A. J. S. Spawforth: Greece and the Augustan Cultural Revolution

Cover
Titel
Greece and the Augustan Cultural Revolution.


Autor(en)
Spawforth, Antony J. S.
Reihe
Greek Culture in the Roman World
Erschienen
Anzahl Seiten
VII, 319 S.
Preis
£ 60.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Hartmann, Philologisch-Historische Fakultät, Universität Augsburg

Wer sich mit der Geschichte Griechenlands bzw. der Bedeutung griechischer Kultur in der römischen Kaiserzeit beschäftigt, dem sind die Arbeiten Antony Spawforths etwa zur Instrumentalisierung der Perserkriegstradition1, zum römischen Sparta2 und zum hadrianischen Panhellenion3 wohlvertraut. Die nun vorgelegte Monographie baut in vielerlei Hinsicht auf diesen Beiträgen auf und leitet aus den einzelnen Fallstudien eine ebenso klare wie weitreichende These ab: Augustus und sein Umfeld hätten das Bild eines von der Gegenwart scharf geschiedenen, „wahren“ Griechenlands entworfen und aktiv verbreitet. Das Aufblühen griechischer Kultur in der römischen Kaiserzeit, das Interesse an der griechischen Vergangenheit sei daher in Wirklichkeit ein Ausweis von Romanity.4

In diesem Zusammenhang stellt Spawforth auch fest, dass „old connotations of ‚Romanisation‘, that of a ruling power which imposes ‚Roman culture‘ on non-Roman subjects, remain relevant for this book“ (S. 28). In der Tat betont Spawforth durchgängig die Initiativen römischer Handlungsträger, betrachtet seinen ganzen Gegenstand gewissermaßen durch eine römische Brille. Damit nähert er sich älteren Anschauungen, die „Romanisierung“ als einen Top-Down-Prozess bzw. als einen vom Zentrum angestoßenen und gesteuerten Diffusionsprozess verstanden. Solche Positionen haben in der jüngeren Forschung keine große Konjunktur gehabt, und man hätte sich von Spawforth eine ausführlichere Diskussion gewünscht, wie er seine Ergebnisse im Rahmen dieser großen Forschungsdebatte verortet sieht.5

Fast ein Viertel des Buches (S. 1–58) nimmt eine Einleitung ein, in der die zentralen Konzepte und Thesen exponiert werden. Tatsächlich bietet dieses erste Kapitel eine vorweggenommene Verarbeitung der im Folgenden vorgestellten Fallstudien, die konkrete bzw. vermutete Beispiele römischer oder römisch beeinflusster Interventionen im Griechenland der augusteischen Zeit behandeln: Anhand des Agrippeions in Athen und der Entwicklung der spartanischen Mastigosis zeigt Spawforth auf (S. 59–102), wie Athen und Sparta als Paradigmen kultureller humanitas bzw. militärischer disciplina konstruiert wurden. Das folgende Kapitel (S. 103–141) ist der Erinnerung an die Perserkriege gewidmet, konkret den durch die Inschrift SEG 26,121 / IG II(2),1035 bezeugten Restaurierungsmaßnahmen in Athen und Salamis, der Persischen Stoa und dem Theater von Sparta in seinem Bezug auf die Gräber des Pausanias und des Leonidas sowie der Feier der Eleutherien und dem Dialogos in Plataiai. Im nächsten Schritt versucht Spawforth dann zu belegen (S. 142–206), wie sich römische Anschauungen in einem religiösen Antiquarismus niederschlugen, der von den kooperationsbereiten lokalen Eliten getragen wurde. Diese Verflechtung wird dann am Beispiel von Baumaßnahmen in Messene, Athen, Sparta, Olympia und Mantineia weiter verfolgt (S. 207–232).

Während alle diese Detailstudien sich auf die augusteische Zeit beziehen, schlägt das sechste Kapitel nach einem kursorischen Überblick zum 1. Jahrhundert n.Chr. die Brücke in die hadrianische Zeit. Spawforth zeigt unter Fortsetzung seiner früheren Arbeiten zum Panhellenion, dass Hadrian das Griechenlandbild des Augustus wieder aufnahm. Die wesentlichen Erträge des gesamten Buches fasst dann ein knappes Schlusskapitel (S. 271–274) nochmals zusammen.

Eine große Stärke von Spawforths Buch liegt in seiner Quellennähe. Spawforth präsentiert nicht einfach fertige Ergebnisse, sondern er lässt den Leser in den Kapiteln 2–6 gewissermaßen an seiner Erkenntnisarbeit teilhaben. Spawforth integriert in diesen Abschnitten literarische, archäologische und vor allem epigraphische Quellenbestände. Das ist allerdings bisweilen keine einfache Kost. An manchen Stellen hätten Stemmata zur leichteren Erfassbarkeit genealogischer Verhältnisse beitragen können. Wer aber die Mühe auf sich nimmt, den Quellendiskussionen Spawforths zu folgen, kann viel lernen. Das gilt nicht zuletzt auch in methodischer Hinsicht: Immer unterscheidet nämlich Spawforth zwischen Fakten und Interpretationen, und er ist sich auch nicht zu schade zu dokumentieren, wo er ältere eigene Arbeiten für mittlerweile überholt hält (S. 83, Anm. 111; 252, Anm. 82).

Handwerklich gibt es also nichts auszusetzen und dennoch scheint mir die Grundthese des Buches nicht zwingend begründet: Das liegt zum einen am Quellenmaterial. Spawforth selbst legt die vielfach vorhandenen Datierungs- und Deutungsunsicherheiten offen. Die diesbezüglichen Hypothesen können richtig sein – plausibel argumentiert Spawforth immer –, sie müssen es aber nicht. Noch viel gewichtiger scheint mir jedoch, dass die „römische Brille“ Spawforths zu einer Unterbelichtung griechischer Traditionsstränge führt. Gewiss waren etwa römische Autoren der Überzeugung, Athen sei die Wiege aller Zivilisation gewesen (S. 150–155). Solche Ideen waren aber damals nicht neu, sie lassen sich bereits viel früher nachweisen.6 Man kann zwar behaupten, dass bestimmte Positionen in römischer Zeit verstärkt propagiert wurden, aber solche Gewichtungen lassen sich angesichts der ungleichen und kaum repräsentativen Überlieferungslage kaum stichhaltig belegen; und sofern man speziell auf lateinische oder „römische“ (die Bedeutung wäre zu diskutieren) Autoren verweist: Ist jede von einem Römer geäußerte Idee auch eine „römische“ – selbst wenn sie ihrerseits auf griechische Vorbilder zurückgeht?

Ganz sicher darf man die Pflege echter oder vermeintlicher Traditionen im kaiserzeitlichen Griechenland nicht als Zeichen eines Widerstandes gegen Rom verstehen (jedenfalls sofern man darunter mehr versteht als die Festigung der eigenen Identität und des eigenen Status innerhalb des herrschenden Systems). Genauer zu beleuchten wäre aber, in welchem Maße die römische Perspektive tatsächlich bereits in hellenistischer Zeit entstehende Tendenzen aufgriff. Schon damals war insbesondere Athen zu einem wichtigen Orientierungsraum für die Selbstdarstellung hellenistischer Monarchen geworden. Aus einer solchen Perspektive würde dann die Kooperationsbereitschaft der griechischen Eliten möglicherweise nicht aus ihrem Wunsch „to emphasise their Romanity“ (S. 231) resultieren, sondern dem Bestreben, innerhalb einer römischen Welt eine griechische Identität zu bewahren und mit einem gewissen Prestige zu versehen.7 Ein solcher Gedankengang würde zudem zu einer ausgewogeneren Würdigung der lokalen Eliten führen, die nicht mehr oder weniger willenlose Werkzeuge einer augusteischen Kulturpolitik waren, sondern an diesem Spiel schon deshalb teilnahmen, weil für sie selbst erhebliche Distinktionsgewinne nach Oben und Unten zu erwarten waren.8

Um nicht falsch verstanden zu werden: Dass die wesentlich durch die imperiale Ordnung Roms definierten Rahmenbedingungen des kaiserzeitlichen Hellenismus stärker in den Blickpunkt geraten und auch der nicht bloß reaktive Charakter römischer Interventionen stärker gewürdigt wird, ist nur zu begrüßen.9 Spawforth hat ein wichtiges und anregendes Buch geschrieben. An der Grundthese kann man sich reiben, aber gerade deshalb dürfte es die wissenschaftliche Diskussion voranbringen.

Anmerkungen:
1 Antony J. S. Spawforth, Symbol of Unity? The Persian-Wars Tradition in the Roman Empire, in: Simon Hornblower (Hrsg.), Greek Historiography, Oxford 1994, S. 233–248.
2 Ders. / Paul A. Cartledge, Hellenistic and Roman Sparta. A Tale of Two Cities, London 1989 (2. Aufl. 2002); Antony J. S. Spawforth, Spartan Cults under the Roman Empire. Some Notes, in: Jan Motyka Sanders (Hrsg.), Philolakon. Lakonian Studies in Honour of Hector Catling, London 1992, S. 227–238; Antony J. S. Spawforth, Excavations at Sparta: the Roman stoa, 1988–91. The inscriptions, in: The Annual of the British School at Athens 89 (1994), S. 433–441; ders. / J.-S. Balzat, „Becoming Roman“. À propos de deux générations parentes de néo-citoyens romains à Sparte et à Athènes, in: Richard W. V. Catling / Frédérique Marchand (Hrsg.), Onomatologos. Studies in Greek Personal Names Presented to Elaine Matthews, Oxford 2010, S. 183–194.
3 Antony J. S. Spawforth / Susan Walker, The World of the Panhellenion. I. Athens and Eleusis, in: Journal of Roman Studies 75 (1985), S. 78–104 und Antony J. S. Spawforth, The World of the Panhellenion. II. Three Dorian Cities, in: Journal of Roman Studies 76 (1986), S. 88–105; ders., The Panhellenion Again, in: Chiron 29 (1999), S. 339–352. Weitere Arbeiten zum Hellenismus der Kaiserzeit: ders., „Macedonian times“: Hellenistic memories in the provinces of the Roman Near East, in: David Konstan / Suzanne Said (Hrsg.), Greeks on Greekness. Antony J. S. Spawforth, Viewing the Greek Past under the Roman Empire, Cambridge 2006, S. 1–26; ders., Kapetoleia Olympia. Roman Emperors and Greek Agones, in: Simon Hornblower / Catherine Morgan (Hrsg.), Pindar’s Poetry, Patrons, and Festivals. From Archaic Greece to the Roman Empire, Oxford 2007, S. 377–390.
4 Mit dieser Begrifflichkeit will Spawforth den umstrittenen Begriff romanisation umgehen, wobei Romanity in etwa dem Bedeutungsgehalt von Romanisation (im Sinne von self-romanisation) annimmt. Man darf bezweifeln, ob die Einführung eines neuen Terminus einen wesentlichen Erkenntnisfortschritt bedeutet. Eher wird dadurch verdeckt, dass es um die genauere Bestimmung dessen geht, was anderswo als Romanisierung/Romanisation abgehandelt wird.
5 Zur Debatte vgl. nur Géza Alföldy, Romanisation – Grundbegriff oder Fehlgriff? Überlegungen zum gegenwärtigen Stand der Erforschung von Integrationsprozessen im römischen Weltreich, in: Zsolt Visy (Hrsg.), Limes XIX. Proceedings of the XIXth International Congress of Roman Frontier Studies Held in Pécs, Hungary, September 2003, Pécs 2005, S. 25–56.
6 Man beachte nur die Darstellung des Kekrops bei Philochoros: FGrHist 328 F 96 (Kekrops und Bouzyges als „Gesetzgeber“) und 98 (Erfinder von Waffen). Dieselbe Tendenz findet sich ungefähr zur gleichen Zeit auch bei Klearchos von Soloi fr. 73 Wehrli, wo Kekrops als Begründer der Monogamie dargestellt wird. Spawforth weist zwar auf die vorrömischen Wurzeln dieses Athenbildes hin, ohne dass dies aber Konsequenzen für seine weitere Argumentation hätte.
7 Vgl. die differenzierten Überlegungen bei Dirk Steuernagel, Romanisierung und Hellenismós. Drei Fallstudien zur Gestaltung und Nutzung griechischer Tempel in den römischen Provinzen Achaia und Cyrenaica, in: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 124 (2009), S. 279–346.
8 Spawforth spricht zwar in Anknüpfung an Fergus Millar immer wieder von der Öffnung eines channel of communication (S. 56f., 146, 160, 215 u. 231), doch stellt er dies als einen einseitigen Akt dar. Die Rolle der lokalen Eliten bleibt im Ganzen passiv.
9 Ich habe selbst argumentiert, dass die klassizistisch-musealisierende Wahrnehmung Griechenlands wesentlich ein Produkt der römischen Zeit ist: Vergessen, bewahren, erfinden. Andreas Hartmann, Vergleichende Perspektiven auf den Umgang mit Überresten der Vergangenheit in Griechenland und Rom, in: Gian Franco Chiai u.a. (Hrsg.), Athen, Rom, Jerusalem. Normentransfers in der antiken Welt, Regensburg 2012, S. 259–269. Zur Bedeutung der römischen Perspektive für die Konstruktion griechischer Ethnizität in der Kaiserzeit vgl. Andreas Hartmann, Judenhass und Märtyrertum: zum kulturgeschichtlichen Kontext der Acta Alexandrinorum, in: Andreas Hartmann / Gregor Weber (Hrsg.), Zwischen Antike und Moderne. Festschrift für Jürgen Malitz zum 65. Geburtstag, Speyer 2012, S. 146–156.

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