St. Rebenich (Hrsg.): Mommsen und Althoff

Cover
Titel
Theodor Mommsen und Friedrich Althoff. Briefwechsel 1882–1903


Herausgeber
Rebenich, Stefan; Franke, Gisa
Reihe
Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts 67
Erschienen
München 2012: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
VIII, 890 S.
Preis
€ 124,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Die Bedeutung Theodor Mommsens für die Altertumswissenschaft ist nur schwer zu überschätzen. Während jedoch Mommsens kleine Schriften und Aufsätze recht bald in seinen „Gesammelten Schriften“ vereinigt wurden, sind zahlreiche seiner Briefe unveröffentlicht und können daher nur nach aufwendigen Archivstudien genutzt werden. Deutlich zeigt die Bedeutung dieser bisher unveröffentlichten Dokumente Rebenichs neue Edition des Briefwechsels zwischen Theodor Mommsen und Friedrich Althoff, die fast 700 Schriftstücke, davon alleine über 300 Briefe Mommsens, enthält.

Die umfangreiche Einleitung (S. 1–56) bietet eine detaillierte Einführung in alle relevanten Aspekte des Briefwechsels. Zunächst erfolgt eine Vorstellung der Protagonisten (S. 2–5), die besonders auf die Beurteilung Friedrich Althoffs durch seine Zeitgenossen eingeht. Danach werden Umfang und Intensität (S. 5–9), formale Charakteristika (S. 9–12) und die Themen des Briefwechsels (S. 12–44) analysiert. So wird etwa auf die deutlichen Unterschiede zwischen Mommsens schlechter und Althoffs klar lesbarer Handschrift eingegangen, was dazu führte, dass Althoff für jeden Brief Mommsens dankbar war, den dieser nicht selbst schrieb, sondern einer seiner Töchter diktierte (S. 12; eine Handschriftenprobe Mommsens und Althoffs ist auf S. 90f. zu finden). Die Themen der Briefe entstammen allesamt dem Bereich der Wissenschaftsorganisation, darunter insbesondere nationale und internationale Großprojekte, Finanzierungsfragen und Personalpolitik. Ein gesondertes Kapitel der Einleitung ist den „Kommunikationsformen und Interaktionsstrukturen“ (S. 44–52) gewidmet und behandelt die Bedeutung der mündlichen Kommunikation und die verschiedenen Treffpunkte beider Briefpartner. Ein abschließendes Kapitel diskutiert die Möglichkeiten und Grenzen der preußischen Wissenschaftspolitik und des „System Althoff“, also der von Althoff dominierten und geradezu monopolisierten preußischen Wissenschaftslandschaft (S. 52–56). Den zweiten Teil der Einleitung bildet eine Reihe von Formalfragen der Edition, namentlich die Editionsregeln (S. 57–59), eine Liste der bibliographischen Abkürzungen (S. 61–67), eine Liste der archivalischen Quellen (S. 69–70) und das Dokumentenverzeichnis (S. 71–91).

Den Hauptteil stellt die eigentliche Edition dar (S. 93–854). Hierzu seien einige Zahlen und Fakten genannt: Die Edition enthält 685 Dokumente, von denen 672 datierbar sind und sich über den Zeitraum vom 8. November 1882 bis zum 24. Juli 1903 erstrecken. Aus dem eigentlichen Briefwechsel sind 486 Briefe und verwandte Dokumente (Postkarten, Billets oder Telegramme) erhalten, darunter 174 Schreiben Althoffs an Mommsen (vier davon mit Dritten verfasst) und 312 Schreiben Mommsens an Althoff (eines davon mit einem Dritten verfasst und zwei von Familienangehörigen in seinem Auftrag). Daneben sind aus dem vorhandenen Material eine Reihe von Schreiben rekonstruierbar, die nicht mehr erhalten sind; insbesondere zahlreiche Einladungen und Glückwunschschreiben sind von Mommsen und Althoff offenbar nicht aufbewahrt worden (S. 7f.). Hinzu kommt der Umstand, dass zahlreiche Gegenbriefe Althoffs deshalb nicht existieren, weil Mommsen – wohl in Rücksichtnahme auf Althoffs Arbeitsbelastung – oftmals Schlusssätze wie „Keine Antwort ist ja“ (S. 245, Nr. 137) verwendete, wenn ein Treffen zu vereinbaren war (S. 8); dies tat auch Althoff, wenngleich etwas seltener. Neben dem eigentlichen Briefwechsel enthält die Edition daneben 199 zusätzliche Dokumente, die für den Austausch zwischen Mommsen und Althoff relevant sind, zumeist an einen der beiden gerichtete Schriften, die an den jeweils anderen weitergeleitet wurden, daneben auch Zeitungsartikel, die Mommsen und Althoff austauschten (Liste auf S. 11). Der Edition selbst folgt ein umfangreicher Registerteil (S. 855–890).

Zur Veranschaulichung der Bedeutung des Briefwechsels seien einige Stücke von Interesse referiert: Brief Nr. 594 vom 10. November 1896 (S. 763f.) ist ein an Althoff gerichtetes eindringliches Plädoyer Mommsens für den Breslauer Bibliothekar und Byzantinisten Carl de Boor (vgl. auch S. 170–172, Nr. 60–61), worin er diesen sogar über Karl Krumbacher stellt; Relevanz als Quelle hat dieser Brief somit auch für die Wissenschaftsgeschichte der Byzantinistik.1 In Brief Nr. 672 vom 24. Juli 1903 (S. 849), dem letzten datierbaren Dokument, richtet Mommsen höflich, aber im Vergleich zu früheren Briefen distanziert (vgl. S. 43f.), seinen Dank an Althoff für einen Zuschuss von 1.800 Mark; dieses Schriftstück ist gleichermaßen für Fragen der Forschungsfinanzierung und der Entwicklung des Verhältnisses zwischen Mommsen und Althoff interessant. In Brief Nr. 529 vom 11. Juli 1893 (S. 686) beteuert Mommsen, dass es ihm nicht möglich sei, Althoff bei dem Projekt der „Denkmäler deutscher Tonkunst“ zu unterstützen, da er absolut unmusikalisch sei und bereits sein Einsatz für ein neues astronomisches Fernrohr in Potsdam außerhalb seines Forschungsfeldes gelegen habe; neben der persönlichen Einstellung Mommsens zur Musik ist dieser Brief ein klares Zeugnis dafür, wie sich Althoff den Einfluss Mommsens zur Durchsetzung seiner Vorhaben zunutze machen konnte (dazu auch S. 6).

Der Brief Nr. 102 vom 14. Mai 1885 an Althoff (S. 214, vgl. dazu den Zeitungsausschnitt S. 215, Nr. 103) ist eine in seiner direkten Sprache („so habe ich ihm [dem ‚kleinen Kaplan‘, der die Geschichte verbreitet hat] den beifolgenden kleinen Fußtritt verehrt“) durchaus nicht unwitzige Reaktion Mommsens auf den Vorwurf, dass er während eines Aufenthaltes in Rom den Papst missachtet habe (dazu S. 39). Brief Nr. 291 vom 27. Juni 1890 an Mommsen (S. 437–439), erhalten in einer für Althoff anfertigten Abschrift vom 30. Juni 1890, stellt eine Beschwerde des Klassischen Philologen Bernhard Kübler über den Wolfenbütteler Bibliothekar Otto von Heinemann dar, der laut Kübler übertrieben restriktiv mit den Benutzungsmöglichkeiten für Handschriften verfährt und ihm obendrein die Arbeit durch systematische Nichtanwesenheit erschwert, die bei dem Heinemann ebenfalls keineswegs freundlich gesonnenen Mommsen auf offene Ohren stößt – bekanntermaßen war Mommsen an diesen Maßnahmen des Bibliothekars durch den Verlust der Jordanes-Handschrift nicht ganz unschuldig; in dem Brief ist zudem von weiteren Vorwürfen gegen Mommsen zu erfahren. Zu den Hintergründen und der weiteren Überlieferung können die hervorragenden Anmerkungen zum Brief (S. 437–439, Anm. 1314–1327) sowie die umfangreiche Anmerkung 827 (S. 304f.) zu Brief Nr. 204 herangezogen werden.

Die hohe Qualität der Ausgabe macht das Auffinden von Fehlern und Kritikpunkten zu einer nahezu unlösbaren Aufgabe. Bei den wenigen Punkten handelt es sich um Marginalien, die nur der Vollständigkeit halber anzuführen sind und den zahlreichen Vorzügen des Werkes nichts entgegensetzen können: Es finden sich nur wenige Druckfehler (vgl. S. 6: „unterstütze“ statt „unterstützte“). Nicht ganz korrekt ist es, wenn Rebenich die Namensform „Karl de Boor“ verwendet (S. 36, 48, 170, Anm. 258, 171, Anm. 259 u. 763, Anm. 2753). Mommsen nutzt zwar diese Form im Brief Nr. 594 (S. 763f.), doch ist die Namensform „Carl de Boor“ häufiger und in besseren Quellen belegt.2 Es könnte daher vermutet werden, dass die Form in Mommsens Brief darauf zurückgeht, dass dieser von einer Tochter Mommsens verfasst wurde (S. 763, Anm. 2749). Schließlich wäre wohl noch eine Zusammenstellung der Schriftstücke sinnvoll gewesen, die nicht erhalten, sondern nur aus Erwähnungen und Andeutungen Mommsens und Althoffs bekannt sind.

Rebenich legt eine mustergültige Edition vor, die mit viel Aufwand hergestellt wurde. Dieser umfang- und inhaltsreiche Band stellt zweifellos einen bedeutenden und hochqualitativen Beitrag zur Erforschung des Wirkens Theodor Mommsens und seines wissenschaftlichen Umfelds dar.

Anmerkungen:
1 Zu Mommsen und de Boor vgl. auch den von Rebenich nicht erfassten Aufsatz von Brian Croke, Mommsen and Byzantium, in: Philologus 129 (1985), S. 274–285, hier S. 281–283. Zu Karl Krumbacher (S. 764, Anm. 2755) vgl. jetzt den Rebenich wohl nicht mehr rechtzeitig bekannt gewordenen Sammelband Peter Schreiner / Ernst Vogt (Hrsg.), Karl Krumbacher. Leben und Werk, München 2011.
2 In sämtlichen Publikationen de Boors mit Ausnahme der Editionen, in denen die latinisierte und daher nicht vollkommen eindeutige Form „Carolus de Boor“ verwendet wird, findet sich „Carl de Boor“ (oder „C. de Boor“) als Autorenangabe, so in sämtlichen Aufsätzen in den Zeitschriften „Hermes“, „Rheinisches Museum für Philologie“, „Byzantinische Zeitschrift“ (dort auch so als Mitherausgeber) und „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ sowie in den „Texten und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur“, den Sitzungsberichten der Berliner Akademie und der Festschrift für Arnold Schaefer. Zuletzt wird diese Form ebenfalls in den Rezensionen von de Boors Werken (meist aber Editionen) und dem Briefwechsel zwischen de Boor und Krumbacher (dazu Schreiner/Vogt, Krumbacher, S. 93) verwendet. Weiter zur Erhellung dieser Angelegenheit könnten die von Rebenich nur erwähnten Briefe de Boors an Mommsen beitragen (S. 171, Anm. 258 u. 259).

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