J. Leicht: Heinrich Claß 1868-1953

Titel
Heinrich Claß 1868-1953. Die politische Biographie eines Alldeutschen


Autor(en)
Leicht, Johannes
Erschienen
Paderborn 2012: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julian Köck, Historisches Institut, Universität Bern

In der Forschung ist immer wieder zu Recht beklagt worden, dass es trotz des großen Interesses an der deutschen Rechten im Allgemeinen bisher wenig biographische Studien zu den wichtigen Ideengebern und Protagonisten gibt. Die hier besprochene Dissertation von Johannes Leicht zu Heinrich Claß, der über ein Vierteljahrhundert den Alldeutschen Verband führte, trägt erheblich dazu bei, diese Forschungslücke zu schließen.

Leicht sieht Claß als „geradezu paradigmatische[n] Vertreter“ (S. 20) der „Wilhelminischen Generation“, die Martin Doerry in Anlehnung an das Generationenkonzept von Karl Mannheim beschrieben hat. Tatsächlich wird in der Studie überzeugend der mentalitätsgeschichtliche Rahmen seines Werdegangs vor diesem Hintergrund gezeigt. Leider werden andere in der Einleitung herangezogene Konzepte – wie der Erfahrungsraum Kosellecks – nicht so stark vertieft, wie dies zum Teil wünschenswert gewesen wäre.

Den Hauptteil der Arbeit stellt die „biographisch-ideologiegeschichtliche“ (S. 17) Analyse des Werdegangs von Heinrich Claß dar. Leicht zeigt, dass Claß, der aus einem Bismarck verehrenden, rheinhessischen Haushalt stammte, maßgeblich von Treitschke beeinflusst wurde. Zeitweise hörte er ihn in Berlin und machte dessen Wechsel vom Liberalen hin zum Konservativen – durchaus in politischer Abgrenzung zum Elternhaus – bereitwillig mit. Allerdings scheint es zumindest unglücklich formuliert zu sein, wenn Leicht Treitschke „weltanschauliche […] Überzeugung[en] der völkischen Bewegung“ (S. 55) verbreiten lässt. Generell gewinnt der Leser den Eindruck, dass sich Leicht nur sekundär mit einer Systematik der rechten Bewegung, wie sie in jüngster Zeit beispielsweise Stefan Breuer fruchtbar entwickelt hat1, beschäftigt, weswegen auch die Verortung von Claß und dem Alldeutschen Verband im rechten Spektrum über die Unterscheidung zwischen altem und neuem Nationalismus kaum herauskommt. Allerdings zeigt Leicht, sehr pointiert, die in der Tat völkischen Wurzeln Claß' auf: Neben der Lektüre von Lagarde, Gobineau und Chamberlain war sicherlich der Kontakt zu Friedrich Lange und der Beitritt zu dessen Deutschbund, in dem Claß zügig in die „zehnköpfige Bundeskammer […], die dem Bundeswart zur Seite gestellt war“, aufstieg (S. 73), von entscheidender Bedeutung für die Genese seiner weltanschaulichen und politischen Ansichten.

Allerdings blieben ihm die Wirkungsmöglichkeiten des elitären Bundes zu gering – dazu kamen Auseinandersetzungen mit dem Vorstand –, weswegen Claß seine Zeit nur noch dem Alldeutschen Verband widmete, in welchem er schnell zum designierten Nachfolger des Vorsitzenden Ernst Hasse wurde. Daneben arbeitete er als Anwalt in Mainz.

Leicht zeigt schlüssig, dass Claß' politische Ansichten bereits hier weitgehend feststanden. Das Deutschland glorifizierende Geschichtsdenken von Treitschke bildete die Grundlage, die dann durch den aufkommenden Rassendiskurs unterfüttert und wissenschaftlich aufgewertet wurde. In enger Anlehnung an den Statistiker Hasse betrieb Claß – so Leicht – Biopolitik: „Der Mensch rückte ins Zentrum politischer Gestaltung, aber nicht als sozial agierendes Individuum, sondern als biologisch existierendes Objekt.“ (S. 94) Leicht arbeitet hier mit dem Foucaultschen Konzept der „Bio-Macht“, was sicherlich für die Rhetorik Claß' zutreffend ist. Allerdings muss gefragt werden, was bei Claß Rhetorik war und was wörtlich gemeinte Überzeugung.

In der Folge positionierte sich Claß im Alldeutschen Verband als Wortführer der jüngeren und radikalen Mitglieder, die sich gegen die altliberalen Honoratioren des Verbands wandten. Dabei zeigte Claß durchaus machtpolitisches Geschick: Mehrfach desavouierte er Mitglieder des Alldeutschen Verbandes, die Sitze im Parlament hatten, mit seinen öffentlichen Aktionen. In der Folge traten immer mehr ältere Mitglieder aus der Hauptleitung aus. Bereits 1903 war kein Mitglied der Hauptleitung mehr Mitglied im Reichstag, vor 1900 waren es dagegen fast alle. (S. 111) Mit der Gründung einer GmbH, die die Finanzen des Alldeutschen Verbandes verwaltete und der Claß vorstand, war der Weg frei für seinen immer umfassender werdenden Einfluss im Alldeutschen Verband, der nun immer stärker in Opposition zu Parlament und Regierung stand.

Leicht zeichnet den folgenden Weg Claß' im Verband quellengesättigt nach und macht plausibel, wie es Claß gelingen konnte, die Politik des Verbands immer stärker an seine eigene Weltanschauung anzunähern. 1908 verstarb Hasse und Claß, der sich unermüdlich in der Verbandsbürokratie zeigte, wurde zum neuen Vorsitzenden. Auch in der Folge verstummte die verbandsinterne Kritik an einigen seiner Positionen nicht – besonders die Betonung der Rassenfrage und die grundsätzliche Oppositionshaltung regten immer wieder zum Widerstand gerade der älteren Mitglieder an. Doch Claß konnte sich durchsetzen. Die Finanzmittel hatte er schon unter seine Kontrolle gebracht und die Vereinsverwaltung lastete weitgehend auf seinen Schultern. Er hatte sich unentbehrlich gemacht und wusste immer wieder, durch Rücktrittsdrohungen Kritiker auf Linie zu bringen und seine eigenen Vertrauten auf wichtige Stellen zu setzen. Dass Claß' taktisches Geschick außerhalb des Alldeutschen Verbandes nicht überragend war, kann Leicht überzeugend belegen. Mit der Frustration über seine mangelnden gestalterischen Möglichkeiten in der Politik – das ist eine der Kernthesen des Buches – gingen eine verstärkte Radikalisierung seiner Weltanschauung und eine immer kompromisslosere Rhetorik einher. Leicht erweitert hier die in der Tendenz schon von Chickering vertretene Position sinnvoll.2

Während des Ersten Weltkrieges machte Claß mit immer absurderen Forderungen für die Zeit nach dem Krieg von sich reden. Umso schockierender war die Niederlage, die gemäß seiner schon lange gehegten Ansichten den Juden in die Schuhe geschoben wurde. Diese durch den Krieg ausgelöste „radikalisierende Dynamik“ (S. 177) beinhaltete immer umfangreichere Grenzüberschreitungen und führte den Alldeutschen Verband endgültig hin zum völkischen Spektrum der neuen Republik. Claß lehnte das Parlament grundsätzlich ab und war auch nicht zu einer Beteiligung aus taktischen Erwägungen bereit.

Im weiteren Verlauf des Buches beschreibt Leicht die Geschichte des Alldeutschen Verbandes als „Verfallsgeschichte“ (S. 314) und parallelisiert dessen steigende politische Ohnmacht mit der immer wichtigeren Rolle von Claß innerhalb des Verbandes. Zwar ist dies durchaus gut begründet, allerdings versäumt Leicht es, auf die Gründe für die zeitweise steigenden Mitgliedszahlen einzugehen: Der Verband hatte erst nach dem Krieg mit 39.000 Mitgliedern 1922 seinen Höchststand erreicht. (S. 312) Dass er dennoch an Einfluss und gegen Ende der 1920er-Jahre auch an Mitgliedern verlor, zeigt und begründet Leicht überzeugend mit der Person Claß'. Auf der einen Seite sei dieser nicht bereit gewesen, von seinem Standpunkt – der Fundamentalopposition zur Republik – abzurücken; auf der anderen Seite weigerte er sich aber ebenso, den Boden des Gesetzes zu verlassen. Zwar fabulierte er schon vor und während des Krieges von einem Diktator, der alles richten solle – unter anderem hatte er Ludendorff und von Seeckt im Auge –, doch wagte er sich damit nicht wirklich aus der Deckung: Während Hitler, den Claß zwar anfänglich unterstützte (der aber von dessen Wesen und vor allem von den wirtschaftspolitischen Zielen der NSDAP abgeschreckt wurde), sich freimütig zu seinem Putsch bekannte, gab sich Claß immer wieder größte Mühe, sich von derlei Umtrieben in der Öffentlichkeit zu distanzieren, es blieb bei „rhetorischem Aktionismus“ (S. 419). Mit diesem Schlingerkurs – so eine weitere wichtige These – führte Claß sich und den Alldeutschen Verband endgültig ins politische Aus, was Claß freilich nicht daran hinderte, wieder und wieder seine Führungsrolle in der rechten Szene zu proklamieren. Zu Recht stellt Leicht fest, dass Claß in seinem politischen Stil dem Kaiserreich verhaftet geblieben war. Sein Ziel war es, gebildete Eliten anzusprechen. Die Einbeziehung der Masse lehnte er ab.

In Claß sieht Leicht einen „Multiplikator von nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Denkfiguren“ (S. 16), der allerdings realpolitisch nicht von der Bedeutung war, die er sich selbst zuschrieb und die ihm immer wieder zugeschrieben wurde. Dies macht Leicht in seiner Studie überzeugend deutlich. Auch hebt er mehrfach darauf ab, dass sich Claß bewusst auf Forderungen beschränkte, die er persönlich nicht politisch verantworten musste. Hier wäre der versäumte Einbezug der Intellektuellen-Forschung beziehungsweise des Konzeptes des Publizisten im Sinne eines „Politikers der Wortes“3 fruchtbar gewesen. Schließlich handelte es sich bei Claß letztlich um den Prototyp eines solchen.

Zu Recht betont Leicht die Bedeutung, die Claß dem Volk als sakraler und ewiger Entität zusprach. Anders als zum Teil in der Forschung angenommen4, lässt sich der Alldeutsche Verband seit der Führung durch Claß durchaus als Teil der völkischen Bewegung verstehen. Allerdings bleibt die Analyse der Claßschen Weltanschauung oft zu blass. Gerade Begriffe wie „Volk“ und „Rasse“ wurden in der deutschen Rechten sehr unterschiedlich verstanden und konnten in ihrer Ausdeutung stark differieren; eine genauere Verortung von Claß' Positionen in diesen komplexen Diskursen wäre sehr wünschenswert gewesen.

Ungeachtet von diesen Kritikpunkten hat Leicht eine überzeugende
Studie vorgelegt, die für die weitere Erforschung der deutschen Rechten von großer Bedeutung sein wird. Erfreulich sind auch das gute Lektorat des Buchs, das kaum Schreibfehler aufweist, und der angenehme Stil des Autors.

Anmerkungen:
1 Stefan Breuer, Ordnungen der Ungleichheit - die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, Darmstadt 2001.
2 Roger Chickering, We Men Who Feel Most German, Boston 1984, S. 230-245.
3 Heinz Starkulla, Publizistik und Kommunikation, in: Publizistik 8 (1963), S. 562-571, hier S. 563.
4 Zum Beispiel: Stefan Breuer, Die Völkischen in Deutschland, Darmstadt 2008, S. 57.