S. Ratti: Polémiques entre païens et chrétiens

Cover
Titel
Polémiques entre païens et chrétiens.


Autor(en)
Ratti, Stéphane
Reihe
Histoire 112
Anzahl Seiten
289 S.
Preis
€ 25,40
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Ein Kennzeichen der neueren Spätantikeforschung ist eine klare Relativierung des Konfliktes zwischen Heiden und Christen.1 Der spätantike ‚Zwangsstaat‘, in dem die übrigen Religionen von den christlichen Herrschern systematisch unterdrückt und verfolgt wurden, ist dem Bild eines autoritären, aber nicht totalitären Staates gewichen, in dem die Gesetzesrhetorik einer insgesamt nachsichtigen Haltung des Staates und einer meist unproblematischen Interaktion zwischen den Angehörigen der Religionen gegenübersteht. Gegen diese Ansicht bezieht das neue Buch von Stéphane Ratti, der hauptsächlich durch seine Forschungen zum Historiker Eutropius und zur Historia Augusta bekannt ist, Stellung.

In der Einleitung (S. 11–29) gibt Ratti einen Überblick über die Kontroversen zur Historia Augusta und ihre Einordnung in den zeitgenössischen Kontext auf Basis seiner Identifikation des älteren Nicomachus Flavianus als Autor dieser Sammlung von Kaiserviten, die eine wesentliche Stütze seiner gesamten Argumentation bietet. Er sieht die negativen Bilder der Kaiser Gallienus, Commodus und Elagabal in der Historia Augusta in religiösen Motiven begründet (S. 22–25): Das Gallienusbild sei in dessen christenfreundlicher Politik begründet; die Gestalt des Commodus solle darlegen, dass religiöse Entartung nur bei Tyrannen auftrete; die Vita des Elagabal sei eine Anklage gegen Konstantin und Theodosius I. Woran allerdings zu erkennen ist, dass die Historia Augusta nicht einfach dem gefestigten verdunkelten Bild dieser Kaiser in der lateinischen Historiographie folgt, bleibt unbeantwortet.

Der erste der beiden Teile der Studie (S. 31–102) versucht nachzuweisen, dass in theodosianischer Zeit keine Meinungsfreiheit für Heiden bestanden habe (S. 33–49), und fragt, wie dies umgangen worden sei. Zur Widerlegung möglicher Gegenargumente führt Ratti an, dass Porphyrios in früherer Zeit gegen die Christen schrieb und sein Werk mehrmals verboten wurde und dass die Schriften des Eunapios und Zosimos erst nach der Regierung des Theodosius verfasst wurden, so dass diese nicht als Argument zählen könnten. Seine These belegt Ratti mit Augustinus (S. 35–37), der in De civitate dei (5,26) – dass auch dieses Werk nachtheodosianisch ist, stört Ratti nicht – eine Schrift gegen sein Werk nennt, deren Autoren abwarteten, bis die Publikation gefahrlos möglich sei. Ratti führt noch weitere Argumente für seine These an: die versteckte Kritik des Ammianus an Theodosius, die nach Ammianus „erlaubten“ Bücher in der Theodorus-Affäre (die so das Vorhandensein verbotener Bücher belegen), das (ebenfalls nachtheodosianische) Astrologengesetz Cod. Theod. 9,16,12, das Schweigen des Eutropius und des Festus zu religiösen Fragen sowie eine Notiz bei Hieronymus über nicht zugängliche, also versteckte Werke. Auch der Stil des Symmachus erkläre sich mit dessen in der Zensur begründeten Vorsicht.

Diese Argumentation kann jedoch nicht überzeugen: Da die bei Augustinus erwähnten Autoren davon ausgehen, dass eine Publikation in Zukunft möglich sein wird, dürfte diese Gegenschrift wohl eher Kritik an den gegenwärtigen Kaisern enthalten haben, deren Veröffentlichung einige Zeit nach deren Tod meist unproblematisch war; so wäre auch versteckte Kritik des Ammianus an Theodosius zu erklären.2 Da es über die „erlaubten“ (und somit über die verbotenen) Bücher bei Theodorus an detaillierten Informationen fehlt, kann dies keine Beweiskraft beanspruchen; das Astrologengesetz ordnet sich in die Tradition der kaiserlicher Gesetzgebung gegen Zukunftsvorhersage ein, die bereits in der Kaiserzeit praktiziert wurde. Die vortheodosianischen Breviarienautoren Eutropius und Festus konzentrieren sich auf die wesentlichen Ereignisse der politischen Geschichte und die Außenpolitik. Um für Symmachus einen (kaum wahrscheinlichen) durchgehenden Einfluss der Zensur festzustellen, bedürfte es einer detaillierten Analyse des Briefcorpus.

Zudem diskutiert Ratti eine Angabe des Ambrosius in de officiis (205–207) zur valerianischen Christenverfolgung (S. 51–65). Er nimmt an, dass die Nachahmung von Literaturgattungen durch christliche Autoren (in Schriften wie de offiicis und de viris illustribus) den Widerstand heidnischer Intellektueller hervorgerufen habe. Diese Kritik zeige sich auch in der anonymen Schrift de viris illustribus (des Pseudo-Aurelius Victor), die Ratti ohne jeden Beweis um 390 verortet (S. 61) und die in den Kontext der zeitgenössischen Kritik an der männlichen Homosexualität einzuordnen sei. Die Ballung der – jedoch nicht sicher alle in diese Periode zu datierenden – Quellen zeuge von einer tiefgehenden Auseinandersetzung zwischen den Intellektuellen. Ambrosius habe an der erwähnten Stelle wie die heidnischen Opponenten die Tugend der devotio betonen und das christliche Literaturschaffen ermutigen wollen.

Als Mittel der Reaktion der Heiden auf die Zensur sieht Ratti das Theater bzw. die Komödie an. Nach einem Abriss zur Rolle des Theaters in der Spätantike und im Christentum (S. 67–76)3 widmet er sich dem Querolus. Dabei arbeitet er die Beziehungen zwischen dieser anonymen lateinischen Komödie und Rutilius Namatianus, den er wie den Autor des Querolus als betont heidnischen und gegen die Christen opponierenden Dichter ansieht4, heraus. In seinen sich weitgehend auf Spekulationen beschränkenden Ausführungen zum Querolus (S. 89–102) kommt Ratti zu folgenden Ergebnissen: In der Komödie parodiere der Autor Augustinus, typische christliche Werte und in der zeitgenössischen Literatur relevante Bibelmotive. Als Verfasser des Querolus vermutet Ratti im Anschluss an frühere Forscher den Fabeldichter Avianus, ohne diese These jedoch mit neuen Argumenten zu untermauern.

Im zweiten Teil der Studie zieht Ratti die Historia Augusta, die er als Werk des Nicomachus Flavianus aus dem letzten Jahrzehnt des 4. Jahrhunderts ansieht, als Quelle für die religiöse Auseinandersetzung der Zeit heran (S. 103–178). Dazu arbeitet er zunächst Nicomachus Flavianus als Ziel christlicher Propagandistik heraus (S. 105–127). Ratti bietet eine Zusammenfassung seiner Argumente für die Autorschaft des Nicomachus Flavianus und einen Abriss des Lebens dieses Senators bis zum Selbstmord nach der Schlacht am Frigidus, die Ratti als Religionskrieg ansieht. Als Begründung führt er an, dass ein Kampf, der in zeitlicher Nähe zu den strengsten Heidengesetzen stattgefunden habe, kaum unreligiös gewesen sein könne, ohne die in der Forschung vertretenen Gegenargumente auch nur ansatzweise zu würdigen.5 Neben der Darstellung des Nicomachus Flavianus bei den Kirchenschriftstellern untersucht Ratti auch das Carmen contra paganos.6 Seine Argumentation für Nicomachus Flavianus als Ziel des Gedichts (S. 120–124) kann allerdings nicht überzeugen, da sie sich auf wenig aussagekräftige Allgemeinplätze und die Gleichsetzung des Nicomachus Flavianus mit dem Verfasser der Historia Augusta stützt. Trotz aller Beteuerungen Rattis ist diese problematische These aber nicht bewiesen, zumal sich der Autor nicht mit den durchaus gewichtigen Gegenargumenten in der Forschung auseinandersetzt.7 Auch die gefälschte Titelangabe des Carmen contra paganos, die es als Werk des Damasus gegen Praetextatus ausweist, spricht nur gegen eine sichere Annahme des Praetextatus als Ziel der Kritik; dies belegt aber weder, dass Nicomachus Flavianus hier kritisiert wurde, noch schließt es Praetextatus als Ziel der Polemik eindeutig aus, wie Ratti meint (S. 121).

Daneben versucht Ratti, die Rolle des Nicomachus Flavianus als neuplatonischer Philosoph herauszuarbeiten (S. 129–148). Einen Flavianus, den Johannes von Salisbury an drei Stellen als Verfasser eines Werkes de vestigiis philosophorum nennt, identifiziert Ratti dazu mit Nicomachus Flavianus. Ergänzend zieht er einige Hinweise aus den Briefen des Symmachus zum philosophischen Interesse des Nicomachus sowie einige Stellen aus der Historia Augusta heran; zudem sieht er eine Lektüre Petrons durch den Autor der Historia Augusta im Zeugnis des Johannes bestätigt. Das in diesem Zusammenhang problematische Schweigen der Historia Augusta über Plotin erklärt Ratti mit der Feindschaft des Autors gegen Gallienus. Die Probleme dieses Konstrukts sind offensichtlich: Weder die Identifikation des bei Johannes genannten Flavianus mit Nicomachus Flavianus noch dessen Gleichsetzung mit dem Autor der Historia Augusta sind gesichert, so dass diese Überlegungen reine Spekulation bleiben.

Gesondert behandelt wird der Themenkomplex zu Nicomachus Flavianus und der Gesetzgebung (S. 149–164). Ratti referiert die an Nicomachus Flavianus gerichteten und die wahrscheinlich von ihm verfassten Gesetze und will Übereinstimmungen zwischen einem theodosianischen Gesetz und einem in der Historia Augusta überlieferten Gesetz des Pertinax gefunden haben. Weiterhin führt er die sprachlichen Parallelen zwischen der Historia Augusta und einem theodosianischen Gesetz zur männlichen Homosexualität an, die er bereits in seinen früheren Schriften als Beweis für seine These zur Autorschaft der Historia Augusta angeführt hatte. Zudem versucht Ratti, Selbstanspielungen des Nicomachus Flavianus in der Vita des Severus Alexander zu finden. Wie seine früheren Forschungen zu diesem Thema kranken auch diese Ausführungen daran, dass die herangezogenen Parallelen und Anspielungen keineswegs aussagekräftig sind und die als erwiesen angesehene Autorschaft des Nicomachus Flavianus eben noch zu belegen wäre; bei einem in der römischen Gesellschaft missbilligten Thema wie Homosexualität sind zweifellos Übereinstimmungen auch bei verschiedenen Autoren zu erwarten.

Zuletzt befasst sich Ratti mit der Angabe in der Historia Augusta, die Frauen hätten während der Belagerung von Aquileia durch Maximinus Thrax ihre Haare abgeschnitten, um sie als Bogensehnen zu nutzen. Er deutet dabei diese Geste als Ausdruck heidnischer devotio (S. 165–178). Für Ratti handelt es sich nicht nur um einen Topos, der tatsächlich auch anderweitig belegt ist, er sieht vielmehr das Scheren des Kopfes als Element der devotio an, mit dem der Autor diesen heidnischen Wert gegen die christliche Tradition und das Mönchtum verteidigen will.8 Das Schlusswort nutzt Ratti zu einer Kritik an Alan Camerons „Last pagans“ (S. 179–187), die sich weitgehend in Klagen über die Nichtberücksichtigung seiner eigenen Forschungen in diesem Buch erschöpfen.9 Angesichts der gravierenden Lücken in Rattis Forschungsgrundlage zur theodosianischen Zeit kann diese Kritik kaum als angemessen bezeichnet werden.10

Rattis Überlegungen stützen sich auf vage Indizien und unbewiesene (aber als gesichert angesehene) Hypothesen. Ratti übergeht in seiner Argumentation die meisten seinen Thesen widersprechenden Quellen und Forschungen und entwirft dabei ein längst überholtes Bild der Spätantike und des Verhältnisses von Heiden und Christen. Unerklärlich ist auch, warum zahlreiche Quellen, mit denen sich eher eine tiefgehende Auseinandersetzung zwischen Heiden und Christen nachweisen ließe (etwa Julians „Galiläerschrift“, Kyrills Entgegnung oder Libanios’ pro templis), keine Beachtung finden. Sein mit nicht zu bestreitendem Fleiß und großem Wissen entfaltetes Theoriengebäude kann letztlich nicht überzeugen.11

Anmerkungen:
1 Dazu insbesondere Johannes Hahn, Gewalt und religiöser Konflikt, Berlin 2004 und Alan Cameron, The last pagans of Rome, Oxford 2011; vgl. auch Michael Gaddis, There is no crime for those who have Christ, Berkeley 2005.
2 Vgl. etwa Alexander Demandt, Zeitkritik und Geschichtsbild im Werk Ammians, Bonn 1965, S. 69: „Ammians Zeugnisse über die Intoleranz des Staates sagen aus, daß offene Kritik der jeweiligen Herrschaft unmöglich war […]. Davon abgesehen aber ist Ammians Urteil frei.“ Eine Aussage des Pacatus (Pan. lat. 2/12, 23,1) bietet sogar ein Indiz für eine weitere Relativierung.
3 Nicht bekannt ist Ratti wohl Richard Klein, Zum Kampf der Kirchenväter gegen Circus und Theater, in: Joachim Fugmann (Hrsg.), Theater, Theaterpraxis, Theaterkritik im kaiserzeitlichen Rom, München 2004, S. 155–173, der auf den geringen Erfolg der Theatergegner hinweist.
4 Antichristliche Polemik des Rutilius ist nicht sicher nachzuweisen, worauf bereits Étienne Wolff (Hrsg.), Rutilius Namatianus, Sur son retour, Paris 2007, S. XV hinwies.
5 Bezeichnend ist die völlige Übergehung der vernünftigen Analyse von Joachim Szidat, Die Usurpation des Eugenius, in: Historia 28 (1979), S. 487–508, die auch durch die von Ratti verwendeten Forschungen Paschouds nicht widerlegt ist.
6 Zu ergänzen wären etwa Klaus Rosen, Ein Wanderer zwischen zwei Welten, in: Karlheinz Dietz (Hrsg.), Klassisches Altertum, Spätantike und frühes Christentum, Würzburg 1993, S. 393–408 und Béla Adamik, Das sog. Carmen contra paganos, in: Acta antiqua academia scientiarum Hungaricae 36 (1995), S. 185–233.
7 Insbesondere François Paschoud, Chronique d’historiographie tardive, in: Antiquité tardive 15 (2007), S. 349–364, hier S. 360–362.
8 In der Auseinandersetzung mit einem diesbezüglichen theodosianischen Gesetz bleibt die Spezialstudie von Stefanie Kennell, Women’s hair and the law, in: Klio 73 (1991), S. 526–536 unbeachtet.
9 Cameron, pagans (Anm. 1).
10 Neben den bereits angeführten Titeln fehlen insbesondere folgende einschlägigen Werke: Wilhelm Enßlin, Die Religionspolitik des Kaisers Theodosius d. Gr., München 1955; Adolf Lippold, Theodosius der Große und seine Zeit, München 1980; Hartmut Leppin, Theodosius der Große, Darmstadt 2003.
11 Skeptisch steht Rattis Thesen auch Maijastina Kahlos in ihrer Rezension gegenüber: Bryn Mawr Classical Review Mai 2012, Nr. 44 <http://bmcr.brynmawr.edu/2012/2012-05-44.html>.

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