B. Griffin: The Politics of Gender in Victorian Britain

Titel
The Politics of Gender in Victorian Britain. Masculinity, Political Culture and the Struggle for Women’s Right


Autor(en)
Griffin, Ben
Erschienen
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
£60.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jutta Schwarzkopf, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Universität Bielefeld

Die britische Frauenbewegung ist mittlerweile unter vielfältigen Gesichtspunkten erforscht, allerdings bisher ohne eine systematische Untersuchung des Einflusses von Männern. Zwar haben zahlreiche Biographien über führende Aktivistinnen die wichtige Unterstützung durch männliche Verwandte offengelegt, doch die Untersuchung zeitgenössischer Männer beschränkt sich bislang auf ihre Funktion als ideologische oder als organisierte Förderer der Bewegung.1

Eine größere Gruppe von Männern mit eminenter Bedeutung für den Verlauf der Frauenbewegung nimmt Ben Griffin in seiner Untersuchung über die Einstellung britischer Abgeordneter zu den Forderungen der Frauen in den Blick. Er fragt dabei vorrangig nach den Gründen für die geradezu revolutionäre Abschaffung rechtlicher und politischer Privilegien von Männern in wenig mehr als dreißig Jahren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Antwort sucht Griffin in einer detaillierten Analyse der Prägung der entsprechenden Gesetzesreformen durch die Geschlechtsidentitäten der Politiker. Damit ergänzt er eine frauengeschichtliche Perspektive auf den Feminismus um eine männergeschichtliche Sichtweise, der zufolge Feminismus immer auch mit der Beschreibung, Erklärung und Veränderung des Verhaltens von Männern befasst ist. Zudem werde die viktorianische Debatte über Frauenrechte nur über ihre Einbettung in den ideengeschichtlichen Kontext verständlich, der konstitutionelle, religiöse und rechtliche Aspekte umfasse. Entsprechend beruht das Buch auf einer Analyse von Rechtstexten, richterlichen Entscheidungen, politischen Reden und religiöser Literatur.

Da Griffin anders als die bisherige Forschung die verschiedenen Kampagnen der Frauenbewegung nicht isoliert voneinander betrachtet, bildet der Befund, dass die übliche Zweiteilung der Abgeordneten in Unterstützer und Gegner der Frauenbewegung das vielfach variierende Abstimmungsverhalten der Parlamentarier und vor allem dessen Veränderung im Laufe der Zeit nicht angemessen zu fassen vermag, den Ausgangspunkt der Analyse. Griffin zeigt, dass die Abgeordneten ein ganzes Spektrum an Reformbereitschaft vertraten, die sie mit der Bewahrung eines Mindestmaßes an männlicher Autorität für vereinbar hielten. Ebenso versagt die bislang gängige Erklärung, die Abgeordneten seien Vertreter einer strikten geschlechtsbezogenen Sphärentrennung gewesen. Bei vielen Gesetzesvorlagen ging es nämlich um eine Veränderung der Machtverhältnisse zugunsten von verheirateten Frauen in der Privatsphäre, etwa beim Wahlrecht, beim Recht auf Eigentum und beim Sorgerecht für Kinder. Als überzeugende Erklärung für Reformen zieht Griffin das Verständnis der Abgeordneten von Männlichkeit heran, das er in den widerstreitenden Vorstellungen von Ehe, Vaterschaft und häuslicher Autorität in den Debatten um Frauenrechte aufspürt.

Im Gegensatz zur verbreiteten Betonung der Kontinuität ‚antifeministischen‘ Gedankenguts zwischen etwa 1850 und 1914 zeigt Griffin den grundlegenden Wandel patriarchalischer Ideen in diesem Zeitraum. Der Zusammenbruch der viktorianischen Ideologie der Häuslichkeit war ihm zufolge in den ihr inhärenten Widersprüchen angelegt. Zentral war die durch Rekurs auf die Bibel gestützte Vorstellung der Vereinbarkeit von Harmonie mit männlicher Autorität in der Familie. Dieser Vorstellung lagen zwei Annahmen zugrunde: Männer nutzen ihre häusliche Autorität immer weise und eine Ehefrau unterwirft sich gern den Wünschen ihres Ehemannes. Beide Annahmen gerieten durch die Frauenbewegung sowie durch die sich entwickelnde Massenpresse zunehmend unter Druck, die eine Vielzahl von Beispielen männlichen Machtmissbrauchs, vor allem in Form häuslicher physischer wie auch psychischer Gewalt, aufdeckten. Zudem unterminierte das historisch-kritische Bibelverständnis die religiöse Fundierung des Patriarchats. Zwar bleibt dieser Begriff undefiniert, doch legt seine Verwendung nahe, dass Griffin ihn im wörtlichen Sinne als Vorherrschaft des Mannes und Vaters in der Familie versteht. Anstelle der Aufrechterhaltung der hierarchisch strukturierten Familie suchten die Parlamentarier nun den Kompromiss zwischen den Interessen und Bedürfnissen von Mann und Frau. Anfangs war männlicher Machtmissbrauch allein bei den Armen verortet worden. Sie galten daher als legitime Zielgruppe gesetzlicher Maßnahmen für die Verbesserung der Rechtsstellung von Ehefrauen. Dieses Vorgehen entsprach der sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts ausprägenden Version des Liberalismus, der zufolge die Reformierung der öffentlichen Moral durch Gesetzgebung möglich und notwendig sei. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch war die Glaubwürdigkeit des Tugendanspruchs bürgerlicher oder adeliger Männer nahezu völlig unterminiert, denn in den Debatten um die gesetzliche Regulierung weiblichen Sexualverhaltens war ihre Rolle als Freier sowie als Verführer Minderjähriger häufig thematisiert worden.

Zur Erhellung des verfassungstheoretischen Kontextes der Debatte um Frauenrechte untersucht Griffin die Veränderungen in Liberalismus wie Konservatismus im Zuge des Übergangs Großbritanniens zur Demokratie im ausgehenden 19. Jahrhundert. Mit der Akzeptanz wesentlicher demokratischer Verfassungsdoktrinen durch die beiden Parteien, die sich in der Ausdehnung des Wahlrechts durch die Reformen von 1867 und 1884 manifestierte, erschienen Gegner des Frauenwahlrechts nunmehr als Gegner der Demokratie.

In dem die Rezensentin am meisten faszinierenden Kapitel des Buches untersucht Griffin die Performanz von Männlichkeit im Parlament und setzt sie in Beziehung zum Privatleben der Abgeordneten. Sein analytisches Instrumentarium bezieht er von R.W. Connell2, wenn er auch dessen Konzept der hegemonialen Männlichkeit kritisiert, da es unterschiedliche regionale und soziale Ausprägungen von Männlichkeiten einebne. Stattdessen wählt Griffin den Begriff der normativen Männlichkeit, die zumindest für die Männer der politischen Elite Gültigkeit besaß. Die Debatten über das Frauenwahlrecht wurden von Männern dominiert, die nicht in einer patriarchal strukturierten Familie lebten. Mittels ihrer oftmals sehr scharf formulierten ablehnenden Redebeiträge reklamierten sie rhetorisch für sich das normative Ideal von Männlichkeit, das sie lebenspraktisch nicht realisieren konnten. Zu dieser Norm verhielten sie sich also als Komplizen im Sinne Connells. Überzeugend demonstriert Griffin in diesem Kapitel die Geschlechtsbezogenheit parlamentarischer Aktivität, die nicht allein durch den Ausschluss von Frauen hergestellt wurde. Ebenso wichtig war die Interpretation parlamentarischer Praxis mittels einer komplexen Semiotik der Männlichkeit. Diese männlich geprägte politische Kultur wäre durch das passive Frauenwahlrecht gefährdet worden, so Griffin.

Griffins Buch ist eines der immer noch seltenen Beispiele historischer Forschung, die ihre männlichen Objekte als geschlechtsbestimmte Wesen ernst nimmt. Durch seine Untersuchung der Verflochtenheit der Geschichte politischer Ideen mit jener der Männlichkeit erreicht er einen deutlichen Erkenntniszugewinn für die britische Politikgeschichte. Getragen ist Griffins Analyse von der Einsicht, dass die Kategorie Geschlecht nicht nur dann zum Tragen kam, wenn Abgeordnete über Frauen debattierten, sondern dass die politische Kultur zu allen Zeiten grundlegend durch die verschiedenen im Unterhaus vertretenen Formen von Männlichkeit geprägt wurde. Zudem zeichnet sich Griffin durch ein klares Bewusstsein von den Grenzen seines ideengeschichtlichen Ansatzes aus. So weist er auf die Zeitdifferenz zwischen dem Sieg in der intellektuellen Debatte um das Frauenwahlrecht und dessen Einführung hin. Denn aus Machtkalkül weigerte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts jede Regierung, unabhängig von ihrer politischen Couleur, sich das Frauenwahlrecht zu eigen zu machen.

Die Frauenbewegung hat in Griffins Untersuchung allein die Funktion, den Anlass zur Generierung der Texte zu liefern, deren Analyse im Zentrum des Buches steht. Hier erweist sich analog zur Frauengeschichte die Begrenztheit eines rein männergeschichtlichen Ansatzes. Beiden fehlt ein Verständnis von Geschlecht als relationaler Kategorie. Allerdings ist sich Griffin dieser Leerstelle bewusst, denn er weist darauf hin, dass die Einstellung der Aktivistinnen zu Männlichkeit weiterhin ein Forschungsdesiderat sei.

Mit seiner klar strukturierten und facettenreichen Untersuchung, die Griffins ausgezeichnete Kenntnis der britischen Politikgeschichte unter Beweis stellt, hat er eine wesentliche Lücke in der Historiographie zur britischen Frauenbewegung geschlossen und eine ganze Reihe von gängigen Einschätzungen differenziert. Es wäre zu wünschen, dass sein Buch eine auf die Frauenbewegung bezogene Komplementärstudie anregte und damit zu einem geschlechtergeschichtlichen Verständnis des Feminismus aus ideengeschichtlicher Perspektive beitrüge.

Anmerkungen:
1 Sylvia Strauss, „Traitors to the Masculine Cause“. The Men’s Campaigns for Women’s Rights, Westport, Ct. 1982 sowie Angela V. John / Claire Eustance (Hrsg.), The Men’s Share? Masculinities, Male Support and Women’s Suffrage in Britain. 1890–1920, London 1997.
2 R.W. Connell, Masculinities, Cambridge 1995.

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