten, sprich medialen Bild aufkommen. Doch scheint der Verzicht auf eine derartige Bespielung ein bewusster zu sein, um die Ruhe der Ausstellung nicht zu stören. Die erläuternden Haupttexte sind recht kurz und leicht verständlich. Weiterführende Informationen findet der Besucher im Ausstellungskatalog. Dieser fasst die zu Grunde liegenden Forschungsergebnisse sehr gut zusammen, beginnend mit einer detailreichen Einleitung von Reinhart Strecke sowie einem aussagekräftigen Text zum Patentwesen von Christiane Brandt-Salloum. Den Hauptteil nehmen die Textpassagen ein, die der Gliederung der Ausstellung folgen und die deren inhaltliche Aussagen vertiefen. Die Objekte sind katalogisiert, doch fehlt zur schnellen Orientierung ein Register, übrigens ebenso wie ein Verzeichnis der Leihgeber. Der Ausstellungskatalog ist ein wichtiges Nachschlagewerk zu diesem Thema und eine exzellente Quellensammlung. Er wird sicher weit über das Ende der Ausstellung hinaus dankbare Leser finden. Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass diese Ausstellung exzellent konzipiert ist, auf neuesten wissenschaftlichen Forschungsergebnissen aus erster Hand basiert und mit den zahlreichen, meist erstmals öffentlich präsentierten Objekten einen fundierten Überblick bietet zur behördlichen Initiation und Lenkung der frühen preußischen Industrialisierung.

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