J. Fernández Sebastián (Hrsg.): Political Concepts and Time

Titel
Political concepts and time. New approaches to conceptual history


Herausgeber
Sebastián, Javier Fernández
Erschienen
Anzahl Seiten
442 S.
Preis
€ 50,11
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Victor Neumann, Center for Conceptual History, West University of Timisoara

Der von Javier Fernández Sebastián, Professor of History of Political Thought an der Universität Bilbao, herausgegebene Band ist in drei Teile gegliedert und enthält 13 Studien sowie zwei Anhänge. Der erste Teil beschäftigt sich mit den Beziehungen zwischen der Begriffsgeschichte und verwandten Bereichen; der zweite Teil befasst sich mit der Verzeitlichung der Erfahrungen und der Begriffe; der dritte Teil ist der historischen Semantik und der modernen Zeit gewidmet. Die Anhänge enthalten die englische Übersetzung der Gedenkrede Christian Meiers auf Reinhart Koselleck und eine Skizze des Projekts einer europäischen Begriffsgeschichte, die von einer aus europäischen und amerikanischen Universitäten stammenden Gruppe von Historikern, Politikwissenschaftlern und Philosophen unterzeichnet wurde. Diese Gruppe beschäftigte sich in den letzten Jahrzehnten mit der Forschung und der Förderung der Konzept- und Begriffsgeschichte als neuer Auswertungsmethode der Vergangenheit, der sozialen Erscheinungen und des politischen Denkens.

Mehrere Autoren des Bandes verstehen ‚Begriffsgeschichte‘ nicht ausschließlich als reine Theorie der Geschichte, sondern auch als eine Theorie der Politiktätigkeit, da sie „nicht nur die Rolle der Politik für die Geschichte hervorhebt, sondern auch die Tatsache, dass diese einen angemessenen Rahmen für das politische Denken bereitstellt“ (Kari Palonen, Contingency, Political Theory and Conceptual History, S. 179). „Political Concepts and Time” enthüllt die Beschäftigungen mit der Geschichte der Erfahrungen, indem sie diese vergleichend aufdeckt und die semantischen Verwandlungen aus den Sattelzeiten beweist. In diesem Kontext erhalten die drei von Koselleck hervorgehobenen Dimensionen der historischen Erfahrungen (innerlich-äußerlich, oben-unten, früher-später) besondere Bedeutung. „Es gibt weder eine Artikulation noch eine Übertragung von Erwartungen ohne einen Bestand an vorhergehenden Erfahrungen, die in Begriffen, Argumenten und Sprachen der politischen und sozialen Diskurse ausgedrückt werden” (Jörn Leonhard, Language, Experience and Translation: Towards a Comparative Dimension, S. 266).

Die Verweise auf die Begriffsgeschichte regen eine umfassende und andauernde Debatte über ihren Platz und ihre Rolle als analytisches und kritisch deutendes Modell in den Geistes- und den sozial-politischen Wissenschaften an. Neben der Vielzahl der aufgestellten Hypothesen fällt die Tatsache auf, dass die Begriffsgeschichte in den letzten Jahrzehnten als eine Geschichte der Theorie aufgefasst wurde, oder dass die Geschichte der Theorie als eine Begriffsgeschichte angesehen wurde. Nach Hans-Erich Bödeker, einem tiefgründigen Kenner des Werks von Koselleck, stellt sie nicht nur die Geschichte der Konzepte, sondern auch die Beziehungen dieser Begriffe mit den Wörtern und den Objekten dar. Die Begriffsgeschichte ist gleichermaßen eine synchronische und eine diachronische Deutung der einzelnen linguistischen Zeichen und offenbart eine Vielfalt von Bedeutungen und historischen Bewegungen, die aus der Sicht der Ereignisse, Kontexte und „langen Zeitdauer” der Geschichte betrachtet werden. Sie beschäftigt sich mit der Untersuchung und dem Verständnis der historischen Prozesse und mit den Kontexten, in denen sich die Kenntnis- und die Deutungsvorgänge entwickeln, bzw. mit ihrer Konzeptualisierung (Hans-Erich Bödeker, Begriffsgeschichte as the History of Theory. The History of Theory as Begriffsgeschichte: An Essay).

Neben Kapiteln über Themen, Wissenszweige und Probleme, die mit der Begriffsgeschichte verwandt sind oder aus ihr hervorgehen, enthält der Band auch solche, in denen die Autoren eine kritische Haltung gegenüber der Konzept- und Begriffsgeschichte einnehmen. Dazu zählt der komplexe und umstrittene Begriff der Ideologie, den Michael Freeden diskutiert, und das Verhältnis der Begriffsgeschichte zur Metaphorologie und zur Analyse der semantischen Wandlung, das Elias Jose Palti problematisiert. Zudem finden sich kritische Studien über das Spannungsverhältnis der Begriffsgeschichte zu Ikonographie und Erinnerung (Faustino Oncina), zur vergleichenden Geschichte (Pim dem Boer, Jörn Leonhard), zur Kulturgeschichte (Peter Burke) sowie zum Begriff der Macht (Giuseppe Dusso).

Das politische Hauptmerkmal der Ideologien ist im Wettlauf um die Kontrolle der politischen Sprachen unvermeidbar, das heißt dass in einem bestimmten Raum und zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Vielzahl von Orientierungen nebeneinander bestehen. Untersuchungen dieser Art setzen eine besondere Aufmerksamkeit und Sorgfalt nicht nur im Kreise der Philosophen und Politikwissenschaftler voraus, sondern auch in dem der Historiker (Michael Freeden, Ideology and Conceptual History: The Interrelationship between Method and Meaning). Die vergleichende Geschichte empfiehlt ihrerseits eine produktive Forschungsmetode. In diesem Sinne besteht Pim dem Boer auf die außergewöhnliche interne und internationale Entwicklung der „Geschichtlichen Grundbegriffe”, indem er die Begriffsgeschichte aus der Sichtweise der älteren und der neueren nationalen begriffsgeschichtlichen Projekte darstellt. Die Rolle des Plurilinguismus und der transnationalen Begriffe bewertend, hebt dem Boer die Ursachen hervor, die die Rolle der Begriffsgeschichte in der umfassenden Veränderung der historischen und sozial-politischen Studien verdeutlichen.

João Ferez Júniors Untersuchung hinterfragt die Theorie und die Schilderung der Modernität bei Koselleck, die Metakonzepte aus der Sattelzeit sowie die Brüche zwischen Erfahrungsraum und Erwartungshorizont: „Es gibt keinen Grund zu glauben, dass alle Gesellschaften einen Modernisierungsprozess mittels einer Sattelzeit erlebt haben, oder dass dieser Begriff den Anfang und das Ende darstellt”. Dies stellt eine Auffassung dar, die näher betrachtet werden sollte. Der Autor betont die kulturellen und die erneuernden Unterschiede zwischen den verschiedenen Räumen, was ihn dazu veranlasst, die interpretativen Formeln, die Koselleck vorschlägt, mit Vorbehalt zu betrachten. Was die Verzeitlichung, die Ideologisierung, die Demokratisierung und die Politisierung der Begriffe in der Koselleckschen Auffassung anbetrifft, so betrachtet sie der Autor als bloße Arbeitshypothesen (João Ferez Júnior, With an Eye on Future Research: The Theoretical Layers of Conceptual History).

Mehrere Unzulänglichkeiten der Konzeptgeschichte erachtend, ist Elías José Palti der Auffassung, dass man in dem Erfassen der Vergangenheit die nichtbegrifflichen Formen, die Metaphern, die Mythen berücksichtigen müsse, die eine symbolische Beschaffenheit der Wirklichkeit ausdrücken. Die Konzeptgeschichte kann nicht nur durch eigene Begriffe fortschreiten, so dass das Projekt von Hans Blumenberg zur „Geschichte der Nichtbegrifflichkeit” Sinn mache (Elías José Palti, From Ideas to Concepts to Methaphors: The German Tradition of Intellectual History and the Complex Fabric of Language). Oft sind die Übergangszeiten zur Moderne langwierig und sonderlich, was in den verschiedenen Bedeutungen der Begriffe und der Sprachen ersichtlich wird (siehe das Beispiel des Begriffes Revolution in der spanischsprachigen Welt sowie die Transformationen aus den politischen Sprachen in der Studie von Javier Fernández Sebastián, ‚Riding the Devil’s Steed’. Politics and Historical Acceleration in an Age of Revolution).

„Political Concepts and Time” steht für innovative wissenschaftliche Orientierungen, auf die sich viele Vertreter der Geistes- und der sozial-politischen Wissenschaften beziehen werden. Wie der Herausgeber bemerkt, haben Experten aus Hermeneutik, Kulturgeschichte, Übersetzungswissenschaften, Metaphorologie, Rechtswissenschaften, Soziologie, Diskursanalyse und kognitiven Wissenschaften vieles von der Begriffsgeschichte zu lernen. Umgekehrt verbessern die Begriffshistoriker ihre eigene Vorstellung von der Vergangenheit und von der Gegenwart durch die Verwertung der Ergebnisse der oben erwähnten Fachleute. Das sorgfältige Durchlesen des Bandes befördert das Verständnis der tiefgründigen Bedeutung, die der interdisziplinären Forschung zukommt und verdeutlicht eindrucksvoll die Vielfalt der Bedeutungen, die der Begriffsgeschichte beigemessen werden können.

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