I. Engemann: Die Slowakisierung Bratislavas

Cover
Titel
Die Slowakisierung Bratislavas. Universität, Theater und Kultusgemeinden 1918-1948


Autor(en)
Engemann, Iris
Reihe
Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Ostmitteleuropas 22
Erschienen
Wiesbaden 2012: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
€ 52,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Catherine Horel, CNRS, IRICE, Universität Paris I

Die vorliegende Studie basiert auf einer Dissertation, die unter der Leitung von Philipp Ther an der Europauniversität Viadrina in Frankfurt/Oder entstand. Iris Engemann untersucht darin die „Slowakisierung“ der Stadt Bratislava (Pressburg, Pozsony) in der Zeit zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Machtübernahme der kommunistischen Partei in der Tschechoslowakei 1948. Die relativ große Zeitspanne erlaubt eine genaue Betrachtung der Transformation der Bevölkerungsstrukturen der Stadt: Tschechoslowakische Republik, unabhängige Slowakei, beginnendes kommunistisches Regime. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg ist Bratislava eindeutig zu einer slowakischen Stadt geworden. Die Arbeit zeichnet die Entwicklung dahin nach und geht dabei von dem (richtigen) Postulat aus, Bratislava sei 1918 eine Vielvölkerstadt auf dem Weg zur Magyarisierung gewesen.

Die zentrale Fragestellung ist eingangs theoretisch und thematisch sehr gut formuliert (S. 18f). Antworten finden sich in der Schlussbetrachtung, wo Iris Engemann ihre fünf Thesen zusammenfassend aufgreift. Zunächst wird die „Slowakisierung“ der Stadt diskutiert. Schon die Wahl Bratislavas zur Hauptstadt der Slowakei im Rahmen der 1918 entstandenen Tschechoslowakei zeigte jene Vielfalt von Konzepten, die später weiterhin dominant waren und gleichzeitig konkurrierend wirkten. Nach der Volkszählung von 1910 lebten in der Stadt 41,9% Deutsche, 40,5% Ungarn und 14,9% Slowaken.1 Die Magyarisierung, seit 1880 forciert durchgeführt, zeigte in diesen Zahlen ihre Resultate, hatte aber an sich nur einen bescheidenen Erfolg. Ich habe selbst in verschiedenen Publikationen die These verteidigt, dass jene Magyarisierung oberflächlich war, wobei sich vor allem die Deutschen magyarisiert hatten und sowohl Anzahl als auch Prozentsatz der Slowaken an der Stadtbevölkerung stabil blieben.

Nach dem Ersten Weltkrieg war das Ansehen Ungarns so ramponiert, dass die Deutschen in der nun zur Tschechoslowakei gehörenden Stadt daran gingen, ihre Wurzeln wiederzufinden. Zusammen mit den Deutschen in Böhmen und Mähren konnten sie eine bedeutende Einflussgruppe im neuen Staat bilden. Dementsprechend wurden sie von den Behörden auch besser behandelt als die Ungarn. Das sieht man auch im heutigen Image der Stadt: die habsburgische Vergangenheit wird zwar betont, aber eher deren deutschen als die ungarischen Aspekte. Die Ersteren erscheinen wohl als konfliktfreier. Dennoch, unter den konkurrierenden Konzepten, welche die Identität der Stadt nach 1918 definieren wollten, gab es auch ein ungarisch-nationales Projekt, das sich aber nicht behaupten konnte. Das „trinationale“ Bratislava/Pressburg/Pozsony fand zwar Anklang in der Bevölkerung, die Republik förderte aber ganz eindeutig ein tschechoslowakisches Konzept, das bald mit dem slowakischen in eine immer härtere Konkurrenz geriet. Letzteres führte zur Ausgrenzung von Ungarn, Juden und Protestanten und trug bewusst nationalistische und katholische Züge. Man mag in diesem Zusammenhang bedauern, dass Iris Engemann das Buch von Emilia Hrabovec über die Slowakei und den Vatikan 2 nicht erwähnt.

Die zweite These bezieht sich auf Bratislava als „Konfliktgemeinschaft“ anhand von Institutionen, in denen die Konflikte zwischen den verschiedenen Konzepten ausgetragen wurden – die Universität und das Theater. Einst die großen Symbole des Magyarisierungsprozesses, mussten gerade sie auf die neue Situation reagieren und wurden dabei Orte der Konfrontation zwischen Ungarn, Deutschen, Tschechen und Slowaken. Dabei nahm vor allem die Dimension des tschecho-slowakischen Konfliktes bis 1938 an Bedeutung zu. Die Unabhängigkeit der Slowakei im Jahre 1939 bedeutet jedoch keine Lösung jener Konflikte, da man nun neue Gegner brauchte. In der Folge bestimmten die Ungarn und besonders die Juden das Feindbild der Slowaken. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Vielvölkeridentität der Stadt dann vollends zerstört: die Juden ermordet, die Deutschen vertrieben. Es blieben zwar einige Ungarn in der Stadt, aber die multikulturelle Gemeinschaft hatte dauerhaft ein Ende gefunden.

Drittens kann man je nach Institution (Universität, Theater oder die Kultusgemeinden) von einem ungleichmäßigen Prozess der Aneignung der Stadt durch die Slowaken sprechen. Er verlief in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Im Theater, wo die drei Sprachen vertreten waren, wurden fremden Akteure aktiv. Gleiches gilt für die Kultusgemeinden. Die Übernahme erfolgte hier entweder in Koexistenz mit den Anderen oder als Ersatz, wie es im Fall der Universität geschah.

Die vierte These zeigt, wie der demographische Wandel zum Schlüsselfaktor der Slowakisierung wurde, wobei im Blick zu behalten ist, dass in den Jahren 1918-38 auch viele Tschechen in die Stadt gezogen waren, die sich in den Augen der Slowaken auch entfremdeten. Die Slowakisierung wurde selbstverständlich rasch in der Stadtlandschaft deutlich, durch neue Denkmäler, Gedenktage und Straßennamen. So entstand zweimal ein neues Bild der Stadt: nach 1918 und nach 1938/39 (S. 66), jeweils getrieben von der Rechtfertigung ihres slawischen bzw. slowakischen Charakters.

Schließlich dienten die drei im Untertitel des hier anzuzeigenden Bandes genannten Institutionen sowohl als Zielobjekte als auch als Instrumente der Slowakisierung. Iris Engemann überzeugt in ihrer Studie namentlich auf der „Mikroebene“ (S. 260), wo man die Akteure und deren Argumente genau identifizieren kann. Als bekannte Persönlichkeiten der Stadt, die in den Zeitungen schrieben, wirkten sie über die Grenzen der Stadt hinaus und nahmen landesweit an den Debatten über den Nationalisierungsprozess teil. Was die Ungarn betraf, lieferte die Lage in Bratislava Stoff für die Revisionsbewegung in Budapest. In den Quellen findet man aber auch eine Wahrnehmung der „Anderen“. So schrieb zum Beispiel vor 1918 die Presse über das „andere“ Theater, hier also die Pressburger Zeitung über das tschechoslowakische Theater (S. 151). Vor 1918 war es aber ganz üblich für die lokale Presse, über die in einer anderen Sprache aufgeführten Schauspiele zu berichten; nach 1918 wurde die Zwei- bzw. Dreisprachigkeit allerdings immer seltener.

Gegen diese vorzügliche Arbeit kann man eigentlich kaum etwas einwenden. Iris Engemann scheint aber – das ist ein sehr verbreitetes Manko von auf der Mikroebene angelegten Dissertationen – „ihre“ Stadt als isoliertes Feld zu betrachten. Einerseits scheint sie viel zu wenig über die Zeit vor 1918 gelesen zu haben. Das Buch von Elena Babejová 3 über das Pressburg der Jahrhundertwende ist zwar sehr gut, kann aber andere tiefer greifende Quellen nicht ersetzen. An manchen Stellen kommt Engemann zu Betrachtungen von Phänomenen, die sie als zeitgenössisch für ihren eigenen Beobachtungszeitraum interpretiert, obgleich sie schon vor 1918 üblich waren. Andererseits schaut sie nicht über die slowakische Grenze hinaus. Obgleich Brünn (Brno) mehrfach Erwähnung findet, wird kein direkter Vergleich mit der Hauptstadt Mährens unternommen. Dieser hätte sich angeboten, da mehrere Strukturen und Institutionen ähnlich waren. Einen Vergleich mit den in Rumänien oder Jugoslawien lebenden Ungarn kann man kaum verlangen, aber zumindest mit den Deutschen der Tschechoslowakei wäre ein solcher bestimmt von Interesse gewesen. Was die Juden und den Mangel an Quellen zu ihrer Geschichte betrifft, hätte Iris Engelmann auf ungarische und ältere Publikationen zurückgreifen können, die ein präziseres Bild der internen Konflikte (Zionismus, Schule, Sprachen usw.) ermöglichen. Die Wahl einer neologen Gemeinde ist zwar gerechtfertigt aber methodisch nicht ganz zufriedenstellend, da ein Teil der Stadtbevölkerung – die Orthodoxen – in der Betrachtung fehlt. Auch das Bild der Protestanten bleibt partiell, da nur die Lutheraner in Betracht gezogen werden. Die Calvinisten waren zwar eine kleine Gruppe, aber dennoch von Bedeutung weil mehrheitlich Ungarn.

Anmerkungen:
1 A magyar korona országainak 1910. évi népszamlalása [Die Volkszählung in den Ländern der ungarischen Krone im Jahre 1910], Bd. 1, Budapest 1912, 30f.
2 Emilia Hrabovec, Der Heilige Stuhl und die Slowakei 1918 - 1922 im Kontext internationaler Beziehungen (= Wiener Osteuropa-Studien, Bd. 15), Frankfurt am Main 2002.
3 Eleonóra Babejová, Fin-de-siècle Pressburg. Conflict and Cultural Coexistence in Bratislava, 1897–1914 (= East European Monographs, 617), Boulder 2003.