S. D. Gupta: Komintern und Kommunismus in Indien 1919–1943

Cover
Titel
Komintern und Kommunismus in Indien 1919–1943.


Autor(en)
Gupta, Sobhanlal Datta
Reihe
Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus 17
Erschienen
Anzahl Seiten
365 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Patrick Hesse, Seminar für Südasien-Studien, Humboldt-Universität zu Berlin

Sobhanlal Datta Guptas Buch über die Beziehungen der indischen kommunistischen Partei (CPI) zur Dritten oder Kommunistischen Internationalen (Komintern) ist eine begrüßenswerte Erweiterung der Reihe „Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus“, deren geografischer Fokus bisher beinahe ausschließlich auf dem deutschen Kerneuropa gelegen hat.1 Während sich auf internationaler Ebene ein beständiger und methodisch differenzierter Strom an Forschungsliteratur zum indischen Kommunismus herausgebildet hat, besitzen Einblicke in das subkontinentale kommunistische Geschehen im deutschen Sprachraum nach wie vor Seltenheitswert.2

Das Vorhaben des Dietz Verlages, diese Lücke wenigstens teilweise zu schließen, ist in Anbetracht der vorliegenden Studie umso mehr zu würdigen. Gestützt auf reichhaltiges Quellenmaterial vorwiegend russischer Provenienz beleuchtet Guptas gewissenhaft recherchiertes Buch Struktur und Entscheidungsprozesse der Komintern sowie deren Auswirkungen auf die indische Partei. Damit reiht es sich ein in eine wahre Fülle an Forschungsliteratur zur Komintern, die seit dem Ende der Sowjetunion erschienen ist und dank der nunmehr geöffneten Sowjetarchive gerade im deutschen Sprachraum beträchtliche Revisionen an auf veröffentlichten, das heißt ‚offiziellen‘ Quellen basierenden Geschichtsdarstellungen ermöglicht hat.

Entsprechend eröffnet das erste der insgesamt sechs Kapitel des Buches mit einem umfassenden Überblick über die Forschungslage zum Thema. Periodisierungen der neueren Kominterngeschichte werden ebenso diskutiert wie die Frage nach der Verlässlichkeit der Archivquellen. Die wichtigsten Erkenntnisse der Kominternforschung, etwa zu den Disziplinierungsmechanismen im Zuge der „Bolschewisierung“ ab Mitte der 1920er-Jahre oder hinsichtlich der Auflösung der Komintern 1943 werden zu einer Kulisse zusammengefügt, vor der in den übrigen Kapiteln die spezifischer auf die CPI bezogene Abhandlung situiert ist. Diese folgt Guptas eigener Periodisierung der Kominterngeschichte in die Phasen 1919–23 (Kapitel II), 1924–34 (Kapitel III) und 1935–43 (Kapitel IV). Daran schließen sich an ein Kapitel über die indischen Revolutionäre in Sowjetrussland und eines, das die „Dialektik von wirklicher und einer möglichen Geschichte“ behandelt.

Die Studie orientiert sich an der Beantwortung der Frage: „Was ist schiefgelaufen und warum?“ (S. 19). Im Unterschied zu marxistischen Kommentatoren ist Gupta jedoch nicht daran gelegen, den Grad der Übereinstimmung mit oder Abweichung von ‚korrektem‘ Marxismus zu bestimmen. „Schiefgelaufen“ ist vielmehr, dass es der Partei nicht gelang, eine dominierende Position in der indischen politischen Landschaft zu erringen – ein möglicherweise etwas eng gefasstes Kriterium, das politischem Reüssieren kurzerhand die Weihen der Richtigkeit verleiht. Durchaus folgerichtig begreift er das Verhältnis zwischen internationaler revolutionärer Organisation und nationaler Partei denn auch als Geschichte des Scheiterns, bei der die Öffnung der russischen Archive es erstmals ermöglicht, die vergessenen Alternativen aufzuzeigen. Guptas Antwort fällt dabei eindeutig aus: Hauptsächlich sei ein Übermaß an „linkem Sektierertum“ (S. 359) dafür verantwortlich gewesen, dass die CPI andere revolutionäre Strömungen eher bekämpfte anstatt sie zu integrieren, dass sie sich den südasiatischen Realitäten in Politik und Gesellschaft verschloss und schließlich als Bastion des orthodoxen Marxismus in ihrer Nische versteinerte.

Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung bescheinigt Gupta der Komintern bzw. der sie sich allmählich unterordnenden KPdSU, die – eine auch in der neuesten Forschung nicht unumstrittene These3 – das Schicksal des indischen Kommunismus mehrmals entscheidend beeinflusst habe. Hierbei bildet das erste Beispiel – die Führung der Partei in ihren ersten Jahren aus dem Exil durch den Linksradikalen M. N. Roy – eine Besonderheit der indischen Partei. Der Rest (der Linksschwenk 1928, der Rechtsschwenk 1935 sowie die rabiaten Kurswechsel 1939 und 1941) ist aus der internationalen Kommunismusgeschichte bekannt, erfährt jedoch auf der Grundlage des neu hinzugezogenen Materials eine in Bezug auf Südasien überfällige Neubewertung.

Guptas Hauptaugenmerk liegt auf der Verflechtung der CPI mit der Komintern und der CPGB, der britischen KP, die ab Ende der 1920er–Jahre faktisch die Rolle des Mittlers zwischen der Moskauer Zentrale und dem Subkontinent einnahm. Daher fällt die Protagonistenrolle der Komintern und ihrem Umfeld zu und gerät die indische Partei selbst zuweilen etwas aus dem Blick; tatsächlich werden die Akteure auf dem Subkontinent nur am Rand beleuchtet. Dies ist gerade deshalb bedauerlich, weil Gupta die Handlungsspielräume der nationalen Parteien gegenüber der Generallinie der Komintern vor allem auf den unteren Rängen nicht allzu eng fasst (S. 28–32). Die Prämisse von der Dominanz der Komintern setzt der Erkundung lokaler Variationsmuster (und ihrer Relevanz) jedoch deutliche Grenzen. Hier hätte etwas mehr Tiefe geholfen, jene Prämisse abseits offenkundig loyalitätsheischender Texte der indischen Parteiführung mit Leben zu füllen. So nähert sich der Autor wohl eher unfreiwillig Befunden der älteren antikommunistisch gefärbten Forschung an, die die nationalen KPs oftmals zu bloßen Marionetten Moskaus degradierte.4

Dafür wird der Leser mit einer akribischen und umsichtigen Studie der Prozesse der zunehmend dogmatischen Meinungsbildung in der Komintern und ihrer Diffusion in die angeschlossenen KPs entschädigt, die es nie versäumt, die Kursänderungen und organisatorischen Wandlungen angemessen im Sowjetstaat zu kontextualisieren. Die Entwicklungen in der Hinwendung der Komintern zum ‚Osten‘ und damit auch dem indischen Subkontinent werden erhellend geschildert. Besonders hervorgehoben werden muss ein Abschnitt gegen Ende des Buches (S. 345–58), der die Perspektive auf kommunistische Bewegungen in anderen Teilen Asiens – China, Korea, Indonesien, Vietnam – erweitert und vor diesem Hintergrund die mangelnde Fähigkeit der CPI zur Berücksichtigung nationaler, religiöser und kultureller Besonderheiten überzeugend darlegt. Ebenso verdient lobende Erwähnung, dass der Autor in der zweiten, überarbeiteten und erweiterten Auflage, auf der die deutsche Fassung basiert, den Großteil der Archivverweise um Alternativbelege zu inzwischen veröffentlichten Quellen ergänzt hat.

Die stellenweise etwas umständliche Übersetzung und die gelegentlich recht lang geratenen Zitatpassagen aus den Quellen trüben den Gesamteindruck nur leicht. Gupta hat eine gehaltvolle und mit zahlreichen Erkenntnissen aufwartende Studie vorgelegt, die für die Beschäftigung mit (süd-)asiatischem Kommunismus in näherer Zukunft unverzichtbar sein dürfte.

Anmerkungen:
1 Bei den beiden übrigen Bänden handelt es sich um Wladislaw Hedeler / Klaus Kinner (Hrsg.), „Die Wache ist müde“. Neue Sichten auf die russische Revolution 1917 und ihre Wirkungen, Berlin 2008 (Band VI), und Jürgen Mothes, Lateinamerika und der „Generalstab der Weltrevolution“. Zur Lateinamerikapolitik der Komintern, Berlin 2010 (Band XIV).
2 Kurt Müller / Hemen Ray, Der Kommunismus in Indien, Helmstedt 1966 ist die bislang einzige deutschsprachige Monografie zum Thema.
3 Zuletzt argumentierte Suchetana Chattopadhyaya, die besondere Fähigkeit der CPI habe gerade darin bestanden, Kominterndirektiven zu kritisieren und – wo nötig – zu missachten: Dies., An early Communist. Muzaffar Ahmad in Calcutta 1913–1929, Delhi 2011, S. 232.
4 Klassisch bei John Kautsky, Moscow and the Communist Party of India, New York 1956 und auch Minoo Masani, The Communist Party of India. A Short History, London 1954.

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