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Titel
Romances of War. Die Erinnerung an die Revolutions- und Napoleonischen Kriege in englischsprachigen Romanen aus Großbritannien und Irland 1815–1945


Autor(en)
Peters, Lars
Erschienen
Paderborn 2012: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
348 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Rennhak, Anglistik/Amerikanistik, Bergische Universität Wuppertal

An der Schnittstelle von Geschichts- und Literaturwissenschaften wurden in den letzten Jahrzehnten viele spannende kulturwissenschaftliche Fragestellungen generiert. Dennoch findet man weiterhin recht wenige, wahrhaft interdisziplinäre Studien, die sich ihrem Gegenstand unter Rückgriff auf eine Kombination aus geschichts- und literaturwissenschaftlichen Methoden nähern und zu Ergebnissen gelangen, die für beide Disziplinen von Interesse sind. Peters’ Dissertation zur Erinnerung an die Revolutions- und Napoleonischen Kriege in britischen und irischen historischen Romanen stellt einen der seltenen Versuche dar, „sich an den Grenzen verschiedener Disziplinen [zu bewegen]“ und „Erkenntnisse der Nationalismusforschung [und] der Erfahrungs- und Erinnerungsgeschichte“ mit Ergebnissen der literaturwissenschaftlichen Forschung sowie der „Buchgeschichte und Leseforschung“ zusammenzudenken (S. 22). Dies ist ein begrüßenswertes und wegweisendes Unterfangen, auch wenn es an den Gelenkstellen, an denen die unterschiedlichen Methoden aufeinander stoßen, noch etwas knarzt.

Ausgehend von der weithin akzeptierten These, dass „Literatur – insbesondere der historische Roman – eine wichtige Rolle für die Entwicklung eines historischen Bewusstseins und die Ausbildung nationaler Identitäten“ (S. 18) einnimmt, untersucht Peters 534 Romane, die die Revolutions- und Napoleonischen Kriege zum Thema haben und zwischen 1815 und 1945 im Vereinigten Königreich erschienen sind. Nach einem Einleitungskapitel, das relevante theoretische Kontexte knapp vorstellt, ist der Hauptteil in zwei Abschnitte untergliedert. Ein empirischer Teil behandelt den Problemkomplex „Märkte und Erinnerung“ und liefert einen Überblick über den Buchmarkt, Überlegungen zum Zusammenhang zwischen viktorianischen Publikationsformen (zum Beispiel dem dreibändigen Roman) und der Konstruktion nationaler Identität (unter besonderer Berücksichtigung der Identitätskategorie class) sowie eine Einführung in die Verbreitungskanäle der Romane. Letztere orientiert sich an den Biographien zentraler „Protagonisten des Buchmarkts“ (S. 51) wie Charles Mudie und W.H. Smith. Im Rahmen der Rekapitulation weitgehend bekannter Gegebenheiten und Figuren geht es Peters vor allem darum zu belegen, was heute nicht mehr unbedingt eines Beweises bedarf, nämlich dass die Gesetze des englischen Buchmarktes entscheidenden Einfluss auf den Erfolg eines Romans, eines Themas oder einer Gattung hatten.

Im zweiten, mit „Konjunkturen der Erinnerung“ (S. 62) überschriebenen Unterpunkt des empirischen Teils, findet sich das Herzstück der Arbeit: die systematische Auswertung des Textkorpus, dank derer Peters unter anderem nachweisen kann, dass sich „zwei Hauptperioden der Erinnerung an die napoleonische Ära“ (S. 64) ausmachen lassen. Im Mittelpunkt der ersten Phase, die die Jahre 1815 bis circa 1850 umfasst, steht die zeitgeschichtliche Verarbeitung der jüngsten Geschichte, die dem kommunikativen Gedächtnis (J. Assmann; vgl. S. 31) zugeordnet werden kann. „Die zweite Konjunktur liegt zwischen 1886 und dem Ersten Weltkrieg, als die Napoleonischen Kriege zu einem Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses wurden.“ (S. 64) Weitere interessante Antworten liefern die statistischen Auswertungen zur diachronen Entwicklung im Untersuchungszeitraum zum Beispiel auf die Frage nach der sozialen und regionalen Herkunft der Autoren oder nach dem prozentualen Anteil ausgewählter Genres an der Buchgesamtproduktion. Nicht zuletzt werden vier „wichtige Räume der Erinnerung“ (S. 71) ausgemacht, auf die sich die britische Romanproduktion konzentriert: die See, die Iberische Halbinsel, das englische Festland und Irland.

Diese Erinnerungsräume strukturieren den zweiten Abschnitt des Hauptteils, in dem Peters die systematisch-statistische Auswertung des Textkorpus durch einen genaueren Blick auf ausgewählte Problem- und Themenkomplexe sowie Autoren und Romane ergänzt. Das erste Unterkapitel (III.1) setzt sich mit der Darstellung der Seekriege und der britischen Marine im historischen Roman auseinander. Es zeigt, wie die erste Hochphase der Seeromane (1815–1850) von schreibenden Ex-Kapitänen geprägt wurde, die die nationale Wertschätzung der Marine wesentlich stützten und ein entsprechendes „Kriegsvokabular und männliche, militärische Werte […] in das kollektive Gedächtnis“ (S. 88) der Nation einbrachten. Während sich die frühen Romane vor allem durch eine detailreiche Schilderung des militärischen Seelebens auszeichnen, kann Peters für die zweite Hochphase, in der die Seekriege der napoleonischen Zeit vor allem dem Jugendroman als Setting dienten, „mit dem Übergang vom kommunikativen zu[m] kulturellen Gedächtnis […] eine Verengung der Erinnerung auf die großen Persönlichkeiten und Schlachten“ (S. 111) feststellen. Im Rahmen der Analyse von Romanen Marryats sowie von Hentys „By Conduct and Courage“ liegt der Schwerpunkt, wie in einer ganzen Reihe aktueller Forschungsbeiträge zum viktorianischen Roman und zur Militärgeschichte des 19. Jahrhunderts, auf Fragen der Männlichkeit. Zudem wird die Konstruktion von Selbst- und Fremdbildern untersucht. Peters kann dabei die Erkenntnisse anderer Studien zur Konstruktion des britischen self-made man bestätigen und zeigen, wie die Royal Navy im Laufe der Zeit zunehmend „als Schule britischer Gentlemen“ verklärt wird (S. 112). Außerdem wird deutlich, dass – anders als etwa Linda Colley in „Britons. Forging the Nation 1706-18371 argumentiert – die Royal Navy und (wie die späteren Kapitel zeigen) das britische Militär insgesamt im historischen Roman zunächst nicht ohne Weiteres „als Schmelztiegel der Nationen“ wahrgenommen und repräsentiert wurde, „in dem sich englische, irische und schottische Matrosen unter dem Dach einer britischen Nation vereinten“ (S. 105).

Bei der Analyse von Romanen zum Erinnerungsraum See und auch noch im Kapitel zur Iberischen Halbinsel (III.2), das die schottische Rolle in den napoleonischen Kriegen in den Interessensmittelpunkt stellt, greift Peters – mal mehr, mal weniger souverän – konsequent auf dezidiert literaturwissenschaftliche Analysemodelle zurück. Vor allem Astrid Erlls Überlegungen zum „erfahrungshaftigen Modus“ der Gedächtnisdarstellung2 sowie gattungstheoretische Überlegungen kommen zum Einsatz. In den Kapiteln zum Heimatland England (III.3), das die Repräsentation des Impressments untersucht, und zum Erinnerungsraum Irland (III.4), das sich mit der Erinnerung an die Rebellion von 1798 befasst, ist die Argumentation über weite Strecken von einem Vergleich zwischen einflussreichen historiographischen Werken einerseits und historischen Romanen andererseits geprägt. Die Gliederung der romananalytischen Abschnitte gerät mit der Abfolge 1. Kurzbiographie der Autoren, 2. themenrelevanter Inhalt des Romans, 3. etwas intensivere Betrachtung der fiktionalen Repräsentation des zentralen Themas und 4. Rezeptionsgeschichte recht schematisch. Eine durchweg kohärente argumentative Zusammenführung der verschiedenen Fäden, die Peters auslegt, bleibt so nicht durchweg garantiert.

Eine der entscheidenden Stärken von Peters’ interdisziplinärer Studie liegt darin, dass sie dezidiert Repräsentationen der Napoleonischen Kriege untersucht und so historiographische und fiktionale Texte, autobiographische Zeugnisse und Historiengemälde überzeugend miteinander vergleichen und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Texten und Medien nachspüren kann. An der interdisziplinären Schnittstelle kommt es allerdings auch zu Reibungsverlusten. Der Versuch, die Arbeit auch als einen Beitrag zur Erfahrungs- und Alltagsgeschichte des frühen 19. Jahrhunderts zu platzieren, führt immer dann in die Bredouille, wenn Peters mitunter nebenbei suggeriert, die literarischen Texte öffneten den Blick auf eine vergangene Realität (zum Beispiel S. 29, 124, 167), oder wenn im Rahmen einer Romananalyse allzu unbesorgt eine eindeutige Autorenintention unterstellt wird (zum Beispiel S. 166). In diesem Zusammenhang erklären sich wohl auch die gelegentlich in einem ungelenken Konjunktiv formulierten Passagen (zum Beispiel S. 194) sowie die Inflation des Adverbs „angeblich“ (zum Beispiel S. 102f.) – beides Strategien Peters’, die offenbar dazu dienen sollen, sich beim Blick auf Romaninhalte von der vermeintlich eindeutigen politischen Meinung eines Autors zu distanzieren. Hier zeigt sich, dass eine intensivere und deutlicher auf das eigene Erkenntnisinteresse zugespitzte Auseinandersetzung mit neueren Theorien zum Mimesisproblem notwendig wäre. Nicht gänzlich unerwähnt bleiben soll, dass sich Peters bei der knappen Einordung einzelner Romane auch hier und da vertut. Sydney Owensons „The Wild Irish Girl“ etwa ist keineswegs ein eindeutig „ultraloyalistische[r]“ Roman (S. 186).

Aber wer will da bei einem Textkorpus von 534 Romanen allzu kritisch sein? Zumal die besondere Leistung der Arbeit zweifellos in der systematischen Auswertung des Textkorpus liegt, die zahlreiche interessante Beobachtungen und Fragen aufwirft, die in weiteren Stichprobenanalysen, wie sie Peters im dritten Kapitel unternimmt, näher untersucht werden könnten und sollten. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass Peters eine mutige interdisziplinäre Arbeit vorlegt, die die interessanten zentralen Thesen in Bezug auf die beiden Hochkonjunkturen und die im Roman repräsentierte, bisher in der Geschichtswissenschaft oft kaum wahrgenommene Vielstimmigkeit der nationalen Erinnerungskultur überzeugend belegt und nachweist, dass sich (außer in den Romanen zur irischen Rebellion!) beim Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis dominante Meistererzählungen durchsetzen (S. 202). Es bleibt zu hoffen, dass viele Kolleginnen und Kollegen in der Geschichts- und in der Literaturwissenschaft aus den Stärken und Schwächen von „Romances of War“ lernen und den von Peters vorgezeichneten Weg weiter beschreiten.

Anmerkungen:
1 Linda Colley, Britons. Forging the Nation 1707–1837, New Haven 1992.
2 Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung, Stuttgart 2005.