Library of Latin Texts 5. CD-ROM

Cover
Titel
Library of Latin Texts (CLCLT-5).


Herausgeber
Tombeur, Paul; Centre «Traditio Litterarum Occidentalium»
Erschienen
Turnhout 2002: Brepols Publishers
Anzahl Seiten
193 S. (frz. und engl. Einführung) + 3 CD-ROMs
Preis
€ 5000,00 + Mwst. [*]
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eckhard Wirbelauer, Seminar für Alte Geschichte, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Der Fortschritt bei der elektronischen Erschließung der antiken und mittelalterlichen Quellen ist zu nicht geringem Teil den Anstrengungen des Brepols Verlags und den Mitarbeitern des Centre de traitement electronique des documents (CETEDOC; seit 2001: Centre 'Traditio Litterarum Occidentalium' [CTLO]), allen voran Paul Tombeur, zu verdanken.1 Deren Flaggschiff, die Datenbank der lateinischen christlichen Texte der Antike und des Mittelalters, liegt nunmehr in 5. Auflage auf drei CD-ROMs vor, wobei die bewährte Benutzeroberfläche weitgehend beibehalten wurde.2 Doch CLCLT-5 führt in mehrfacher Hinsicht über die bisherige Datenbank und ihre Bestände hinaus, und zwar nicht nur durch die nochmalige Erweiterung des Datenbestands auf dem Feld der lateinischen christlichen Literatur der Spätantike und des Mittelalters.3 Vielmehr hat man sich nun entschlossen, die Datenbank auf lateinische Texte von den Anfängen bis in das 20. Jahrhundert auszuweiten, um so eines Tages zu einer vollständigen Datenbank der lateinischen Texte zu gelangen.4 Dass dies in der nun vorliegenden Ausgabe CLCLT-5 noch nicht der Fall ist und vor allem mit Blick auf die letzten Jahrhunderte noch eher von einer zufälligen Textauswahl denn von einer wirklichen, zumindest Teilbestände erschließenden Datenmenge gesprochen werden kann, ist verständlich.

Dennoch erschließt die Ausweitung viel, was dem Nutzer hilfreich ist: So besteht nun erstmals die Möglichkeit, einzelne Wörter und sprachliche Wendungen von ihren klassischen Vorbildern durch die christliche Latinität hindurch zu verfolgen oder ihre Verwendung in humanistischen Texten besser zu verstehen. Bei letzteren sind die Möglichkeiten allerdings noch sehr begrenzt, solange Autoren wie Erasmus von Rotterdam oder Konrad Celtis - um nur zwei zufällig herausgegriffene zu nennen - völlig fehlen. Ähnlich steht es beim römischen und beim kirchlichen Recht: Die wichtigsten Sammlungen im weltlichen Recht sind zweifellos die Kodifikationen der Kaiser Theodosios II. und Justinian; im kirchlichen Recht, das sehr viel unübersichtlicher ist,5 wäre zumindest das Decretum Gratiani als Scharnier zwischen der älteren dezentralen und der neueren Kirchenrechtstradition von allergrößter Bedeutung. Insgesamt hängt vieles von Zufälligkeiten ab, die nicht einmal auf die Autoren und Initiatoren des Datenbankprojekts zurückzuführen sind, sondern auf die jeweils vorhandenen Grundlagen: So ist etwa wegen grundsätzlicher Kritik das Editionsprojekt der 'Fünf-Bücher-Sammlung' (CCL CM 6) eingestellt worden, sodass natürlich auch die Datenbank heute nur den Torso berücksichtigen kann. Die Liste lässt sich leicht verlängern, wenn man weitere Gattungen in den Blick nimmt. Urkunden, Briefe oder hagiographische Texte: In allen diesen zentralen Feldern lateinischer Literatur sind die aufgenommenen Texte sicher nützlich, aber ebenso sicher ist, dass viele mittelalterlichen Klosterbibliotheken besser ausgestattet gewesen sind, als es CLCLT-5 heute ist bzw. sein kann: Fränkische Kapitularien und Kaiserurkunden, Papstbriefe und -urkunden, Heiligenviten und deren Sammlungen wie die Legenda aurea. Allein die Bestände der großen Editionsreihen in CLCLT zu integrieren, wird noch lange dauern, und auch dann werden Editionslücken bleiben wie z.B. die verschiedenen Viten des römischen Bischofs Silvester, die im Gegensatz zu heute im Mittelalter in verschiedenen Versionen in den meisten Bibliotheken zugänglich waren. Ganz zu schweigen vom bisherigen Verzicht auf epigraphische oder papyrologische Dokumente, selbst wenn sie 'literarische' Qualität besitzen.

Schon diese wenigen angesprochenen Lücken lassen Zweifel aufkommen, ob das gesteckte Ziel, die gesamte Latinität in einer einzigen Datenbank zugänglich zu machen, überhaupt sinnvoll ist. In der elektronischen Erschließung von Datenbeständen scheint allmählich ein Lernprozess in Gang zu kommen, der von dem einen großen, ultimativen Werkzeug weg zu kleineren führt, die genauer gearbeitet und qualitativ hochwertiger sein können.6 Denn der Blick auf das ferne Ziel muss Unschärfen im 'Nahbereich' in Kauf nehmen, deren Konsequenzen für die künftige Forschung erheblich sind. Noch relativ einfach zu korrigieren ist dies auf der Ebene von Autoren und Werken. Wer nach spätantiken Texten sucht, wird bald in Erinnerung behalten, dass Sidonius Apollinaris noch überhaupt nicht, Q. Aurelius Symmachus nur mit seiner 3. Relatio, von den Panegyrici Latini nur wenige und Dionysius Exiguus auch nur in wenigen Teilen durch CLCLT-5 erschlossen wird.7

In manchen Fällen kann CLCLT-5, sicher auch aus juristischen Gründen, nicht auf die derzeit aktuelle Edition zurückgreifen, so im Falle des Ennodius. In diesem Beispiel kann freilich schon der Wechsel zu einem anderen Verlagsprodukt helfen: Die elekronische Fassung der Monumenta Germaniae Historica (eMGH-3) enthält die ennodianischen Werke in der Edition von F. Vogel und auch die Vogel hierin ersetzende Ausgabe des Theoderich-Panegyrikus durch Christian Rohr.8 Aber all dies scheint noch vergleichsweise leicht lösbar im Unterschied zu einem anderen, schwierigeren Problem: Alle wissenschaftlichen Editionen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie das Zustandekommen ihres Texts durch die Dokumentation des überlieferten Wortlauts rechtfertigen. Anders formuliert: Der Text, der seinen Weg in CLCLT findet, ist Ergebnis einer wissenschaftlichen Kritik auf der Basis eines intellektuellen Aneignungsprozesses9 und nicht bloßes Erbe oder Monument früherer Zeiten. Was tun in dieser Situation? Vielleicht ist der Weg vielversprechender, den andere Projekte eingeschlagen haben, freilich zu einem noch viel höheren Verkaufspreis als die Brepols-Produkte: Der elektronische Migne (Patrologia Latina Database) und das Schwesterprojekt, die Acta Sanctorum, werden mit allen Fußnoten und begleitenden Texten aufgenommen, sodass der Benutzer dieser Datenbanken auch auf den gelehrten Kommentar zu den Texten Zugriff erhält. Dass dieser auch dann von Interesse ist, wenn man sich nicht mit theologischer Wissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts im engeren Sinne beschäftigt, weiß jeder, der schon einmal mit Mignes Edition gearbeitet hat: So sind die Ausführungen der Brüder Ballerini zu den Werken Leos des Großen bis heute für jeden wertvoll, der sich mit dem Œuvre des Kirchenvaters beschäftigt.

Also Fußnoten und kritische Apparate statt neuer Texte? So eigenartig es klingt: Ja! Denn die fortschreitende Datenerfassung wirkt auch auf die aktuellen Editionsprojekte zurück: Die Entscheidung für einen bestimmten Wortlaut, die dem Bearbeiter einer kritischen Ausgabe sogar schlaflose Nächte bereiten kann, wird ja auch zunehmend auf der Basis von Vergleichen getroffen, die auf Datenbankrecherchen beruhen. So bestimmen die großen Datenbankprojekte auch die Gestalt künftiger Editionen mit, und man darf sicher sein, dass die Erfassung der Varianz des lateinischen Ausdrucks schon jetzt gelitten hat. Wenn aber wirklich das Interesse an der Dokumentation des Erbes besteht - und es läst sich kaum bezweifeln, dass die Verantwortlichen des CLCLT genau dies wollen -, dann ist der Reichtum der lateinischen Sprache, wie er sich gerade in kritischen Apparaten spiegelt, nicht zu vernachlässigen. So fiele man zumindest nicht hinter dasjenige Niveau zurück, das derzeit dank gedruckter Editionen erreicht ist.

Kommen wir also nochmals zur eingangs wiedergegebenen Zielsetzung zurück: die Ausweitung auf den gesamten Bestand lateinischer Texte bis zum 20. Jahrhundert. Ist diese Ausweitung wirklich sinnvoll, und sei es auch nur als fernes Ziel? Denn es ist zu befürchten, dass all die Texte, die bereits digitalisiert wurden, dieser Prozedur nicht ein zweites Mal unterzogen werden, nur um Vorreden, Apparate, Appendices und anderes 'Beiwerk' zu erschließen. Folglich wäre alles, was sich in den gedruckten Vorlagen an Kritik niedergeschlagen hat, verloren: ein folgenschwerer und nicht zu rechtfertigender Rückschritt in vorwissenschaftliche Zeiten! Diese grundsätzlichen Einwände zur Konzeption sollen aber nicht die Leistungen der Verantwortlichen für CLCLT schmälern; und schon gar nicht sollten sie dahingehend missverstanden werden, das Projekt in seiner Entwicklung zu hemmen, im Gegenteil: Möge die Texterfassung - nach modifizierten Standards? - so voranschreiten, dass schon bald die nächste Fassung vorgelegt werden kann! Kein anderer als der Rezensent wünscht sich dies mehr!

Anmerkungen:
[*] Der Preis senkt sich auf € 3750,00 + Mwst. für Subskribenten des Corpus Christianorum.
1 Vgl. zuletzt die Rezension von R. Kirchner zu BTL-2: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezcdrom&id=17131713 (vgl. Anm. 5). Einen sehr nützlichen Überblick bietet Sehlmeyer, M., CD-ROMs und Internet in der spätantiken und mittelalterlichen Geschichtsforschung, in: HZ 274 (2002), S. 367-386.
2 Siehe die ausführliche Darstellung mit Screenshots von U. Schmitzer: http://telemachos.phil.uni-erlangen.de/database/libri/btl-rez.html.
3 Die Durchsicht des aktuellen Werkverzeichnisses ergibt vieles, was man bislang vergeblich suchte. So findet man z.B. unter dem Buchstaben A jetzt auch Ammianus Marcellinus, Anselm von Canterbury oder Aurelius Victor.
4 Als erster Schritt wurde der Textbestand der im selben Verlag in Kooperation mit K.G. Saur erschienenen Bibliotheca Teubneriana Latina (BTL-1) hinzugefügt. Inzwischen ist von dieser CD-ROM eine erweiterte Fassung erschienen, vgl. R. Kirchner (Anm. 1).
5 Wirbelauer, E., Art. 'Kirchenrechtliche Sammlungen', in: Döpp, S.; Geerlings, W., Lexikon der antiken christlichen Literatur [LACL], Freiburg u.a. 3. Aufl. 2002, 428-437.
6 Die hier angesprochenen Probleme begegnen z.B. auch bei Datenbanken bibliografischer Natur. Längst wird deutlich, dass es etwa die eine, allumfassende bibliografische Datenbank zu altertumswissenschaftlichem Schrifttum nicht gibt und wohl auch nicht geben kann: Année Philologique, Gnomon und Gnomon-online, Dyabola, Bulletin Analytique d'Histoire Romaine (BAHR) und viele andere mehr - erreichbar z.B. über http://www.kirke.hu-berlin.de - werden nebeneinander bestehen und sind je nach Fragestellung mal nützlicher, mal weniger hilfreich. Es bleibt zu wünschen, dass sich die Vorstellung, nur ein elektronisches Angebot kennen und auswerten zu müssen, ebenso als Selbstbetrug entlarvt wie dies im Falle gedruckter Hilfsmittel längst einsichtig ist. Anders gewendet: Jedes seriös erstellte Produkt ist willkommen und wird eine praktische Hilfe sein, doch je umfassender der jeweilige Anspruch ist, desto misstrauischer sollte der Benutzer prüfen, ob dieser Anspruch überhaupt einholbar ist.
7 Blickt man über die traditionellen Grenzen der Antike hinaus, wird die Liste der Desiderata rasch länger: noch unvollständig z.B.: Aldhelm (zum Gesamtwerk s. M. Sehlmeyer, in: LACL [s.o. Anm. 5], S. 14f.), Annales (z.B. die sog. Reichsannalen), Bonifatius (Briefe), Gregor (bislang nur Historiae Francorum, zum Gesamtwerk s. R. Schieffer, in: LACL, S. 306f.); noch überhaupt nicht aufgenommen: Einhard, Florus v. Lyon (vgl. K. Zechiel-Eckes, Florus von Lyon als Kirchenpolitiker und Publizist, Stuttgart 1999), Hinkmar von Reims, Regino v. Prüm, Burchard v. Worms, Thietmar v. Merseburg, Otto v. Freising. Manche dieser Autoren liegen auf den preisgünstigen CD-ROMs von Heptagon vor (vgl. die Rez. von T. Köhn in H-Soz-u-Kult am 18.11.98 (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensio/digital/cdrom/datenban/koth1198.htm) und H. Müller 29.08.01 (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=1909).
8 Zum gegenwärtigen Stand der eMGH: http://www.mgh.de/emgh; zur Ennodius-Forschung die hervorragende Seite von Chr. Rohr: http://www.sbg.ac.at/ges/people/rohr/ennodius/uebersd.htm. (Anm. der Redaktion: Eine Rezension der CD-ROM e-MGH-3 wird im Herbst 2003 in H-Soz-u-Kult erscheinen).
9 Vgl. etwa die Hinweise bei: Wirbelauer, E.,Textedition und Editionstexte. Skeptisch-konstruktive Bemerkungen zu den materiellen Grundlagen der Geisteswissenschaften, in: Reghely, Th.; Bauer, Th.; Hesper, St.; Hirsch, A. (Hgg.), Text - Welt. Karriere und Bedeutung einer grundlegenden Differenz (Parabel 16),Gießen 1993, S. 138-145.

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