Cover
Titel
Otl Aicher, Gestalter.


Autor(en)
Moser, Eva
Erschienen
Ostfildern 2012: Hatje Cantz Verlag
Anzahl Seiten
456 S., 374 Abb., 35 Farbabb.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simon Bieling, Staatliche Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe

Markenzeichen wie der Kranich der Lufthansa, das rote S der Sparkasse und andere derartige Signets prägen die Konsumkultur der westlichen Wohlstandsgesellschaften heute ähnlich stark wie die mit ihnen versehenen Konsumprodukte selbst. Als strategisches Werkzeug der Eigeninszenierung von Unternehmen haben sie sich im (west)deutschen Fall jedoch erst nach 1945 voll und ganz etabliert. Der Designer Otl Aicher spielte dabei eine maßgebliche Rolle – unter anderem durch seine Tätigkeit für Unternehmen wie Lufthansa und Sparkasse, vor allem aber für das Organisationskomitee der Olympischen Spiele 1972. Seiner Lebensgeschichte widmet sich nun die jüngst erschienene Biografie der Kunsthistorikerin Eva Moser.

Die Autorin setzt in ihrem umfangreichen Band zwei zentrale Schwerpunkte: Zum einen konzentriert sie sich auf die Gründung und Geschichte der Volkshochschule und der Hochschule für Gestaltung Ulm. Zum anderen behandelt sie ausführlich verschiedene Designprojekte seit der Verlegung von Aichers Büro nach Rotis im Allgäu 1972. Geringere Beachtung finden Aichers Jugend im Nationalsozialismus, seine Verbindungen zu den Geschwistern Scholl in Ulm und seine verschiedenen politischen Aktivitäten.1

Wie Moser im Vorwort hervorhebt, war es ihr Ziel, gegenüber bisherigen Publikationen zu Otl Aicher eine stärker quellengestützte Betrachtung zu erarbeiten. Im Rückgriff auf Archivdokumente, Briefkorrespondenzen, die Aussagen von Zeitzeugen und zeitgeschichtliche Literatur ist ihr so eine materialreiche und differenzierte Darstellung der Biografie Aichers gelungen. Wertvolle Anhaltspunkte bietet das Buch nicht nur für Untersuchungen der Geschichte der Eigeninszenierung von Wirtschaftsunternehmen, sondern auch bezüglich der Rolle von Institutionen wie der Volkshochschule Ulm in der frühen Nachkriegsgeschichte. Besonders in der zweiten Hälfte der Veröffentlichung gerät der große Detailreichtum der Biografie aber auch zur Schwäche. Hier hätte eine stärkere Raffung geholfen, das Verhältnis Aichers und seiner Auftragnehmer pointierter darzustellen. Und zuletzt fragt sich der Leser, ob der für die Biografie veranschlagte Anspruch der Distanz konsequenterweise nicht zu dem Entschluss hätte führen müssen, auch bei der Gestaltung der Publikation einen größeren Abstand zu Aichers eigenen grafischen Arbeiten anzustreben.

In der ersten Hälfte des Bandes verdeutlicht Moser unter anderem die starke Orientierung Aichers am katholischen Glauben und arbeitet dessen wesentliche Bedeutung für das Programm der Volkshochschule Ulm heraus, das zu erheblichen Teilen aus religiösen Themen bestand (S. 86ff.). Dabei zeigt die Autorin, dass Otl Aicher und seine Ehefrau Inge Aicher-Scholl, die Leiterin der Volkshochschule, nach dem Ende des NS-Regimes im christlichen Glauben die entscheidenden Ressourcen sahen, Deutschland moralisch und politisch zu rekonstruieren. Die starke Neigung Aichers, Design stets auch unter moralischen Kategorien zu betrachten, kann nun genauer mit seinem Glauben in Verbindung gebracht werden. Dies ist als eines der Verdienste der Biografie hervorzuheben.

Im Abschnitt zur Hochschule für Gestaltung, die Aicher 1953 mitbegründete, ist Mosers Darstellung vor allem dahingehend einsichtsreich, wie stark Aicher seine Tätigkeit als Designer mit konsum- und kulturkritischen Einstellungen flankierte (S. 146ff.). Moser hebt etwa die zeitliche Nähe zwischen Aichers erstem großen Auftrag zur Erarbeitung eines Erscheinungsbilds für die Lufthansa AG und der Veröffentlichung seines Essays „Wohlstand ohne Konzept“ von 1961 hervor. Darin attestierte er der Gesellschaft der Bundesrepublik „Krankheiten des Überflusses“ ebenso sehr wie eine „Hast und Geschäftigkeit, mit der wir uns in Vordergründigkeiten und Ablenkungen stürzen und uns mit Prestigeprodukten umgeben“ (S. 147). So reihte sich Aicher, wie Moser bemerkt, in eine populäre Stimmungslage der Zeit ein, die in die Gründung der Stiftung Warentest durch die damalige Bundesregierung mündete (1964) und die das Sachbuch „Die geheimen Verführer“ des US-Soziologen Vance Packard, das die Werbeindustrie unter generellen Manipulationsverdacht stellte, zu einem Bestseller der 1950er-Jahre machte (ebd.).

Während Aicher einerseits der allgemeinen konsumkritischen Meinungslage folgte, zeigt Moser andererseits, dass er aus dem besonderen intellektuellen Milieu der Hochschule für Gestaltung heraus zu einer Art zeichentheoretischer Perspektive auf damals gängige Konsumkritik gelangte.2 „Design“, schreibt Moser, gewann damit „den Auftrag, aufklärend zu wirken“; gestaltete Oberflächen „hatten Botschaft zu sein und nicht Verführung“ (S. 146). „Visuelle Kommunikation“ spielte Aicher so gegen die von ihm als manipulativ kritisierte „Konsumwerbung“ aus. Design solle nicht auf elegante Inszenierung zielen, sondern Oberflächen als unmissverständliche, eindeutige Informationsträger optimieren. Diese besondere, zeichentheoretisch gestützte Form ästhetischen Verzichts hat sich für Aichers Konzeption des Erscheinungsbilds und sein berufliches Selbstverständnis als langfristige intellektuelle Orientierung erwiesen. Deshalb wäre es womöglich gewinnbringend gewesen, diese Orientierung noch ausführlicher zu diskutieren und vor allem auch das Verhältnis Aichers zu dem an der Hochschule für Gestaltung Ulm unterrichtenden Philosophen Max Bense sowie dessen Einfluss auf Aichers zu dieser Zeit entstehende Design-Konzeption näher zu beleuchten.

In der Mitte der Publikation widmet sich Moser der Arbeit Aichers am Erscheinungsbild der Olympiade 1972 in München, einem Projekt, das sie als den eindeutigen Höhepunkt seiner Karriere ausmacht. Aicher war beauftragt, ein Gegenmodell zu den Olympischen Spielen in Berlin 1936 zu schaffen und damit die Transformation zu einem demokratischen und weltoffenen Staat durch eine wirkungsvolle Inszenierung zu unterstreichen.3 Dabei hebt Moser hervor, wie Aichers Olympiaprojekt im Vergleich zu den für die Lufthansa AG oder die Bayerische Rück erarbeiteten Erscheinungsbildern über die Entwicklung eines Zeichensystems hinausging: Aichers Gestaltung wurde in den Gesamtzusammenhang von Architektur und Landschaft eingebunden. Stärker noch als bei anderen Projekten scheint Aicher sich dabei in der Rolle eines „Total-Designers“ gesehen zu haben, der bis in die kleinsten Details eine ästhetische Gestaltungseinheit durchsetzt und vorgibt. Dass Aicher die Leistungskraft seines Designs teilweise auch stark überschätzte, zeigt sich an seiner von Moser zitierten Aussage, dass die „Arbeit am Erscheinungsbild“ in die Regie eines „gewaltigen Open-Air-Schauspiels“ übergehe, in dem das „Leben sich selbst in einem seiner gelungenen Höhepunkte spielte“ (S. 195).

In der zweiten Hälfte des Bandes stellt Moser in einzelnen Kapiteln Aichers verschiedene Auftraggeber und die damit verbundenen Projekte vor. Sie erläutert den Umzug von Aichers Büro nach Rotis im Allgäu, wo Aicher seit 1972 in mehreren Gebäuden arbeitete. Ausführlicher betrachtet Moser aber vor allem die Tätigkeit Aichers für das Versicherungsunternehmen Bayerische Rück, den Automobilhersteller BMW und den Leuchtenhersteller ERCO. Damit nutzt die Autorin die wertvolle Gelegenheit, einzelne Entstehungsprozesse bei der Entwicklung von Erscheinungsbildern nachvollziehen zu können.

Das Kapitel „ein designer ist ein moralist. er lebt nicht leicht.“ am Ende des Bandes ist noch einmal besonders zur Lektüre zu empfehlen. Es lässt Aichers zentrale Überzeugungen prägnant Revue passieren und verdeutlicht dabei zugleich deren letztlich geringe Zukunftsträchtigkeit. Aichers stark moralisierende Perspektive auf das Design von Erscheinungsbildern, ihre Verpflichtung auf Eindeutigkeit („ästhetik der richtigkeit“), wirkt angesichts zeitgenössischer Konsumphänomene, die sich gerade dadurch auszeichnen, auf unterschiedlichste Weise rezipiert und angeeignet zu werden, wenig angemessen. Moser spricht deshalb davon, dass die Hochschule für Gestaltung Ulm sich in einen unauflösbaren Widerspruch manövriert habe, weil sie einerseits für sich in Anspruch nahm, „gesellschaftspolitisch relevante Arbeit zu leisten“, sich andererseits aber einer „Anerkennung der Mehrheitskultur“ verweigerte. Damit spitzt die Autorin zu, worin auch Aichers Konzeption von Erscheinungsbildern aus heutiger Sicht nur wenig Überzeugungskraft entfalten kann (S. 147). Seinem in verschiedenen Versionen geäußerten Credo, dass man sich entschlossen auf die Phänomene der Alltagskultur beziehen müsse, stand letztlich seine Weigerung gegenüber, sich solchen Phänomenen unter weniger moralisch eingefassten Perspektiven anzunähern. Gerade dieser Zwiespalt – das macht Eva Mosers lesenswerte Biografie deutlich – ist für eine Zeitgeschichte der Konsum- und Populärkultur von besonderem Interesse.

Anmerkungen:
1 Siehe dazu u.a. Barbara Schüler, „Im Geiste der Gemordeten…“. Die „Weiße Rose“ und ihre Wirkungen in der Nachkriegszeit, Paderborn 2000 (rezensiert von Sönke Zankel, 2.12.2002: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=858> [17.8.2012]).
2 Siehe dazu auch Paul Betts, Science, Semiotics and Society: The Ulm Hochschule für Gestaltung in Retrospect, in: Design Issues 14 (1998), S. 67-82, bes. S. 78ff.
3 Vgl. zu diesem Kontext auch Uta Andrea Balbier, „Der Welt das moderne Deutschland vorstellen“: Die Eröffnungsfeier der Spiele der XX. Olympiade in München 1972, in: Johannes Paulmann (Hrsg.), Auswärtige Repräsentationen. Deutsche Kulturdiplomatie nach 1945, Köln 2005, S. 105-119.