M. Deufert: Textgeschichte und Rezeption

Cover
Titel
Textgeschichte und Rezeption der plautinischen Komödien im Altertum.


Autor(en)
Deufert, Marcus
Reihe
Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 62
Erschienen
Berlin u.a. 2002: de Gruyter
Anzahl Seiten
XIII, 422 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Kruschwitz, Corpus Inscriptionum Latinarum, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Das zu besprechende Buch ist die Habilitationsschrift von Marcus Deufert, der bereits mit seiner Dissertation "Pseudo-Lukrezisches im Lukrez" (1996) eine höchst beachtliche Monographie vorgelegt hat. Ziel der Arbeit ist eine vollständige Untersuchung und Rekonstruktion der Geschichte des Plautustexts im Altertum. Das Thema ist angesichts der kontroversen Debatten, die vor allem in Deutschland um die Natur des Plautustexts geführt werden, von höchster Aktualität und Bedeutung. Anders als Friedrich Leo in seinen epochemachenden, inzwischen jedoch notorisch veralteten "Plautinischen Forschungen" möchte Deufert die Rezeptionsgeschichte des Plautustexts im Altertum aus den hierfür zur Verfügung stehenden Dokumenten selbst erarbeiten. Bei diesen Dokumenten handelt es sich neben den direkten Zeugnissen vor allem um Spuren der Rezeption, Urteile über Plautus und seine Stücke sowie schließlich um Reflexionen bei Grammatikern und ähnliches.1

Die Untersuchung gliedert sich in folgende Abschnitte: Ur- und Wiederaufführungen; die erste Gesamtausgabe; die Rezeption der Gesamtausgabe von Accius bis Verrius Flaccus; Plautuszitate bei Varro, Cicero, Verrius Flaccus und die handschriftliche Überlieferung; die weitere Wirkung bis zum Einsetzen der archaisierenden Bewegung; die 'varronische Auswahlausgabe'; Rezeption der 'varronischen' Auswahl bis zum Einsetzen der direkten Überlieferung; der Archetypus der direkten Überlieferung und seine Zeugen; die Hiate des Plautustexts;2 Ergebnisse und Folgerungen. Auf die Untersuchungen folgen eine Bibliographie sowie ausführliche Register.3

Deufert benennt als Ergebnis seiner Untersuchungen drei Phasen der Geschichte des Plautustexts: Den ersten Abschnitt bezeichnet Deufert als 'Mouvance',4 d.h. die Zeit vor der Buchausgabe, als die Texte noch 'ungeschützt' waren, zu treuen Händen der Bühnendirektoren. Deufert schließt sich hier - m.E. zu unkritisch5 - der These seines Lehrers Otto Zwierlein (dem die Arbeit auch gewidmet ist) an, daß sich Umgestaltungen des Texts vor allem in Zusätzen kenntlich gemacht haben, die von der Echtheitskritik leicht identifiziert und herausgelöst werden könnten. Tendenz sei gewesen, Zusätze in Form der im 2. Jahrhundert v.Chr. populär gewordenen Togata zu verfassen, was bei korrekter Identifizierung ein bezeichnendes, vielversprechendes Licht auf die dramatische Technik dieser ansonsten praktisch verlorenen Gattung werfen könnte.6

Der zweite Abschnitt wird von Deufert als Konsolidierung (2. Jahrhundert v.Chr.-2. Jahrhundert n.Chr.) betrachtet. Darin wird die erste Gesamtausgabe besorgt, was nach verhältnismäßig ausführlicher 'wissenschaftlicher' Diskussion durch prominente Fachvertreter dieser Zeit geschieht. Dabei werden die als echt anerkannten Stücke neben den offensichtlichen und weniger offensichtlichen Pseudepigrapha gleichermaßen in der Ausgabe zusammengefaßt. Dies entspreche griechisch-hellenistischer Praxis, die in der etwa ab 150 v.Chr. ausgeprägten Editionswissenschaft in Rom greifbar ist. Erklärtes Ziel dieser Editionstechnik ist die vollständige Erfassung der uariae lectiones, die nebeneinander gestellt werden, ohne letztlich über sie zu entscheiden. Im Anschluß an die Edition etabliert sich eine umfassende Plautusforschung, die sich mit Fragen der Echtheitskritik, Literaturgeschichte, Biographie, Lexikographie usw. befaßt. Außerhalb der wissenschaftlichen Beschäftigung sei im übrigen (anders etwa als bei Terenz, dem als Schulautor ein anderes Schicksal beschieden war) wenig Breitenwirkung des Plautustexts feststellbar.

Der dritte Abschnitt (ab dem 2. Jahrhundert n.Chr.) wird von Deufert als Depravation bezeichnet. Kennzeichen dieser Epoche ist, daß die Ergebnisse der Echtheitskritik Varros, der 21 Stücke als echt erachtet hatte, gewissermaßen in die Tat umgesetzt werden. Man erstellt Auswahlausgaben, Didaskalien usw., die Textausgabe verliert ihren 'Schutz' durch die abreißende flankierende Tradition der grammatikalischen Tradition, so daß der Textzustand der 21 Rollen, die schließlich zum Archetypus der Überlieferung geführt haben, der dem Ambrosianus und den Palatini zugrunde liegt, von erheblich voneinander abweichender Qualität war.

Die Ergebnisse Deuferts zeigen, daß - anders als Leo es vermutete - für die Überlieferungsgeschichte des Plautus kein Sonderweg postuliert werden muß, sondern die Überlieferung im wesentlichen in den Bahnen verläuft, die von anderen antiken Autoren her bekannt sind. Zudem verlegt Deufert wohl mit Recht den Zeitpunkt der Entstehung des Archetyps der handschriftlichen Überlieferung in eine spätere Zeit: Leo vermutete eine Entstehung im 3. Jahrhundert n.Chr., Deufert geht von einer Zusammenstellung in der Spätantike aus. Mit Folgerungen für die zukünftige Kritik des Plautus wird der Band beschlossen.

Deuferts Plautusbuch ist eine durch ihre fundierte Sachkenntnis, ihre Methodik und ihre Nüchternheit gegenüber den überlieferten Informationen ein erheblicher Fortschritt in der Plautusforschung. Daß es bei einem Werk von diesem Umfang immer Punkte gibt, in denen verschiedene Personen zu unterschiedlichen Auffassungen gelangen, ist eine Selbstverständlichkeit, so daß ich hier auf eine Aufzählung einzelner Punkte, in denen ich vom Urteil Deuferts über die Textgeschichte abweiche (etwa was die Plautuskenntnis des Terenz angeht), verzichte. Insgesamt erscheint die Anlage und die Durchführung der Arbeit einleuchtend und mustergültig, somit auch für weitere antike Autoren vorbildhaft und wünschenswert.

Anmerkungen:
1 An mehreren Stellen erweckt Deufert den Anschein, daß er die Untersuchung als notwendige Vorarbeit für eine kritische Edition erachtet; inwiefern diese Editionsarbeit durch ihn selbst zu leisten sei, wird jedoch nicht beantwortet. Ein Hinweis auf die im Entstehen begriffene Ausgabe von Cesare Questa wäre wünschenswert gewesen.
2 Dieser Aspekt - wiewohl ein metrisches Detail - erweist sich als in besonderem Maße aufschlußreich für Aussagen über den Plautustext.
3 Daß in einer über 420 Seiten starken Monographie über Plautus der Name Eckard Lefèvre mit keinem einzigen Eintrag in der Bibliographie firmiert, sei als Kuriosum notiert. Ist dies ein angemessener Umgang mit dessen Forschungen, auch wenn man sich über Methodik und Ergebnisse streiten mag? (vgl. auch unten, Anm. 6.)
4 Deufert übernimmt hiermit einen von P. Zumthor eingeführten terminus technicus.
5 S. dazu beispielsweise P. Kruschwitz / J. Mülberger / M. Schumacher, Die Struktur des Curculio, in: Gymnasium 108 (2001), S. 113-121.
6 Widersprüchlicher läßt sich die Forschungslage kaum noch vorstellen, als daß eine Partei meint, bestimmte Partien seien auf ein literarisches tragisches Genre zurückzuführen, während die andere glaubt, sie wurzelten in nicht-literarischen komischen Aufführungen. Um so bedauerlicher ist das oben bereits thematisierte Fehlen einer intensiveren Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der 'Freiburger Schule'.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension