1914–1918. Der Erste Weltkrieg

1914–1918. Der Erste Weltkrieg

Veranstalter
Deutsches Historisches Museum
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.05.2014 - 30.11.2014
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Steffen Bruendel, Forschungszentrum für Historische Geisteswissenschaften, Goethe-Universität Frankfurt am Main

In Deutschland stand der Erste Weltkrieg jahrzehntelang im Schatten des Zweiten. Während das wissenschaftliche Interesse an der „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts ungebrochen blieb, war sie Politik und Öffentlichkeit weitgehend aus dem Blickwinkel geraten. Noch 2013 schienen die deutschen Vorbereitungen auf politischer Ebene eher schleppend in Gang zu kommen, während beispielsweise in Frankreich und sogar auf europäischer Ebene schon früh über das passende Gedenken nachgedacht wurde.1 Ausstellungstechnisch warf das Gedenkjahr 2014 seine Schatten früh voraus. So widmete das Centre Pompidou-Metz 2012 der kulturellen Produktion des Jahres 1917 eine große Ausstellung.2 Auf das künstlerische Schaffen im Krieg fokussierten das Deutsche Literatur-Archiv Marbach sowie die Bonner Bundeskunsthalle, deren Ausstellungen 2013 eröffnet wurden.3 Weitere Ausstellungen finden 2014 statt, teils mit thematischen, teil mit regionalen Schwerpunkten.4

Auch das Deutsche Historische Museum in Berlin – kurz: DHM – widmet dem Ersten Weltkrieg eine Sonderausstellung, die am 28. Mai 2014 von Bundeskanzlerin Merkel eröffnet wurde. Nach seinen Beiträgen zu den Gedenkjahren 1994 und 2004 ist dies die dritte große Präsentation jenes Krieges, welche das DHM – vom Selbstverständnis her das nationale Geschichtsmuseum Deutschlands – präsentiert. Anlässlich des umfangreichen europäischen Zentenargedenkens und entsprechend hoher Erwartungen ist das keine leichte Aufgabe.

Das Konzept sieht vor, den Verlauf und die Folgen des Ersten Weltkrieges anhand von 14 „markanten Orten“ zu veranschaulichen. Dafür ist die ca. 1.000 Quadratmeter große Ausstellungsfläche im Pei-Bau mit Stellwänden in einzelne Boxen unterteilt. Benannt nach Hauptstädten (Berlin, Brüssel und Petrograd, wie St. Petersburg seit Kriegsbeginn genannt wurde), Schlachtfeldern (Amiens, Gallipoli, Gorlice-Tarnow, Isonzo, Somme, Tannenberg, Ypern und Verdun), umkämpften bzw. besetzten Regionen (Galizien, Ostafrika) sowie nach dem Seekrieg sollen diese Boxen die unterschiedlichen Dimensionen des Krieges darstellen. Dabei erhebt das DHM den Anspruch, aus einer „breiten europäischen und globalen Perspektive […] eine Übersicht der Ereignisse und ihrer Zusammenhänge“ zu bieten und die „dramatischen Gewalterfahrungen“ der Jahre 1914–18 aufzuzeigen, welche die Nachkriegszeit prägten.5

Dieses „Unterfangen“ leidet, wie eine Berliner Zeitung zu Recht feststellte, „nicht unter mangelndem Ehrgeiz“.6 Zu fragen ist aber, ob das DHM seinem Anspruch gerecht wird. Positiv ist hervorzuheben, dass sowohl die ausgewählten „Orte“ als auch die deutschen und internationalen Leihgaben sowie der thematisierte weltweite Wirtschaftskrieg tatsächlich den globalen Charakter des Krieges verdeutlichen. Das ist geschichtspolitisch sinnvoll, weil es nahelegt, den Ersten Weltkrieg auch ungeachtet der jüngst sehr differenziert diskutierten Schuldfrage als gemeinsame Katastrophe Europas und vieler außereuropäischer Länder zu deuten. Immerhin reichten deren Folgen weit über 1918 hinaus und wirken zum Teil – blickt man beispielsweise auf die aktuelle Auflösung der Staatsgrenzen in Nahost – bis heute fort.

Dem Anspruch, eine umfassende Übersicht der Ereignisse zu liefern und Zusammenhänge aufzuzeigen, wird das DHM jedoch nur teilweise gerecht. Komplexe Ereignisse wie die einzelnen Schlachten lassen sich nicht in – mit Exponaten eher übersichtlich bestückte – Erinnerungsboxen pressen, durch die der Besucher an Tagen mit starkem Publikumsverkehr gehetzt wird. Und erst recht lässt sich das vierjährige globale Ereignisstakkato nicht an ein paar Orten festmachen. Das haben auch die Ausstellungsmacher gemerkt und deshalb wichtige Themen auf die einzelnen Boxen verteilt, auch wenn diese mit den Orten nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehen. So entdeckt man die „Judenzählung“ im deutschen Heer – jenen ungeheuerlichen Misstrauensbeweis des deutschen Staates gegenüber den jüdischen Deutschen – in der Verdun-Box. Warum? Weil sowohl die Schlacht als auch die Zählung 1916 stattfanden? Ähnlich willkürlich erscheint die Platzierung der Armenier-Vertreibung (das Wort Völkermord wird vermieden) in der Gallipoli-Box. Sicher, die Armenier lebten im Osmanischen Reich, und Gallipoli, 1915/16 Schauplatz einer blutigen Abwehrschlacht, ist eine türkische Halbinsel – aber ist das ein hinreichender Bezug?

Für andere Themen, die man behandeln muss, aber nicht in die Boxen zwängen kann, wurden orangene Informations-Säulen aufgestellt. Sie behandeln so unterschiedliche Rubriken wie „Gas“, „Frieden“, „Commemoration/Gedenken“ und „08/15“, so die Bezeichnung des seit 1917 eingesetzten verbesserten deutschen Maschinengewehrs. Die an die Säulen montierten Drehscheiben, welche Informationen enthalten, sind weder angenehm zu bedienen noch besonders gehaltvoll. Die Scheiben der „Gedenk“-Säule enthalten mit Blick auf das australische und neuseeländische Armeekorps (ANZAC) beispielsweise patriotischen Erinnerungsnippes, den kritisch zu hinterfragen dem DHM gut angestanden hätte.

Wiederum andere Themen werden in Nebenräumen abgehandelt, selbst solche wichtigen wie der globale Wirtschaftskrieg und der unbewältigte Krieg. Die Informationen sind auch hier leider übersichtlich. Gott sei Dank gibt es zwischen den Boxen ein kleines Kino, in dem ein sehr informativer Film gezeigt wird, der Entstehung, Verlauf, Auswirkungen und das Ende des Krieges prägnant schildert. Zudem gibt es erfreulicherweise ein umfangreiches Begleitprogramm zur Ausstellung. Es richtet sich an unterschiedliche Zielgruppen und besteht aus Vorträgen, Kuratoren-Führungen, Sonderführungen, Podiumsdiskussionen, Angeboten für Kinder und Familien sowie einem Filmprogramm. All das bietet dem interessierten Besucher die Möglichkeit, tiefer in die Materie einzusteigen.

Ein Katalog hätte diesen Zweck auch erfüllt. Es überrascht deshalb, dass es keinen gibt. Vielleicht liegt es daran, dass sich die Ausstellung als Rennstrecke mit Boxenstopps und Info-Säulen kaum hätte systematisch verschriftlichen lassen. Schon der Ausstellungstitel in seiner „allumfassenden Unbestimmtheit“7 verzichtet ja auf jegliche Programmatik. Was immer der Grund gewesen ist, auf einen Katalog zu verzichten: Ganz ohne Publikation wollte man doch nicht dastehen. Und so präsentiert das DHM den Ersten Weltkrieg „in 100 Objekten“.8 Dieser Bildband ist gewissermaßen ein Katalog ohne Ausstellung – aber er ist ganz ausgezeichnet! Beginnend mit einem vorzüglichen Überblicksartikel von Gerd Krumeich wird dem Leser auf den folgenden Seiten der Erste Weltkrieg anhand von 100 Objekten nahegebracht. Diese sind aufgeteilt auf sieben Kapitel, welche den Vorabend des Krieges, West- und Ostfront, See- und Luftkrieg, den Soldatenalltag, die Heimatfront sowie das Kriegsende behandeln.

Die Objekte, die der Sammlung des DHM entstammen, wurden gut ausgewählt. Sie sind in sehr guter Qualität abgebildet und werden in kurzen Artikeln präzise erläutert sowie kontextualisiert. Ob es sich um chirurgisches Lazarettbesteck handelt oder um „Deutsches Taschen-Klosettpapier“, um Fliegerpfeile (spitze, aus dem Flugzeug abgeworfene Metallstifte, die Helme durchschlagen und tödlich sein konnten) oder um eine Stielhandgranate, um einen französischen Orden oder ein russisches Plakat – anhand aller Objekte werden wichtige alltags-, kultur-, sozial-, militär- und politikgeschichtliche Themen exemplarisch beleuchtet. Zu Recht weist Museumsdirektor Alexander Koch im Vorwort darauf hin, dass die Exponate dank ihrer Authentizität beim Betrachter das Gefühl wecken, „der Geschichte unmittelbar zu begegnen“.9

Der Bildband schließt mit drei informativen Zeittafeln. Die erste benennt wichtige politische Entwicklungen im Zeitraum von 1904 (der Bildung der „Entente cordiale“ zwischen England und Frankreich) und dem letzten Pariser Vorortvertrag 1920 (mit der Türkei), die zweite Zeittafel ruft entscheidende Ereignisse der West- und der Südfront in Erinnerung und die dritte solche der Ostfront und weiterer Kriegsschauplätze. Illustriert werden die Frontverläufe zudem auf zwei ganzseitigen farbigen Karten.

Auch wenn es sich bei dem Bildband nicht um einen Katalog zur Ausstellung handelt, ist er für das Verständnis derselben hilfreich, zumal einige der abgebildeten Objekte auch in der Ausstellung zu sehen sind. Fast wünschte man sich, es gäbe eine Ausstellung zu diesem Band–… Gleichviel: Der sehr gut gemachte Bildband bietet Lesern unterschiedlicher Alters- und Wissensstufen viele interessante Informationen, indem er Objekte ‚zum Sprechen‘ bringt, die viel ‚zu sagen‘ haben. Der Ausstellung gelingt das – wie derjenigen von 200410 – nur eingeschränkt. Denn der rote Faden, die Gewalteskalation, verliert sich zwischen Erinnerungsboxen und Info-Säulen. Was als großer Wurf angekündigt wurde – die „deutschlandweit einzige Überblicksausstellung“ zu sein, die „die europäische und globale Dimension des Kriegsgeschehens verdeutlicht“11 – entpuppt sich bei näherem Hinsehen leider als recht „fragmentarisches Panorama“12, als Zeitreise mit Boxenstopps im Ersten Weltkrieg.

Anmerkungen:
1 Vgl. Jürg Altwegg, Die Gefallenen. Frankreich debattiert die Kriege des Jahrhunderts, in: FAZ, 15.10.2013, S. 31. Die Europäische Union initiierte das Projekt „Europeana. Collections 1914–1918“, eine Zusammenführung digitaler Materialsammlungen nationaler Bibliotheken und anderer Partner aus acht Ländern, um über 400.000 Quellen frei zugänglich zu machen, vgl. <http://www.europeana-collections-1914-1918.eu/> (02.10.2014).
2 Centre Pompidou-Metz (Hrsg.), 1917. Ausst.-Kat., Metz 2012.
3 Vgl. August 1914. Literatur und Krieg, 3 Bde. Marbacher Magazine Nr. 144, Marbach 2013, sowie „1914. Die Avantgarden im Kampf“, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, 8.11.2013–23.2.2014, URL: <http://www.bundeskunsthalle.de/ausstellungen/1914-die-avantgarden-im-kampf.html> (03.10.2014).
4 Vgl. die Übersicht zu in- und ausländischen Weltkriegsausstellungen in der Süddeutschen Zeitung vom 23.4.2014, URL: <http://www.sueddeutsche.de/politik/ausstellungen-zu-jahren-erster-weltkrieg-wo-es-laermt-wie-an-der-front-1.1868276> (03.10.2014).
5 Zitiert nach der Internetseite des DHM, URL: <https://www.dhm.de/ausstellungen/der-erste-weltkrieg/die-ausstellung.html> (03.10.2014).
6 Matthias Wulff, Berliner Ausstellung zeigt die Tragödie des 1. Weltkriegs, in: Berliner Morgenpost, 28.5.2014, URL: <http://www.morgenpost.de/berlin-history/article128488634/Berliner-Ausstellung-zeigt-die-Tragoedie-des-1-Weltkriegs.html> (03.10.2014).
7 Wulff, Berliner Ausstellung (wie Anm. 6).
8 Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten, Darmstadt 2014.
9 Ebd., S. 9.
10 Vgl. Steffen Bruendel, Großer Krieg auf Sparflamme. Das Deutsche Historische Museum zeigt Fragmente des Ersten Weltkriegs und schweigt sich aus, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 1 (2004), H. 3, URL: <http://www.zeithistorische-forschungen.de/3-2004/id%3D4425> (03.10.2014).
11 Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg, S. 9.
12 Andreas Kilb, Damals, als wir Hunnen waren. Ausstellung zum Ersten Weltkrieg, in: FAZ 28.5.2014, URL: <http://www.faz.net/aktuell/politik/der-erste-weltkrieg/ausstellung-damals-als-wir-hunnen-waren-12961403.html> (03.10.2014).

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