S. Arndt: Die 101 wichtigsten Fragen – Rassismus

Titel
Die 101 wichtigsten Fragen – Rassismus.


Autor(en)
Arndt, Susan
Reihe
Beck’sche Reihe 7036
Erschienen
München 2012: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
159 S.
Preis
€ 10,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nina Mackert, Universität Erfurt

Ist ein Buch sinnvoll, dass sich im knappen Korsett von 101 Fragen einem derart komplexen Phänomen wie Rassismus widmet, welches so stark historisch tradiert und in Denkweisen sowie gesellschaftlichen Strukturen verwurzelt ist? Um es vorwegzunehmen: Ja. Sehr.

Der Literaturwissenschaftlerin Susan Arndt gelingt es in „Rassismus. Die 101 wichtigsten Fragen“, dieses äußerst komplexe Problem kompakt zu kritisieren. In ein- bis zweiseitigen Frage-/Antwort-Abschnitten beschäftigt sich Arndt mit rassistischen Handlungen und Strukturen in Geschichte und Gegenwart. Das Buch widmet sich in acht Kapiteln (1) Begriffsklärungen, (2) der Geschichte von Rassismus vor und (3) nach der Aufklärung, (4) rassistischem Sprechen, (5) Spuren und Auswirkungen des Rassismus, (6) Widerstand und Erinnerungspolitik, (7) Migration und (8) antirassistischen Perspektiven.

Die Fragen, die Arndt formuliert, reichen von naheliegenden Abschnitten zu etwa: „Was ist Kolonialismus?“ oder: „Woran erkenne ich rassistische Wörter?“ bis hin zu eher überraschenden Fragen (beispielsweise: „Was erzählt uns die ‚Hautfarbe‘ von Parzifals Bruder?“ oder: „Was hat der Song ‚Truganini‘ der australischen Band Midnight Oil mit zwei auf Wachszylinder gravierten Liedern zu tun?“). Sie argumentiert intersektional, das heißt verweist häufig auch auf geschlechtlich geprägte und sexualisierte Konstruktionen von Rassismus.

An dieser Stelle sollen nur drei Aspekte hervorgehoben werden, die die Rezensentin als besonders zentral für Arndts Buch ausgemacht hat und die das Buch quer zu den acht Kapiteln durchziehen. Erstens die Rolle von Sprache in der Legitimierung von Unterdrückung; zweitens der doppelte Charakter von Rassismus aus Exotisierung und Dämonisierung und drittens widerständige Praktiken, historisch und zukünftig.

Erstens macht Arndt deutlich, dass sie Sprache als Handeln und eine rassistische Sprache damit als rassistischen Akt begreift. Arndt setzt sich mit vielen Begriffen auseinander; so erklärt sie, dass es problematisch ist, etwa von „Antiziganismus“ zu sprechen, weil dieser Begriff auf der rassistischen Benennung „Zi.“ beruht.1 Auf ähnliche Weise reproduzieren die Begriffe „Fremdenfeindlichkeit“ und „Ausländerhass“ die Vorstellung vom Fremden, Nicht-Zugehörigen.

Zweitens betont Arndt immer wieder, dass Rassismus über eine Doppelbewegung von Dämonisierung und Exotisierung funktioniert. Sie stellt klar, dass etwa an Annahmen, Schwarze könnten besonders gut tanzen, nichts „Positives“ ist, sondern dass sie ebenso wie Unterstellungen von Minderwertigkeit rassistisch sind. In vielen Abschnitten streift Arndt die Alltäglichkeit exotisierender rassistischer Praktiken, die sich etwa in Fragen á la: „Wo kommst du her?“ niederschlagen (S. 22).

Drittens schließlich zeigt Arndt, dass Rassismus zwar umfassend wirkte und wirkt, aber nie unwidersprochen bleibt. Immer wieder zoomt sie nah an Menschen heran, zeigt den profunden Einfluss, den rassistische Praktiken auf ihr Leben hatten und haben und berichtet von Widerstand, Entziehung und Aufbegehren. Auch begrifflich behandelt Arndt dies: So verweist sie auf den Begriff „Maafa“ als Möglichkeit, die europäische Versklavung von Afrikaner_innen zu bezeichnen. Maafa ist ein Begriff aus dem Kiswahili und „spricht über die Gräuel der Sklaverei ebenso wie über den Widerstand, mit dem ihr begegnet wurde“ (S. 53). Und nicht zuletzt behandelt Arndt gegenwärtige Perspektiven antirassistischer Politiken und streift dabei aktuelle Themen wie etwa die Kopftuchdebatte, Migrationspolitik und Entschädigungszahlungen.

Susan Arndt geht konsequent kritisch vor. Bereits im Vorwort problematisiert sie die Wahl des Coverbilds ihres Buches durch den Verlag. Es zeigt einen Schwarzen, der in Richtung eines Filmplakates blickt, das eine weiße Frau abbildet. Arndt schreibt, das Foto ist von einem weißen Blick geprägt – und das nicht nur, weil es 1940 in Birmingham, Alabama, von einem weißen Fotografen aufgenommen wurde. Vielmehr evoziere es rassistische Fantasien von Weißen, die schwarze Männer als Bedrohung für weiße Frauen zeichnen und zum Zeitpunkt der Aufnahme des Fotos nicht selten zu tödlichen Lynchings an Schwarzen führten.

Außerdem nimmt Arndt die Vorstellung eines „umgekehrten“ Rassismus (S. 31) in den Blick – eine wichtige Auseinandersetzung angesichts dieses in weißen Abwehrkämpfen häufig geäußerten Vorwurfs. Arndt stellt klar, dass „Rasse“ eine Erfindung der Weißen ist und warnt vor der „inflationären“ (S. 30) Verwendung des Begriffes Rassismus: „Wenn Schwarze Weiße als Weiße markieren oder ihnen bestimmte Attribute zuschreiben, repräsentiert dies ein Reservoir von Strategien zur Abgrenzung oder des Widerstandes, das sich auch der Codes und Kategorien dieser ›weißen‹ Erfindung bedienen kann.“ (S. 31, Hervorhebung bei Arndt kursiv)

Arndts Antworten sind häufig assoziativ, nicht immer kommt das, was die Lesenden erwarten könnten. So stellt sie etwa bei der Frage: „Wer widerstand der Sklaverei?“ die Figur Caliban aus Shakespeares „The Tempest“ vor und betrachtet sie als Beispiel für die Repräsentation von Widerstand. Gerade das ist eine Stärke von Arndts Buch: Es sind die Fragestellungen und Verknüpfungen, die das Buch auch für diejenigen spannend und instruktiv machen, die sich bereits ausgiebiger mit der Geschichte und Struktur von Rassismus auseinander gesetzt haben.

Freilich tauchen hier und da Lücken auf. So wäre es zum Beispiel interessant gewesen, wenn die Frage: „Kann Essen rassistisch sein?“ sich über Aspekte der Nomenklatur hinaus der Frage nach rassistischen Essenspraktiken oder rassistisch codiertem Essen gewidmet hätte. Und manchmal fallen Erläuterungen zu verkürzt aus und gehen etwa wenig darüber hinaus, Begriffe als problematisch zu benennen. Überdies mangelt es an Verweisen auf weiterführende Literatur. Als Nachschlagewerk eignet sich das Buch daher nur bedingt.2 Dies will es aber auch nicht sein. Arndt möchte mit dem Buch „Denk-, aber auch Verhaltens-und Sprachanstöße bieten“ (S. 14); es soll „anstoßen, irritieren, provozieren, zur Debatte einladen“ (S. 14).

Antirassismus ist Arbeit, das macht das Buch deutlich. Deswegen ist es nur folgerichtig, dass es zwar in Bezug auf das Format, nicht aber auf den Inhalt verdaulich ist und gerade Einsteiger_innen in das Thema vermutlich immer noch einiges abverlangt. Gleichwohl ist es für diese geeignet und ließe sich gewiss etwa zur Sensibilisierung in der Lehre einsetzen. Übrigens erlaubt es die Anordnung des Buches, es auch auszugsweise zu lesen bzw. in der Reihenfolge der Fragen zu springen. Insgesamt löst Arndt mit ihrem Buch ein, was sie zu erreichen hofft; daran stört auch das augenscheinlich etwas eilige Lektorat nicht. Ein gelungenes und nützliches Buch.

Anmerkungen:
1 Ihre eigene Sprachpraxis – wie etwa die Verwendung des kurzen „Zi.“ oder des Begriffes: „N-Wort“ – erläutert Arndt verhältnismäßig spät, erst in Frage 84. Dabei ist Sprache für sie nicht nur ein wichtiger Träger von Rassismus, sondern auch eine „produktive Strategie […], um Auseinandersetzungen mit Rassismus in Gang zu setzen“ (S. 128). Möglicherweise begründet Arndt ihren Sprachgebrauch deshalb so spät, um zunächst damit zu irritieren, Aufmerksamkeit auf den rassistischen Charakter von Begriffen zu lenken und Alternativen denkbar zu machen.
2 Ein ebenfalls von Arndt mitverfasstes Buch, dass sich dafür eher anbietet, ist das umfangreiche Buch: Susan Arndt / Nadja Ofuatey-Alazard (Hrsg.), Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster 2011.

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