J. Harries: Imperial Rome AD 284 to 363

Cover
Titel
Imperial Rome AD 284 to 363. The New Empire


Autor(en)
Harries, Jill
Reihe
The Edinburgh History of Ancient Rome
Erschienen
Anzahl Seiten
XVII, 366 S.
Preis
£ 29,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Für auf einen zeitlichen Teilbereich beschränkte Überblickswerke zur Spätantike ist die Epoche von 284 bis 363 besonders beliebt, sie wurde etwa in den Einführungen von Chastagnol und Brandt vorgestellt.1 Der Grund ist offensichtlich: Hier können die meisten prominenten Herrscher der Spätantike (Diokletian, Konstantin und Julian) behandelt werden, ohne dass sich dabei größere Lücken durch weniger bekannte Kaisergestalten (Constantius II.) auftun. Auch Jill Harries wendet sich in ihrem Überblick nun dieser Epoche zu. Im ersten Kapitel führt Harries in das „long third century“ (S. 1–24) ein, das sie erst im Jahr 363 enden lässt. Sie bietet Abrisse zur Bedeutung Roms, dem Finanzwesen, der Rechtsprechung und der religiösen Landschaft. Einige Korrekturen seien angeführt: Eutropius hat sein Werk nicht mit Augustus begonnen (S. 5); die These, dass Hadrian chronologisch den Anfangspunkt im Codex Iustinianus bilde, da er als großer Reformer gegolten habe (S. 5), überzeugt nicht; in der Sammlung wurde nur eines seiner Gesetze von geringer Länge (6,23,1) aufgenommen. Der Hinweis auf einen „steady flow“ der Kaiserreskripte als Beleg gegen eine Reichskrise (S. 5) ignoriert den klaren Einbruch in der Kaisergesetzgebung zwischen 260 und 283; die Ansicht, dass die häufigen Gesetzeswiederholungen nicht auf Ineffektivität hinweisen, sondern man sich so habe vergewissern wollen, dass die Ansichten des Kaisers unverändert seien (S. 18), erscheint gewagt.

Das zweite Kapitel behandelt die Entwicklung der Tetrarchie und die Kriege des Herrschergremiums (S. 25–49). Etwas deplatziert wirkt die Vorstellung der kaiserlichen Baupolitik (S. 38–41), die im folgenden Kapitel besser untergebracht gewesen wäre. Auch hier sind Ergänzungen nötig: Die Münzen des Usurpators Amandus (S. 28) sind in ihrer Echtheit umstritten, es dürfte sich wohl eher um Fälschungen handeln2; der nicht klar fassbare Usurpator Domitius Domitianus war nicht unbedingt ein „local official“ (S. 35); die Beschreibung des Herrschaftswechsels von 305 bleibt trotz kritischer Ansätze zu sehr dem tendenziösen Bericht des Laktanz verpflichtet (S. 42); Harries’ Beschreibung der Flucht Konstantins vor Galerius mit den Worten: „riding the horses […] so hard that they fell dead“ (S. 43), ist nicht korrekt, da Konstantin zur Behinderung der Verfolger die Pferde entweder gelähmt, getötet oder versteckt hat.3 Das dritte Kapitel ist den Verwaltungsreformen Diokletians gewidmet (S. 50–79). Diskutiert werden die Provinzverwaltung, die Heeresorganisation, die Steuer- und Wirtschaftspolitik sowie die frühen Gesetzescodices.

Thema des vierten Kapitels ist die religiöse Welt der Tetrarchie (S. 80–105). Der Schwerpunkt liegt auf der Christenverfolgung, daneben finden die Herrschertheologie und die divinae institutiones des Laktanz als Quelle für die Gedankenwelt Berücksichtigung. Neben einem Druckfehler (S. 86: Edikt Valerians im Jahr 251) ist nur an einer Stelle Einspruch zu erheben: Dass aufgrund mangelnder Kapazitäten der Gefängnisse bald eine Abschwächung der Verfolgung durch das dritte Edikt stattgefunden habe (S. 89), ist angesichts des Berichts des Laktanz (mort. pers. 35,2) über eine sechsjährige Einkerkerung des Donatus zu bestreiten.

Im fünften Kapitel werden die Siege Konstantins der Jahre 311 bis 337 (S. 106–133) vorgestellt. Daneben behandelt Harries ausführlich Konstantins Legitimationstechniken; das wichtige Werk Szidats zum Themenbereich der Usurpation bleibt allerdings unberücksichtigt.4 Eine These erscheint problematisch: Dass Galerius seine Familie Licinius anvertraut hat (Lakt. mort. pers. 35,3, nicht 35,4 wie S. 107, Anm. 4), dürfte wohl nicht so sehr mit fehlendem Vertrauen in Maximinus Daia, sondern eher mit praktischen Erwägungen zu tun haben, da Licinius die europäischen Provinzen des Galerius übernahm. Das sechste Kapitel stellt die Reformen Konstantins (S. 134–155) vor, insbesondere die Gesetzgebung. Harries sieht Konstantin überzeugend als Traditionalisten, der kein novator war und in dessen Familiengesetzgebung kein christlicher Einfluss nachzuweisen ist.5 Diesen Gedanken führt sie im siebten Kapitel „Constructing the Christian emperor“ (S. 156–184) fort. Sie betont die Kontinuität gegenüber früheren Kaisern in den in der Forschung auf christlichen Einfluss zurückgeführten Maßnahmen der Gesetzgebung Konstantins, so etwa bei den Privilegien für den Klerus und bei der Bischofsgerichtsbarkeit. Ihre Sicht der Heidenpolitik als „de facto ban – where it was enforced“ (S. 164) ist ein interessanter Grundgedanke, der weiter ausgebaut werden sollte.6 Abzulehnen ist nur Harries’ Nutzung des gefälschten Dokumentes im Appendix 5 des Optatus (S. 162, Anm. 27).7

Das achte Kapitel kehrt mit den Söhnen Konstantins (S. 185–208) zur Ereignisgeschichte zurück. Zwei Bemerkungen seien angeführt: Ein Gesetz Cod. Theod. 3,21,1 (S. 204, Anm. 88) existiert nicht; die These, dass Constans kein pontifex maximus gewesen sei (S. 107f., 157 u. 191, Anm. 27), bleibt problematisch, da fehlende inschriftliche Belege für den Titel keinen sicheren Beweis darstellen können, während das Schweigen der Münzlegenden, das von größerer Aussagekraft wäre, durch die generelle Weglassung dieses Titels in der Kaisertitulatur nach 337 (auch auf Julians Münzen) nicht als Argument genutzt werden kann8; zudem bleibt umgekehrt die Frage, warum Zosimos (4,36,5) Gratian als den ersten Kaiser bezeichnet, der den Titel ablegt.

Das neunte Kapitel ist dem Heerwesen und den Brennpunkten des Reiches gewidmet (S. 209–228). Etwas verwunderlich ist hier, dass das Kapitel „Constantius II and Persia“ den gleichnamigen Aufsatz Blockleys übergeht.9 Das zehnte Kapitel befasst sich mit dem Verhältnis von Kirche und Reich (S. 229–254). Die Rolle der Frau im frühen Christen- und Mönchtum ist aber sicher besser erforscht als Harries meint (S. 251).10 Das elfte Kapitel behandelt die Rolle der Frau in der Gesellschaft (S. 255–273). Der Schwerpunkt liegt auf den Kaiserfrauen, daneben werden Gesetzgebung und (meist gerichtliches) Alltagsleben berücksichtigt. Allerdings übergeht Harries mit der literarischen Tätigkeit einen wichtigen Aspekt; in diesem Kontext wäre etwa die Dichterin Proba zu erwähnen.11 Auch die Rolle der Frauen im Umfeld Julians wird ignoriert.12 Das zwölfte Kapitel widmet sich den Metropolen Rom und Antiochia (S. 274–293). Der Abschnitt zu Julian in Antiochia (S. 290–293) reduziert den Konflikt zwischen Kaiser und Stadt allerdings auf religiöse Aspekte und verschweigt die Versorgungskrise, wirkt daher zu eindimensional.13

Das dreizehnte Kapitel bildet mit Julians Regierung den Abschluss des Überblicks (S. 294–318). Auch hier bietet sich Anlass für Kritik: Die Formulierung „With the empire apparently secured for the house of Constantine, Gallus and Julian were allowed to live“ (S. 297) impliziert eine falsche Chronologie und Kausalität; die Ausführungen zur Augustusproklamation Julians (S. 300) lassen viele Fragen offen, die mit einem Verweis auf die erste Erhebung Julians (S. 226) teils geklärt worden wären; die Behandlung der Zeit Julians als Caesar in Gallien wäre in diesem Kapitel angebrachter gewesen (statt S. 224–226), um einen klaren Ereignisfluss zu schaffen. Harries betont die „lawfulness“ der Herrschaft Julians aufgrund seiner Verwandtschaft mit Constantius II. (S. 305), verkennt dabei aber den besonderen Charakter des römischen Kaisertums, das nie eine dynastische Monarchie im eigentlichen Sinne war; die Ansicht, dass Julian unangebracht die Spiele des Konsuls Mamertinus begonnen habe, gibt Ammianus 22,7,2 falsch wieder, wonach Julian die dem Konsul zustehende Zeremonie der Freilassung voreilig selbst vorgenommen habe. Zudem versäumt Harries es, im Abschnitt „Julian the reformer“ (S. 306–312) herauszuarbeiten, worin genau seine Reformtätigkeit lag, zumal sie selbst hervorhebt (S. 309): „Much of the legislation ascribed to him in the legal collections reflects the routine ongoing nature of the emperor’s job.“ S. 309, Anm. 75 lies CTh „2,5,2“. Das letzte Kapitel (S. 319–323) trägt einen eher irreführenden Titel. Die Bemerkungen zum „funeral director“ Jovian beschränken sich auf wenige Sätze, stattdessen folgen Ausblick und Zusammenfassung. Die Bibliographie, insbesondere aber der „Guide to further reading“ (S. 330–335) konzentriert sich auf englischsprachige Literatur und übergeht relevante Werke in anderen Sprachen.14

So ist zu dieser Epoche wohl immer noch die Einführung von Chastagnol aus dem Jahr 1982 als die beste anzusehen. Harries bietet einen akkuraten Überblick zur Epoche, der angesichts verarbeiteter neuester Literatur ergänzend herangezogen werden kann. Grundlage der Einführung in diese Periode der Spätantike sollten allerdings an erster Stelle Alexander Demandts „Spätantike“ oder die Cambridge Ancient History bleiben.

Anmerkungen:
1 Hartwin Brandt, Geschichte der römischen Kaiserzeit von Diokletian und Konstantin bis zum Ende der konstantinischen Dynastie (284–363), Berlin 1998; André Chastagnol, L’évolution politique, sociale et économique du monde romain de Dioclétien à Julien, Paris 1982.
2 Sandra Seibel, Typologische Untersuchungen zu den Usurpationen der Spätantike, Diss. Duisburg-Essen 2004, S. 194, Anm. 1244.
3 Lähmung: Zos. 2,8,3; Tötung: Aur. Vict. Caes. 40,2; Anon. Val. 2,4; Beiseiteschaffung: Lakt. mort. pers. 24,6.
4 Joachim Szidat, Usurpator tanti nominis, Stuttgart 2010.
5 Zum spätantiken Kolonat (S. 139, Anm. 18) ließe sich Oliver Schipp, Der weströmische Kolonat von Konstantin bis zu den Karolingern, Hamburg 2009 und zum Perserfeldzug Konstantins (S. 134, Anm. 2) Andreas Luther, Konstantins letzte Pläne, in: Kay Ehling / Gregor Weber (Hrsg.), Konstantin der Große, Darmstadt 2011, S. 110–117 ergänzen. Zur Gesetzgebung Konstantins vgl. nun John Noel Dillon, The justice of Constantine. Law, communication, and control, Ann Arbor 2012.
6 Wohl nicht mehr einzuarbeiten war Martin Wallraff, Die antipaganen Maßnahmen Konstantins in der Darstellung der Euseb von Kaisarea, in: Johannes Hahn (Hrsg.), Spätantiker Staat und religiöser Konflikt, Berlin 2011, S. 7–18.
7 Dazu jetzt Klaus Rosen, Constantin der Große, die Christen und der Donatistenstreit 312–314, Paderborn 2011. Zum Kaiser als pontifex maximus (S. 157, Anm. 5) ist noch Ruth Stepper, Augustus et sacerdos, Wiesbaden 2003 zu nennen.
8 Dies hat bereits Stepper, Augustus, S. 102 gesehen.
9 Roger C. Blockley, Constantius II and Persia, in: Carl Deroux (Hrsg.), Studies in Latin literature and Roman history V, Bruxelles 1989, S. 465–490.
10 Jens-Uwe Krause, Witwen und Waisen im frühen Christentum, Stuttgart 1995, insbesondere S. 52–92; Ute Eisen, Amtsträgerinnen im frühen Christentum, Göttingen 1996; Karl E. Baughman, Christianity and gender in imperial Roman policy, 57–235, Diss. Western Michigan University 2011.
11 Vgl. John F. Matthews, The poetress Proba and fourth-century Rome, in: Michel Christol u.a. (Hrsg.), Institutions, société et vie politique dans l’empire romain au IVe siècle ap. J.-C., Paris 1992, S. 277–304.
12 Vgl. etwa Begoña Enjuto Sánchez, La alteridad femenina en época de Juliano, in: Studia historica, Historia antigua 18 (2000), S. 295–314; Constance Head, Women in the life and writings of the emperor Julian, in: Byzantina 11 (1982), S. 9–20.
13 Dazu jetzt Lieve van Hoof / Peter van Nuffelen, Antioch A.D. 362/3 revisited, in: Journal of Roman Studies 101 (2011), S. 166–184 mit einer Interpretation als Kommunikationskrise.
14 Insbesondere Alexander Demandt, Die Spätantike, 2. Aufl., München 2007.

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