T. Kaiser u.a. (Hrsg.): Politische Verfolgung an der Universität Jena

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Titel
Politische Verfolgung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena von 1945 bis 1989. Wissenschaftliche Studien und persönliche Reflexionen zur Vergangenheitsklärung


Herausgeber
Kaiser, Tobias; Mestrup, Heinz
Erschienen
Berlin 2012: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
460 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anita Krätzner, Abteilung Bildung und Forschung, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU)

Als die Friedrich-Schiller-Universität Jena im Jahr 2008 ihr 450-jähriges Jubiläum feierte, ging dies einher mit einer Vielzahl von Publikationen und Veranstaltungen, die sich auch der Geschichte der „alma mater jenensis“ während der DDR-Zeit widmeten. Dass dies keineswegs selbstverständlich ist, wissen wir durch vergleichbare, bereits abgeschlossene Feierlichkeiten an anderen Hochschulen und Universitäten in Ostdeutschland. Beachtlichstes Resultat war der zweibändige Sammelband „Hochschule im Sozialismus“1, der wissenschaftliche Aufsätze zur Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität zwischen 1945 bis 1989 vereinte.

Nun ist ein weiterer Sammelband erschienen, der aus der Tagung „Politische Verfolgung an der Universität Jena von 1945 bis 1989“ hervorgegangen ist, die am 28. und 29. November 2008 in Jena stattgefunden hat. Wie der Untertitel – „wissenschaftliche Studien und persönliche Reflexionen zur Vergangenheitsklärung“ – andeutet, handelt es sich hierbei um ein Werk, das sowohl subjektiv geprägte Erfahrungsberichte als auch wissenschaftliche Aufsätze zusammenführt. Die Sicht der Zeitzeugen floss zwar auch in verschiedene Aufsätze des Bandes „Hochschule im Sozialismus“ ein. Doch in dem hier vorzustellenden, von Tobias Kaiser und Heinz Mestrup herausgegebenen Band nehmen sie eine herausgehobene Stellung ein. Anders auch als in dem bereits veröffentlichten Zeitzeugenband „Universitätserfahrung Ost“2 stehen hier weniger ehemalige Professoren im Mittelpunkt, sondern vor allem Studenten, die von politischer Repression betroffen waren.

Die ersten 160 Seiten sind jedoch der ausführlichen Darstellung des beachtlichen Forschungsstandes zur Jenenser Universität gewidmet. Daneben enthält dieser erste Teil Abhandlungen zur Universitäts- und Hochschulgeschichte der SBZ/DDR, die auch Bezug zu anderen Standorten nehmen. Besondere Aufmerksamkeit erhält die Frage nach Opposition und Widerstand an den Universitäten. Tobias Kaiser und Heinz Mestrup geben einen Überblick über die bisherigen Forschungen und skizzieren die unterschiedlichen Phasen der Jenenser Hochschulgeschichte von 1945 bis 1989. Sie formulieren offene Fragen und umreißen zukünftige Schwerpunkte der Forschung, bieten aber keine Definition für die Begriffe „Opposition“ und „Widerstand“, die im vorliegenden Band vor allem in Bezug auf das studentische Milieu so häufig verwendet werden.

Die wissenschaftlichen Aufsätze sind standortübergreifend angelegt. Rainer Eckert mahnt eine verstärkte Auseinandersetzung der ostdeutschen Hochschulen mit ihrer DDR-Geschichte an, im Besonderen mit ihrer Geschichte von Opposition und Widerstand. Genaue Desiderate nennt er allerdings selten; zudem übersieht er einschlägige Projekte in Rostock, Jena, Leipzig und Freiberg, die das Ziel verfolgten, auch Studenten an die Erforschung der Geschichte ihrer Hochschulen in der DDR heranzuführen. An diesen Universitäten sind einige Abschlussarbeiten und Dissertationen zur Universitätsgeschichte entstanden, die vor allem aus der akademischen Lehre hervorgingen.3 Jens Blecher vom Universitätsarchiv Leipzig weist auf Aktivitäten der Universität Leipzig im Rahmen ihres 600-jährigen Jubiläums im Jahr 2009 hin. Sein Anliegen ist es, gemeinsam mit den Universitäten Halle, Jena und Leipzig ein ambitioniertes Datenbankprojekt zu initiieren, in dem alle studentischen Widerstandsaktionen und die resultierenden Repressionen erfasst werden sollen.

Steffen Reichert und Wolfgang Lambrecht knüpfen in ihren Beiträgen an ihre Dissertationen an.4 Reichert untersucht, wie die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zwischen 1968 und 1989 durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) überwacht wurde und legt seine Ergebnisse kurz und verständlich formuliert dar. Ein echtes Desiderat bleibt jedoch, das Wirken der Sicherheitsorgane an den Universitäten und Hochschulen im Zusammenspiel mit den SED- und den Universitätsleitungen zu untersuchen. Neben der Durchdringung müssten auch das Scheitern von Anwerbungen und typische Denunziationen systematisch analysiert werden; auch Vergleiche zwischen dem Anpassungswillen Studierender verschiedener Fächergruppen wären aufschlussreich.

Wolfgang Lambrecht stützt seinen Beitrag auf seine Studie über die 3. Hochschulreform an der Technischen Hochschule (TH) Karl-Marx-Stadt. Er skizziert die Gründung der Hochschule und analysiert deren Zusammensetzung. Zudem verweist er auf die katholischen und evangelischen Studentengemeinden während der DDR-Zeit. Er deutet oppositionelles und widerständiges Verhalten von Studenten an der TH an, detaillierte Forschungen zu diesem Themenfeld unterblieben jedoch bisher. Lambrecht vermutet aber, dass in Karl-Marx-Stadt aufgrund der schwachen bürgerlichen Traditionen und der eher systemtragenden Zusammensetzung von Studentenschaft und Lehrkörper ein geringes widerständiges Potential bestanden habe.

Der zweite Teil des Sammelbandes wird dominiert durch Zeitzeugenberichte bzw. Schilderungen konkreter politischer Repressionen. Es handelt sich um schriftliche Berichte und nicht um Interviews, wie sie in „Universitätserfahrung Ost“ abgedruckt wurden.5 Dadurch sind sie sehr gut lesbar, ohne an Authentizität einzubüßen. Die Beiträge sind nach unterschiedlichen Jahrzehnten (Nachkriegszeit, 1950er-Jahre, 1960 bis 1989) geordnet und auch in diesen Abschnitten finden sich wissenschaftliche Beiträge. Diese können durchaus ein hilfreicher Zusatz sein; so zum Beispiel die Abhandlung von Susanne Wildner über die Disziplinarverfahren gegen Studierende in den 1950er-Jahren, die ausführlich auch Disziplinarordnungen und Verwaltungsvorschriften der Universitäten heranzieht. Die Erlebnisberichte beziehen sich überwiegend auf die frühen Nachkriegsjahre und die 1950er-Jahre, während nur recht wenige Darstellungen die 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahre behandeln. Das ist zum einen durch die Repressionspraxis der DDR im Allgemeinen, aber auch durch die Situation an der Friedrich-Schiller-Universität im Speziellen begründet, gab es doch in den späten 1940er- und frühen 1950er-Jahren sehr viel mehr Fälle von politisch motivierter Restriktion als in den späteren Jahren.

Einige der hier geschilderten Schicksale, wie die von Peter Herrmann und Werner Nöckel, sind durch einschlägige Publikationen bereits bekannt.6 Weitgehend unbekannt dürfte demgegenüber der Fall von Günter Jaehne sein, der Kontakte zur West-Berliner Studentenzeitschrift „Colloquium“ gehabt hatte und nur durch eine spontane Flucht in den Westen einer Verhaftung durch das MfS entkam. In allen Zeitzeugenberichten heben die Autoren hervor, dass die erlittene Repression einen Einschnitt in ihren Leben bedeutete. Wolfgang Möhring, der während der Fertigstellung des Bandes überraschend verstarb und dem deshalb im Band ein Nachruf gewidmet wurde, zeigt in seiner Darstellung vor allem seine Motivationen auf, sich politisch bei der LDP und im Studentenrat zu engagieren, was dazu führte, dass der NKWD auf ihn aufmerksam wurde. Genauso verweist Eberhard Klitzsch vor allem auf die ideelle Überzeugung, die ihn und seine Mitstreiter zu den Widerstandsaktionen wie das Drucken von Flugblättern angetrieben hatte. Andere Zeitzeugen stellen vor allem die Gründe für die politische Verfolgung und die daraus resultierenden (auch langfristigen) Folgen dar. Dazu gehören die eindringliche Beschreibung der Haftzeit von Norbert Sommer, der wegen der Bildung einer Widerstandsgruppe in die Fänge der Staatsmacht geriet.

Der Sammelband ist eine gelungene Ergänzung der bisherigen Forschungen zur Jenenser Universitätsgeschichte; vor allem, weil hier größtenteils eindringlich die persönlichen Schicksale von Repressionen betroffener Studenten geschildert werden. Durch die Anreicherung mit wissenschaftlichen Abhandlungen ist dieses Werk auch für den Laien gut lesbar, da der Leser auch ohne Vorkenntnisse alle Beispiele nachvollziehen kann und bei Bedarf Hinweise zur weiteren Lektüre erhält.

Anmerkungen:
1 Uwe Hoßfeld / Tobias Kaiser / Heinz Mestrup (Hrsg.), Hochschule im Sozialismus. Studien zur Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1945–1990), 2 Bände, Köln 2007.
2 Matthias Steinbach / Michael Ploenus (Hrsg.), Universitätserfahrung Ost. DDR-Hochschullehrer im Gespräch, Jena 2005.
3 Beispiele dafür sind das Graduiertenkolleg der Technischen Universität Bergakademie Freiberg zur Erforschung ihrer Geschichte, die Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte oder die Aufsätze von Doktoranden und Examenskandidaten im Sammelband der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Zu Jena: Hoßfeld / Kaiser / Mestrup (Hrsg), Hochschule im Sozialismus.
4 Steffen Reichert, Unter Kontrolle. Die Martin-Luther-Universität und das Ministerium für Staatssicherheit 1968–1989, 2 Bände, Halle (Saale) 2007; Wolfgang Lambrecht, Wissenschaftspolitik zwischen Ideologie und Pragmatismus. Die III. Hochschulreform (1965–1971) am Beispiel der TH Karl-Marx-Stadt, Münster 2007.
5 Steinbach / Ploenus (Hrsg.), Universitätserfahrung Ost.
6 Patrik von zur Mühlen, Der Eisenberger Kreis. Jugendopposition und Verfolgung in der DDR 1953–1958, Bonn 1995; Werner Fritsch / Werner Nöckel, Vergebliche Hoffnung auf einen politischen Frühling. Opposition und Repression an der Universität Jena 1956–1968. Eine Dokumentation, Berlin 2006.

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