F. Nicosia: Zionismus und Antisemitismus im Dritten Reich

Titel
Zionismus und Antisemitismus im Dritten Reich.


Autor(en)
Nicosia, Francis R.
Reihe
Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden 40
Erschienen
Göttingen 2012: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Fabian Weber, Ludwig-Maximilians-Universität München

Theodor Herzl und andere auf ihn folgende zionistische Führungspersönlichkeiten nahmen an, dass ein souveräner Judenstaat das immer stärker grassierende Problem des Antisemitismus letzten Endes neutralisieren würde. Ebenso waren sich Nichtjuden, Liberale wie Antisemiten und eine Zeitlang sogar das NS-Regime, häufig darin einig, dass der Zionismus ein nützliches Instrument zur Lösung ihres „jüdischen Problems“ darstellte. Das umstrittene Verhältnis von Zionismus und Antisemitismus ist Gegenstand einer Studie des Historikers Francis Nicosia. Dabei stellt er zunächst fest, dass in einer Tradition der völkischen Publizistik der Zionismus als eine Möglichkeit, die Judenemanzipation rückgängig zu machen, teilweise begrüßt und befürwortet wurde. Bei antisemitischen Vordenkern wie Paul de Lagarde und Wilhelm Marr überwog freilich die Sehnsucht nach Entfernung der Juden aus der deutschen Gesellschaft, als dass sie sich mit dem Streben nach jüdischer Souveränität und Selbstbehauptung identifiziert hätten. Viele Antisemiten standen der Idee eines jüdischen Staates skeptisch gegenüber, der schon früh als Projektionsfläche antisemitischen Verschwörungswahns diente. Spätestens mit dem stark von den „Protokollen der Weisen von Zion“ beeinflussten Alfred Rosenberg wurde der Zionismus Teil antisemitischer Obsession und Gegenstand zahlreicher Bücher und Artikel. „Der staatsfeindliche Zionismus“ erschien 1922 und von 1924 an bis in die 1940er-Jahre hinein wurde in seiner Weltkampf-Zeitung antisemitische und antizionistische Agitation betrieben.1 Rosenberg betrachtete „alle Juden als Zionisten und Zionisten als Stellvertreter des gesamten Judentums“ (S. 99). Zugleich betonte er die Nützlichkeit des Zionismus, da sich der völkische Charakter des Judentums in ihm offenbare und somit die jüdische Assimilation revidiere.

Hitler bezog seinen Standpunkt bezüglich des Zionismus vermutlich ebenfalls von Rosenberg, war jedoch weit weniger davon besessen als dieser. Dennoch entwickelte sich die Vorstellung vom Zionismus als Agent einer jüdischen Weltverschwörung früh zu einem Eckpfeiler der NS-Ideologie. In seiner programmatischen Rede „Warum sind wir Antisemiten?“ vom 13. August 1920 entwickelte er seine Vorstellungen eines völkischen Staats in Abgrenzung zum zionistischen Staatsversuch in Palästina.2 „Der ganze Zionistenstaat soll nichts werden als die letzte vollendete Hochschule ihrer internationalen Lumpereien, und von dort aus soll alles dirigiert werden.“3 Hitler hob die Kennzeichnung des völkischen Charakters der Juden durch den Zionismus hervor. Keineswegs anerkennend wurde dies festgestellt, sondern daraus nur eine weitere Anklage formuliert: mit einer angestrebten „doppelten Staatsbürgerschaft“ würden sich die Juden ein weiteres Instrument zum Ausbau ihrer verbrecherischen Tätigkeiten schaffen. Zugleich könne man den Juden durch das zionistische Bekenntnis als eigenes Volk nun endlich ihre Staatsbürgerrechte verweigern. Durch die Annahme, Juden seien unfähig, einen eigenen Staat zu gründen und zu führen, wird deutlich, dass die Nationalsozialisten schon lange vor der Machtergreifung die Juden als monolithisches Feindbild wahrnahmen, das nicht in gute und schlechte Juden unterteilt werden konnte. Um Juden aus Deutschland zu befördern, könne sich der Zionismus aber durchaus als nützlich erweisen, seine Anhänger als brauchbare Juden.

Nicosia erforscht die politische Zusammenarbeit von Zionisten mit dem Regime, geht dabei leider nur am Rande auf ideologische Beweggründe ein. Das Verhältnis von antisemitischer Theorie und politischer Praxis hätte für die Zeit des Nationalsozialismus generell mehr Beachtung finden müssen. Nicosia zeigt aber in einer klaren und sachlichen Analyse, „dass unter Nationalsozialisten ein Konsens über die Nützlichkeit des Zionismus und die Notwendigkeit, ihn aus ideologischen Gründen zurückzuweisen, bestand“ (S. 101), womit er klarstellt, dass ihm eine moralische Gleichsetzung beider Parteien fern liegt. Ein Hinweis, der nicht deutlich genug betont werden kann, angesichts der widerrechtlichen Übersetzung von Nicosias früherem Buch „The Third Reich and the Palestine Question“ durch den rechtsradikalen Druffel-Verlag4, der dabei eine solche politische Intention – Verurteilung des Zionismus durch die ideologische und moralische Gleichstellung mit dem Nationalsozialismus – verfolgte. „Dieses Buch beleuchtet das Verhältnis des völkischen deutschen Nationalismus und Antisemitismus und ihren politischen Bewegungen zum Zionismus, einer völkischen nationalistischen Ideologie und Bewegung, die mit dem deutschen Nationalismus durchaus einige Ansichten über Staatsangehörigkeit und Staatsleben sowie die Definition und Organisation von Völkern und Staaten in der modernen Welt teilte.“ (S. 10)

Manche Sätze Nicosias scheinen einer solchen Intention tatsächlich zuzuarbeiten. Doch gerade seine nüchterne Darstellung als Wissenschaftler bedeutet den Erkenntnisgewinn dieses Buches. Sein Verdienst liegt in der wertfreien Untersuchung, wie der deutsche Nationalismus und der Zionismus angesichts der Judenfrage in Deutschland aufeinander reagierten. Das Zitat betont zudem das Phänomen des Zionismus als Reaktion auf eine antisemitische Umwelt, der sich dabei aber durchaus auch nationalistische Denkmuster seiner Zeit aneignete. Der Zionismus ist eine Antwort auf den Antisemitismus, nicht dessen Verlängerung in sich selbst. Die irrige Annahme, Antisemiten und Zionisten müssten zwangsläufig dieselben politischen Ziele verfolgen, verkennt die Tatsache, dass deutsche Zionisten bis in die 1930er-Jahre hinein selbst assimiliert lebten und Aliyah als Handlungsoption vor allem für osteuropäische Juden vertraten. Sie sahen in der Assimilation zwar keine langfristige Zukunft, was aber nicht gleichbedeutend damit war, dass sie ihre Existenz in der Diaspora unmittelbar zu beenden suchten.

Zugleich ist auch in der NS-Politik bezüglich der Auswanderungs- und Palästinafrage keine einheitliche Linie zu erkennen. Nicosia beleuchtet ausführlich und mit akribischer Quellenkenntnis die Beziehungen zwischen Zionisten und NS-Institutionen in der Hauptphase von 1933 bis 1938. Am bekanntesten ist das seit August 1933 zur Emigrationsförderung eingerichtete Haavara-Verfahren, mit dem Juden aus Deutschland nach Palästina auswandern und einen Teil ihres Vermögens retten konnten. Die Befürwortung eines solchen Abkommens von zionistischer Seite leuchtet ein: man hatte kaum eine andere Wahl. Außerdem wollte man, soweit es die neuen politischen Zustände zuließen, weiterhin seine Ziele verfolgen. Die von der SS geduldeten Umschulungsprogramme deutscher Juden zur Agrararbeit sollten sich in Palästina als nützlich erweisen, ebenso die Rettung zumindest eines Teils ihres Vermögens. Nicht zuletzt muss die Rettung zahlreicher Juden erwähnt werden, die durch die Auswanderung dem Zugriff der Nationalsozialisten entkommen konnten. In der Zeit von 1933 bis 1939 konnten etwa 50.000 deutsche Juden das Land in Richtung Palästina verlassen.

Doch welche Intention verfolgte die antisemitische Gegenseite mit einem solchen Abkommen? Finanzielle Bereicherung und der naheliegende antisemitische Impuls, die Juden nur möglichst bald zu entfernen, sind offensichtlich. Doch wenn dem Zionismus, zumindest bei den Verantwortlichen der nationalsozialistischen Ideologieproduktion, solche Zerstörungsgewalt – etwa als angeblicher Verursacher des Ersten Weltkrieges, der als eingebildete zentrale Verschwörungsinstanz nunmehr im Begriff stehe zu einem „Vatikan des Weltjudentums“ aufzusteigen – zugeschrieben wurde, wieso gab man dieser Bewegung dann zumindest indirekt Unterstützung in Form eines solchen Abkommens? Dass die ideologische Komponente, die bei prominenten Protagonisten der NS-Politik als klar antizionistisch ausgereift bezeichnet werden muss, nicht zu vernachlässigen ist, zeigen die besorgten Reaktionen nationalsozialistischer Funktionsträger, als 1937 die Ergebnisse der Peel-Kommission die Realisierung eines Judenstaats als unmittelbar bevorstehend nahelegten. Das Abkommen wurde schließlich bis Kriegsbeginn beibehalten, doch Nicosia zeigt, dass der Palästina-Transfer von Beginn an auch in Nazireihen nicht unumstritten war. Letztlich war die Juden aus Deutschland zu entfernen bis 1939 die favorisierte Lösung, die Frage ihres zukünftigen Aufenthaltsortes dabei nachrangig. Bei der sich stetig radikalisierenden „Judenfrage“ eröffneten sich mit Beginn des Weltkrieges neue Optionen – und Probleme. Die Verfügungsgewalt der Nazis über Juden stieg mit der Eroberung Osteuropas drastisch an und der Zionismus als Lösungsperspektive wurde unbedeutend. Die instrumentelle Kooperation mit dem Zionismus hatte ausgedient. Die Stärke von Nicosias Buch liegt darin, die Perspektiven aufgezeigt zu haben, in denen sich Palästina-Frage, NS-Herrschaft, Antisemitismus und Zionismus verbinden. Zudem führt das Buch der Forschung die Bedeutsamkeit der Frage nach dem konkreten Zusammenhang von NS-Ideologie und Praxis erneut vor Augen, nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Widersprüchlichkeiten in der antisemitischen Ideologie.

Anmerkungen:
1 Alfred Rosenberg, Der Staatsfeindliche Zionismus, Hamburg 1922.
2 Reginald Phelps, Hitlers „grundlegende“ Rede über den Antisemitismus, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 16 (1968), S. 390–420.
3 Phelps, Rede, S. 406.
4 Francis F. Nicosia, Hitler und der Zionismus, Das Dritte Reich und die Palästina-Frage 1933–1939, Leoni am Starnberger See 1989.

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