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Titel
Ohne Furcht und Tadel – Für König und Vaterland. Frühneuzeitlicher Hochadel zwischen Familienehre, Ritterideal und Fürstendienst


Autor(en)
Wrede, Martin
Erschienen
Ostfildern 2012: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
484 S.
Preis
€ 64,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maximilian Krüger, Neuere Geschichte, Universität Mannheim

Die Haupttätigkeit des Schwertadels war von jeher der Kampf, weswegen Adel, Kriegertum und Rittertum eng miteinander verbunden waren. Im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit begann allerdings der unaufhaltsame Niedergang einer mehr als halbtausendjährigen Profession. Dass mit Rittern keine Schlachten mehr zu gewinnen waren und die aus den Reihen des Adels aufgestellten schweren Panzerreiter gegenüber den spießstrotzenden Heerhaufen und der aufkommenden Feuermacht zunehmend an Bedeutung verloren, war aus militärisch-taktischer Sichtweise offensichtlich. Zunehmend wurde die verunsicherte Nobilität damit konfrontiert, wie man mit dieser Entwicklung – der militärische war nur einer ihrer Aspekte – umgehen sollte. Wenn der Adel in der Folge mehr und mehr auf andere Betätigungsfelder auswich, so unternahm er gleichzeitig immense Anstrengungen, um den eigenen Stand auf den Ebenen von Inszenierung, Repräsentation und Memoria zu überhöhen. Der Krise des europäischen Adels zum Trotz ging auch die ritterliche Kultur mit ihren Idealen, Zeichen, Symbolen, Zeremonien und Turnieren nicht unter. Sie erwies sich, nicht zuletzt durch die von ihr ausgehende Symbolkraft, als erstaunlich langlebig.

Beständigkeit und Wandel adeliger Mentalitäten ist das Leitmotiv der vorliegenden Studie, mit der sich der Frühneuzeithistoriker Martin Wrede 2009 habilitierte. Die Einleitung wird recht unspektakulär eröffnet – in Anbetracht des gewählten imposanten Titels, der sich an eine berühmte Devise anlehnt, würde man eigentlich einen Schwank aus dem abenteuerlichen Leben des heldenhaften Bayard, dem Ritter ohne Furcht und Tadel erwartet haben. Wrede beginnt aber mit einem unbekannten homo novus, dem Marquis Gaspard de Gueidan, einem Amtsträger der französischen Krone, der danach strebte, das von ihm konstituierte Haus Gueidan in den Reihen des alten Schwertadels zu etablieren. Der ehrgeizige Marquis bemühte alle Mittel der Repräsentation. Er ließ sich und seine Familienmitglieder mit ritterlichen Attributen porträtieren, verschaffte seinem Sohn die Aufnahme in den Malteserorden und erhob Anspruch auf eine genealogische Verbindung zu einer ausgestorbenen Grafenlinie. Diese Bemühungen waren von Erfolg gekrönt, tatsächlich wurden die Besitzungen des Parvenüs in den Rang eines königlichen Lehens erhoben. Die Ambitionen Gueidans spiegeln eine allgemeine, idealtypische Grundhaltung und Ausrichtung des europäischen Adels in der Frühen Neuzeit wider: „das Bemühen um die Ehre des Hauses und deren […] Repräsentation; die Fixierung auf die Vergangenheit und der durchaus kreative Umgang mit ihr“ sowie den „Willen zum Festhalten an adeliger Autonomie oder doch zumindest an deren chevaleresken Ausdrucksformen“ (S. 18).

Die Studie gliedert sich in zwei Teile: in „Erste Familien: Adelshäuser imaginieren sich selbst“, und „Letzte Ritter: vom sehr lang anhaltenden Aussterben einer Profession und einer Haltung“. Im ersten Teil werden in fünf Kapiteln ausgewählte französische (La Trémoille, Bouillon), burgundische (Croÿ) und deutsche (Arenberg, Nassau) hochadelige Häuser unter dem Gesichtspunkt der Selbstauffassung und Selbstdarstellung betrachtet. Untersucht wird, wie sich diese ersten Familien selbst imaginierten, etwa als ritterliche Helden, als Anhänger des wahren Glaubens, oder als königstreue Fürsten, und wie sie auf unterschiedliche Herausforderungen und Krisen reagierten – hier geht es um territoriale Selbstbehauptung und Autonomie gegenüber der Krone sowie Rivalitäten innerhalb des Hauses oder mit anderen Adelsfamilien.

Im zweiten Teil stehen die Plattformen des Adels sowohl auf der Ebene von Repräsentation als auch von Inszenierung durch das Rittertum und seine Zeremonien im Zentrum. Drei Kapitel gliedern diesen Abschnitt. Im ersten geht es um die Entstehung und Entwicklung weltlicher, höfischer Ritterorden, wobei die Frage aufgeworfen wird, welche Funktion die ritterliche Gemeinschaft in der Frühen Neuzeit erfüllte. Wrede benennt hierfür vor allem drei Aspekte: Erinnerungsgemeinschaft, Veranstaltungsgemeinschaft und Auszeichnungsgemeinschaft. Der erste meint das Gedenken an verstorbene Ordensbrüder und historische Ursprünge, aber mehr noch die Bewahrung der ritterlichen Idee. Der zweite bezeichnet die Zusammenkünfte zum gesellschaftlichen Zweck im Sinne eines sozialen Raumes für den Adel, den der Orden bot, während der dritte sich auf die Auszeichnung und Anerkennung des Adels als Mitglied des Ordens bezog. Eine weitere Funktion sieht Wrede in der Bedienung von Nostalgie. Nicht in Turnieren, sondern in den Ritterorden versuchte der Adel die Vergangenheit, die verlorenzugehen drohte, festzuhalten oder gar wiederzuerlangen.

Turniere bilden überdies das Thema des zweiten Kapitels, in welchem unter anderem Kontinuitäten und Wandel des Turniers vom ritterlichen Kampfspiel der Renaissance, über das carrousel und die Rossballette des 17. Jahrhunderts, bis hin zum Regenschirmturnier des 19. Jahrhunderts analysiert werden. Wrede nimmt hierbei den Gestaltwandel des frühneuzeitlichen Ritterturniers in den Blick. Aufbauend auf einem Vergleich zu den Vorläufern des Mittelalters und der Renaissance nach Analogien und Anachronismen wird danach gefragt, welche Aussagen damit über den Wandel adeliger Identität und Mentalität gezogen werden können. Das Turnier, so konstatiert Wrede, veraltete in der Frühen Neuzeit langsamer und nuancenreicher als angenommen. Drei Momente seien hierfür ausschlaggebend gewesen, die überdies die funktionalen Elemente, im Sinne eines militärischen Praxisbezugs, zurücktreten ließen: ein Prozess der Zivilisation bzw. des Raffinements, ein Prozess der Monarchisierung, der das Rittertum zunehmend auf den Monarchen konzentrierte und ein Prozess der Historisierung, der es einer als abgeschlossen betrachteten Vergangenheit zuwies. Schon für den Ritter an der Wende zur Neuzeit bedeutete dies im Wettbewerb um Ehre und Ehren höfisch zu werden, es genügte nicht mehr über ausschließlich militärische, sondern ebenso über zivilisatorische Qualitäten zu verfügen. „Im kulturellen Totalitarismus des absoluten Fürstenstaates“ hingegen war kein Platz „für den überkommenen heroisch-chevaleresken Individualismus des Adels“ (S. 370) vorgesehen, der zunehmend die Definitionshoheit über die Vergangenheit verlor.

Das dritte Kapitel schließlich setzt sich mit den Themen Adelskrise, Adelsreform und dem Verfall des Rittertums auseinander. Ausgehend vom Niedergang der Adelskultur im 18. Jahrhundert – ein Prozess, der, wie Wrede anmerkt, den Adel die gesamte Frühe Neuzeit hindurch begleitete – bestand die Krise im Besonderen darin, dass sie eine der Wahrnehmung war. Fürst und Hof, Bürger und Intellektuelle und der Adel selbst formulierten und postulierten höchst unterschiedliche Vorstellungen davon, was der Adel sein und was er tun sollte. Der zweite Stand verlor zunehmend an Konturen, nicht zuletzt, da eine seiner Leitideen nicht mehr tragfähig war – die Idee adeligen Rittertums.

Dass Adel als Stand von und in Erinnerung lebt, Adel sich per definitionem über die Vergangenheit konstituiert, wurde, wie der Autor abschließend einräumt, bereits in früheren Arbeiten dargelegt. Doch diese Studie setzt andere Parameter: die Bedeutung des adeligen Hauses, die Idee des Rittertums als eines übergreifenden Lebens- und Handlungsideals sowie das Verhältnis zum Fürsten. Angelegt auf eine Perspektive der longue durée vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert legt Wrede nicht weniger als eine Bestandsaufnahme der Mentalität des europäischen Adels der Frühen Neuzeit vor – und dies in einer in sich stimmigen und stringenten Weise. Seine Untersuchung stellt damit nach meinem Dafürhalten gegenwärtig eine der ergiebigsten Adelsstudien zur Frühen Neuzeit dar.

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