U. Weckel: Zwischen Häuslichkeit und Öffentlichkeit

Titel
Zwischen Häuslichkeit und Öffentlichkeit. Die ersten deutschen Frauenzeitschriften im späten 18. Jahrhundert und ihr Publikum


Autor(en)
Weckel, Ulrike
Reihe
Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 61
Erschienen
Tübingen 1998: Max Niemeyer Verlag
Anzahl Seiten
691 S.
Preis
€ 96,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dagmar Freist, Fachbereich Kultur- und Geowissenschaften, Universität Osnabrück

Das Zwei-Sphären-Modell einer männlichen Öffentlichkeit und weiblichen Privatheit, wie es im Zuge des aufklärerischen Räsonnements über die naturgegebenen Charaktereigenschaften von Frauen und Männern und der daraus abgeleiteten "Bestimmung" der Geschlechter entstanden war, hat lange die historische Forschung insbesondere zur Entstehung der bürgerlichen Öffentlichkeit beeinflusst. Unreflektiert wurde der normative Diskurs über die Polarisierung der Geschlechter und die Zuordnung der Frauen in den privaten häuslichen Bereich, der Männer in den politischen öffentlichen Bereich als historische Realität genommen. Bot dieses Modell für die frühe historische Frauenforschung noch einen Erklärungsansatz für die Asymmetrie der Geschlechter sowie einen Ort - das Haus - für die Spurensuche von Frauen in der Geschichte, so hat sich die historische Frauenforschung seit den achtziger Jahren kritisch mit der Dichotomie von Öffentlichkeit und Privatheit als gesellschaftlicher Konstruktion auseinandergesetzt. Unter dem wechselseitigen Einfluß von historischer Anthropologie, Mentalitätsgeschichte, Geschlechtergeschichte und Mikrohistorie mit der Betonung von Erfahrung, sozialer Praxis und symbolischer Repräsentation hat sich das Interesse einer neu positionierten Kulturgeschichte auf das Spannungsfeld von Normen und sozialer Praxis sowie der Bedeutung von Bedeutungen gerichtet.

An diesen Schnittstellen historischen Erkenntnisinteresses und Fragestellungen siedelt Ulrike Weckel ihre Studie über deutsche Frauenzeitschriften an. Aus dem Blickwinkel von Publizistinnen, ihren Leserinnen und deren Vorstellungen über Häuslichkeit lotet die Autorin aus, welchen Handlungsspielraum Frauen im späten 18. Jahrhundert ihrem Geschlecht zuwiesen, wo sie diesen innerhalb der Gesellschaft lokalisierten und wie sie ihn ausmaßen. Bei einer solchen Analyse des Weiblichkeitsdiskurses aus Frauenperspektive treten Frauen nicht nur als Objekte einer überwiegend von Männern geführten Debatte in Erscheinung, sondern auch als Subjekte, als schreibende Frauen ungeachtet aller Hindernisse. Die Weiblichkeitsentwürfe von Frauen werden nicht als Gegendiskurs zum herrschenden Weiblichkeitsentwurf gelesen, sondern als Teil eines komplexen Kommunikationsprozesses, in dem sich unterschiedliche Normen, Erfahrungen und soziale Praktiken gegenseitig beeinflussten. Damit knüpft Weckel an jüngere Forschungen an und untersucht das Wechselspiel von Norm und sozialer Praxis durch die Verknüpfung der Ideen- mit der Sozialgeschichte. Mit diesem Ansatz setzt sie sich zugleich ab von dem zeitgenössischem Diskurs eines vorgegebenen dichotomen Gesellschaftsmodells.

Weckel nähert sich ihrer umfassenden Fragestellung aus unterschiedlichen Blickwinkeln und in Verknüpfung verschiedener methodischer Zugriffe und Quellen. Neben bibliographischen Fragen von Auflage, Druck, Format und Verbreitung setzt sie sich mit Blick auf den literarischen Markt, Leseverhalten, Publikum und Kommunikation mit der Rezeption der Frauenjournale und der dort formulierten Positionen zur Geschlechterordnung auseinander. Die Quellen umfassen neben den Zeitschriftenartikeln selbst Verträge mit Verlagen und Anzeigen, Subskriptionslisten, und einige Briefe aus dem Umfeld der Herausgeberinnen sowie Leserbriefe. Bei näherem Hinsehen erweist sich die Quellengrundlage jedoch besonders mit Blick auf die hochinteressante Fragestellung als äußerst dünn.

Im Mittelpunkt von Weckels Analyse stehen deutsche Frauenzeitschriften und deren Herausgeberinnen, darunter die bereits gut erforschte Zeitschrift der Sophie von La Roche. Von gut einhundert Frauenjournalen, die in Deutschland im 18. Jahrhundert erschienen, wurden mindesten zehn, so die Autorin, von Frauen verfasst und publiziert, die alle in dem kurzen Zeitraum zwischen 1779 und 1796 erschienen, dann wieder eingingen. Nur drei Frauen traten öffentlich mit ihrem eigenen Namen als Herausgeberin in Erscheinung, andere gaben sich als Männer aus oder blieben gänzlich unbenannt. Nur von fünf Zeitschriften sind Subskriptionslisten erhalten. Leserinnenbriefe, deren Echtheitsgrad noch nicht einmal eindeutig festzustellen ist, sind mit einer Ausnahme nur von Sophie von La Roches bekannter Frauenzeitschrift Pomona erhalten.

In ihrer Studie kann Weckel auf grundlegende Vorarbeiten zu deutschen Frauenzeitschriften und zur Beteiligung von Frauen am deutschen Pressewesen des späten 18. Jahrhunderts zurückgreifen, wobei vor allem die Arbeit von Edith Krull zu nennen ist.1 Mit ihren Fragen nach der Entstehung einer weiblichen Öffentlichkeit, vor allem aber mit der Rekonstruktion der Leserschaft und der zeitgenössischen Rezeption betritt Weckel jedoch weitgehend Neuland.

In vier Kapiteln zeichnet Weckel die Entstehung der deutschen Frauenzeitschriften - im englisch-französischen Vergleich ein eher spätes Phänomen - und das Porträt ihrer Herausgeberinnen nach, analysiert die Behauptung der Zeitschriften auf dem literarischen Markt, rekonstruiert ihr Publikum und, so weit möglich, die "Aneignung" der in den Frauenjournalen vermittelten Inhalte und untersucht schließlich systematisch alle Texte zu Äußerungen über die Geschlechterordnung und die historische Bedeutung von Frauen.

Zu den Herausgeberinnen gehörten Ernestine Hoffmann: Für Hamburgs Töchter, 1779, Charlotte Hetzel: Wochenblatt für's Schöne Geschlecht, 1779, Sophie von La Roche: Pomona für Teutschlands Töchter, 1783/84, Caroline Friederike von Kamiensky: Luna, für die Gönner meiner Muse, 1788-1790, Marianne Ehrmann: Amaliens Erholungsstunden, 1790-1792 und Die Einsiedlerin aus den Alpen, 1793/94, sowie verschollene Zeitschriften weiblicher Herausgeber, Zeitschriften bis heute anonym gebliebener Publizistinnen und Zeitschriften für ein gemischtes Publikum, bei denen Frauen als Mitherausgeberin auftraten.

Auffallend ist, dass die Herausgeberinnen sich fast ausnahmslos das spätaufklärerische Weiblichkeitsideal zu eigen gemacht hatten. Durch ihre Akzeptanz der Geschlechterdifferenz und der natürlichen Bestimmung der Frau zu Ehe, Mutterschaft und Organisation des Hauses erklärten sich diese Frauen zu Lehrerinnen ihres eigenen Geschlechts und wandten sich mit ihren Zeitschriften an ein ausschließlich weibliches Publikum. Ihr Bildungsprogramm reichte von einfacher moralischer Belehrung, Plauderei, Belletristik bis hin zur Vermittlung von Kenntnissen, die speziell für Frauen und ihre gesellschaftliche Rolle von Nutzen waren. Gegen weibliche Gelehrsamkeit wandten sich alle besprochenen Zeitschriften, auch wenn sie mitunter doppeldeutig waren wie im Fall der Pomona von Sophie von La Roche, eine Doppeldeutigkeit, die auch Weckel nicht befriedigend erklären kann.

Durch ihr öffentliches Auftreten und ihre publizistische Tätigkeit gerieten die Herausgeberinnen jedoch in Widerspruch zu der allseits propagierten "häuslichen Bestimmtheit" der Frau, so die Argumentation von Weckel, und damit unter Druck, öffentlich über ihr ungewöhnliches Tun Rechenschaft abzulegen. Bei der Suche nach Legitimation ihres Handelns verfolgten die Herausgeberinnen sehr unterschiedliche Taktiken, die Einblicke in ihre Vorstellungen über den gesellschaftlichen Ort der Geschlechter und weibliches Handeln versprechen. Dass Frauen ihre publizistische Tätigkeit in Vorreden ausdrücklich, oder indirekt durch "Verharmlosung", rechtfertigten, deutet Weckel als Beleg dafür, das weibliche Herausgeberschaft im 18. Jahrhundert noch sehr ungewöhnlich war und Frauen sich dem geschlechtsspezifischen Bescheidenheitsgebot unterwarfen, eine Beobachtung, die Elaine Hobby bei englischen Publizistinnen im 17. Jahrhundert ebenfalls machen konnte.2 Ob es sich bei diesen Vorreden vielleicht auch um eine Konvention handelte, die sich in anderer Form bei Männern ebenso findet, wird nicht diskutiert.

Die erste Herausgeberin einer deutschen Frauenzeitschrift, Ernestine Hoffmann, umging jedweden Legitimationsdruck, indem sie sich als männlicher Herausgeber präsentierte. In dieser Rolle postulierte sie eine ausschließliche Festlegung der Frauen auf eine abgeschlossene Häuslichkeit und beschränkte ihr Journal auf moralische Belehrung. Ganz anders die Frauenzeitschrift von Charlotte Hetzel, die ihren Leserinnen fast ausschließlich Sachartikel bot und in einer kämpferischen Eröffnung unter dem Pseydonym "Nantchen" die Möglichkeit intellektueller Betätigung von Frauen einforderte. Namentlich trat die Herausgeberin allerdings nicht in Erscheinung. So verwundert es wenig, dass sich Sophie von La Roche, die sich bereits als Schriftstellerin einen Namen gemacht hatte, als erste Herausgeberin einer Frauenzeitschrift wähnte und mit vollem Namen zeichnete. Selbstbewusst trat sie auf - ihre Legitimation schöpfte sie daraus, dass es sich bei ihrem Tun um Auftragsarbeiten handelte.

Caroline Friederike Kamiensky war die zweite Frau, die unter eigenem Namen publizierte. Sie verharmloste jedoch ihren eigenen Auftritt und übte sich in Selbstbescheidung, eine Haltung, die auch ihre Zeitschrift prägte. Marianne Ehrmann, die als dritte mit voller Namensnennung an die Öffentlichkeit trat, rechtfertigte ihr Tun als eine individuelle Ausnahme und zementierte gleichzeitig die herrschende Geschlechterordnung mit klarer geschlechtsspezifischer Raum- und Aufgabenverteilung und der Absage an weibliche Gelehrsamkeit.

Das Lesepublikum der Frauenjournale des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts kann Weckel anhand von fünf erhaltenen Subskriptionslisten annähernd rekonstruieren, die alle eine Streuung über den Erscheinungsort der Zeitschrift hinaus nachwiesen. Mithilfe dieser Listen lässt sich die Verbreitung der Zeitschriften nach regionalen, sozialen und beruflichen Kriterien ermitteln, ein Befund, den die Autorin ausführlich im Anhang mittels Tabellen und Karten dokumentiert. In allen fünf Listen, um hier nur ein Ergebnis anzuführen, bildete die mit Abstand zahlreichste Abonnentengruppe die Fürsten- und Staatsdiener und deren Ehefrauen. Interessant ist Weckels Befund, dass die Subskriptionslisten Männer und Frauen aus Adel und Bürgertum, vor allem Beamte, aufwiesen, deren Wege sich auch in geselligem Verkehr kreuzten und zu einer Aufweichung der Ständegrenzen, so die Schlussfolgerung, beitrugen, eine Beobachtung, die sicher einer breiteren Quellenanalyse bedürfte. Darüber hinaus gab es Lesegesellschaften, die Frauenzeitschriften abonnierten, was Weckel als einen weiteren Beleg dafür anführt, das zumindest einige Lesegesellschaften auch Frauen zugänglich waren.

Frauen verstanden sich offensichtlich nicht nur als stille Leserin, sondern beteiligten sich rege mittels Leserbriefen. Diese Briefe, die regelmäßig nur in Sophie La Roche's Pomana für eine kurze Zeit erschienen und deren Echtheitsgrad nur vermutet werden kann, dokumentieren eine weitgehende Übereinstimmung der Leserinnen mit der Verfasserin und akzeptierten ihre Rolle als Lehrerin oder "Mutter". Die wenigen männlichen Zuschriften erfüllten nach Weckel eine andere Funktion, namentlich die des Kritikers am weiblichen Geschlecht und Mahners zu Sittlichkeit und Tugend, eine Rolle, die dem Anspruch der Herausgeberinnen allerdings entsprach.

Weckels Textanalyse schließlich bringt einen vielstimmigen, mitunter widersprüchlichen Weiblichkeitsdiskurs ans Licht, der von Frauen und Männern gleichermaßen fortgeschrieben wurde. Die Uneinheitlichkeit des Diskurses deutet Weckel als Verweis auf mehrere Besonderheiten: der den Frauen im 18. Jahrhundert angewiesene häusliche Wirkungskreis war noch wenig fest umrissen und war vor allem nicht mit negativen Konnotationen eines Ausschlusses aus der Öffentlichkeit und gesellschaftlicher Marginalisierung versehen. Nach Weckel lebte das frühneuzeitliche Bild des "Hauses" mit der Eigenständigkeit weiblichen Wirkens fort und wurde von Frauenzeitschriften mit Nachdruck unterstützt. In der Ablehnung weiblicher Gelehrsamkeit trugen Frauenjournale zu männlicher Selbstdefinition bei. Gleichzeitig definierten sie Weiblichkeit in Abgrenzung zum männlichen Geschlecht, was sich auch räumlich zeigte: Männer sollten aus Frauen zugewiesenen Räumen ferngehalten werden. Frauenjournale versammelten eine dezidiert weibliche Öffentlichkeit, auch wenn Männer nicht ausdrücklich ausgeschlossen waren. Im Diskurs wurden die konstruierten Sphären der Geschlechter, so lässt sich Weckels abschließende These zusammenfassen, mal zusammengefügt, mal separariert.

Die Arbeit Weckels ist ideenreich, belesen und lebt von wichtigen und interessanten Fragestellungen und anregenden Schlussfolgerungen. Das vorhandene Material ist auf fast 700 Seiten erschöpfend analysiert. Es bleibt die Frage, ob sich die Entstehung einer weiblichen Öffentlichkeit und die Wechselwirkung männlicher und weiblicher Geschlechterdiskurse ausschließlich auf der Grundlage weniger Frauenzeitschriften des späten 18. Jahrhunderts analysieren lässt. Mit ihrer Monographie hat Weckel zumindest eine wichtige Grundlage für diese Fragestellung geliefert, die unter Hinzuziehung anderer Quellen und vor allem mit Blick auf das 16. und 17. Jahrhundert ergänzt und gegebenenfalls modifiziert werden sollte.

Anmerkungen:
1 Edith Krull: Das Wirken der Frau im frühen deutschen Zeitschriftenwesen, Diss. Berlin 1939.
2 Elaine Hobby: Virtue of Necessity. English Women's Writing 1649-88. London 1988.

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