Cover
Titel
Working Out Egypt. Effendi Masculinity and Subject Formation in Colonial Modernity, 1870–1940


Autor(en)
Chacko Jacob, Wilson
Erschienen
Anzahl Seiten
423 S.
Preis
€ 22,56
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Achim Rohde, Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin

Dieses Buch beschäftigt sich mit der Genese des modernen Ägyptens zu Zeiten des britischen Kolonialismus. Der Autor wählt einen kultur- und geschlechtergeschichtlichen Zugang und stellt die Effendiya ins Zentrum seiner Untersuchung, eine im weitesten Sinn als westlich orientierte modernizing elite zu bezeichnende soziale Schicht, die maßgebliche Trägerin des antikolonialen Kampfes in Ägypten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war und deren Entstehung mit dem Aufbau des modernen ägyptischen Nationalstaats in Verbindung gebracht wird.

Die trotz des anspruchsvollen theoretischen Rahmens und eines gelegentlich etwas mäandernden Schreibstils lesbare und gut strukturierte Studie Jacobs umfasst neben einer Einleitung insgesamt acht Kapitel, von denen drei aus bereits publizierten Aufsätzen in Fachzeitschriften hervorgegangen sind. Der Autor nutzt eine breite Quellenbasis, vor allem eine Vielzahl von in der ägyptischen Nationalbibliothek archivierten Printmedien, aber auch Material aus privaten und staatlichen Archiven in Ägypten, Großbritannien, Frankreich und der Schweiz. Die Studie gewinnt zusätzlich durch die darin enthaltenen 41 Abbildungen (Fotos, Cartoons, Zeichnungen, Zeitschriftencover), darunter spektakuläre Bilder wie die zwei um 1950 vor dem Hintergrund einer Pyramide aufgenommenen ägyptischen Turner, die das Cover von Working out Egypt schmücken.

Es ist vor allem seine innovative theoretisch-methodische Herangehensweise, die Jacobs Buch zu einem herausragenden Werk in der Forschung zur modernen ägyptischen Geschichte und der Rolle der Effendiya darin macht. Sinnvoll wäre es, Working out Egypt komplementär zu Timothy Mitchells Colonizing Egypt (1991)1 zu lesen, denn der Einfluss dieses Klassikers auf Jacob ist ebenso evident wie die Agenda des Autors, der von Mitchell porträtierten Kolonialgeschichte Ägyptens eine an postkolonialer Theorie orientierte Entstehungsgeschichte des modernen Ägyptens hinzuzufügen, in diesem Fall eine Untersuchung des performativen Prozesses der Selbstinszenierung einer nationalen Männlichkeit. Nach Jacob ist dieser nicht mit einem schlichten Mimikry kolonialer Vorbilder zu verwechseln, die etwa durch das Bildungssystem verbreitet oder mit Hilfe anderer Foucaultscher Disziplinartechniken durchgesetzt werden, sondern stellt einen aktiven Prozess der Aneignung und Umwidmung europäischer Einflüsse dar. Während die ambivalente Position der Effendiya als Trägerin eines westlich induzierten Modernisierungsprozesses sowie gleichzeitig als maßgeblicher Akteur bei der Konstruktion einer nationalen ägyptischen Identität in der Forschung schon oft beschrieben wurde, besteht die Originalität von Jacobs Arbeit in seiner Betonung der Genderperspektive. Diese erlaubt es dem Autor, sich der Frage nach dem Charakter der ägyptischen Moderne über eine Untersuchung spezifischer Subjektivierungen ägyptischer Männer unter sich wandelnden historischen Bedingungen zu nähern. Seine Untersuchung von Brüchen und Kontinuitäten zwischen den Generationen (Effendiya vs. neue Effendiya) durch die Brille der Männlichkeitsforschung erlaubt es dem Autor, das oft als Abkehr vom ‚Westen‘ und als Hinwendung zu arabischen und islamischen Traditionen charakterisierte Aufkommen supranationaler Kräfte in der ägyptischen Politik der 1930er- und 1940er-Jahre als statische und verkürzende Darstellung zu kritisieren (S. 193f.).

Im ersten Kapitel beschreibt Jacob anhand von Berichten britischer Kolonialbeamter und Beispielen aus der Belletristik die Inszenierung einer imperialen britischen Männlichkeit, die sich durch Tapferkeit, Selbstdisziplin und Ritterlichkeit auszeichnete und sowohl das britische Publikum als auch kolonisierte Bevölkerungen ansprach. Mit Blick auf die Kolonien legitimierte diese Projektion einer überlegenen imperialen Männlichkeit die fortgesetzte britische Herrschaft in Ägypten (Kapitel 2). Vertreter der Effendiya eiferten einerseits diesem Männlichkeitsentwurf nach. Gleichzeitig wehrten sie sich gegen die Abwertung ägyptischer Männlichkeit und die damit einhergehende Rechtfertigung für die koloniale Unterwerfung der ägyptischen Nation. Mustafa Kamil und Qasim Amin etwa konstruierten in ihren Schriften eine moderne und selbstbewusste ägyptische Nation, die keine britische Oberhoheit nötig habe. Zu diesem Zweck argumentierten sie unter anderem, Ägypter hätten sich den von der Kolonialmacht verbreiteten Männlichkeitsentwürfen angenähert, betteten aber gleichzeitig das von ihnen so präsentierte ägyptische nationale Subjekt in eine lange vorkoloniale indigene Tradition ein.

In Übereinstimmung mit den erwähnten britischen Selbstbildern wurde in der ägyptischen Presse jener Zeit der Niedergang des Landes explizit mit der Vorstellung einer den Vertretern der britischen Kolonialmacht unterlegenen, verweichlichten und feminisierten ägyptischen Männlichkeit in Verbindung gebracht (Kapitel 3). Diese gelte es zu remaskulinisieren, indem sich die Jugend des Landes in Schulen, Vereinen unter anderem verstärkt dem Sport und der körperlichen Fitness zuwende. Der Erfolg und die Selbstinszenierung der Pfadfinderbewegung in Ägypten, deren Mitglieder in der antibritischen Revolte von 1919 und später in den radikalen Bewegungen der neuen Effendiya der 1930er- und 1940er-Jahre eine wichtige Rolle spielten, gilt Jacob als prominentes Beispiel in diesem Kontext (Kapitel 4). Die Teilnahme ägyptischer Teams an den Olympischen Spielen der 1920er- und 1930er-Jahre und die Berichterstattung der ägyptischen Presse über Erfolge ägyptischer Sportler, vor allem im Ringen und Gewichtheben (erste Goldmedaille 1928), zeichnet der Autor in Kapitel 5 nach. Die Inszenierung ägyptischer Olympioniken als hypermaskuline Nationalhelden diente dabei als Marker für den Eintritt Ägyptens in die moderne Weltgeschichte. Gleichzeitig bescherte die Betonung maskulinisierter körperlicher Fitness als ästhetisches Ideal der Effendiya auch Distinktionsgewinne gegenüber den zahlreichen ländlichen Migranten, die in dieser Phase in die Städte drängten und in Effendiya-Kreisen als körperlich degeneriert dargestellt wurden. Der öffentliche Diskurs über den Wert körperlicher Fitness, den der Autor in Kapitel 6 am Beispiel der Zeitschrift al-Riyada al-Badaniya (Körperkultur) porträtiert, kannte allerdings auch die Figur sportlicher Frauen, die oft auf durchaus sexualisierte Weise als Bedrohung für Männer und die soziale Ordnung insgesamt dargestellt wurden. Öffentliche Debatten um Modernität, sportliche Fitness und Geschlechterrollen dienten nach Jacob nicht zuletzt der Durchsetzung eines binären Geschlechterrollenverständnisses und einer spezifisch modernen heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit, wodurch traditionelle Frauenarbeit in der Landwirtschaft wie auch die geschlechtsambivalente Figur des Khawal (männlicher Bauchtänzer) unsichtbar wurden. Jacob arbeitet die von ihm wahlweise als Effendi-Männlichkeit, bürgerliche Männlichkeit oder nationale Männlichkeit bezeichnete Subjektivität auch im Bereich der Mode heraus (Kapitel 7), indem er Debatten in Zeitungen und Magazinen über die adäquate Bekleidung ägyptischer Männer thematisiert, die zwischen Bezügen auf indigene Traditionen einerseits und auf eine westlich induzierte Moderne andererseits changierten. Letztere wird vom Autor als eine sich formierende internationale Ordnung bezeichnet, an der alle Beteiligten, also auch die Kolonisierten, auf die eine oder andere Weise mitwirkten. Jacob legt Wert auf die Feststellung, dass auch die in den 1930er-Jahren verstärkte Abgrenzung ägyptischer Intellektueller vom ‚Westen‘ und ihre Hinwendung zu einer essentialisierten Vorstellung des Eigenen als eine Manifestation dieser internationalen Ordnung zu verstehen sei (S. 224).

Anstelle einer Zusammenfassung bietet Jacob im letzten Kapitel des Buches einen Ausblick auf den ‚unterdrückten Männlichkeitsentwurf‘ der Futuwwa, einer über Jahrhunderte etablierten männerbündlerischen Formation, die seit dem 19. Jahrhundert in Ägypten zunehmend mit Kriminalität und Bandenwesen assoziiert und polizeilich bekämpft wurde. Diese von Jacob als das Andere der bürgerlichen Effendi-Männlichkeit bezeichnete Tradition, die ein konkurrierendes Modell nationaler Männlichkeit darstelle, gilt dem Autor als Verweis auf den gebrochenen und notwendig unabgeschlossenen Charakter der ägyptischen (und jeder anderen) Nation und somit auf die Existenz alternativer Entwürfe einer ägyptischen Moderne, die noch nicht ausreichend erforscht sind.

Insgesamt stellt die Arbeit Jacobs eine höchst anregende Erweiterung der bereits existierenden Forschung zur modernen ägyptischen Geschichte dar. Die einzelnen Kapitel deklinieren die Grundthese des Autors in verschiedenen Facetten durch und lassen sich auch als eigenständige Fallstudien lesen. Dieser Umstand bedingt eine gewisse Redundanz in der Argumentation des Autors, was allerdings durch die illustrative ‚dichte Beschreibung‘ der Effendiya aus einer bislang nicht beachteten Perspektive mehr als wettgemacht wird.

Anmerkung:
1 Timothy Mitchell, Colonising Egypt, Berkeley 1991.

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