I. Israelowich: Sacred Tales of Aelius Aristides

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Titel
Society, Medicine and Religion in the Sacred Tales of Aelius Aristides.


Autor(en)
Israelowich, Ido
Reihe
Mnemosyne Supplements 341
Erschienen
Anzahl Seiten
IX, 206 S.
Preis
€ 101,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Fron, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Dass auch nach dem Tod des anerkannten Aelius-Aristides-Experten Charles A. Behr das Forschungsinteresse an diesem kaiserzeitlichen Sophisten nicht versiegt, haben einige jüngst erschienene Publikationen unter Beweis gestellt.1 Dabei widmete sich insbesondere Alexia Petsalis-Diomidis einer eingehenden Erforschung und Neubewertung der in ihrer Gestalt für die heutige Forschung einzigartigen Hieroi Logoi.2 Sie konnte überzeugend nachweisen, dass es sich dabei nicht so sehr um das Werk eines für seine Zeit einzigartigen Exzentrikers handelt, sondern diese Schrift vielmehr als repräsentativer Ausdruck für die Religiosität und die religiöse Erfahrungswelt dieser Epoche anzusehen ist.3 Dem Beispiel dieser Studie folgend richtet sich auch das Erkenntnisziel der vorliegenden Arbeit auf die Einordnung der in den Heiligen Berichten des Aelius Aristides aufgeführten medizinischen Äußerungen in ihren zeitgenössischen Rahmen. Dass auch die Religion erneut eine Behandlung erfährt, ist dem Tatbestand geschuldet, dass in der gesamten Antike bei menschlichen Erkrankungen auch ihr eine gewichtige Rolle zukam. Hervorgegangen ist die Studie aus einer 2008 an der University of Oxford eingereichten Dissertation.

Die Arbeit selbst gliedert sich nach einer allgemeinen Einleitung in drei große Oberkapitel, welche wiederum jeweils separat eingeführt, untergliedert sowie schließlich mit einem Zwischenfazit versehen werden. Dies ermöglicht eine schnelle Orientierung innerhalb der Monographie. Das erste, kurze Kapitel (S. 11–35) gibt eine Einführung in die Heiligen Berichte. Eine besondere Berücksichtigung erfahren verständlicherweise immer wieder die medizinische Inhalte und deren Stellung innerhalb der Hieroi Logoi. Insgesamt sind die Ergebnisse wenig überraschend: Die Absicht der Heiligen Berichte war – analog zu den Ergebnissen von Petsalis-Diomidis – sowohl die Lobpreisung des Gottes Asklepios als auch die Selbstdarstellung des Autors als von Asklepios auserwählter Redner. Somit intendiert Aelius Aristides keine medizinische Abhandlung, obwohl im Werk dennoch wertvolle medizinische Informationen enthalten sind.

Im zweiten Kapitel (S. 37–135), welches sowohl inhaltlich als auch bezüglich der Seitenstärke den Hauptteil der Arbeit ausmacht, wendet sich Israelowich der Darstellung der Erkrankung sowie der Medizin in den Hieroi Logoi zu. Dabei wird eine Gliederung in zwei Sektion vorgenommen: Der erste Teil (S. 40–86) wendet sich zunächst den Begriffen und Formen der medizinischen Praxis in der griechisch-römischen Antike zu. Die zweite Sektion (S. 86–135) widmet sich dezidiert den Kranken, der Medizin und den Ärzten in den Hieroi Logoi.

Zunächst wird der Begriff eines „Gesundheitssystems“ (health-care system) in der griechisch-römischen Welt eingeführt, worunter alle die Gesundheit betreffenden Aktivitäten zu fassen sind. In diesen kontextuellen Rahmen sowie die damit verbundene gesundheitliche Vorstellungswelt sind sowohl die Patienten als auch das bei einer Erkrankung hinzugezogene Personal eingebunden.4 Diese Begrifflichkeit findet als über allem stehender und alle Einzelaspekte integrierender Oberbegriff im Folgenden immer wieder Verwendung. Daraufhin werden in einzelnen Unterkapiteln die Medizin und ihre Entwicklung in der griechisch-römischen Welt, Galen sowie schließlich die medizinische Bedeutung der Träume eingehender behandelt. Sinn und Zweck dieser Unterkapitel ist von zweierlei Art: Einerseits geht es Israelowich um den Beleg, dass Aristides bei seinen Entscheidungen auf dem Gebiet der Medizin sowie auch bei der hohen Wertschätzung der Träume durchaus mit seiner Zeit und deren Gewohnheiten konform ging; andererseits gilt es zu erweisen, dass bei der Behandlung von Erkrankungen keine klare Trennung zwischen der wissenschaftlichen Medizin und der Religion bestand. Beide Disziplinen entsprachen und ergänzten einander sowohl bei den Erklärungsversuchen des Ursprungs von Krankheiten als auch bei deren Benennung, sie agierten somit gleichrangig nebeneinander.

Die in der zweiten Sektion aufkommenden Fragen nach dem medizinischen Diskurs in den Heiligen Berichten sowie nach der dort zu ermittelnden medizinischen Praxis behandelt Israelowich in einzelnen Unterkapiteln (S. 88–105): die medizinische Autorität des Arztes und ihre Voraussetzungen, die ärztliche Praxis, die Bedeutung der Reinigung, die Wichtigkeit und Bedeutungsvielfalt der Pharmaka, die Auslegung der Träume sowie die medizinischen Prozeduren und die in den Hieroi Logoi erscheinenden Ärzte. Der Diskurs selbst findet zwischen den drei für die Gesundheitsfürsorge zuständigen Personengruppen statt: den Ärzten, den gymnastischen Trainern und den Priestern im Asklepieion. Danach widmet sich die Studie dezidiert dem Werk des Aelius Aristides und deren medizingeschichtlicher Bedeutung. Dazu erfolgt erneut eine Dreigliederung: Zunächst wird der Bericht des Aristides über den Beginn der Erkrankung hinsichtlich des darin zum Ausdruck kommenden Krankheitsverständnisses untersucht. Darauf folgt die Analyse der Beziehung des Aristides zu Asklepios aus medizinischer Sicht, wobei die ständige Bevorzugung der von Asklepios gebotenen Maßnahmen betont wird. Darüber hinaus attestiert Israelowich eine stete Hinzuziehung von Ärzten. Ihre Therapien wurden befolgt, solange sie den Maßnahmen des Gottes nicht zuwiderliefen. Allerdings berücksichtigt der Autor bei der sehr positiven Bewertung dieses Patienten-Gott-Verhältnisses allzu selten die zuvor ermittelte Intention der Schrift und die damit einhergehende Verzerrung des tatsächlichen Verhältnisses zwischen Sophist und Gott.

Schließlich geht Israelowich der Frage nach der medizinhistorischen Positionierung der Hieroi Logoi innerhalb des sozialen Kontextes nach. Erwartungsgemäß lautet das Fazit, dass die medizinhistorischen Darstellungen innerhalb der Heiligen Berichte als repräsentativ für das Gesundheitssystem ihrer Zeit gewertet werden können. Die Bemühungen um den Beweis dieses Tatbestandes muten dabei gelegentlich befremdlich an. So ist beispielsweise die Behauptung (S. 134), dass Aristides nicht habe exzentrisch sein können, weil er ansonsten höchstwahrscheinlich als Mitglied des führenden Provinzialadels in Asia Minor nicht einen solchen Erfolg gehabt hätte, keinesfalls stichhaltig.

Zuletzt widmet sich das dritte Kapitel (S. 137–180) der Religion und den religiösen Erfahrungen in den Hieroi Logoi. Die Kernthese bildet hierbei erneut die Neubewertung der Schrift als Zeugnis der Vorstellungs- und Glaubenswelt des 2. Jahrhunderts n.Chr. Besonders interessant ist dabei die Einbeziehung von nichtliterarischen Quellenzeugnissen als Vermittlern der griechisch-römischen Kultur. Ziel und Absicht ist es, die ständige öffentliche Einflussnahme auf die vermeintlich so persönliche und private Religion zu erweisen. Die regelmäßige Auseinandersetzung mit der breiteren religiösen Vorstellungswelt während der Teilnahme am Kult und dessen Festivitäten, die Unterweisung durch das Kultpersonal sowie schließlich auch die überall vorzufindenden visuellen Darstellungen der Götterwelt hatten selbstverständlich auch auf Aelius Aristides einen großen Einfluss. Zudem unterwies ihn der Kult darin, wie er mit der Erkrankung umzugehen habe.

Genannt seien noch einige allgemeine Anmerkungen und Kritikpunkte: Es ist bedauerlich, dass Israelowich trotz der durchaus überzeugenden Kritik von Petsalis-Diomidis weiterhin an dem englischen Titel Sacred Tales festhält.5 Zudem fallen dem Leser sofort die zahlreichen kleineren Rechtsschreibfehler und sonstigen gestalterischen Mängel auf, deren Vermeidung bei einem Buch dieser Preisklasse durchaus zu erwarten gewesen wäre.6 Diese Kritik wiegt zusätzlich schwer, da das Buch aufgrund vorhandener Unzulänglichkeiten bereits kurz nach Erscheinen neu gedruckt werden musste.7 Schließlich ist das Buch sehr sperrig geschrieben. Dies liegt nicht zuletzt an Tatsache, dass der Autor sich zwar stets bemüht, den Leser davon in Kenntnis zu setzen, was er macht, ein Hinweis, warum und mit welcher Intention dies geschieht, erfolgt allerdings häufig spät oder überhaupt nicht.

Insgesamt ist Israelowich trotz der aufgeführten Kritikpunkte für seine Arbeit zu danken. Die Gesamtaussage, dass es sich bei den Hieroi Logoi um ein Kind seiner Zeit handelt und das Werk in weit größerem Maße als bisher gedacht die medizinischen wie auch religiösen Gegebenheiten des 2. nachchristlichen Jahrhunderts widerspiegelt, ist richtig und wichtig. Insbesondere für künftige Forschungen zu den Heiligen Berichten sowie zur Medizingeschichte ist das Werk eine Bereicherung.

Anmerkungen:
1 Zu nennen ist insbesondere der Sammelband William V. Harris / Brooke Holmes (Hrsg.), Aelius Aristides between Greece, Rome, and the Gods, Leiden 2008.
2 Von den Arbeiten von Alexia Petsalis-Diomidis ist besonders hervorzuheben: Truly Beyond Wonders. Aelius Aristides and the Cult of Asklepios, Oxford 2010, die aus ihrer Dissertation hervorgegangen ist.
3 Siehe hierzu etwa die Rezension von Jennifer Clarke Kosak in: Journal of Hellenic Studies 132 (2012), S. 235f.
4 Entnommen ist dieses Konzept maßgeblich der Arbeit von Arthur Kleinman, Patients and Healers in the Context of Culture, Berkeley 1980.
5 In der Tat vermittelt die Übersetzung „tales“ für logoi ein völlig falsches Bild vom Charakter dieses Werkes, vgl. Petsalis-Diomidis, Wonders, S. 4.
6 An dieser Stelle seien nur einige wenige und sehr unterschiedliche Arten von Fehler genannt, welche diesen Kritikpunkt untermauern sollen, S. 5: Doppelung der Argumente zwischen dem Fließtext sowie der Anm. 15; S. 17: „sourse“ für ‚source‘ sowie „sotry“ für ‚story‘; S. 48, Anm. 54: GOR. ist zu streichen; S. 58: „paterfamilias“ (nicht getrennt geschrieben); S. 129, Anm. 523: unerklärliche Lücke des griechischen Fließtextes; S. 163, Anm. 183: „Parke (1967)“ als Kurztitel für Herbert W. Parke, Greek Oracles , London 1967 und „Parke (1985)“ als Kurztitel für Herbert W. Parke, The Oracles of Apollo in Asia Minor, London 1985 erscheinen nicht im Literaturverzeichnis.
7 Dabei wurde insbesondere das Unterkapitel „Date of Composition“ (S. 14f.) wesentlich verändert und um vier Fußnoten erweitert. Weiter wurde auf S. 55 die Anm. 98 eingefügt.

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