E. Giloi: Monarchy, Myth and Material Culture

Titel
Monarchy, Myth, and Material Culture in Germany 1750–1950.


Autor(en)
Giloi, Eva
Reihe
New Studies in European History
Erschienen
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
€ 78,32
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Volker Sellin, Heidelberg

Die europäische Monarchie der Neuzeit ist in den letzten Jahren wieder verstärkt ins Blickfeld der Historiker gerückt. Vor allem in Sammelbänden, die aus wissenschaftlichen Tagungen hervorgegangen sind, hat sich dieses Interesse niedergeschlagen. Erinnert sei nur an die Bände „Murder and Monarchy“, herausgegeben von Robert von Friedeburg (2004)1, „Sovrani a metà“, herausgegeben von Giulia Guazzaloca (2009)2, und „Thronverzicht“, herausgegeben von Susan Richter und Dirk Dirbach (2010).3 Während in den genannten Werken jedoch die politische und die Verfassungsgeschichte im Vordergrund stehen, nähert sich Eva Giloi der Monarchie mit einem Ansatz, den man einer vor allem in Amerika erfolgreichen politischen Kulturgeschichte zurechnen darf, wie sie etwa James Brophy in seinem Buch „Popular Culture and the Public Sphere in the Rhineland, 1800–1850“ von 2007 vorgestellt hat.4

Gegenstand des Buches von Eva Giloi sind die Einstellungen (popular attitudes) der Deutschen gegenüber der Monarchie seit dem Zeitalter der Aufklärung. Als Quelle dient ihr der Niederschlag, den monarchische Gesinnung in Deutschland in materiellen Objekten und deren Gebrauch gefunden hat. Ihr Ziel sei, so schreibt sie in der Einleitung, eine „Rezeptionsgeschichte der Monarchie“, abgelesen an der darauf bezogenen „materiellen Kultur“ (S. 5). Im Vordergrund stehen die preußische, seit 1871 zugleich deutsche, Monarchie und das Haus Hohenzollern. Die anderen Monarchien in Deutschland treten zurück. Eingestreut sind dagegen immer wieder vergleichende Blicke auf die benachbarten Monarchien in Europa, besonders auf Großbritannien und Frankreich.

Vor allem zwei Gruppen von materiellen Objekten werden für die Untersuchung herangezogen: Reliquien (relics) und Souvenirs. Reliquien sind Gegenstände, die ein Mitglied des königlichen Hauses benutzt hatte: ein Hut, ein Brillenfutteral, ein Taschentuch oder der Sessel, in dem Friedrich der Große verschieden war. Souvenirs sind Gegenstände, die Bürger aus Verehrung oder aus Geschäftssinn anfertigten und die an eine Person aus der Königsfamilie oder an ein Ereignis in der Geschichte der Dynastie erinnern sollten: Tassen oder Teller, Tabaksdosen oder Tischtücher mit dem Porträt Friedrichs des Großen oder eines anderen Königs. Souvenirs konnten in beliebig großer Zahl hergestellt, Reliquien dagegen nicht willkürlich vermehrt werden. Reliquien wie Souvenirs wurden jedoch auf dem freien Markt gehandelt, und Sammler nahmen über Inserate oder auf Auktionen ihre Chancen wahr. Auf der Grenze zwischen Reliquien und Souvenirs stehen Photographien und Postkarten, je nachdem, ob sie autorisiert und signiert oder ob sie ohne Zutun des Hofes angefertigt und verbreitet worden waren.

Giloi ist der Frage nachgegangen, wie die Herrscherreliquien überhaupt in private Hände und von da aus auf den Markt gelangt sind. Oft handelte es sich um Schenkungen von Mitgliedern der Herrscherfamilie, die Untergebene als Zeichen des Danks für geleistete Dienste erhalten hatten und die später von den Empfängern oder deren Erben zum Verkauf angeboten worden waren.

Zum strategischen Ansatzpunkt ihrer Untersuchung wählte Eva Giloi die Praxis von Bürgern, ihre dynastischen Reliquien dem aktuell regierenden Herrscher zum Geschenk zu machen. Die Motive für derartige Schenkungen hat sie vor allem aus den archivalisch überlieferten Begleitschreiben ermittelt. Für alle Schenkenden gilt, dass sie durch ihre Schenkung ein emotionales Band zum Herrscherhaus knüpfen wollten. Schenken war eine Form der Partizipation an der Monarchie. Nicht selten erwarteten die Schenker auch Gegenleistungen vom Herrscher. Weil nicht jedermann dynastische Erinnerungsstücke besaß oder vermögend genug war, um sie auf dem Markt zu erwerben, schenkten Bürger dem Monarchen auch andere, häufig selbstgefertigte Gegenstände. Außer Stiftungen behandelt Giloi flankierend auch andere Formen der Annäherung an das Herrscherhaus, darunter den Hoftourismus und die Teilnahme an dynastischen Festen.

Die Analyse der Stiftungspraxis geht aus von einer quantitativen Bestandsaufnahme nach verschiedenen Kriterien. Giloi vergleicht die Zahl der Geschenke, die die Herrscher sowohl insgesamt als auch in einzelnen Phasen ihrer Regierungszeit erhalten haben. Sie fragt nach der regionalen Herkunft der Schenker innerhalb der Monarchie und nach ihrer Konfession. Sie skizziert den Wandel im Sozialprofil der Schenkenden und unterscheidet dabei zwischen Männern und Frauen. Sie geht der Frage nach, von welchen Angehörigen der Dynastie die jeweils geschenkten Reliquien stammten und welche Bedeutung den einzelnen Reliquien zugeschrieben wurde. Schließlich fragt sie nach der Aufnahme, die die Schenkungen bei den beschenkten Monarchen jeweils fanden.

Die Fülle der Ergebnisse dieser Untersuchungen kann in einer Rezension nicht wiedergegeben werden. Zu den wichtigsten Befunden zählt, dass die Mehrheit der Stifter bis zuletzt aus dem Kerngebiet der preußischen Monarchie stammte, unter der Regierung Wilhelms II. zum Beispiel zu 53 Prozent, darunter zu 43 Prozent allein aus Berlin und Brandenburg und nur zu 10 Prozent aus den weiter östlich gelegenen Provinzen (S. 318). Aus dem Rheinland kamen kaum Geschenke. Aus den nichtpreußischen Bundesstaaten stammten, lässt man Geschenke aus den Herrscherhäusern selbst außer Betracht, unter Wilhelm II. nur 16 Prozent der Stifter. Das wirft Fragen nach der Integrationskraft der Hohenzollerndynastie sowohl in Preußen selbst als auch im Reich auf (S. 184). Immerhin nahmen die Stiftungen aus den 1866 annektierten Provinzen zu (S. 315-318). Unter den Stiftern war der Adel, gemessen an seinem Anteil in der Gesellschaft, mit rund 25 Prozent weit überrepräsentiert, gefolgt vom Bildungsbürgertum. Unter Wilhelm II. trat eine wachsende Zahl von Industriellen, Bankiers und Ärzten, darunter viele Juden, als Stifter in Erscheinung. Die Frequenz der Schenkungen korrelierte häufig mit der öffentlichen Wahrnehmung eines Herrschers. Erstaunlich bleibt jedoch, dass Kaiser Wilhelm I. 90 Prozent aller Stiftungen erst nach 1876 erhielt (S. 160).

Giloi interpretiert die von ihr gewonnenen Daten mit Scharfsinn und Umsicht auf dem Hintergrund eines breiten und vielgestaltigen Fundus ungedruckter und gedruckter Quellen sowie einer bemerkenswerten Vertrautheit mit der einschlägigen Forschungsliteratur. Was ihr begriffliches Instrumentarium anbelangt, so hätte man sich vielleicht eine eingehendere Reflexion auf das Verhältnis zwischen der Popularität einzelner Herrscher und der Legitimität der Monarchie selbst vorstellen können, zumal die Darstellung bis über den Zweiten Weltkrieg hinaus geführt wird. Nach 1918 kann jedoch sinnvoll nicht mehr nach der Popularität eines Monarchen, sondern nur danach gefragt werden, ob die Monarchie in Deutschland noch einmal hätte Legitimität gewinnen können.

Nicht selten wiesen die Herrscher die Geschenke zurück, so Friedrich Wilhelm IV. das Schwert, mit dem Hans Hermann von Katte 1730 hingerichtet worden war (S. 143). Die Reliquien aus der Zeit Friedrichs des Großen, die er annahm, ließ er wie schon sein Vorgänger Friedrich Wilhelm III. an einen für die Öffentlichkeit unzugänglichen Ort verbringen, da er Vergleiche mit dem berühmten König fürchtete. Die geschenkten Objekte wurden anfänglich in der Kunstkammer im Berliner Stadtschloss oder in anderen Schlössern untergebracht. Auf Initiative von Robert Dohme wurde 1877 das Hohenzollernmuseum in Schloss Monbijou eröffnet. Dohme stellte das Museum ganz in den Dienst der Reliquien und machte es damit zu einem Ort, der dem Besucher die Dynastie im Unterschied zur Ruhmeshalle im Zeughaus in ihrer Menschlichkeit und alltäglichen Häuslichkeit vor Augen führte. Eine zentrale Rolle spielte dabei neben den Erinnerungsstücken aus der Zeit Friedrichs des Großen das Gedenken an die 1810 im Alter von nur vierunddreißig Jahren verstorbene Königin Luise. Über die Wiege, in der sie einst ihren Sohn Wilhelm in den Schlaf gesungen hatte, ließ sich eine sentimentale Verbindung zum aktuellen Herrscher knüpfen. Erst Wilhelm II. feierte den ersten Kaiser des neuen Reiches als Wilhelm den Großen und suchte ihn als militärischen Triumphator herauszustellen.

Eva Gilois Buch ist ein höchst origineller und anregender, ungewöhnlich materialreicher, dazu methodisch und handwerklich vorbildlich gearbeiteter Beitrag zur politischen Kulturgeschichte der Monarchie in Deutschland. Die baldige Vorlage einer deutschen Ausgabe wäre sehr zu wünschen.

Anmerkungen:
1 Robert von Friedeburg (Hrsg.), Murder and Monarchy. Regicide in European History, 1300–1800, Basingstoke 2004.
2 Giulia Guazzaloca (Hrsg.), Sovrani a metà. Monarchia e legislazione tra Otto e Novecento, Soveria Mannelli 2009.
3 Susan Richter / Dirk Dirbach (Hrsg.), Thronverzicht. Die Abdankung in Monarchien vom Mittelalter bis in die Neuzeit, Köln 2010.
4 James M. Brophy, Popular Culture and the Public Sphere in the Rhineland, 1800–1850, Cambridge 2007.

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