K. Bochmann u.a. (Hrsg.): Die Republik Moldau

Titel
Die Republik Moldau. Ein Handbuch


Herausgeber
Bochmann, Klaus; Dumbrava, Vasile; Müller, Dietmar; Reinhardt, Victoria
Erschienen
Anzahl Seiten
748 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hans-Christian Maner, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Der Zusammenbruch der Sowjetunion führte eine Reihe von Staaten in die Unabhängigkeit. Dazu zählte neben den in Westeuropa im Bewusstsein durchaus präsenten baltischen Staaten auch die Republik Moldau, die allerdings weit weniger bekannt ist. Um eine Förderung von Wissenschaft, Forschung und Bildung in Bezug auf die Moldau bemüht sich das in Leipzig ansässige Moldova-Institut, das sich mit der vorliegenden Publikation sozusagen ein Aushängeschild geschaffen hat. Die Absicht besteht darin, die Republik Moldau mit seiner Geschichte im deutschen Sprachraum bekannter zu machen, dem Leser ein Handbuch als Informationsquelle vorzulegen. Neben dem Informationsbedürfnis will die Handreichung auch wissenschaftliche Interessen stillen. Darüber hinaus sollen auch Personen oder Institutionen angesprochen werden, die wirtschaftliche, entwicklungspolitische oder außenpolitische Bestrebungen verfolgen.

Eine große Anzahl an Verfassern (über 70 deutsche, moldauische und andere Autoren) deckt ein breites Spektrum ab, wobei die Beiträge in sieben Großkapitel unterteilt sind: Geschichte und Gedächtnis; Raum und Bevölkerung; Staat, Recht, Verwaltung; Außen- und Sicherheitspolitik; Wirtschaft; Gesellschaft und schließlich Kultur.

Das Handbuch setzt zeitgemäß ein. Im ersten großen Kapitel geht es nicht „nur“ um die Geschichte der Republik Moldau, sondern auch um die Frage, wie die Geschichte im kollektiven Gedächtnis verankert ist und weitergegeben wird. Bereits der erste Beitrag deckt die Komplexität des historischen Gegenstandes auf, der sich symptomatisch in den verschiedenen Bezeichnungen zusammenfassen lässt: „Moldau – Moldova – Moldawien – Bessarabien“. Damit verbinden sich unterschiedliche staatliche Zugehörigkeiten sowie differierende Identitäten, wobei sich der Zeitraum von Beginn des 19. Jahrhunderts bis in das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends erstreckt. Einem Problemaufriss folgen neun chronologisch angeordnete ereignisgeschichtliche Darstellungen zum Fürstentum Moldau vom 14. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in seinen politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Grundzügen. Einen Einschnitt stellte das Jahr 1812 dar, als das Gebiet zwischen den Flüssen Pruth und Dnjestr nach einem weiteren russisch-osmanischen Krieg vom Russischen Reich annektiert und zu einer neuen Provinz namens „Bessarabien“ wurde. Es folgte ein neuer administrativer Aufbau. Nach anfänglichen provisorischen Bestimmungen kam es Ende der 1860er-Jahre zur Einführung des russischen Verwaltungs- und Rechtssystems in der neuen Provinz. Als ein großes Problem für die russischen Behörden entpuppte sich der niedrige Alphabetisierungsgrad der Bevölkerung und damit verbunden die geringe Anzahl an Bildungseinrichtungen. Nur allmählich entstand Ende des 19. Jahrhunderts eine bessarabische intellektuelle Elite. Einen grundlegenden Umbruch bildeten die Jahre 1917/18. Die revolutionären Ereignisse, der Untergang des Zarenreiches und der Erste Weltkrieg brachten die „moldauische Frage“ auf die Tagesordnung. Über eine mögliche Autonomie, Unabhängigkeit bzw. Vereinigung mit Rumänien gab es offene Auseinandersetzungen. Bessarabien als Teil „Großrumäniens“ in der Zwischenkriegszeit stellt einen eignen historischen Abschnitt dar. Darin werden die Bemühungen um Integration, der besondere Stellenwert dieses östlichen Landesteils deutlich. Gesonderte Aufmerksamkeit verdient die zwischen 1924 und 1940 bestehende Moldauische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik. Schade, dass für dieses Konstrukt anders als für die anderen territorialen Konstellationen eine Karte fehlt. Es folgen Ausführungen zur Moldauischen Sozialistischen Sowjetrepublik während des Zweiten Weltkrieges und danach bis 1991. Schließlich wird der Weg der Republik Moldau von 1985 bis 1991 auf dem Weg zur Unabhängigkeit betrachtet sowie die entstandene „Transnistrische Moldauische Republik“. Stärker dem Thema „Gedächtnis“ widmen sich dann Beiträge zur Geschichtspolitik in Transnistrien nach 1990, zur Bedeutung von Geschichte und Geschichtsschreibung für die staatliche Legitimation der Moldau sowie zur besonderen Rolle von Geschichtsschulbüchern im Kontext der nationalen Frage.

Im Rahmen der physischen, kulturellen und wirtschaftlichen geographischen Bedingungen im zweiten Großabschnitt „Raum und Bevölkerung“ wird auch die regionale Zugehörigkeit diskutiert. Die Republik Moldau, ein „europäischer Übergangsraum mit regionalen Disparitäten“ (S. 159) zeichnet sich durch ethnische Vielfalt aus. Neben der Mehrheitsbevölkerung – die Bezeichnung „Rumänen / Moldauer“ verweist auf die Identitätsproblematik – fällt der Blick noch auf Russen, Ukrainer, Gagausen, Bulgaren, Roma, Juden und Bessarabiendeutsche. Ein besonderes Augenmerk gilt der internationalen Arbeitsmigration und ihren Auswirkungen. Dass dieses Thema besonders relevant ist, zeigen allein die Zahlen: bei etwas mehr als 3,3 Millionen Einwohnern gehen Statistiken in den letzten Jahren von 340.000 bis eine Million Migranten aus. Doch die Migration ist für die Moldau nicht allein ein demographischer Faktor. Die im Ausland arbeitenden Moldauer bringen beachtliche Geldsummen in ihre Heimat und beeinflussen so die Sozialstruktur des Landes positiv. Die negativen Auswirkungen dieser Entwicklung bleiben natürlich auch nicht aus: Verteuerungen von Waren und Dienstleistungen und Veränderungen der demographischen und sozialen Lage im Land.

Die Beleuchtung von Staat, Recht, Verwaltung konzentriert sich wie alle weiteren Großkapitel vornehmlich auf die Entwicklung und die Gegebenheiten nach 1991 in der Periode der unabhängigen Republik Moldau. Neben der Verfassungsentwicklung werden die Nationalsymbole im historischen Kontext, die Probleme der Staatsbürgerschaft sowie der Minderheitenrechte eines postsozialistischen und postsowjetischen Staates, die Schaffung eines Rechtswesens in einer pluralistischen Gesellschaft und die Probleme, die sich aus dem Übergang von einem zentralistisch-totalitären zu einem offenen pluralistischen System ergeben behandelt. Die Problematik des Übergangs von einem System zu einem anderen zeichnet sich auch bei den Parteien ab, die Phasen der Schwäche und Instabilität überwinden müssen. Eine Besonderheit für einen Staat, der sich aus der Sowjetunion heraus entwickelt hat, war der Aufbau einer eigenen nationalen Armee. Neue Strukturen mussten auch auf dem Gebiet des Gesundheitswesens und der Medien geschaffen werden. Vor besondere Herausforderungen wurde die Republik schließlich mit der Absplitterung des nicht anerkannten Staates Transnistrien gestellt.

Die Außen- und Sicherheitspolitik zeichnet den Aktionsradius der Republik Moldau nach, der sich über die Europäische Union, die USA, die Russische Föderation, Rumänien, die Ukraine und Deutschland erstreckt. Zudem werden Bestrebungen zur Lösung des Transnistrienkonflikts und die Problematik der russischen Militärpräsenz in der Republik Moldau aufgezeigt.

Entsprechend dem schwierigen staatlichen Anfang gestaltete sich auch die wirtschaftliche Entwicklung alles andere als einfach, zumal ein vorwiegend agrarisch geprägtes Land auch eine industrielle Entwicklung anstrebt. Eine Besonderheit ist der Weinanbau: Die Republik Moldau gehört zu den weltweit zehn größten Weinproduzenten. Wie in den Kapiteln davor werden auch die Probleme des abgespaltenen Transnistrien verdeutlicht.

Der Blick auf die Gesellschaft verrät eine nach wie vor „schwache Zivilgesellschaft“ (S. 517), eine von Disparitäten gekennzeichnete Medienlandschaft oder die schwierige Lage von Gewerkschaften. Besonders anschaulich werden gesellschaftliche Zustände durch die Betrachtung des Alltagslebens in Chişinău sowie ganz knapp in Transnistrien.

Im letzten Großkapitel über „Kultur“ wird erneut das Thema aufgegriffen, das die Republik Moldau charakterisiert: die ungefestigte Identität, in diesem Fall am Beispiel der Sprache festgemacht. Welches ist nun die Staatssprache: „Moldauisch“ oder „Rumänisch“? Sprache und Sprachenpolitik sind das zentrale Thema in der Republik Moldau. Die kulturelle Diversität in der Republik Moldau wird auch durch das Eingehen auf rumänische und russischsprachige Literatur deutlich. Beiträge zu weiteren kulturellen Tätigkeitsfeldern wie der Museen, der Volkskultur, des Verlags- und Filmwesens, des Theaters, der bildenden Künste, der Musik und schließlich der Küche runden den umfangreichen Band ab.

Jedes der sieben großen Kapitel endet mit einer umfangreicheren Bibliographie. Der in Spalten angeordnete Text wird durch Karten und Bilder (Personen, Stadt und Landschaften) nicht nur aufgelockerter, sondern auch anschaulicher. Ein Abkürzungsverzeichnis, Autorenangaben sowie ein Personenverzeichnis beschließen die Darstellung. Insgesamt liegt mit dem Handbuch ein fundiertes Nachschlagewerk vor, das Suchenden, ganz gleich mit welchem Hintergrund, eine solide und zuverlässige Grundlage bietet.

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