J. Michelmann: Aktivisten der ersten Stunde

Cover
Titel
Aktivisten der ersten Stunde. Die Antifa in der Sowjetischen Besatzungszone


Autor(en)
Michelmann, Jeannette
Erschienen
Köln 2002: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simone Barck, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Schade, dass am Ende der vorliegenden gründlichen Untersuchung die abschließende Wertung so halbherzig ausfällt, wenn es heißt: „Auch wenn die Auflösung der Antifa bislang immer als sehr rigide dargestellt wurde, so beinhaltetet sie eine integrative Komponente, die es zahlreichen Deutschen ermöglichte, sich auf das Nachkriegsleben in der SBZ einzulassen.“ (S. 373) Denn die Arbeit zeigt schlüssig und auf viele neue Archivalien gestützt, dass diese Auflösung von Ort zu Ort unterschiedlich, doch zumeist moderat und nur in zwei Fällen (Rostock und Greifswald) mit spektakulären Verhaftungen von Akteuren durchgeführt worden ist. Auf diese Weise wird ein wichtiges Arbeitsergebnis eher verschämt vermerkt als betont herausgestellt.

Warum dies so ist, kann nur als Zeichen von Unsicherheit in dieser für das Thema so zentralen Frage vermutet werden. Auf keinen Fall wollte sich wohl die Autorin der nach 1989 revidierten Einschätzung des DDR-Historikers Günter Benser anschließen, der gegenüber seinen 1978 vertretenen Positionen 1993 und 1997 „die Auflösung der Antifa mit ihren basisdemokratischen Impulsen als einen Fehler“ (S. 13) bezeichnete. Vorliegende, bei Lutz Niethammer in Jena geschriebene, Dissertation, liefert für diese Wertung auch reichlich Materialien. Denn es handelte sich bei „Antifa“ als einer „basisdemokratischen Ausschussbewegung“ 1, einer „Arbeiterinitiative“ 2 oder auch als einer Tätigkeit der „Aktivisten der ersten Stunde“ (vgl. Titel Michelmann) um zeitlich eng und örtlich genau zu begrenzende gesellschaftliche Aktivitäten, die als eine Demokratisierung von unten in dem vom deutschen Faschismus verwüsteten Land und seinen abhanden gekommenen demokratischen Maßstäben als persönliche Erfahrung der Beteiligten sowie in der Wirkung auf die abwartende Masse für die politische Kultur der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht ernst genug genommen werden kann. Dies trotz ihrer nur kurzen Dauer, von Mai bis Juli, mit Ausblick teilweise bis in den Herbst 1945. Und nicht zuletzt wegen ihrer von der Besatzungsmacht verfügten und von den Moskauer Exil-Gruppen vor Ort durchgeführten Auflösung, die in der DDR-Geschichtsschreibung, wenn überhaupt, nur am Rande vorkam.

So war Bensers Arbeit von 1978 vor allem u.a. eine Reaktion auf Niethammers Untersuchung der Antifa in den Westzonen gewesen. Hatte er neben einer „Typologisierung der Antifa“ auch „erste Daten über die mögliche Anzahl von Aktionsausschüssen, über ihre Mitgliederstärken insgesamt sowie über ihre Zusammensetzung“ (S. 11) liefern können, so beansprucht die vorliegende Arbeit, nicht zuletzt aufgrund der erst nach 1989 zugänglich gewordenen deutschen und russischen Quellen, den Rang einer Gesamtdarstellung mit dem Ziel, „den antifaschistischen Ausschüssen und Komitees vom April/Mai 1945 in der SBZ in ihrem Spannungsverhältnis zwischen sowjetischer Besatzungsmacht und Exil-KPD nachzugehen“(S. 14).

Bevor wir dem genauer folgen, eine kleine notwendige terminologische Bemerkung: Michelmann stützt sich in der Verwendung des Begriffs „Antifa“ (für die antifaschistischen Aktionsausschüsse und Komitees u.ä.) auf die vorliegende Forschungsliteratur, nach der dieser Begriff „aufgrund ihres häufigsten Namenbestandteils von den amerikanischen und britischen Besatzern kurz „Antifa“ (S. 10) genannt worden ist. Für die Unterlagen der SMAD ist dieser (verkürzende) Begriff nicht nachweisbar. Dabei ist nach wie vor hinderlich, dass die in Podolsk (im Archiv der Verteidigungskräfte der Russischen Föderation) lagernden „Akten über die Arbeit der ersten Besatzungsoffiziere, die unmittelbar aus den Reihen der Roten Armee rekrutiert wurden“ (S. 19) bisher nicht zur Benutzung freigegeben worden sind.

Was jedoch unbedingt hervorzuheben wäre, ist die überlieferte Selbstbezeichnung der antifaschistischen Gruppen und Komitees als „Antifa“ (vgl. z.B. in einem Berliner Dokument von Anfang Juni 1945, S. 101 oder auch in Brandenburg/Görden vom Mai 1945, S. 121), wobei, wie im Einzelnen dargestellt wird, unter diesem Oberbegriff eine „Vielfalt von Namensgebungen“ (S. 355) typisch war, was auch eine Gemeinsamkeit mit den Antifa West bildete. Diese waren bekanntlich von amerikanischen und britischen Truppen verboten worden, wobei die Westalliierten „vor allem die kommunistische Dominanz“ fürchteten, „waren doch ehemalige Funktionäre der Arbeiterparteien und frühere Gewerkschaftsfunktionäre die Hauptinitiatoren der Antifa“ (S. 369).

Den Gründen für die Auflösung der Antifa aufseiten der Sowjetunion als auch vonseiten der Exil-KPD, die von „Vorwürfen des Sektierertums über die Furcht vor Doppelherrschaft bis zur Sicherung von Machtsphären der Besatzungsmacht , der Exil-KPD sowie der kommunalpolitischen Aufsichtbehörden wie Landes- und Provinzialverwaltungen oder Landratsämter“ (S. 14) reichten, wird in der Untersuchung detailliert und differenziert nachgegangen. In vier Kapiteln entfaltet Michelmann ein anschauliches Bild von Gründung, Zusammensetzung, Tätigkeit sowie Auflösung der Antifa im Verantwortungsbereich der „Gruppe Ulbricht“ (Berlin und Brandenburg), der „Gruppe Ackermann“ (Dresden, Chemnitz), der „Gruppe Sobottka“ (Mecklenburg) und im „Niemandsland und im ‚westlichen’ Teil der SBZ“.

Während die Tätigkeit der „Gruppe Ulbricht“ in Berlin bereits ausführlich erforscht worden ist 3, kann dies für die Provinz Brandenburg nicht gesagt werden. Hier präsentiert Michelmann Neues, wenn sie als Antifa vorstellt: die „Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands“ in der Tuchmacherstadt Forst, das „Antifaschistische Kartell“ in Hohen Neuendorf, die „Beiräte“ in Brandenburg/Görden. Dabei fällt der starke Anteil von ehemaligen KZ- und Zuchthaus-Häftlingen bei der Arbeit der Antifa und deren kommunistische Ausrichtung auf. Auch dies war ein generelles, überregionales Merkmal der Antifa.

Über hundert Seiten sind der Antifa im „sächsischen Königreich“ gewidmet. Dabei wird deutlich, dass die „Gruppe Ackermann“ hier aufgrund der starken Präsenz der Antifa eine Fülle von Kompromissen eingehen musste. Denn die Antifa-Gruppen Dresdens, die Kommunalen Hilfsstellen, die Görlitzer Antifa, „Rot Front“ in Pirna, das „Sozialistische Komitee“ in Schmiedeberg, die Kommunistische Stadt-Partei Meißen, die Antifaschistische Front Chemnitz u.a. legten Wert auf selbständige Aktionen und wollten sich nicht ohne weiteres mit untergeordneten kommunalen Funktionen abspeisen lassen.

Von besonderem „Eigensinn“ war man in Meißen geprägt, wo mit Duldung des sowjetischen Stadtkommandanten am 11. Mai 1945 die KP-Meißen an die Öffentlichkeit trat und von ihr zugleich die „Zentrale der Stadtverwaltung“ etabliert wurde. „Rot Front“- Gruß und rote Beflaggung öffentlicher Gebäude war ebenso angeordnet wie Stempel mit „fünfzackigem Stern“ üblich. All dies entsprach der Überzeugung der Meißner Antifaschisten, „daß es nach Kriegsende gar nicht anders sein könnte, als daß ein Räte- bzw. Sowjetdeutschland aufgebaut würde“ (S. 197). Auch anderswo gab es solche Vorstellungen, die ein Konfliktpotential zwischen der Exil-KPD und den sowjetischen Besatzungsbehörden sowie den Antifa darstellten. Der sich hieraus gründende Vorwurf des „Sektierertums“ traf auch auf Teile der Antifa in Mecklenburg-Vorpommern wie z.B. in Loitz und Gnoien zu.

Auch im „Rostocker Ordnungskomitee“ und seinen „Vertretungen“ fragten sich die Kommunisten im Herbst 1945 „warum kein Sowjet-Deutschland gebildet wurde“ (S. 324). Das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ in Greifswald, bereits im Jahre 1944 gebildet, stellte mit seiner hohen Beteilung von bürgerlichen Antifaschisten etwas besonderes dar. Legitimiert vor allem durch seine aktive Rolle bei der kampflosen Übergabe der Stadt, spielten seine Vertreter eine wichtige Rolle im ersten Greifswalder Stadtrat, nachdem das Nationalkomitee auf Anweisung der Besatzungsbehörde „stillgelegt“ worden war. Einer NKWD-Verhaftungswelle fielen der Rechtsanwalt Dr. Hans Lachmund, der Hochschulprofessor Prof. Ernst Lohmeyer, der Jurist Dr. Siegfried Remertz sowie der Rektor der Universität (Carl Engel) zum Opfer. „Ursache für diese Verhaftungen waren jedoch nicht ihre Tätigkeit und ihre Sympathie für das lokale NKFD, sondern Verbindungen ins westliche Ausland aus der Vorkriegszeit.“ (S. 346)

Es ist bedauerlich, dass die Autorin offensichtlich nicht weiß, dass es sich bei „Professor Lohmeyer“ (im Namensregister ohne Vornamen) um den seit 15. Mai 1945 tätigen Rektor der Greifswalder Universität handelte. Sein Schicksal, die Verhaftung durch das NKWD in der Nacht vor der Wiedereröffnung der Universität am 14./15. Februar 1946 (nachdem sie von Sommer 1945 bis Februar 1946 wieder geschlossen worden war) und sein „Verschwinden“ waren jahrzehntelang in der Universitätsgeschichte tabuisiert. Der Theologieprofessor Ernst Lohmeyer war wegen „antinationalsozialistischer Haltung und Betätigung“ von Breslau nach Greifswald strafversetzt worden. Seine NKFD-Beteiligung wird von Michelmann hier neu dargestellt, während sein weiteres Schicksal und seine Hinrichtung am 19.9.1946, unerwähnt bleibt. Dies erstaunt umso mehr, als der „Fall Lohmeyer“ in den 90er Jahren mehrfach durch die Presse ging.

Das Bild von der Antifa als einer überparteilichen basisdemokratischen Bewegung von „Aktivisten der ersten Stunde“ ist mit dieser Arbeit komplex gezeichnet, wobei es ein Vorzug der Untersuchung ist, dass, soweit möglich, auch die bisher meist namenlosen Personen konkret vorgestellt werden, was die Geschichte lebendig werden lässt.

Anmerkungen:
1 Benser, Günter, Antifa-Ausschüsse – Staatsorgane – Parteiorganisationen, in: ZfG 9 (1978).
2 Niethammer, Lutz, Arbeiterinitiative 1945. Antifaschistische Ausschüsse und Reorganisation der Arbeiterbewegung in Deutschland, Wuppertal 1976.
3 Keiderling, Gerhard, „Gruppe Ulbricht“ in Berlin. Von April bis Juni 1945, Berlin 1993; ders., Wir sind die Staatspartei. Die KPD-Bezirksorganisation Groß-Berlin, April 1945 - April 1946, Berlin 1997.

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