Alltag in der DDR

Veranstalter
Museum in der Kulturbrauerei / Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.11.2013 -
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susanne Köstering, Museumsverband Brandenburg

Nach dem Zusammenbruch der DDR wurde ihr Alltag museumsreif. Zunächst waren es private Museen, die Refugien für ausgemusterte Alltagsdinge wurden. Manchmal nahmen sie darin Züge von Reliquien an. Zögernd öffneten sich auch Stadt- und Regionalmuseen der Alltagsgeschichte der DDR.1 Zeitweise stand die Beschäftigung mit dem „Alltag“ von vornherein unter Ostalgie-Verdacht und in einem Gegensatz zum Entlarven der DDR als Überwachungs- und Unterdrückungsstaat. Noch die Enquete-Kommission des brandenburgischen Landtages hatte ihre Vorbehalte gegen die Darstellung des DDR-Alltags, sofern sie nicht fest in die Klammer der Diktaturanalyse eingebunden sei. Ein neuer Konsens entstand, der Alltag als Rahmen für Anpassung oder Widerstand verstand.

Dieser Konsens trägt auch die neue Dauerausstellung „Alltag in der DDR“ der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in der Kulturbrauerei auf dem Prenzlauer Berg. Die Ausstellung fächert Alltagserfahrung zwischen Propaganda (Büsten, Plakate) und Zwang (Bespitzelung, Reiseverbot) auf. Der Alltag selbst wird gegliedert in fünf Lebensbereiche: 1. Arbeitsplatz (Industriebetriebe, Kollektive), 2. Konsum (HO-Laden, Westware, Mode), 3. Wohnen (Platte oder Altbau), 4. Freizeit (Kneipe, Kiosk, Datsche, Trabizelt), 5. Liebe, Ehe, Familie. Diese Lebensbereiche werden als Exponatgruppen – meist Rauminszenierungen – konkretisiert. Weder historische Brüche noch Differenzierungen von Lebenswelten in Stadt und Land werden zu strukturierenden Elementen. Den Besuchern soll verdeutlicht werden, dass Ideologie und Wirklichkeit in der DDR auseinander klafften, dass die Mangelwirtschaft Unzufriedenheit erzeugte, dass die innere Bindung der Menschen an den Staat deshalb gering war und dass insbesondere der Anspruch auf Kollektivierung des Lebens den Rückzug ins Private verstärkte. Insofern bietet die Ausstellung keine neuen Ergebnisse oder gar steile Thesen, sondern kumuliert weithin geteilte Einschätzungen.

Die Umsetzung ist materialreich. Mit insgesamt etwa 800 Exponaten und 200 Dokumenten, Filmen, biografischen Berichten in 40 Medienstationen entsteht ein dichtes, deprimierendes Bild des Alltags in der Diktatur. Nach einem umfänglichen Ausstellungsbereich, der den Typus des sozialistischen Industriebetriebs samt Propaganda, Planwirtschaft, Arbeitsorganisation im Kollektiv und Sozialangeboten darstellt, beginnt der größere Teil der Ausstellung mit den Inszenierungen eines HO-Ladens und einer Gaststätte. Die Mangelwirtschaft der DDR wird anhand von Produktengpässen (Beispiel „Kaffee-Krise 1977“) und eintönigem Speiseangebot verdeutlicht. Schaufensterinszenierungen widmen sich dem Bekleidungsangebot. Beschwerdebücher und Filmausschnitte demonstrieren, wie unzufrieden weite Teile der Bevölkerung mit der Versorgungslage waren. Verkäuferinnen beklagen sich, Kunden beschweren sich. Das Wissen, dass bessere Güter als Westware in das nicht-sozialistische Ausland versandt werden, erzeugte zusätzliche Frustration. Der immer und überall spürbare Mangel wirkte sich als latente Unzufriedenheit aus, die in gegenseitige Erziehungsmaßnahmen umschlug, beispielsweise wenn die HO-Leitung ihre Mitarbeiter der Verkaufsstellen ermahnt, schneller zu arbeiten, weniger Pausen zu machen, das Lieferbare zu liefern – und die erfolgte Disziplinierung den Kunden per Beschwerdebuch minutiös mitteilt. Schon hier entsteht der Eindruck einer permanenten gegenseitigen Kontrolle, der sich im Verlauf der Ausstellung weiter erhärtet. Zugleich legt sich die spürbare Angst vieler vor 1989 Interviewter, frei zu sprechen, wie ein bleiernes Gewicht auf den Ausstellungsbesucher. In einem großen Wandspruch wird die Filmemacherin Uta Kolano zitiert: „Das Leben war viel bunter als es dem Klischee von der uniformen, grauen DDR entspricht“. In der Ausstellung wird das aber nicht deutlich.

Auch im Bereich „Wohnen“ bleibt das Bild grau, gleich ob es um Neubauwohnungen geht (kaum zu bekommen, mangelhafte Bauausführung) oder um Altbauten (Verfall). Den Zwang zum Kollektiv bildet in diesem Ausstellungsbereich ein Hausgemeinschaftsbuch ab, dessen Einträge mehr oder weniger explizit diejenigen denunzieren, welche sich der Zwangsgemeinschaft zu entziehen versuchen. In betont akkuraten Handschriften werden Vorschriften, Vorgaben („Alle Frauen treffen sich am Frauentag bei Familie XY“), Verdächtigungen und Vorwürfe fixiert. Anders als vielleicht gewollt scheint eine mentale Dauerbeschwerde-, Denunziations- und Lügenkultur durch. Fröhlichkeit scheint prinzipiell vorgetäuscht. Jede noch so launige Äußerung im Brigadebuch über eine Betriebsfeier wird verdächtig.

Eine Ahnung von Freiheit wird dort spürbar, wo die Ausstellung zeigt, wo Menschen die Möglichkeit hatten, Initiative zu ergreifen, sei es Tauschhandel zu organisieren oder selbst zu produzieren, was sie brauchen, Kleidung beispielsweise. Freizeitfreiheit? Die Rauminszenierungen „Datsche“ und „Trabizelt“ wirken possierlich und versinnbildlichen genau die Enge, in der die Freiheit sich ausleben durfte. Ehe und Familie als Ausweg? Eine Fotoserie verschiedener Paare zeigt Individualität innerhalb der Grenzen der eigenen vier Wände. Die Freiheit des intellektuellen Salons in einer Berliner Wohnung erscheint bedroht, ist die Inszenierung doch gleichsam umbaut mit Abhörinstrumenten, Verhörräumen und Kontrollen. Briefe und Tagebücher lassen den jahrelangen Kampf einer Familie für ihre Ausreise im September 1989 nachvollziehen.

Echte Lichtblicke gibt es aber doch. Für mich sind es ein paar Exponate. Eine hippieartige Fellweste des Labels „Josefine“ (von Krepl), aus Putzlappen genäht. Ein für den Einsatz auf einem Kirchentag gedachtes Kreuz aus massivem Metall, in einer spektakulären öffentlichen Aktion aus einem Müllcontainer herausgeschweißt. Ein Tagebuch eines Trampers, der sich mit einem Kumpel kreuz und quer durch die Republik schlägt. Ein Filmausschnitt mit einem lässigen Kohlenfahrer, der sich wie Che Guevara zurechtmacht (Heike Misselwitz, Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann, 1989).

Die Ausstellungsmacher haben sicherlich aus den Erfahrungen markanter Vorgängerausstellungen gelernt – zum Beispiel von der Ausstellung „Drüben“ des Hauses der Geschichte, vom „DDR-Museum“ in Berlin am Dom, vom Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt2, aber auch von privaten DDR-Museen. Vom DDR-Museum in Berlin-Mitte haben sie wohl gelernt, dass das Gestaltungsprinzip der Rauminszenierung ein Erfolgsmodell ist. Allzu platte Inszenierungen oder Miniaturisierungen haben sie vermieden. Ein Spielplatz „für die ganze Familie“ ist hier zum Glück nicht entstanden. Mit ihren Kerninszenierungen – HO-Laden, Kneipe, Wohnzimmer, Datsche, Oppositionellenwohnzimmer – manövrieren die Ausstellungsmacher aber hart an der Grenze zum Klischee. Die Texte sind nach allen Regeln der Ausstellungskunst gestaltet (Länge, Umbruch etc.) und bringen die gewollte Deutung klar heraus, schrammen damit aber haarscharf an der Vorgabe von Wertungen entlang. Die Besucherlenkung ist eng. So werden ganz klar nur diejenigen Filmausschnitte gezeigt, die die gewollte Interpretation der Szene auf den Punkt bringen. Aus dem Erfahrungsschatz der privaten DDR-Museen stammt vielleicht die Exponatdichte. Wie in jenen Häusern werden auch hier nicht alle Exponate angemessen interpretiert, ein guter Teil dient als Staffage. Bei Fotos fehlen manchmal die unbedingt notwendigen Angaben. Schade ist, dass subtile Dekonstruktionsarbeit, wie sie etwa früher im Dokumentationszentrum in Eisenhüttenstadt präsentiert wurde, kein Vorbild war, auch nicht punktuell. Es wäre anregend gewesen, wenn man wie dort anhand bekannter Ost-Produkte Probebohrungen in gesellschaftliche Tiefenschichten vorgenommen hätte, beispielsweise, um nur eine der vielen Inszenierungen zu nennen, am Beispiel der Wohnzimmer-Schrankwand. Statt solcher Denkanstrengungen präsentiert die Ausstellung eine leicht verständliche Gebrauchsanweisung für die Bewertung des DDR-Alltags.

Die Stiftung hat ihre DDR-Ausstellungen mit diesem Baustein arrondiert: in Bonn die politische Überblicksgeschichte, in Leipzig die Demokratiebewegung, in Berlin-Mitte die Grenze, im Prenzlauer Berg der Alltag. DDR-Alltag wird hier in einer kanonisierten Fassung gezeigt. Im Prozess der Auseinandersetzung über die Geschichte der DDR und den Stellenwert der Alltagserfahrung setzt die Ausstellung einen Punkt hinter die Phase des Suchens und Streitens. Es ist zu hoffen, dass sie damit nicht zur Schablone künftiger Ausstellungen zur Geschichte der DDR wird, sondern dass Museen weiterhin ihre Räume neuen Fragestellungen öffnen.

Anmerkungen:
1 Siehe dazu: Carola Sabine Rudnick: Rezension zu: Hammerstein, Katrin; Scheunemann, Jan (Hrsg.): Die Musealisierung der DDR. Wege, Möglichkeiten und Grenzen der Darstellung von Zeitgeschichte in stadt- und regionalgeschichtlichen Museen. Berlin 2012, in: H-Soz-u-Kult, 21.08.2012, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-3-091> (15.05.2014).
2 Siehe: Christian Gaubert: Ausstellungs-Rezension zu: Alltag: DDR 25.02.2012, Eisenhüttenstadt, in: H-Soz-u-Kult, 07.07.2012, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=157&type=rezausstellungenngen> (15.05.2014).

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