Neumann, Victor; Heinen, Armin (Hrsg.): Istoria României prin concepte [Geschichte Rumäniens in Begriffen]. Perspective alternative asupra limbajelor social-politice [Alternative Perspektiven auf politisch-sozialen Sprachformen]. Bukarest 2010 : Editura Polirom S.A., ISBN 978-973-46-1803-3 432 S. RON 24,95 (ca. € 10,20)

Dumbrava, Vasile (Hrsg.): Geschichte politisch-sozialer Begriffe in Rumänien und Moldova. . Leipzig 2010 : Leipziger Universitätsverlag, ISBN 978-3-86583-491-1 254 S. € 29,00

Neumann, Victor; Richer, Henriete (Hrsg.): Cinci concepte ale gândirii politice Româneşti [Fünf Begriffe des rumänischen poltischen Denkens]. . Timisoara 2011 : Brumar, ISBN 978-973-602-610-2 234 S. RON 30,00 (ca. € 6,80)

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Konrad Petrovszky, Berlin

Das ungebrochen große Interesse an der Begriffsgeschichte, die mittlerweile dem breiter gefassten Forschungsfeld der Historischen Semantik zugeordnet und in verschiedenen sprachlichen Kontexten weltweit angewandt wird1, führte 2008 zur Gründung eines in Aachen und Timișoara angesiedelten internationalen (Post-)Graduiertenkollegs, dessen Ziel nach eigenem Bekunden in der „Erprobung einer deutschen Perspektive der Geschichtsschreibung auf das rumänische 19. und 20. Jahrhundert“ besteht.2 Aus dem Umfeld dieses Projekts, das damit ein bislang fast unerschlossenes Forschungsgebiet betritt, sind mittlerweile drei ambitionierte Sammelbände hervorgegangen, die einen Eindruck von den tatsächlichen Erkenntnismöglichkeiten, aber auch vom uneingelösten Potential des Vorhabens geben.

Der erste und bei weitem umfangreichste Sammelband „Istoria României prin concepte. Perspective alternative asupra limbajelor social-politice” (im Folgenden NH) ist aus einer im September 2009 in Timișoara abgehaltenen Tagung hervorgegangen.3 Der Band versammelt durchweg ausgewiesene Experten der neueren rumänischen Geschichte aus dem In- und Ausland und wird durch die beiden Projektleiter, Victor Neumann (West-Universität Timișoara) und Armin Heinen (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen), eingeleitet. Der zweite von Vasile Dumbrava herausgegebene Band „Geschichte politisch-sozialer Begriffe in Rumänien und Moldova” (im Folgenden D) aus dem gleichen Jahr ist zugleich eine Festgabe des Moldova-Instituts in Leipzig an den Sprachhistoriker und Romanisten Klaus Bochmann, der selbst einige der wichtigsten Arbeiten zur Sprachgeschichte und Soziolinguistik des modernen Rumänischen verfasst hat. In diesem Band finden sich acht Aufsätze, die für den ersten Sammelband verfasst wurden, in oft leicht gekürzter deutscher Fassung wieder, ergänzt um vier weitere Beiträge, die sich mit politischen Schlüsselbegriffen der jüngeren moldawischen Geschichte befassen. Der dritte von Victor Neumann und Henriete Richer herausgegeben Band „Cinci concepte als gândiri politice românești” (im Folgenden NR) umfasst sechs Beiträge, die dem Kreis der Kollegiatinnen und Kollegiaten des Projekts entstammen und damit gewissermaßen dessen Kernarbeit dokumentieren. Aufgrund der hohen thematischen Verzahnung sowie der personellen Überschneidungen empfiehlt sich eine Sammelbesprechung der drei Bände unter besonderer Berücksichtigung des ersten Bandes sowie eine Schwerpunktsetzung auf konzeptionellen Fragen.

Nach den Initiatoren und Projektleitern Victor Neumann und Armin Heinen (beide in NH) soll die von Reinhart Koselleck so maßgeblich geprägte Begriffsgeschichte nicht allein um rumänische Fallbeispiele aus den letzten zwei Jahrhunderten ergänzt werden. Vielmehr soll die Übertragung des begriffsgeschichtlichen Ansatzes stellvertretend für das Ansinnen stehen, einen neuen historiographischen Stil in der rumänischen Geschichtsforschung zu inaugurieren, für den Armin Heinen einen entsprechenden, fünf Punkte umfassenden, der kritischen Geschichtswissenschaft verpflichtenden Normenkatalog benennt (NH, S. 44ff.). Durchaus unerwartet wird hier der begriffsgeschichtliche Ansatz mit mentalitätsrevolutionierenden Fähigkeiten potenziert. Das mit Emphase vorgetragene Ansinnen, Begriffsgeschichte könne selbst Teil des gesellschaftspolitisch wichtigen Läuterungsprozesses sein, der in Rumänien „nach zwei totalitären Regimen" (NH, S. 26) nun anstehe, mag man teilen oder nicht – fest steht, dass dieses Gebot nicht ohne problematische Auswirkungen auf den begriffsgeschichtlichen Ansatz selbst bleibt.

Neben den eher programmatisch gehaltenen Einleitungstexten der beiden Herausgeber liefert der von Alexandre Escudier verfasste Beitrag „Historische Semantik, politischen Moderne und Geschichte Rumäniens (1780–1939)“ (auf Rumänisch in NH, S. 53–80) eine ausgesprochen anregende theoretische Standortbestimmung des begriffsgeschichtlichen Ansatzes in Bezug auf die rumänische Kulturgeschichte im Übergang zur Moderne. Escudiers Auffassung nach wären die vier von Reinhart Koselleck angegebenen Charakteristika der Sattelzeit (Verzeitlichung, Demokratisierung, Ideologisierbarkeit und Politisierung) um weitere Forschungshypothesen zu ergänzen, die es in der Analyse der Transformation der modernen politisch-sozialen Sprache besonders zu berücksichtigen gilt: Hierzu gehören Prozesse der Vernakularisierung der politischen Semantik, der „Entheroisierung“ politisch-sozialer Begriffe im Laufe der letzten Jahrzehnte, der wissenschaftlichen Rationalisierung, der Medialisierung politischer Kommunikation sowie der komplexen Verflechtung von Nationalisierung und Globalisierung (S. 58–66). Speziell auf Rumänien bezogen hebt Escudier des Weiteren die Momente der Politisierung der Philologie und der sukzessiven Verschriftlichung des Rechtswesens hervor, um abschließend eine konzise historische Rahmung des Gesamtvorhabens zu geben, die hervorragende Anknüpfungs- und Kontrastpunkte für die nachfolgenden begriffsgeschichtlichen Einlassungen bietet.

Ausgehend vom sprach-, kultur- wie politikgeschichtlich wohl kaum zu bestreitenden Befund, dass sich die moderne politisch-soziale Sprache im Rumänischen besonders im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts herausbildete, wird der zeitliche Rahmen der insgesamt 35 Beiträge durch das 19. und 20. Jahrhundert abgesteckt, wobei freilich nur ein Teil der Beiträge den gesamten Zeitraum gleichwertig behandelt. Trotz der großen Zahl und der durchaus unterschiedlichen Zugänge lässt der Blick in die Inhaltsverzeichnisse der drei Bände eine recht deutliche Clusterbildung erkennen auf jene „Begriffe, die ‚Identitäten‘ oder Repräsentationen der ‚Zivilgesellschaft‘ beschreiben und die ihrerseits gestaltungsgebend sind für politische Identitäten“ (Neumann, in NH, S. 30). So sammeln sich um das große Themenfeld des Nationaldiskurses gleich eine ganze Reihe von Aufsätzen: Zentrale Kategorien wie „Nation“, „Volk“, „Patriotismus“ und andere Begriffe des zugehörigen semantischen Felds werden mal über den Zeitraum der zurückliegenden 200 Jahre untersucht, mal in begrenzten zeitlichen und diskursiven Kontexten wie der Kunstgeschichte der Zwischenkriegszeit, den Pamphlets der rumänischen Nationalbewegung von 1848 in Ungarn und populären Geschichtszeitschriften der sozialistischen Ära behandelt oder aber im Werk der einflussreichen Intellektuellen des 19. Jahrhunderts Alexandru Papiu Ilarian und Alexandru Xenopol diskutiert. Einen zweiten großen Schwerpunkt bilden Begriffe politischer Ordnung (wie „Liberalismus“, „Demokratie“ und „Demokratisierung“, „Verfassung“, „Politik“ oder „Territorialautonomie“) sowie eng damit verknüpfte Begriffe kultureller Aspiration (wie „Bildung“ oder „Europa“), die je nach Autorin oder Autor ebenfalls über unterschiedliche Epochen und in unterschiedlichen rumänischen, zum Teil auch moldauischen Diskussionskontexten nachverfolgt werden. Das dritte Feld schließlich tut sich um die Untersuchung eher ins Politisch-Ökonomische weisender Begriffe wie „Fortschritt“, „Eigentum“ und „Transition“ auf, wozu auch das eigens untersuchte Konzept der „Neo-Leibeigenschaft“ des rumänischen Marxisten Dobrogeanu-Gherea gehört.

Insgesamt finden sich in den drei Bänden eine Fülle anregender und sorgfältig dokumentierter Schlaglichter auf den rumänischen Staats- und Gesellschaftsdiskurs sowie kritische Präzisierungen zum Werk einflussreicher Intellektueller des 19. und 20. Jahrhunderts, letzteres insbesondere in dem von Neumann und Richer herausgegeben Band. Dabei werden vielfach neue Lesarten der rumänischen politischen Ideengeschichte erprobt, die allesamt dem Vorhaben verschrieben sind, bislang dominierende apologetische Zugänge, die interne Widersprüche oft ausblenden und in der einen oder anderen Weise einen ethnozentrischen Nationsdiskurs fortschreiben, zu unterlaufen und ihrerseits zu dekonstruieren. Doch jenseits dessen wird man zugeben müssen, dass es sich um eine recht heterogene Ansammlung teils hervorragender Einzeluntersuchungen handelt, die sich zwar irgendwie der Diskurs- und Ideengeschichte zuordnen lassen, die aber letzten Endes nicht so recht unter den Ober- und Leitbegriff der Begriffsgeschichte passen. Umso mehr gilt dies für eine kleine Zahl von Beiträgen eher politikwissenschaftlicher Natur, die sich zweifelsohne relevanten Begriffen der politischen Gegenwart widmen, bei denen jedoch völlig unklar bleibt, worin überhaupt der begriffsgeschichtliche Einsatz besteht.

Trotz dieser grundlegenden Unklarheiten, auf die noch genauer einzugehen sein wird, ist es lohnenswert, zunächst einige Studien hervorzuheben, die in Fragestellung und Problembewusstsein auf Höhe der von Alexandre Escudier vorgelegten Überlegungen angesiedelt sind und die in überzeugender Weise aufzeigen können, welches Potential eine historisch-semantische Perspektivierung der rumänischen Geschichte der Neuzeit in sich birgt. Unter den Beiträgen, denen es gelingt, über eine bloße Repertorisierung von Belegstellen hinaus zu einer verdichteten Beschreibung einer begrifflichen Entwicklung zu gelangen und zugleich die semantischen Ambivalenzen und Dynamiken angemessen zu berücksichtigen, ist der Beitrag von Angela Harre zu erwähnen („‚Fortschritt‘ im Spannungsverhältnis zwischen Liberalismus und Staatsintervention“, in D, S. 87–110; sowie rumänisch in NH, S.173–199). Die ökonomischen Semantiken des Fortschrittsbegriffs entfaltend, der zu einem zentralen „Planungsbegriff“ (S. 95) der letzten anderthalb Jahrhunderte wird, skizziert Harre eine mögliche Geschichte ökonomischer Erklärungsmuster im Wechselspiel mit den sich wandelnden realwirtschaftlichen Herausforderungen der neueren rumänischen Geschichte.

Dietmar Müllers Untersuchung zur Entwicklung des Eigentumsbegriffs („Vorarbeiten zu einer Begriffs- und Kulturgeschichte des Eigentums in Rumänien, 1746 bis 2009“, in D, S. 185–214, in erweiterter rumänischer Fassung in NH, S.201–238 ) zeigt anhand eines heterogenen Quellenkorpus auf, wie die politisch-ökonomischen Semantiken des Eigentumsbegriffs auf verschiedenen Ebenen, das heißt nicht allein innerhalb des engeren Elitendiskurses, nachvollzogen werden können. Die hier vorgeführte gelungene Verknüpfung von Begriffs-, Sozial- und Verwaltungsgeschichte vermag durchaus manche fest eingebürgerte Auffassung zu revidieren, was die Frage des parallelen Verlaufs von politischer und semantischer Transformation anbelangt. Zugleich weist Müller aber auch darauf hin, dass eine umfassender begriffs- und kulturgeschichtliche Analyse des Eigentumsbegriffs durch eine gesonderte Berücksichtigung der siebenbürgischen und bessarabischen Verhältnisse sowie der Heranziehung weiterer Quellen wie etwa von Egodokumenten ungleich komplexer ausfallen müsste – eine Feststellung, die auf alle hier untersuchten Begriffe auszuweiten wäre.

Dem schillernden und im gegenwärtigen rumänischen Diskurs phasenweise allgegenwärtigen Begriff der „tranziție“ (dt. Übergang, Transition) und dessen semantischen Ober- und Unterbegriffen zur Bezeichnung gesellschaftlichen Wandels widmen sich Mirela-Luminița Murgescu und Bogdan Murgescu in einer Pionierstudie („Transition, Transitionen: die Konzeptualisierung des Wandels in der rumänischen Kultur“, auf Rumänisch in: NH, S. 419–446), die sehr überzeugend nachzeichnet, wie aus einem Prozessbegriff allmählich ein Periodisierungsbegriff wird, der den sozioökonomischen Umbruch gewissermaßen auf Dauer stellt. Semantisch nachhaltig durch die Literatur- und Kulturkritik des ausgehenden 19. Jahrhunderts geprägt, handelt es sich nämlich um einen Begriff, der nicht nur gesellschaftlich akkumulierte Erfahrung auf einer höherstufigen Beobachtungsebene zu beschreiben vorgibt, sondern diese auch als eine grundlegend unfertige konnotiert. Insofern lässt sich an ihm das Selbstverständnis der rumänischen Moderne in ihrem charakteristischen Wechselspiel zwischen Enthusiasmus und Defätismus besonders eindrücklich nachvollziehen. Edda Binder Iijima untersucht in der „Skizzierung des Begriffs ‚Verfassung‘ in seinem historisch-politischen Kontext in Rumänien“ (in D, S. 146–170; sowie auf Rumänisch in NH, S. 299–322) die im 19. Jahrhundert erfolgende allmähliche Etablierung des Begriffs nach Maßgabe der jeweils gegebenen Opportunität, der Akzeptanz und der politischen Ansprüche in einem kulturellen Umfeld, das durch das Neben- und Gegeneinander unterschiedlicher Sprachen und Rechtsvorstellungen gekennzeichnet war. Der grundlegende Zusammenhang von Sprachwandel und sozialer Ordnungsvorstellung, gerade im Falle der Verfassungssemantik besonders gut greifbar, wird in diesem Beitrag wie in keinem anderen durchleuchtet.

Eine stärker an die „intellectual history“ angelehnte Untersuchung legt Balázs Trencsényi in seiner materialreichen Studie zum „Nationalcharakter“ vor, einem überaus prominenten Topos kultureller Selbstbeschreibung der modernen rumänischen Publizistik („Die Konzeptualisierung des Nationalcharakters in der rumänischen intellektuellen Tradition“, auf Rumänisch in NH, S. 339–378). In diesem umfangreichsten aller Beiträge beeindrucken nicht nur der Blick auf weniger bekannte diskursive Schauplätze, sondern auch die Berücksichtigung zahlreicher transfergeschichtlicher Aspekte und die Verweise auf parallele Debatten im südosteuropäischen Raum. Zu beklagen ist allein, dass die realsozialistische Epoche nicht mit gleicher Sorgfalt wie die vorangehenden Epochen, sondern nur als eine Art Ausblick abgehandelt wird. In das Kraftfeld prominenter moderner Identitätskategorien gehört schließlich auch der von Klaus Bochmann untersuchte Begriff des Patriotismus („Der Patriotismusbegriff im 19. Jahrhundert“, in D, S. 42–60; sowie um einen methodologischen Teil erweitert in NH, S. 103–129). Damit wird zugleich beispielhaft ein Begriff untersucht, dessen Konjunkturwelle im Fortgang des 20. Jahrhundert doch stark abgeebbt zu sein scheint. Mit großer lexikologischer Sorgfalt werden hier beginnend mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert die Beziehungsfelder sowie die durchaus voneinander abweichenden, ja konkurrierenden Bedeutungszuschreibungen nachvollzogen.

Reiz und Anspruch des begriffsgeschichtlichen Ansatzes liegen ohne Zweifel in der Vermittlung von Wort-, Sach- und Problemgeschichte. Dem werden die drei Sammelbände nicht durchgehend gerecht. In diesem Zusammenhang sei auf vier Aspekte verwiesen, die einer weiteren Klärung bedürfen. Erstens drängt sich die Frage nach der Auswahl der behandelten Begriffe auf. Sicherlich wird weder postuliert, das Feld der Grundbegriffe umfassend abzudecken, noch ein Anspruch auf Repräsentativität erhoben. Und dennoch steht zumindest implizit die These im Raum, es handele sich tatsächlich um Grundbegriffe der sozialen und politischen Realität der letzten beiden Jahrhunderte, womit auch die legitime Frage aufgeworfen wird, was die Kriterien dieser Auswahl sind und wodurch sich diese Begriffe im Besonderen aus dem diskursiven Rauschen herausheben. In Anbetracht der von den Herausgebern mit Emphase herausgestrichenen Intention, gegenüber der herrschenden Historiographie neue Methoden und Themenfelder zu erschließen, ist es zudem fragwürdig, ob es hierfür ausreicht, den von der traditionellen Geschichtschreibung vorgegebenen Themenkanon (der ja nicht zu Unrecht einer nationalen Fixierung gescholten wird) lediglich um eine weitere Beobachterebene zu ergänzen, und ob es nicht dem eigenen Interesse eher entgegenkäme, weitere nicht minder prominente Grundbegriffe anderer gesellschaftlicher Diskussionsfelder in Betracht zu ziehen. Zu denken wäre hier an Begriffe wie „Gesetz“ (rum. „lege“), „Tradition/Brauch“ (rum. „obicei“/„tradiție“/„cutumă“), Land (rum. „țară“/„pământ“) oder „Kultur“ (rum. „cultură“).4 Die vorliegende thematische Enge, die eben doch im Fahrwasser der traditionellen Ideengeschichte steht, bedingt zudem auch eine gewisse Verengung des Untersuchungsmaterials auf die kanonischen, „großen“ Texte (Standardgeschichtsdarstellungen, bekannte Schriften und Reden prominenter Politiker und Intellektueller etc.), auf Texte also, die zu einem großen Teil bereits in der Nationalismusforschung und Ideengeschichte der letzten drei Jahrzehnte intensiv diskutiert worden sind. Demgegenüber werden Tagespresse, Verwaltungsschrifttum, Belletristik, Gebrauchsliteratur und vieles andere mehr nur ganz sporadisch berücksichtigt.

Zweitens ergeben sich einige Ungereimtheiten, was die vertretene Auffassung von Begriffsgeschichte angeht. In Anbetracht der offensichtlich starken Anlehnung an Reinhart Kosellecks Arbeiten wäre etwa zu klären, inwieweit der deutsche „Begriff“ mit dem rumänischen „concept“ gleichzusetzen ist. Eine explizite Auseinandersetzung mit dieser Frage findet sich in keinem der drei Bände, was zum Teil auch dem explorativen Charakter des Unterfanges geschuldet sein mag. Und dennoch wäre bei aller „methodischen Unbestimmtheit“, die von Armin Heinen als großer Vorzug des begriffsgeschichtlichen Ansatzes gepriesen wird (in NH, S. 36), eine minimale Klärung des epistemologischen Status des Begriffs „Begriff“ dringend geboten gewesen. Die diesbezüglich offensichtlich unterbliebene Verständigung hat oft zur Folge, dass der Analyserahmen unklar bleibt und die fehlende Leitlinie bezüglich des konzeptuellen Status eines politisch-sozialen (Grund-)Begriffs für einige Verwirrung sorgt.

Drittens hätte eine sorgfältigere Berücksichtigung der lexikologischen und wortgeschichtlichen Dimension die Besonderheiten der rumänischen Sprach- und Kulturgeschichte im europäischen Vergleich schärfer konturieren können. Schließlich stellen die in den Bänden diskutierten Begriffe durchweg dem Französischen und Italienischen entlehnte Neologismen dar, die Mitte des 19. Jahrhunderts im Rahmen eines kulturellen Runderneuerungsprogramms in eine im völligen Umbruch befindliche rumänische Schriftsprache übernommen wurden und möglichst rasch in das neue kulturelle Koordinatensystem eingepflegt werden mussten. Die meisten Beiträge tragen diesem Umstand in der einen oder anderen Form Rechnung, jedoch zumeist nur in Form von wortgeschichtlichen Präambeln oder Appendizes. Dabei böte die im rumänischen Fall besonders stark ausgeprägte sprachpolitische Dimension, das heißt die beabsichtigte Neudenominierung und programmatische Resemantisierung (die im Übrigen eine zweite Konjunktur während des Realsozialismus erlebten), eine Reihe von Vergleichsmöglichkeiten innerhalb des im 19. Jahrhunderts sich national „neu erfindenden“ ostmittel- und südosteuropäischen Raums, wo ähnliche kulturelle Strategien zu beobachten sind.

Viertens muss dem von den Herausgebern formulierten Anspruch, mit Hilfe des begriffsgeschichtlichen Zugangs selbst zur fürderhin korrekten Verwendung politisch-sozialer Begriffe im öffentlichen Diskurs in Rumänien beizutragen, mit einiger Zurückhaltung begegnet werden. Soll etwa der historisch akkumulierte Vorstellungsballast abgeworfen, irreführende begriffliche Polyvalenzen verworfen und die Semantik im Geiste eines korrekten europäischen Sprachgebrauchs „gesäubert“ werden? Folgt man den Worten Victor Neumanns, geht es ihm in der Tat um nicht weniger als um die Ermittlung eines „richtigen“ sozialwissenschaftlichen Sprachgebrauchs, der gewissermaßen gegen „totalitäte“ Versuchungen immunisieren soll (in NH, S. 21). Doch wie soll sich dieses Ansinnen in irgendeiner Form mit dem begriffsgeschichtlichen Ansatz vereinbaren lassen?

Es scheint mehr als fraglich, ob die Begriffsgeschichte dem ihr mit so viel Emphase zugesprochen Heilsversprechen, die ethnozentrisch-autoritäre Tradition in der Geschichtswissenschaft tatsächlich zu überwinden, überhaupt gerecht werden kann. Die auf eine solche Mission eingeschworene Begriffsgeschichte würde letztlich darauf hinauslaufen, ihren eigenen Gegenstand auszulöschen, der ja gerade in der Umkämpftheit und dem problematischen Schillern politisch-sozialer Kategorien besteht. Die hervorgehobenen Beiträge können durchaus veranschaulichen, wie das dem begriffsgeschichtlichen Ansatz bereits inhärente kritische Potential in die Tat umgesetzt werden kann.

Anmerkungen:
1 Für einen Überblick vgl. Willibald Steinmetz, Vierzig Jahre Begriffsgeschichte. The State of the Art, in: Heidrun Kämper / Ludwig M. Eichinger (Hrsg.), Sprache – Kognition – Kultur. Sprache zwischen mentaler Struktur und kultureller Prägung, Berlin 2008, S. 174–197; Kathrin Kollmeier, Begriffsgeschichte und Historische Semantik, Version: 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 2.12.2011, <https://docupedia.de/zg/Begriffsgeschichte_und_Historische_Semantik?oldid=81149> (15.10.2012).
2 „VW-Graduiertenprojekt ,Begriffsgeschichte‘ als Dekonstruktion gesellschaftlicher und politischer Kommunikation in Rumänien, 19. und 20. Jahrhundert. Erprobung einer deutschen Perspektive der Geschichtsschreibung.“ Eine ausführliche Darstellung findet sich unter <http://www.histinst.rwth-aachen.de/aw/cms/HISTINST/Zielgruppen/neuzeit/projekte/~vok/begriffsgeschichte/?lang=de> (15.10.2012).
3 Siehe hierzu den Tagungsbericht von Valeska Bopp-Filimonow: Grundbegriffe der rumänischen politisch-sozialen Sprache. 23.09.2009–26.09.2009, Temeswar, in: H-Soz-u-Kult, 14.10.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3309> (15.10.2012).
4 Nach Auskunft der Website (siehe Anm. 1) ist die Behandlung dieser Begriffe zumindest angedacht.

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