A. B. Gallia: Remembering the Roman Republic

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Titel
Remembering the Roman Republic. Culture, Politics and History under the Principate


Autor(en)
Gallia, Andrew B.
Erschienen
Anzahl Seiten
XIV, 319 S.
Preis
£60.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Fündling, Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

In der Einleitung bezeichnet Andrew B. Gallia sein Buch als ein Werk „about the interaction of social memory and cultural identity in the face of profound historical change“ (S. 7). Damit nähert sich Gallia vom Konzept des sozialen Gedächtnisses her der intensiv erforschten Frage, wie stark die römische Republik in den Prinzipat – der nominell mit ihrer Wiederherstellung begann – hineinwirkte. Die sechs Studien decken von der kaiserlichen Selbstdarstellung über soziale Handlungsmuster bis zur literarischen Geschichtsverarbeitung zahlreiche Aktionsfelder und Überlieferungsformen ab. Ihre zeitliche Eingrenzung soll erklärtermaßen nicht bedeuten, das knappe halbe Jahrhundert ab 68 n.Chr. falle mit einem spezifischen Wandel im Sprechen über und Denken an die Republik zusammen – letzten Endes dürfte die günstige, vielschichtige Quellenlage den Rahmen vorgegeben haben.

Vorausgesetzt ist, dass die republikanische Zeit nunmehr als abgelaufene Epoche wahrgenommen wurde. Gallia tut sich – wie schon seine umständliche Formulierung zeigt1 – etwas schwer mit dem Phänomen, dass wichtige Gruppen der römischen Gesellschaft die Vergangenheit zumindest in Einzelaspekten fortzuschreiben suchten. Offenheit für dieses Bedürfnis nach Kontinuität vermisst man in der mustergültig klaren Einleitung, die ihre Theoriekenntnis unaufdringlich handhabt und (wie viele andere Passagen des Buches) ohne weiteres auch für Studierende transparent ist. Nicht nur sie können übrigens vom verhaltenen, auf Überredung verzichtenden Argumentationsstil Gallias lernen.

„Freedom“ (S. 12–46) beschreibt die Rolle des Schlagworts libertas in den Erhebungen gegen Nero und nach dessen Tod; die Vielschichtigkeit des Begriffs wird ebenso zugänglich vorgestellt wie der Befund einer ‚Kognitiven Dissonanz‘ (S. 19) zwischen senatorischem Standesideal und Alltag unter den Kaisern. Das ließe sich noch ausbauen: Die Verteufelung Neros und später Domitians, die mit der Verdrängung eigener Vorteilnahme durch zahlreiche ‚Opfer‘ einhergeht, bezieht ihre Heftigkeit womöglich auch aus der Frustration auch unter ‚guten‘ Kaisern. Von den republikanisch getönten Münzen des Vindex und Galba bewegt sich Gallia zum klassischen Problem der Vereinbarkeit von principatus und libertas. Hier irritiert ihn, wieso die augusteischen Oberschichten weder die Monarchie als generell freiheitsfeindlich erkannten noch umgekehrt eine monarchietaugliche (‚höfische‘?) Ideologie entwickelten. Plausibel merkt er an, dass die ‚Zähmung‘ und Steuerung des Konzepts libertas durch den frühen Prinzipat nicht gelingt. Sicher liegt das nicht zuletzt an der Option des römischen sozialen Gedächtnisses, neue exempla einzuführen und alte umzudeuten.

Ein Bürgerkriegstrauma und dessen Behebung durch Vespasian, den Brand und Wiederaufbau des Kapitols, schildert „Rebuilding“ (S. 47–85): Gallia konzentriert sich einerseits auf den Tempel als Erinnerungsort, Depot ungeordneter, also ‚freier‘ Traditionsstücke der Vorzeit, andererseits auf das Feuer als Widerlegung „of the Principate’s connection to pax in both its political and its cosmic sense“ (S. 55). Im Schatten steht der Aspekt der religiösen Katastrophe, das Zeichen für den Zorn der Götter – auf wen genau? –, mit dem sich Tacitus noch Jahrzehnte später (hist. 1,3,2; 3,72) nur äußerst vorsichtig auseinandersetzt. Exzellent beschrieben ist die prekäre Lage Vespasians, als Bauherr in den Spuren der Tarquinier und Sullas wandeln zu müssen, ohne in den Ruf eines Tyrannen zu geraten, samt seinen Lösungsstrategien in Form geeigneter Gesten an Senat und Bürgerschaft. Ist der erneute Brand von 80 nicht auch als eine bedrohliche Delegitimation der Dynastie zu sehen? Vielleicht verlängert Gallia seine Beschreibung an anderer Stelle in die Zeit Domitians.

Als Scheiternden zeigt „Control“ (S. 86–127) den letzten Flavier beim Reaktivieren der republikanischen Moraltradition. Neben der Fehlkalkulation beim passenden Verhältnis zwischen – altväterlicher – severitas und – zeitgemäßer – clementia wird die Mobilisierung der Moral gegen den erklärten Sittenwächter nachgezeichnet (nur der letzte Gedankenschritt fehlt, dass man Domitian diverse Schandtaten nachsagte, eben weil und nicht obwohl er auf Anstand pochte; vgl. S. 102–104). Ikonographische Beobachtungen, Gedanken zum tagespolitischen Hintergrund und weite Rückblicke in die Überlieferung verbinden sich zu einem Durchgang durch Prozesse und die Hinrichtung der Vestalin Cornelia, der es durch traditionsbezogenes Verhalten gelingt, die Szene gegen Domitian ‚umzudrehen‘.

Um die Rolle von Senatoren in der kaiserzeitlichen Justiz vor und nach dem Umbruch von 96 kreist das Kapitel „Persuasion“ (S. 128–177). Hier vertraut Gallia zu sehr auf die Darstellung der Pliniusbriefe, die den Autor zum Beinahe-Verfolgten und Rächer stilisieren sollen. Wo der sachliche Unterschied zwischen ‚guten‘ Anklägern wie Plinius und ‚schlechten‘ wie Aquillius Regulus liegt, ist noch zu wenig erforscht; die Zweifel an Regulus’ Bosheit sind in letzter Zeit jedenfalls gewachsen.2 Die Vorstellung des Tacitus im Dialogus de oratoribus entspricht der heutigen Standardansicht: Der Modernist Marcus Aper wie auch der mechanische Konservative Vipstanus Messala stützen gegen ihren Willen die Argumente des Hauptredners Curiatius Maternus, die Glanzzeit der römischen Rhetorik sei vorbei und ihre politisch-soziale Grundlage entfallen. Einige Übersetzungsprobleme fallen auf: „hunc premo“ (Plin. epist. 1,20,14) kann nicht „I […] throttle it“ heißen (S. 135), sondern „hunc“ ist der jeweilige Prozessgegner, den Regulus ‚würgt‘. „regna praesente Caesare“ (Tac. hist. 4,43) heißt nicht „though a Caesar presides in person“ (S. 141), sondern viel gefährlicher: „spiel du nur den König, während ein Caesar (Domitian) anwesend ist“.

Das Kapitel „Inscription“ (S. 178–216) widmet sich der Republik in den Punica des Silius Italicus – als vergangene Heroenzeit – und als Teil des Inventars in Frontinus’ Strategemata, womit unterschiedliche Konzepte des (Nach-)Lebens als Senator einhergehen. Über die bemerkenswerte Karriere des Frontinus hätte man mehr sagen können, ja müssen; ein wertvoller Hinweis gilt dafür seiner Sparsamkeit mit Beispielen der jüngsten Zeit, die plausibel als Kaiserlob gedeutet wird. Im Fall Silius bleibt es leider bei Selbstverständlichkeiten: Die imitatio Homers, Vorausdeutungen auf die spätere Geschichte und Anspielungen auf berühmte Passagen diverser Vorgänger stehen seit je im Pflichtenheft eines Epikers.

Die nach 102 geschlagenen Nachprägungen früherer Münzen durch Traian, Gegenstand von „Restoration“ (S. 217–270), sollen laut Gallia vorführen, wie republikanisch die Werte des Kaisers sind; damit bewege sich Traian zwischen den Positionen des Endes und der Fortdauer der Republik. Zu verkürzt erscheinen hier politisch-praktische Fragen.3 Die Suche nach aktuellen Personenbezügen auf den Restitutionsprägungen ist notgedrungen spekulativ, wird aber mit Augenmaß betrieben. Die Aufnahme einer Prägung des Numonius Vala (S. 233) ist vielleicht erklärlich: für den in der Varusschlacht getöteten Legaten dieses Namens (PIR² N 243) kann ohne weiteres eine Ehrenstatue in Rom angenommen werden. Der Münzmeister Carisius trägt das Gentilnomen des Asturersiegers, der in die Deduktion der augusteischen Kolonie Augusta Emerita involviert war – ein Bezug zu den Ulpii aus Italica ist vorstellbar. Überzeugend ist Gallias Fazit, diese erste Würdigung von Nichtmitgliedern der Kaiserfamilie seit über einem Jahrhundert in Münzform solle Traian als „sole inheritor of the virtues of the Republican past“ ausweisen (S. 247). In diesem Fall griffe er genau nach jener Position im Bereich von Werten und Tradition, die ihm als Monopolisten im Verteilungssystem reichsweiten sozialen Prestiges schon zukam.

Kleine Enttäuschungen hält die Zusammenfassung bereit. Man wünscht sich hier einen Ausblick auf so attraktive Arbeitsfelder wie das Republikanische bei Fronto und Gellius. Nicht klar wird zudem, ob die Erinnerung sich nach Gallias Urteil in Reservate wie den Senatorenstand zurückzieht, ins Unverbindliche verdünnt oder anderweitig verwandelt; sicher richtig ist der Hinweis auf die Konkurrenz neuer exempla und Erinnerungen aus der Kaiserzeit, während die „increasing acceptance of Greek cultural paradigms“ (S. 252) keineswegs ein allgemeiner Zug der Zeit war. Lockend ist der Vergleich mit dem Rückblick kaiserzeitlicher griechischer Eliten auf ihre Vorgeschichte, die sie durchweg als abgeschlossen, aber dennoch normativ betrachten. Auch Gallias Anmerkung, dass der Senat sich (und vielen Kaisern) durch sein Festhalten an den alten Leitbildern das Leben zwangsläufig schwer machte, verdient aufgegriffen zu werden. Das reichhaltige Literaturverzeichnis und der Sachindex erleichtern den Zugriff auf ein an Beobachtungen reiches, lesefreundliches Buch, das mitunter etwas unter seiner offenen Struktur leidet, doch zum Weiterdenken einlädt.

Anmerkungen:
1 Vgl. S. 8: „many Romans also clung to a notion of their identity that was predicated on the continuation of memories that stretched back into that distant era“.
2 Dazu schon William C. McDermott / Anne E. Orentzel, Roman Portraits. The Flavian-Trajanic Period, Columbia 1979, bes. S. 94–101; Steven H. Rutledge, Imperial Inquisitions. Prosecutors and Informants from Tiberius to Domitian, London 2001, S. 192–198. Die Publikation einer einschlägigen Aachener Studie von Sophia Brockmann wäre wünschenswert.
3 Ob allein der „household staff“ in das Attentat auf Domitian verstrickt war (S. 217), diskutiert die althistorische Forschung intensiv. „The commander Calpurnius Crassus threatened to revolt“ (S. 218) ist vermutlich nur das Ergebnis einer ausgefallenen Zeile, wodurch der unruhige Statthalter Syriens von 97 (Cornelius Nigrinus Curiatius Maternus?) mit dem pläneschmiedenden Patrizier Calpurnius Crassus in Rom verschmilzt.

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