S. Johnson (Hrsg.): The Oxford Handbook of Late Antiquity

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Titel
The Oxford Handbook of Late Antiquity.


Herausgeber
Johnson, Scott Fitzgerald
Reihe
Oxford Handbooks in Classics and Ancient History
Erschienen
Anzahl Seiten
XLV, 1247 S.
Preis
£ 95,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig Maximilians-Universität München

Die „Cambridge Ancient History“ (CAH) ist mittlerweile eine feste Institution in der althistorischen Forschung und Lehre geworden, die häufig als Einführung genutzt wird. Für die Bände 13 und 14, die sich mit der Spätantike befassen, liegt nunmehr mit dem „Oxford Handbook of Late Antiquity“ ein Konkurrenzprodukt vor, das in seinem Umfang den beiden Bänden der CAH um nichts nachsteht. Untergliedert ist das neue Handbuch zur Spätantike in fünf große Themenkomplexe mit insgesamt 36 Kapiteln. Der erste Themenkomplex „Geographies and Peoples“ behandelt gleichermaßen Gebiete des Römischen Reiches (3. The Balkans, 7. Egypt) und nur indirekt zum Reich gehörige Randgebiete (4. Armenia) sowie externe Regionen (5. Central Asia and the Silk Road); zwei weitere Kapitel (1 und 2) wenden sich den „Western Kingdoms“ und den „Barbarians“ zu. Ein Kapitel über das Sasanidenreich sucht man allerdings vergeblich. Der zweite Themenkomplex „Literary and Philosophical Cultures“ befasst sich sowohl mit den greifbaren Produkten der Literatur der Spätantike (10. Latin Poetry, 11. Greek Poetry, 12. Historiography) als auch mit abstrakteren Themen der Philosophie (16. Physics and Metaphysics) und der Geographie (17. Travel, Cartography, and Cosmology) sowie mit der Bildung im allgemeinen (14. Education). Der dritte Themenkomplex „Law, State, and Social Structures“ diskutiert wirtschaftliche (18. Economic Trajectories, 19. Concerning Rural Matters), soziale (20. Marriage and Family) und rechtliche Fragen (23. Justice and Equality, 24. Roman Law and Legal Culture). Der Aspekt „State“ fällt allerdings knapper aus als erwartet; so existiert etwa kein eigenes Kapitel über die Verwaltung oder die Armee des Römischen Reiches.

Als überaus vielseitig erweist sich der vierte Themenkomplex „Religions and Religious Identity“, der neben den ‚klassischen‘ Aspekten der Thematik (26. Paganism and Christianization, 27. Episcopal Leadership) auch unkonventionelle Kapitel enthält, so etwa zur Fälschung im theologischen Kontext (28. Theological Argumentation: The Case of Forgery), zur Bedeutung des frühen Islam als einer spätantiken Religion (32. Early Islam as a Late Antique Religion, 33. Muhammad and the Qur’an) und zur spätantiken Kunst (29. Sacred Space and Visual Art). Der fünfte und letzte Themenkomplex „Late Antiquity in Perspective“ beinhaltet eine vergleichende Analyse der Staatsbildung und -entwicklung des spätantiken Römischen Reiches im Vergleich mit den zeitgenössischen Staatsgebilden nicht nur der direkten Nachbarschaft (34. Comparative State Formation), die sich mit Aspekten wie der demographischen und wirtschaftlichen Entwicklung, der geographischen Lage und der legitimatorischen Ideologie befasst; des weiteren finden sich hier zwei Kapitel zum Fortleben der Spätantike (35. Late Antiquity in Byzantium, 36. Late Antiquity and the Italian Renaissance). Nicht eingegangen wird dagegen – im Gegensatz zur CAH – auf die Ereignisgeschichte, die in den einzelnen Kapiteln nur unsystematisch gestreift wird.

Eine vollständige Besprechung kann in Anbetracht des Umfanges und der thematischen Breite des Bandes hier nicht erfolgen, vorgestellt werden soll daher nur eine Auswahl von fünf Kapiteln mit besonderer Relevanz für die historische Erforschung der Spätantike. Brian Croke bietet eine nützliche Einführung in die spätantike Historiographie von etwa 250 bis 700 (S. 405–436), wobei die einzelnen Abschnitte zeitlich und ab dem Jahr 395 auch nach Reichshälften gegliedert sind. Zwar benennt er es als Ziel, die Entwicklungen der Geschichtsschreibung aufzuzeigen und sich nicht so sehr den einzelnen Autoren und Werken zu widmen (S. 406), es handelt sich bei diesem Kapitel aber dennoch hauptsächlich um eine Aufzählung der Werke des jeweiligen Zeitraumes. Zwar ist die Vollständigkeit der Auflistung, die nicht nur erhaltene, sondern auch fragmentarische und sogar nur noch aus einzelnen Erwähnungen bekannte Autoren erfasst, erfreulich1, doch kann von einer Herausarbeitung der Entwicklungslinien nur begrenzt die Rede sein. Umgekehrt sind die Charakteristiken von Autor und Werk nicht umfangreich genug, um eine eigenständige Einführung zu bieten; allerdings wird immerhin genügend weiterführende Literatur zu jedem Autor geboten. Samuel Rubenson führt in das spätantike Mönchtum (S. 487–512) ein. Er betont die Bedeutung von Bildung, bietet einen ersten Überblick zur monastischen Literatur (Hagiographie, Apophthegmata patrum, Briefe) und arbeitet die Bedeutung des monastischen Lebens als philosophische Schule heraus.

In einem thematisch etwas vage gehaltenen Kapitel behandelt Kevin Uhalde „Justice and Equality“ (S. 764–788). Das Hauptproblem dieses Kapitels, das sich etwa mit der Problematik der Relation von Gleichheit und Gerechtigkeit und ihrer Beurteilung in der Antike befasst, ist die Verhaftung an einzelnen Spezialfällen, zumeist aus den Werken des Symmachus. Insgesamt zufriedenstellend ist dagegen das Kapitel von Jill Harries über Gesetz und Rechtskultur (S. 789–814), in dem sie die Bedeutung der entsprechenden Tradition hervorhebt, das Reskriptwesen erläutert und die Rolle der verschiedenen Formen spätantiker Rechtsliteratur (Anthologien, Epitome, Gesetzescodices) darlegt. Allerdings weicht sie mehreren interessanten Fragen wie der nach den Quellen des Codex Theodosianus und der Gültigkeit von Gesetzen als Aufnahmebedingung in diese Sammlung, die sie kurz zuvor selbst gestellt hat, mit einem „remains unsolved“ (S. 798) aus, ohne dazu Stellung zu beziehen oder auch nur die vorhandenen Argumentationen in ihren Grundlagen zu skizzieren. Auch ihre Deutung der häufigen Wiederholung der Gesetze als Element des Systems von „petition and response“ (S. 798), nicht aber als Indikator für deren Unwirksamkeit kann allenfalls für wenige Einzelfälle überzeugen.

Susan Wessel untersucht die Bedeutung von Fälschungen im Kontext theologischer Argumentation (S. 916–934).2 Sie sieht die Fälschung als rhetorisches Argument, mit dem die ökumenischen Konzile theologische Ideen akzeptiert oder verworfen hätten. Die Fälschung bzw. der entsprechende Vorwurf bedeute somit die Abtrennung eines Textes vom „link to the continuous chain of orthodoxy“ (S. 931). Dass sich die spätantike Gesetzgebung stark desinteressiert an der Verdammung von Fälschungen – sieht man von dem anders gelagerten Tatbestand der Münzfälschung ab – zeigt (S. 920), mag korrekt sein, doch dürfte diese Thematik von einer tiefer gehenden und breiter angelegten Untersuchung profitieren. Einen interessanten Ausgangspunkt hierfür bietet beispielsweise das Gesetz Codex Theodosianus 11,39,5, wonach schriftliche Urkunden (im Prozessrecht) solange Beweiskraft haben sollen, bis eine Diskussion um deren Echtheit erfordert, dass sie durch andere Beweise gestützt werden. Ein Aspekt, in dem sich das Handbuch erfreulich gut informiert zeigt, sei noch hervorgehoben: Seit Van Nuffelens Aufsatz von 2002 wird in der Forschung zumeist ohne Kenntnis der Gegenargumente davon ausgegangen, dass es sich bei dem Brief Julians an Arsakios (epist. 84 Bidez) um eine Fälschung handele.3 Zwei Aufsätze des Handbuches kennen dagegen die bislang kaum beachtete Gegenargumentation Bouffartigues, der mit guten Gründen an der Echtheit festhält.4

Einen Ersatz für die beiden Bände der CAH zur Spätantike kann das Oxford Handbook nicht bieten, wohl aber eine wertvolle Ergänzung und Erweiterung. Durch seine systematischen Kapitel und seine Beiträge zu spezielleren Themen ergänzt das Handbuch die CAH-Bände in vielen Punkten. Die beiden CAH-Bände werden aufgrund ihrer ereignisgeschichtlichen Kapitel und ihres profunden Überblicks zu Staat und Gesellschaft in der Spätantike die erste Anlaufstelle für die einführende Information zu dieser Epoche bleiben. Das Oxford Handbook wird dagegen derjenige mit Gewinn zur Hand nehmen, der bereits über die Grundzüge der spätantiken Geschichte informiert ist und sich nunmehr zu spezielleren Fragen einlesen möchte. Die Beiträge des Handbuches stellen eine meist zuverlässige Informationsquelle dar, die eine solide Grundlage für weitere Studien bildet.

Anmerkungen:
1 Übergangen werden aber Gelasios von Kaisarea, der Eutropius-Übersetzer Paianios – Kapiton Lykios ist dagegen erfasst –, die Schrift Origo Constantini/Anonymus Valesianus sowie Pseudo-Aurelius Victors Origo gentis Romanae und De viris illustribus urbis Romae; auch die sich in der byzantinischen Tradition niederschlagende „Leoquelle“ hätte erwähnt werden können.
2 Offensichtlich nicht bekannt ist ihr die Begriffsdiskussion von Timothy D. Barnes, ‚Fälschung‘ and ‚forgery‘, in: Historia 44 (1995), S. 497–500 und vollständig Timothy D. Barnes, Was heißt Fälschung?, in: Archiv für Kulturgeschichte 79 (1997), S. 259–267.
3 Peter Van Nuffelen, Deux fausses lettres de Julien l’Apostat (la lettre aux Juifs, Ep. 51 [Wright], et la lettre à Arsacius, Ep. 84 [Bidez]), in: Vigiliae Christianae 56 (2002), S. 131–150. Zuletzt zustimmend dazu Susanna Elm, Sons of Hellenism, Fathers of the Church, Berkeley 2012, S. 326–327.
4 S. 456, Anm. * (Aaron P. Johnson) und S. 738, Anm. 66 (Peregrine Horden). Jean Bouffartigue, L’authenticité de la lettre 84 de l’empereur Julien, in: Revue de philologie, de littérature et d’histoire anciennes 79 (2005), S. 231–242; zustimmend Francesca Aceto, Note sull’autenticità dell’ep. 84 di Giuliano imperatore, in: Rivista di cultura classica e medioevale 50 (2008), S. 187–206.

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