Cover
Titel
Die Stärkeren im Geiste. Zum christlichen Widerstand der Weißen Rose


Herausgeber
Bald, Detlef; Knab, Jakob
Erschienen
Anzahl Seiten
228 S.
Preis
19,95 €
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Michael Kißener, Historisches Seminar, Gutenberg-Universität Mainz

Die Geschichte der Weißen Rose hat schon viele „Bewertungs-Konjunkturen“ erlebt. Einst als Beispiel „reinen“ Widerstandes hochverehrt, stieß sie bei der 68er-Generation als zu unpolitisch erstmals auf kritische Ablehnung. Während man sich in den 1980er- und 1990er-Jahren um eine zunehmend sachliche Aufklärung der Hintergründe dieser Widerstandsgeschichte bemühte, hat erst kürzlich Sönke Zankel in seinen Arbeiten manch Abzulehnendes, Defizitäres im Widerstand der Münchner Studenten entdecken wollen und gleichsam eine neuerliche „Entthronung“ der vermeintlichen „Helden“ für notwendig erachtet. Bei alledem spielte die Frage nach den christlichen Grundlagen und Motiven dieses Widerstands immer eine wichtige Rolle, sei es, dass man die Mitglieder der Weißen Rose gleichsam kirchlich vereinnahmte und zu Märtyrern für ihren Glauben machte, sei es, dass man in ihrem Widerstand gar kein christliches Fundament zu entdecken vermochte. Es ist daher nur zu begrüßen, dass Detlef Bald und Jakob Knab nun diese zentrale Fragestellung aufgreifen und in 12 Beiträgen, von insgesamt vier Autor/innen geschrieben, in verschiedenartigsten Zugängen abhandeln wollen.

Der erste Beitrag unter der einleitenden Rubrik „Grundlegungen“ löst freilich dieses Vorhaben nicht ein: Detlef Bald entfaltet hier vielmehr einen kurzen, daher lückenhaften Überblick zur Geschichte der Gruppe, in dem er seine früheren Thesen über die besondere Rolle des Kriegserlebnisses an der Ostfront für den Widerstand der Weißen Rose erneut ausführt. Hier wie an vielen anderen Stellen des Bandes zeigt sich bereits eine nur eingeschränkte Rezeption der mittlerweile breiten Literatur zur Weißen Rose, der Anmerkungsapparat ist manchmal denkbar knapp, zu knapp gehalten. Mit dem ersten Beitrag der Nürnberger Theologin Renate Wind rückt das eigentliche Thema des Bandes schon näher: Sie erkennt im Zusammenwirken der konfessionsverschiedenen Mitglieder der Gruppe ein ökumenisches Vermächtnis und grenzt deren christliche Weltdeutung von der der Amtskirchen ab, wobei aber festzuhalten bleibt, dass die Münchner Studenten ebenso wie ihre Mentoren ihren Widerstand als Glieder dieser Kirche und nicht außerhalb der „Amtskirche“ ausübten. Jakob Knab belegt sodann ausführlich die christliche Fundierung jener, die gemeinhin als „Mentoren“ der Weißen Rose gelten: Carl Muth, Theodor Haecker, Alfred von Martin, Sigismund von Radecki. Auch in der Lektüre der Protagonisten der Weißen Rose findet Knab viele Bezüge zum Christentum. Einen interessanten Untersuchungsansatz wählt Detlef Bald schließlich in seinem zweiten Beitrag: Über die von Ricarda Huch 1946/47 gesammelten Aussagen von Angehörigen der Weißen Rose kann er eine zeitnahe Einschätzung der christlichen Motivation des Münchner Widerstandes weiter wahrscheinlich machen. Diese offensichtlich gängige Einordnung der Angehörigen der Opfer der Weißen Rose war auch der Hintergrund für die Gedenkrede Romano Guardinis im November 1945.

In dem zweiten Abschnitt „Entfaltungen“ entdeckt Jakob Knab sodann in seinem Aufsatz „Weltanschauung und Widerstand“ einige Parallelen zwischen Hans Scholl und Claus Schenck Graf von Stauffenberg – nicht zuletzt in der christlichen Motivation ihres Handelns. Renate Wind wiederum zieht Verbindungslinien zwischen Willi Graf und Dietrich Bonhoeffer in einem Beitrag, der textlich weitgehend einer ihrer älteren Arbeiten entspricht, ohne dass allerdings darauf hingewiesen würde. In zwei biographischen Detailstudien schließlich widmet sich Jakob Knab Sophie Scholl bzw. Christoph Probst und weist überzeugend deren religiöse Entwicklung nach. Diese beiden Beiträge sind wegen ihrer Quellennähe und argumentativen Dichte vielleicht die wichtigsten dieses Bandes.

Denn was schließlich im dritten Abschnitt unter der Überschrift „Vertiefungen“ dem Leser geboten wird, steht erneut mit dem Anliegen des Bandes in allenfalls mittelbarem Zusammenhang und hat keinen deutlich erkennbaren thematischen Zusammenhang. Zunächst greift hier erneut Detlef Bald in einem Aufsatz mit dem umständlichen Titel „Die Deportation der Juden aus Warschau Ende Juli 1942. Ghetto und Stadt. Mit den Aufzeichnungen ‚Russische Erde‘ von Jürgen Wittenstein“ sein Thema der Kriegserfahrung als Movens des Widerstands der Weißen Rose auf – diesmal mit Blick auf die Erfahrung des Warschauer Ghettos, das Willi Graf, Alexander Schmorell und Hans Scholl auf dem Weg an die Ostfront im Juli 1942 sahen. Der Beitrag darf gleichwohl Interesse verlangen, weil hier nicht oder wenig bekannte Aufzeichnungen aus der zeitgenössischen Überlieferung Jürgen Wittensteins präsentiert werden, die die Situation der drei Freunde anschaulich werden lassen. Sodann räsoniert der Historiker Hinrich Siefken sehr persönlich über seine wissenschaftliche Beschäftigung mit Theodor Haecker und der Geschichte der Weißen Rose. In einem kurzen, nur sieben Seiten umfassenden, wie ein Nachtrag wirkenden Artikel berichtet schließlich Jakob Knab über seine Recherchen zur Familiengeschichte von Christoph Probst.

Im Anhang des Bandes werden die bereits vielfach gedruckten und im Internet mittlerweile leicht verfügbaren Flugblätter der Weißen Rose erneut abgedruckt. Nützlich ist eine kurze Zitatensammlung aus Literatur, die Mitglieder der Weißen Rose nachweislich bewegt hat. Ein Personen- und Ortsregister erleichtert die Benutzung des Bandes, der aber bemerkenswerterweise auf ein Literaturverzeichnis oder gar einen Literaturbericht gänzlich verzichtet.

Thematisch ausgerichteten Sammelwerken mit mehreren Autoren eine stringente Konzeption zu verleihen, ist eine schwierige Aufgabe – dies zeigt auch diese Herausgeberschrift. Und dies gilt umso mehr, wenn, wie dies auch hier der Fall ist, einige Aufsätze Vorträgen entsprungen sind, die einmal in anderen Zusammenhängen entstanden sind oder nur geringfügig überarbeitet wurden. Daraus ergeben sich Wiederholungen, Überschneidungen, manchmal auch Lücken. Bedauerlich ist z.B. dass über den besonders kirchlich engagierten und mit seinem Glauben ringenden Willi Graf nur wenig in diesem Band zu finden ist. Gleichwohl dürfen einige Beiträge des vorliegenden Bandes Interesse beanspruchen, weil sie durchaus weiterführende Antworten auf die wichtige Frage nach der christlichen Motivation der Weißen Rose bieten.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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