U. Rosseaux u.a. (Hrsg.): Konfession und Konflikt

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Titel
Konfession und Konflikt. Religiöse Pluralisierung in Sachsen im 18. und 19. Jahrhundert


Herausgeber
Rosseaux, Ulrich; Poppe, Gerhard
Erschienen
Münster 2012: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
343 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lothar Vogel, Facoltà valdese di teologia, Roma

Der vorzustellende Sammelband enthält die Beiträge einer Tagung, die im März 2010 im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 804 „Transzendenz und Gemeinsinn“ in Dresden organisiert worden ist. Ziel war es, das Aufbrechen der konfessionellen Homogenität in Kursachsen im 18. und frühen 19. Jahrhundert zu beschreiben und damit einen „konfessionellen Pluralisierungsprozess“ (S. 13) zu erhellen, der nicht zuletzt aufgrund der Konversion des Kurfürsten Friedrich August I. zum Katholizismus im Jahre 1697 (vor seiner Erhebung zum König von Polen) paradigmatische Bedeutung besitzt. Insgesamt zeichnet sich die daraus hervorgegangene Veröffentlichung dadurch aus, dass die religionspolitische Normsetzung und die in der Bevölkerung anzutreffenden Haltungen gegenüber religiös abweichenden Positionen differenziert gewichtet und in Beziehung zueinander gesetzt werden.

Einleitend umreißt Gerd Schwerhoff die historiographische Verortung der Fragestellung zwischen den Großthemen der „Konfessionalisierung“ und der „Aufklärung“. Er verweist auf die Gleichzeitigkeit von rechtlich fixierter Toleranz im Alten Reich und gewaltsamen religiösen Konflikten wie den Dresdner Unruhen von 1726, die durch die Ermordung eines evangelischen Geistlichen durch einen katholischen Konvertiten ausgelöst worden waren. Der kursächsischen Religionspolitik widmet sich ein Beitrag von Dagmar Freist, die unter Berufung auf die Untersuchung von Alexander Schunka1 das Vorhandensein kleiner religiöser Minderheiten schon im 17. Jahrhundert konstatiert. Das Beharren der Landstände auf dem lutherischen Charakter des Territoriums nach 1697 ist durch Stellungnahmen präformiert, in denen der Landesherr schon vor diesem Datum zur Bewahrung des überkommenen Religionsstandes aufgefordert wurde. Es existierte eine „gefühlte Präsenz religiöser Minderheiten“ (S. 44), die nicht unbedingt mit deren wahrem Gewicht übereinstimmte, die Frage der Toleranz aber zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion und der Politik werden ließ. Was den römischen Katholizismus betraf, so wurde die seit 1739 errichtete Hofkirche zum Symbol und zugleich zur „Verhüllung“ (S. 46) seiner Präsenz. Das Hauptproblemfeld stellte jedoch die Mischehenfrage und die mit ihr verbundene Problematik der elterlichen Vollmacht religiöser Erziehung dar.

Den Unruhen von 1726 samt ihren publizistischen und politischen Auswirkungen widmet sich der Artikel von Mathis Leibetseder. Dem verfassungsrechtlichen Sonderfall der Oberlausitz, in der sich mehrere katholische geistliche Landstände behauptet hatten, wendet sich der Beitrag von Lutz Bannert zu. Die starke Position der Landstände in religionspolitischen Fragen stellte einen wichtigen Faktor bei der Etablierung der Brüdergemeine auf dem Gut des Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf dar, die trotz ihrer Anerkennung des Augsburger Bekenntnisses als dissentierendes Element wahrgenommen wurde. Abgeschlossen wird der erste, der Religionspolitik des 18. Jahrhunderts gewidmete Teil des Buchs durch eine inhaltlich von den anderen Beiträgen abgesetzte Untersuchung Stefan Dornheims zur Eigengeschichtsschreibung der sächsischen Pfarrerschaft.

Der zweite Teil des Sammelbandes befasst sich mit kulturgeschichtlichen Fragen. Gerhard Poppe analysiert das gottesdienstliche Leben der (katholischen) Hofkirche; Kornél Magvas stellt zwei Hofmusiker, den Katholiken Franz Benda und den Protestanten Johann Gottlieb Naumann, vor; Ulrich Rosseaux beschreibt das architektonische Neben- und Gegeneinander der Hofkirche und der von der lutherischen Bürgerschaft errichteten Frauenkirche.

Anschließend bietet der dritte Teil Materialien zum Vergleich zwischen Kursachsen und anderen Territorien. Frank Metasch beschreibt die religionspolitische Situation im Herzogtum Schlesien, das – ähnlich wie die Oberlausitz, aber unter katholischer Herrschaft – bis Mitte des 17. Jahrhunderts keine konfessionelle Vereinheitlichung erlebte. Auf schwedischen Druck hin konnten die Lutheraner auch im 18. Jahrhundert das Recht auf private Religionsausübung und den öffentlichen Kultus in drei „Friedenskirchen“ bewahren – ein Sonderfall im österreichisch-böhmischen Herrschaftsverband. Klaus Wolff stellt religiöse Konvivenz und Konflikte in verschiedenen Reichsstädten am Ende des 18. Jahrhunderts dar. Interessant ist seine Beobachtung, dass das Drängen der Herrschaftsträger auf religiöse Uniformität kein Zeichen von Stärke ist. Vielmehr fiel es gerade fest etablierten Obrigkeiten leichter, eine Pluralität zulassen, die meist durch (ökonomisch vorteilhafte) Migrationsbewegungen bedingt war. Alois Schmid schließlich widmet sich der Religionspolitik des Herzogtums Bayern, die er als Paradigma der katholischen Konfessionalisierung im Dienste obrigkeitlicher Machtkonzentration darstellt. Durch die Zurückdrängung der Autorität der kirchlichen Hierarchien und die Propagierung von Landesheiligen hatte diese Politik durchaus landesspezifischen Charakter.

Der vierte und letzte Abschnitt des Bandes behandelt das 19. Jahrhundert. In Abgrenzung von Olaf Blaschkes These einer „zweiten Konfessionalisierung“ in nachnapoleonischer Zeit2 akzentuiert Winfried Müller einleitend die konfessionellen und mentalen Kontinuitäten, welche über die geistes-, und politik- und verfassungsgeschichtlichen Einschnitte der Aufklärung und der Napoleonzeit hinweg das 18. und das 19. Jahrhundert miteinander verbinden. Anschließend plädiert Josef Mazerath dafür, die religionspolitische Bedeutung der Fürstenhöfe im 19. Jahrhundert stärker als bisher üblich ins Blickfeld zu rücken. Stefan Gerber analysiert die vor allem von theologisch-liberalen und deutschkatholischen Kreisen gepflegte antijesuitische Polemik und hebt dabei bei Bedeutung von weitgefassten Verschwörungstheorien hervor. Der Beitrag wirft die Frage auf, welcher Zusammenhang zwischen dem Antijesuitismus und der Ausbreitung der Idee von der jüdischen Weltverschwörung besteht – eine Frage, die sich der Autor jedoch nicht stellt. Wolfgang Flügel verfolgt die verfassungsrechtliche und gesellschaftliche Konsolidierung der römisch-katholischen Kirche in Sachsen nach 1806. An diesem Text erstaunt einleitend eine apologetisch klingende Bestreitung des neuzeitlichen Säkularisierungsprozesses; der Verfasser selbst konzediert jedoch eine fortschreitende „Entkirchlichung“ (S. 277) und spricht für das 19. Jahrhundert von Bemühungen der Lutheraner und Katholiken um eine „Rechristianisierung“ der Bevölkerung (S. 279). Hinzu kommt eine begriffliche Unschärfe: die römische „Glaubenskongregation“ (S. 287, Anm. 69) hieß im 19. Jahrhundert noch „Inquisition“. Interessant ist aber, dass auch hier seitens des Luthertums ein tief verwurzeltes Gefühl des Bedrohtseins durch den Katholizismus konstatiert wird. Das Bewusstsein, durch die religiös Anderen gefährdet zu werden, stellt damit im gesamten behandelten Zeitraum ein Element der Kontinuität dar. Paradigmatisch dafür sind die Reaktionen, die im Jahre 1825 der Aushang des Dresdner apostolischen Vikars zum Heiligen Jahr auslöste, in dem die Lutheraner als Häretiker bezeichnet waren.

Silke Marburg untersucht den Einfluss des Priesters und Philosophen Bernard Bolzano auf den sächsischen König Johann, dessen Reputation durch öffentliches Eingreifen in laufende Diskussionen in der Vormärzzeit beschädigt wurde. Schließlich untersucht Swen Steinberg das Gemeinsinn-Verständnis der sächsischen Industrie, indem er religiöse Konnotationen einiger Firmenjubiläen und der Selbstaussagen des Unternehmers Albert Niethammer darstellt – ein vielversprechender und weiter zu verfolgender Ansatz.

Die Grenzen dieses Bandes liegen darin, dass zwei wichtige Faktoren nur am Rande in den Blick kommen. Dies ist zum einen die Aufklärung samt ihren doch unleugbaren gesellschaftlichen Auswirkungen und zum andern der Pietismus. Man bedenke, dass Philipp Jakob Spener von 1686–1691 in Dresden Hofprediger war und der Graf Zinzendorf als einer der Hauptvertreter der Bewegung zu betrachten ist. Zusammenfassend kann jedoch festgehalten werden, dass dieser Sammelband ein gut strukturiertes, fundiertes und vielfältiges Bild von der religiösen Pluralisierung Sachsens entstehen lässt.

Anmerkungen:
1 Alexander Schunka, Gäste, die bleiben. Zuwanderer in Kursachsen und der Oberlausitz im 17. und frühen 18. Jahrhundert (= Plualisierung & Autorität 7), Münster 2006.
2 Olaf Blaschke, Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970: ein zweites konfessionelles Zeitalter, Göttingen 2002.

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