M. van Ackeren (Hrsg.): A Companion to Marcus Aurelius

Cover
Titel
A Companion to Marcus Aurelius.


Herausgeber
van Ackeren, Marcel
Reihe
Blackwell Companions to the ancient world. Ancient History
Erschienen
Chichester 2012: Wiley-Blackwell
Anzahl Seiten
XVIII, 568 S.
Preis
£ 110,00 / € 129,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Schipp, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Nur wenige Kaiser erfreuen sich größerer Beliebtheit als Marc Aurel. Der Philosoph auf dem Kaiserthron, nach dessen Regierungszeit das Römische Reich vermeintlich dahinsiechte, ist schon seit jeher Gegenstand des Interesses. Dennoch verwundert es auf den ersten Blick, dass ihm nun ein Sammelband gewidmet wurde. Schaut man sich nämlich die übrigen publizierten Bände des „Blackwell Companions to the Ancient World (Ancient History)“ an, dann fällt auf, dass zumeist ganze Epochen behandelt wurden: die römische Republik, die Spätantike oder das archaische Griechenland. Mit Caesar und Augustinus sind bislang nur zwei Sammelbände zu einer einzelnen Persönlichkeit erschienen. Daher darf die grundsätzliche Frage gestellt werden, ob das Leben und Wirken Marc Aurels einen solchen Band rechtfertigt. War dieser Kaiser wirklich derart bedeutungsvoll? Besteht überhaupt Bedarf an einem solchen Companion? In Anbetracht des hohen Anschaffungspreises dürfte der Leserkreis zudem stark eingeschränkt sein.

Was erfährt der Leser Neues? Zunächst nicht allzu viel, was daran liegt, dass einige der Autoren bereits anderenorts ihre Forschungsergebnisse veröffentlicht haben. Mit Anthony R. Birley1, der gleich mehrere Beiträge liefert, ist auch der maßgebliche moderne Biograph Marc Aurels unter den Autoren des Bandes vertreten.2 Was wird geboten? Ein Sammelband, der Themen zusammenführt, die in den Biographien zwangsläufig zu kurz kommen. Weniger die historischen Ereignisse und die historische Bedeutung Marc Aurels, die aber auch betrachtet werden, als vielmehr die bisher in keiner Übersichtsdarstellung ausreichend gewürdigten Themen zur Philosophie und Selbstrepräsentation des Kaisers, die hier erstmals vereint und so bequem greifbar sind, machen den Wert des Bandes aus.3 Der Sammelband umfasst 34 Essays, die in sechs Kapitel gegliedert sind. Literaturempfehlungen zur Vertiefung einer bestimmten Thematik und ein knappes Verzeichnis der verwendeten Literatur stehen jeweils im Anschluss an die Aufsätze. Insgesamt 26 Abbildungen zu Münzen, Staatsreliefs und Porträts sind den Essays beigegeben. Ein kurzer Index schließt den Band ab.

Im ersten Teil werden die wichtigsten Quellen („The Main Sources“) vorgestellt (S. 11–91). Nicht überraschend stehen am Anfang die historiographischen Werke des Cassius Dio und der Historia Augusta. Anthony R. Birley stellt beide gekonnt vor und weist auch nuanciert auf die Schwierigkeiten bei der Interpretation der Texte hin. Die Lektüre seines Essays hilft die historischen und anekdotenhaften von den fiktiven Passagen in der Historia Augusta zu unterscheiden. Der archäologische Befund hingegen wird lediglich auf die Markomannenkriege (166–180 n.Chr.) bezogen und ist im Wesentlichen die englische Übersetzung eines Aufsatzes des Autors aus dem Jahre 1994.4 Gerne hätte man hier auch etwas über weitere archäologische Funde und Befunde erfahren, so etwa über die Baupolitik des Kaisers in Rom oder die Bautätigkeit in den Provinzen in seiner Regierungszeit. Die Selbstbetrachtungen Marc Aurels und dessen Briefe, die im Folgenden vorgestellt werden, zählen sicher zu den Hauptquellen und bereiten den Leser auf die im vierten Teil ausführlich behandelten Texte Marc Aurels vor. Abgeschlossen wird der erste Teil von einer konzisen Vorstellung des epigraphischen Materials durch Péter Kovács. In atemberaubender Dichte wird dieses Material erörtert. Zusammen mit den Literaturhinweisen bietet Kovács so einen sehr guten Einstieg in die Epigraphik Ende des 2. Jahrhunderts. Wichtige Quellen zur Regierungszeit Marc Aurels werden allerdings nicht berücksichtigt: Weder die Münzen noch die Rechtstexte werden einleitend besprochen, obwohl in den Aufsätzen auf diese wichtigen Quellen Bezug genommen wird. Kapitel 17 etwa befasst sich ausschließlich mit Münzen. Auch die archäologischen Funde und Befunde hätte man ausführlicher vorstellen können. Das Ziel des Bandes, einen Überblick zu den wesentlichen Studien zu bieten (S. 7), wird in diesem Teil daher nicht erreicht.

Der zweite Teil trägt zum Teil biographische Züge (S. 95–182). Als erstes werden aber einige Hintergründe beleuchtet. So stellt Werner Eck den politischen Zustand des Imperium Romanum vom Tod des Antoninus Pius an dar, gegliedert in Kaiser, Senat, Senatoren und Ritter in der Reichsverwaltung, in Provinzen und Armee sowie Rechtsentwicklung und Bürgerrecht. Nach diesem präzisen Überblick zu den wichtigsten politischen Akteuren und den politischen Rahmenbedingungen stellt Leofrance Holford-Strevens den kulturellen und intellektuellen Hintergrund und dessen Entwicklung vor. Nicht nur die Texte der Zweiten Sophistik, sondern auch Texte zur Medizin, Musik, Novellen und Dichtung werden angesprochen. Ein Überblick über das römische Recht in dieser Zeit fehlt ebenfalls nicht. Im biographischen Teil schildert Anthony R. Birley zunächst Familienhintergrund, Jugend und Erziehung des Marc Aurel, wobei er die Quellen, vor allem die Selbstbetrachtungen und die Briefe, ausführlich zitiert, um dann die Biographie mit Betrachtungen zum Leben des Marc Aurel als Kaiser fortzusetzen. Abschließend untersucht Lukas de Blois das Verhältnis von Politik und Philosophie bei Marc Aurel und stellt sich damit die spannende Frage nach dem Einfluss der Philosophie und der Reflexionen des Kaisers auf seine Politik. Er kommt zu dem Schluss, dass sie keinen großen Einfluss auf seine praktische Politik hatten. Dieser zweite Teil des Sammelbandes ist uneinheitlich und inkonsistent: Die im Einzelnen hervorragend geschriebenen Aufsätze können dann auch nur mit Mühe unter der Überschrift „Biography and Background“ zusammengefasst werden.

Im dritten Teil wird die Rolle Marc Aurels als Kaiser betrachtet (S. 185–247). Wieder macht Werner Eck den Anfang und stellt gleichsam als Fortsetzung seiner Überlegungen zu den politischen Rahmenbedingungen die Verwaltung und Jurisdiktion in Rom und den Provinzen vor. Weitere Aspekte des Kaisertums, wie die Religion, die Markomannenkriege oder die Revolte des Avidius Cassius, werden dann kenntnisreich untersucht; Olivier Hekster bietet zudem ein Kapitel zum Römischen Reich nach Marc Aurel. In dem etwas zu kurz geratenen vierten Teil werden Beispiele für die materiellen Formen der Selbstrepräsentation vorgestellt (S. 251–314). Den Anfang machen mit der Marc-Aurel-Säule und dem berühmten Reiterstandbild die beiden bekanntesten materiellen Hinterlassenschaften des Kaisers. Die Münzprogramme Marc Aurels und seiner Mitkaiser werden von Susanne Börner dargeboten, die gerade erst eine entsprechende Dissertation vorgelegt hat.5 Hier ist der Sammelband am Puls der Forschung. Den Schlusspunkt setzt Dieter Boschung mit zwei kurzen Einführungen in die Porträts und die Staatsreliefs des Kaisers.

Der umfangreiche fünfte Teil nimmt den Philosophen Marc Aurel in den Focus (S. 317–480). Neben eher formalen Aspekten, wie die Form und Struktur der Selbstbetrachtungen sowie deren Stil werden vor allem Untersuchungen zu inhaltlichen Themen der Schrift des Kaisers geboten. Irmgard Männlein-Robert etwa analysiert die Selbstbetrachtungen in Hinblick auf ihren möglichen Charakter als philosophisch-autobiographische Schrift. Angelo Giavatto stellt die Logik der Schriften Marc Aurels auf den Prüfstand. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Logik eine große Rolle in den Texten des Kaisers spielt. Marc Aurel setze unter anderem Syllogismen ein und billige dialektische Theorie im theoretischen Hintergrund seiner philosophischen Bemühungen (S. 418f.). Zwei weitere Kapitel kreisen um die Frage nach der Ethik in der Philosophie des Marc Aurel: Jean-Baptiste Gourinat hebt die stoische Ethik des kaiserlichen Philosophen hervor, während Gretchen Reydams-Schils den Zusammenhang von Sozialethik und Politik ergründet. Gourinat bezieht in seine Überlegungen ebenfalls die Haltung des Kaisers in Bezug auf die Politik mit ein, wobei er nach der politischen Ethik in der Philosophie fragt. Es ließen sich noch zahlreiche weitere Beispiele für philosophische Ansätze und Perspektiven sowie Querverbindungen zwischen den einzelnen Aufsätzen anführen. Trotz der hier keineswegs vollständigen Aufzählung der Essays mit philosophischem Inhalt wird aber sicherlich deutlich geworden sein, dass in diesem Teil des Buches vielfältige Aspekte der Philosophie des Kaisers sachkundig und inspirierend vorgestellt oder untersucht werden, wobei gewisse inhaltliche Redundanzen sicher gewollt sind und zur Diskussion beitragen.

Wie oft in solchen biographischen Sammelbänden wird am Schluss die Rezeption behandelt: Bei Marc Aurel ist dies besonders gerechtfertigt, da das Interesse am Philosophen auf dem Kaiserthron von der Antike bis zur Gegenwart ungebrochen ist. Einen Überblick zur antiken und mittelalterlichen Rezeption bieten Julia Bruch und Katrin Herrmann. Auch in diesem sechsten Teil kommen zwei Autoren wieder auf die Philosophie Marc Aurels und deren Auswirkung auf unsere Zeit zu sprechen. So beleuchtet Jill Kraye das Verhältnis von Marc Aurel zum Neostoizismus in der frühmodernen Philosophie, und John Sellars schließt mit Betrachtungen zu Marc Aurel in der zeitgenössischen Philosophie. Das Thema Philosophie zieht sich also wie ein roter Faden durch den ganzen Band.

Es bleibt am Ende die Frage, für welchen Leserkreis der Sammelband geschrieben ist. Der Fachmann hätte die Forschungsergebnisse sicher auch ohne das Companion gefunden. Der interessierte Laie muss für den Band tief in die Tasche greifen. So werden nur Studenten und sonstige Benutzer von Universitätsbibliotheken die hier kompakt gesammelten, sehr guten Einzelbeiträge goutieren. Der Sammelband deckt zudem viele, aber nicht alle Aspekte der Regierung Marc Aurels ab, was auch auf die Schwerpunktsetzung zurückzuführen ist. So erfährt man nur wenig über die archäologischen Erkenntnisse und nichts über die kaiserliche Gesetzgebung oder über die Tätigkeit der spätklassischen Juristen; immerhin sind über 300 Rechtstexte aus dieser Zeit überliefert. Insbesondere aber derjenige, der einen schnellen Einstieg in die Philosophie des Marc Aurel sucht, wird in diesem Band sachkundig und auf dem derzeitigen Forschungsstand informiert.

Anmerkungen:
1 Anthony R. Birley, Marcus Aurelius. A Biography, London 1987 (deutsche Übersetzung: Mark Aurel. Kaiser und Philosoph, 2. Aufl., München 1977).
2 Daneben jetzt Jörg Fündling, Marc Aurel. Kaiser und Philosoph, Darmstadt 2008.
3 Dies ist mit Sicherheit dem Forschungsschwerpunkt des Herausgebers geschuldet; vgl. etwa Marcel v. Ackeren, Selbstbetrachtungen und Selbstdarstellungen. Der Philosoph und Kaiser Marc Aurel im interdisziplinären Licht, Wiesbaden 2012. Zur älteren Forschung vgl. Richard Klein (Hrsg.), Marc Aurel, Darmstadt 1979.
4 Thomas Fischer, Archäologische Zeugnisse der Markomannenkriege (166–180 n. Chr.) in Raetien und Obergermanien, in: Herwig Friesinger / Jaroslav Tejral / Alois Stuppner (Hrsg.), Markomannenkriege. Ursachen und Wirkung, Brno 1994, S. 341–354.
5 Susanne Börner, Marc Aurel im Spiegel seiner Münzen und Medaillons. Eine vergleichende Analyse der stadtrömischen Prägungen zwischen 138 und 180 n.Chr., Bonn 2012.

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