T. Natter u.a. (Hrsg.): Die Praxis der Ausstellung

Titel
Die Praxis der Ausstellung. Über museale Konzepte auf Zeit und auf Dauer


Herausgeber
Natter, Tobias G.; Fehr, Michael; Habsburg-Lothringen, Bettina
Reihe
Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement
Anzahl Seiten
255 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kristiane Janeke, www.tradicia.de, Minsk

Der Sammelband ist der dritte, der in Folge einer Reihe von Konferenzen aus Anlass der Neueinrichtung des Vorarlberger Landesmuseums (geplante Eröffnung 2013) entstand. Diese wurden von dessen ehemaligem Direktor Tobias Natter (seit 2011 Leiter des Leopold Museums Wien) herausgegeben. Zur Diskussion der Neukonzeption des Museums wurden bisher drei Tagungen in Bregenz unter dem Gesamttitel „Relaunch: Das Museum neu denken“ zusammen mit der Museumsakademie Joanneum in Graz und dem Institut für Kunst im Kontext der Universität der Künste in Wien veranstaltet. Bereits im Oktober 2010 ist die Dokumentation der Tagung „Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung“ erschienen.1 Nun werden die Beiträge der Fachtagungen „Mit Dingen erzählen. Die Schausammlung“ (November 2010) und „Mit Dingen argumentieren. Die Sonderausstellung“ (März 2011) vorgelegt. Eine vierte Tagung zu Neuen Medien soll folgen.

Ausgehend von dem klar umrissenen Erkenntnisinteresse des Vorarlberger Landesmuseums erläutern die geladenen Museumsvertreter jeweils die Art und Weise wie sie in ihren Häusern mit den Neueinrichtungen bzw. Umgestaltungen umgehen. Ergänzt werden diese Darstellungen durch vier theoretische Beiträge. Die Leitfrage aller Texte bezieht sich auf das Verhältnis von Dauer- und Wechselausstellungen bzw. die Auseinandersetzung mit der These, dass die Grenzen zwischen den beiden Formaten zunehmend verschwimmen (S. 9, S. 27). Der geographische Einzugsbereich der Betrachtung umfasst Deutschland, Österreich und die Schweiz, vorgestellt werden kunst- und kulturhistorische Museen. Abschließend erläutert eine Gestalterin in einem Interview ihre Sicht auf das Thema.

Die theoriebezogenen Beiträge nähern sich auf unterschiedliche Weise der Frage, wie in Ausstellungen inhaltliche Zusammenhänge entstehen. Zunächst erläutert Marc-Olivier Gonseth seine aus früherem Kontext bekannte Theorie der „Muséologie de la rupture“.2 Gemeint ist ein bewusster Bruch mit gewohnten Konzeptionen zugunsten einer Konfrontation mit dem Fremden und Anderen durch die Thematisierung von Unterschieden, Emotionen und kritischer Distanz. Dabei fügen sich Bild und Wort zu einer Erzählung, die „Gegenstände in den Dienst einer theoretischen Betrachtung, eines Diskurses oder einer Geschichte [stellt] und nicht umgekehrt“ (S. 52). Einen völlig anderen Ansatz wählt Michael Fehr, der vorschlägt, „Leistungen und Lösungen der Bildenden Künste fruchtbar [zu] machen“ (S. 123), das heißt, sich bei Ausstellungspräsentationen an „bildlichen Erzählstrukturen“ als Vorbild für inhaltliche und gestalterische Konzepte zu orientieren. Konkret bedeutet dies eine bewusste räumliche Anordnung der Dinge, aus der sich ein Deutungszusammenhang ergibt. Damit sind für Fehr Objekte in ihrer Aussagekraft mindestens gleichwertig mit Texten. Seine anregenden und luziden Ausführungen leitet der Autor aus Beispielen für Formen bildlicher Darstellungen aus der Kunstgeschichte (S. 130) ab. Allein seine beharrliche Skepsis gegenüber jedem Medien- und Vermittlungseinsatz wirkt mitunter zu theoretisch. Ebenfalls ganz auf das Objekt konzentriert sind die Überlegungen von Michael Parmentier, der allerdings pragmatischer als Fehr Objekte und Texte in einem notwendigen Zusammenhang sieht, um Sinn zu stiften. Dabei betont auch er die Rolle der Kunst: Welche Bedeutung Museumsobjekten innerhalb unterschiedlicher konzeptioneller Zugänge (Klassifikation, Komposition, szenische Darstellung, Narration) gegeben wird, liegt letztlich im Ermessen des Kurators: „Das verbindet die Ausstellungstätigkeit mit der künstlerischen Tätigkeit“ (S. 150). In einem weiter gefassten Kontext der Identitätsbildung von Museen analysiert schließlich Felicitas Heimann-Jelinek die Funktion und Aussagekraft von Objekten speziell in jüdischen Museen im Allgemeinen und im Jüdischen Museum Wien im Besonderen, wo Fragen der Provenienz und auch der Abwesenheit von Dingen eine zentrale Rolle spielen. Die oft langwierigen und sich wiederholenden Ausführungen zur Dokumentation von Objekten hätten anschaulicher sein können, wenn der Vortragstext vor dem Erscheinen um die im Jahr 2011 geführte Debatte über die Zerstörung der Hologramme im Jüdischen Museum Wien ergänzt worden wäre.

Die Auswahl der Beiträge, die einzelne Museen vorstellen, erfolgte nach dem Kriterium einer kürzlich abgeschlossen oder in der Realisierung befindlichen Neueinrichtung der Häuser, wobei bewusst unterschiedliche Museumstypen gewählt wurden. Ein Blick über den deutschsprachigen Tellerrand wäre dabei sicher anregend gewesen. Die Gesamtschau aller Beiträge ergibt eine an Beispielen orientierte Darstellung von Methoden und Konzeptionen des Ausstellens im Allgemeinen. Das ist an sich gut und grundsätzlich ein wichtiger Beitrag zur museumswissenschaftlichen Literatur, da es dazu noch immer erstaunlich wenig Arbeiten gibt. Im vorliegenden Fall erfolgt der durchaus instruktive Input für die Debatte, der konzeptionelle Zugang, über die Kunst, also die „Verzahnung von Wissenschaft und Kunst“ (S. 26). Wünschenswert für eine Weiterentwicklung wäre allerdings eine Analyse und Diskussion aller Ansätze gewesen, die die Einleitung von Michaela Reichel leider nicht hergibt.

All das wirft die Frage der Definition eines Landesmuseums im deutschsprachigen Raum als Ausgangspunkt für die Konferenzen auf, der aber nicht weiter nachgegangen wird. Das Vorarlberger Landesmuseum selbst stellen Tobias Natter und Michaela Reichel vor. Das dortige Konzept sieht drei inhaltliche Zugänge auf drei Ebenen des Museumsneubaus vor: Das Schaudepot, die Schausammlung (= Dauerausstellung) und Sonderausstellungen. Der neue „interdisziplinäre, spartenübergreifende Ansatz“ (S. 97) bricht mit früheren Konzepten und setzt auf die „Öffnung zur Gegenwart“ und die Einbeziehung zeitgenössischer Kunst in allen Bereichen. In dieselbe Kategorie eines Mehrspartenhauses fällt das Joanneum. Dessen Vertreterin, Bettina Habsburg-Lothringen, diskutiert die Vor- und Nachteile der Formate von Sonder- und Wechselausstellung, ohne allerdings etwas substantiell Neues dazu beizutragen oder auch Schlussfolgerungen für zukünftige Ausstellungskonzeptionen zu ziehen.

Die Kategorie der Kunstmuseen ist durch drei Beiträge vertreten. Peter Fischer (Kunstmuseum Luzern) tritt für eine gegenseitige Befruchtung von Wechsel- und Dauerausstellungen ein. Konzeptionell unterscheidet er die klassische kunsthistorische, die „assoziativ angelegte thematische Ausstellung“ sowie drittens den experimentellen Zugang in Form eines „Labors Sammlung“ (S. 65-67). Bei allen Zugängen plädiert er für eine begleitende Ausstellungskommunikation. Wie Fischer sieht auch Dirk Luckow (Kunsthalle zu Kiel) in dem Konzept von wechselnden Ausstellungen aus dem Sammlungsbestand heraus ein zukunftsfähiges Modell für Kunstmuseen. Anhand konkreter Beispiele stellt er das ganz auf den Standort und die eigenen Bedingungen zugeschnittene „Kieler Modell“ vor, bei dem kunstferne (Reinigungskraft, Hausmeister, Werkstattleiter oder Sekretärin) bzw. museumsexterne (Privatsammler, Künstler) Gruppen die Sammlung kuratieren. Der Beitrag von Anette Kruszynski (Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen) tritt demgegenüber inhaltlich für eine traditionelle Präsentation von Kunst ein, die für sich steht und spricht. In formaler Hinsicht plädiert sie für eine klare Trennung von Wechsel- und Dauerausstellung.

Jakob Messerli und Harald Meller stellen jeweils ein Spezialmuseum (Museum für Kommunikation in Bern und Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle) vor. Die beiden eher deskriptiven Beiträge kommen über die Darstellung verschiedener Ausstellungen in den jeweiligen Häusern leider nicht hinaus. Für den Leser wäre interessant gewesen, zu erfahren, welche Diskussionen sich auf der Konferenz über die in jeweils unterschiedlichem Kontext angesprochene Präsentation des Neandertalers als Denker in Anlehnung an Auguste Rodin in Halle ergeben haben: Während Meller die Skulptur als Visualisierung der geistigen Fähigkeiten des Neandertalers heranzieht (S. 230), bezieht sich Fehr auf die Installation als Darstellung verschiedener Zeitebenen (S. 127).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die im Vorwort hervorgehobene These von einer Neubewertung von Dauer- und Wechselausstellungen („Dauerausstellungen wirken ‚beschleunigt’ und instabiler“, „Sonderausstellungen [arbeiten] in neuer Weise mit dem eigenen Sammlungsbestand“) nicht durchgängig reflektiert wird. Dagegen ließe sich in den einzelnen Positionen zu Rolle und Funktion von Kunst beim Kuratieren von Ausstellungen gleich welchen Formates durchaus ein roter Faden fast aller Beiträge finden. In der Frage nach dem Besonderen der Kuratoren- und Ausstellungstätigkeit leistet der Sammelband einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Analyse des Mediums Ausstellung - zum Beispiel durch Arbeiten wie derjenigen von Jana Scholze, auf die sich Parmentier ausdrücklich bezieht. Weiterhin deutlich sind diese Ansätze bei Fehr sowie Natter/Reichel, die konstatieren: „Ausstellung wird hier als Medium sui generis verstanden, das heißt als eine öffentliche Plattform mit eigenen Erzähl-, Darstellungs-, und Funktionsweisen.“ (S. 99) Um hier zu klaren Positionen zu kommen, wünscht man sich eine deutlichere Begriffsdifferenzierung (Schausammlung gleich Dauerausstellung bzw. Sammlungsausstellung im Unterschied zum derzeit modischen Schaudepot). Deutlich zu kurz kommen Architektur und Ausstellungsgestaltung, deren Behandlung in dem Gespräch mit Ursula Gillmann wie ein Annex wirkt und an der Oberfläche bleibt. Mehr als einen weiteren Diskussionsbeitrag zu der Herausforderung, „das Museum in eine neue Zeit zu führen“ (S. 8), leistet der Sammelband als Ganzes daher leider nicht.

Anmerkungen:
1 Natter, Tobias G.; Fehr, Michael; Habsburg-Lothringen, Bettina (Hrsg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld 2010.
2 Das Konzept der „Muséologie de la rupture“ geht zurück auf die Arbeit von Jacques Hainard und Marc-Olivier Gonseth am Ethnologischen Museum Neuchâtel. Vgl. Marc-Olivier Gonseth, Jacques Hainard und Roland Kaehr (Hrsg.), La grande illusion, Musée d'ethnographie Neuchâtel, Neuchâtel 2000.

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