M. Kreutzmann: Die höheren Beamten des Zollvereins

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Titel
Die höheren Beamten des Deutschen Zollvereins. Eine bürokratische Funktionselite zwischen einzelstaatlichen Interessen und zwischenstaatlicher Integration (1834–1871)


Autor(en)
Kreutzmann, Marko
Reihe
Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 86
Erschienen
Göttingen 2012: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
404 S.
Preis
€ 59,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger von Krosigk, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer

Marko Kreutzmanns Studie zu den höheren Beamten des Deutschen Zollvereins behandelt eine bürokratische Funktionselite, die ihrem Dienstland verpflichtet war und deren Aufgabe als Entsandte in anderen Zollvereinsländern in der Aushandlung, Umsetzung und Einhaltung der zwischenstaatlichen Zollvereinsvereinbarungen lag. Aus methodischen Gründen grenzt Kreutzmann seine Untersuchung auf die drei Beamtengruppen (insgesamt 244 Beamte) der Generalkonferenzbevollmächtigten, Zollvereinsbevollmächtigten und Stationskontrolleure von Mitgliedsstaaten ein, die dem Zollverein seit spätestens 1836 angehört hatten und vollständig zwischenstaatlich integriert waren. Die untersuchten Staaten umfassen neben Preußen, Bayern, Württemberg und Baden eine Reihe weiterer deutscher Kleinstaaten. Zeitlich umfasst die Studie den Zeitraum von der Gründung des Zollvereins (1834) bis zur Gründung des Deutschen Kaiserreichs (1871).

Die Studie ist vielschichtig angelegt und geht über die Untersuchung der sozialen Zusammensetzung, des Selbstverständnisses der Beamten, der Karrierewege, der Netzwerke und der politischen Funktionen hinaus. Da es sich bei den höheren Beamten des Zollvereins um eine Funktionselite mit zwischenstaatlichem Handlungs- und Bezugsrahmen handelte, berührt die Studie eine Reihe von gesamtdeutschen Themenfeldern wie die handels- und zollpolitische Integration, die Funktionsweise einer föderalen Institution sowie Liberalismus und Nationsbildung. Der Deutsche Zollverein bewegte sich in einem Spannungsfeld von einzelstaatlichem Partikularismus, Machtpolitik sowie föderaler Kooperation.1

Die Arbeit ist in zwei größere historische Themenfelder unterteilt. Im Anhang werden die Kurzbiografien der Generalkonferenz- und Zollvereinsbevollmächtigten vorgestellt. Darüber hinaus veranschaulichen 20 übersichtliche Tabellen die empirischen Grundlagen der Studie. Die beiden Hauptteile werden im Folgenden behandelt.

Im ersten Teil arbeitet Kreutzmann zunächst mittels eines sozialgeschichtlichen Ansatzes die Karrierewege, die funktionale Binnenstruktur, das soziale Profil, die soziale Mobilität (Vaterberuf), das Bildungsprofil und damit auch die personalen Netzwerke sowie die politische Praxis von Ordensverleihungen in Bezug auf die drei Gruppen von Zollvereinsbeamten heraus. Die sozialgeschichtlichen Gesichtspunkte folgen dem Beispiel wegweisender Studien zu einzelstaatlichen Verwaltungseliten.2 Eine besondere Herausforderung liegt darin begründet, dass es sich bei den höheren Beamten des Deutschen Zollvereins um die einzige dauerhaft auf zwischenstaatlicher Ebene eingerichtete Funktionselite handelte, die bereits vor der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 einen überregionalen Denk- und Handlungsbezug entwickelt und praktiziert hatte. Andere Funktionseliten wie die Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung oder die Märzministerien waren nur kurzzeitig aktiv.3

Die Karrierewege der höheren Beamten des Deutschen Zollvereins waren eng an die Verwaltung ihres Entsendelandes gebunden, so dass die Rekrutierung der Zollvereinsbeamten eher offen blieb und sich keine geschlossene Gruppe herausbildete. Nur eine kleine Zahl von Zollvereinsbeamten machte innerhalb der Organisation Karriere. Die Zollvereinsbürokratie bot durch die Professionalisierung und den Ausbau der Zoll- und Steuerverwaltung gerade bürgerlichen Fachbeamten mit einem Hintergrund in Rechtswissenschaften oder Kameralistik Aufstiegsmöglichkeiten in Spitzenfunktionen. Für Adelige stellte insbesondere die Stellung eines Zollvereinsbevollmächtigten aufgrund der repräsentativen Funktion dieser Position eine „alternative adelige Berufskarriere“ dar (S. 52f.). Bei den Spitzenbeamten des Zollvereins, den Generalkonferenzbevollmächtigten, dominierte beim beruflichen Hintergrund der Väter zwar die höhere Beamtenschaft, doch war die Zahl der Väter, deren Beruf in Handel und Gewerbe anzusiedeln ist, ebenfalls auffällig groß.

Die Beamten waren in enge personale Netzwerke eingebunden, die sich mit der Zeit tendenziell verfestigten. Vor allem zwischen den höheren Zollvereinsbeamten Preußens, Bayerns und der hessischen Staaten bildeten sich intensive Netzwerke heraus. Dabei versuchte Preußen von Anfang an und wesentlich stärker als andere Staaten, die personalen Netzwerke sowie die Verleihung von Orden für eigene politische Ziele und den Erhalt des Zollverbandes einzusetzen. Inwieweit eine politische Einflussnahme durch Netzwerke und Ordensverleihungen wirkungsvoll war, lässt sich nach Kreutzmann jedoch nur schwer bemessen.

Im zweiten Teil verlässt Kreutzmann den relativ ‚sicheren‘ Boden der empirischen Sozialgeschichte und wendet sich der Verwaltungskultur, politischen Integration und Nationsbildung zu.

Wie Kreutzmann überzeugend darstellt, stellte der Deutsche Zollverein, der bis 1867 über keine zentrale Verwaltungsorganisation und keine gemeinsamen Beamten verfügte, eine zwischenstaatliche Bezugsebene dar, auf die die Beamten Vermittlung, Zusammenarbeit und Ausgleich ausrichteten. Der Zollverein funktionierte alleine dadurch, dass sich die Beamten vor die Aufgabe gestellt sahen, „die Interessen des Entsenderstaates gegenüber demjenigen Staat, in welchen sie abgeordnet waren, zu vertreten und gleichzeitig die Bedürfnisse des Gesamtzollvereins nicht aus den Augen zu verlieren“ (S. 121).

Anhand von Denkschriften und Vorschlägen der höheren Beamten belegt Kreutzmann, dass die Zollvereinsbeamten nicht nur für Partikularinteressen, sondern immer stärker auch für gemeinschaftliche Interessen des Zollvereins eintraten. Einzelstaatliches Misstrauen und Interesse mussten zum Wohle gemeinsamer Normen und Interessen überwunden werden. Hierbei ging es um das Erlernen einer konsensualen Politik- und Verwaltungspraxis, die sich an gemeinsamen, zwischenstaatlichen Normen und Werten orientierte. Insbesondere seit den 1850er-Jahren, als der Zollverein auf die Herausforderungen der Industriellen Revolution reagieren musste, legten die Zollvereinsbeamten Denk- und Handlungsmuster an den Tag, die immer deutlicher auf gemeinsame Normen und Interessen des Zollvereins ausgerichtet waren.

Die Bedeutung einer gemeinsamen Zollpolitik für die nationalstaatliche Einigung von 1871 ist mittlerweile relativiert worden.4 Für die Tätigkeit der Beamten des Deutschen Zollvereins gab es kein nationalpolitisches Leitbild, wie Kreutzmann feststellt. Das gemeinsame Interesse der im Deutschen Zollverein zusammengeschlossenen Mitgliedsstaaten sowie wirtschaftsliberale Einstellungen standen im Mittelpunkt der Denk- und Handlungsmuster der Beamten. Dennoch setzte sich bei den Beamten seit den 1840er-Jahren und insbesondere seit der 1848er-Revolution ein Nationalbewusstsein durch, dass sich allerdings nicht zu einem dominanten Handlungsrahmen entwickelte.

Es sollen abschließend zwei kritische Gedanken angebracht werden, die jedoch die Leistung dieser Arbeit keineswegs mindern. So geht durch die (aus methodischen Gründen unvermeidbare) Eingrenzung der behandelten Staaten auf vollberechtigte Mitgliedsstaaten, die dem Zollverein seit spätestens 1836 angehörten, die Perspektive für eine zwischenstaatliche Integrationsdynamik verloren. In welchem Maße konnte der Deutsche Zollverein eine integrative Wirkung auf weitere Staaten ausüben, die dem Zollverein später beitreten wollten?

Auch wenn der folgende Aspekt über den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen des Buchs hinausreicht, stellt sich die Frage, ob den Beamten die Erfahrung, auf einer zwischenstaatlichen Ebene gearbeitet zu haben, bessere Karrierechancen in föderalen Institutionen des Kaiserreichs eröffnete.

Kreutzmanns Studie zeichnet sich durch eine gründliche empirische und systematische Vorgehensweise aus. Die Ergebnisse bieten einen Einblick in die föderative Zusammenarbeit im Kontext des Deutschen Zollvereins. Es wird sehr deutlich herausgearbeitet, dass den höheren Beamten des Deutschen Zollvereins auch diplomatische Fähigkeiten der Vermittlung und des Ausgleichs abverlangt wurden. Die Arbeit leistet einen bedeutenden Beitrag zur Aufarbeitung einer zwischenstaatlichen Handlungsebene vor der Gründung des Kaiserreichs, die zwischen einzelstaatlichem Partikularismus und politisch-institutioneller Integration angelegt war. Auch wenn die Bedeutung des Deutschen Zollvereins für die Nationalstaatsgründung relativiert worden ist, ist der Wert einer über drei Jahrzehnte erprobten Politik- und Verwaltungspraxis, die auch diplomatische Verhandlungs- und Aushandlungsprozesse beinhaltet, für spätere föderale und einheitsstaatliche Institutionen nicht zu unterschätzen.

Anmerkungen:
1 Volker Sellin, Nationalbewusstsein und Partikularismus in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Jan Assmann / Tonio Hölscher (Hrsg.), Kultur und Gedächtnis, Frankfurt 1988, S. 241–264. Dieter Langewiesche, Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation: Über Föderalismus und Zentralismus in der deutschen Nationalgeschichte, in: ders. / Georg Schmidt (Hrsg.), Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000, S. 215–242.
2 Siehe insbesondere die Studie von Bernd Wunder, Die badische Beamtenschaft zwischen Rheinbund und Reichsgründung (1806–1871). Dienstrecht, Pension, Ausbildung, Karriere, soziales Profil und politische Haltung, Stuttgart 1998.
3 Heinrich Best, Die Männer von Bildung und Besitz. Struktur und Handeln parlamentarischer Führungsgruppen in Deutschland und Frankreich 1848/49, Düsseldorf 1990. Eva Maria Werner, Die Märzministerien. Regierungen der Revolution von 1848/49 in den Staaten des Deutschen Bundes, Göttingen 2009.
4 Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang, 1600–1947, 4. Aufl. München 2007, S. 453f.

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