Titel
Revolte in der Region. Zur Tiroler Erhebung 1809


Autor(en)
Schennach, Martin P.
Reihe
Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs Band 16
Erschienen
Anzahl Seiten
724 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Reinhard Heydenreuter, Katholische Universität Eichstätt

Diese zum 200jährigen Jubiläum der Tiroler Erhebung von Martin Schennach vorgelegte Arbeit bringt die bisher beste und am gründlichsten belegte Analyse der Vorgänge von 1809. Schennach ist nicht nur ausgebildeter Historiker und Archivar, sondern auch Jurist und Rechtshistoriker, was der Arbeit ihren eigenen Reiz verleiht: So wird dem Leser nicht nur eine vollständige und kritische Übersicht über die (vielfach bisher ungekannten) Quellen und die Literatur sowie eine souveräne Einordnung der Tiroler Ereignisse in die inzwischen gut erforschte Geschichte der napoleonischen Zeit geboten, sondern erstmals auch eine breite Erörterung der rechts- und verwaltungsgeschichtlichen Aspekte der Erhebung.

Einige Abschnitte von Schennachs Arbeit, die neue Akzente setzen und vielfach die Ergebnisse der bisherigen Darstellungen zur Tiroler Erhebung zurechtrücken, seien kurz vorgestellt:

Eine zentrale Rolle bei der zeitgenössischen Wahrnehmung der Ereignisse und bei der Rezeptionsgeschichte kommt nach Schennach der Propaganda vor allem auf österreichischer und Tiroler Seite zu. Diese ist nicht nur ein Hauptgrund für die bis heute wirksame Verfälschung der historischen Tatsachen, sondern sie führte auch zu einer überproportionale Wahrnehmung des Tiroler Geschehens (etwa in Großbritannien) und damit zu einer falschen Einordnung der Erhebung in die Geschichte der napoleonischen Zeit. Für die sehr groben Propagandafälschungen sei ein Beispiel angeführt: Bei der Niederlage der 3. bayerische Armeedivision am 29. Mai 1809 in der Schlacht am Bergisel hätten die Bayern nach Joseph von Hormayr (der grauen Eminenz der Erhebung), dem fast alle Darstellungen gefolgt sind, Verluste von 2200 Mann an Toten und Verwundeten erlitten. Aus den Akten geht freilich hervor, dass auf bayerischer Seite 35 Tote, 53 Vermisste und 203 Verwundete gezählt wurden, was etwa den Tiroler Verlustzahlen entsprach. Insgesamt stellt Schennach klar, dass Tirol nur ein Nebenkriegsschauplatz war, wo es im Vergleich zu den Menschenverlusten in anderen Teilen Europas vergleichsweise wenig Tote gab. Die zu „Schlachten“ hochstilisierten militärischen Auseinandersetzungen etwa am Bergisel waren bestenfalls Gefechte und können nicht mit den großen Schlachten der napoleonischen Zeit verglichen werden. Zu korrigieren wäre nach Schennach, der sich in seiner Darstellung sehr detailliert mit den militärhistorischen Aspekten befasst, auch die Beschreibung des Tiroler Aufstands als brutaler Partisanenkampf. Im Vergleich mit den Aufständen gegen Napoleon in Kalabrien und Spanien sei die Kampfweise der Tiroler eher als konventionell zu bezeichnen. Auch die Reaktionen und Repressalien der bayerischen und französischen Truppen waren eher von Nachsicht geprägt und zielten auf die langfristige Befriedung des Landes ab. In diesem Zusammenhang geht Schennach auch auf die Rolle der Frauen ein. Er stellt klar, dass viele der heroischen Frauengestalten Tirols, wie etwa das „Heldenmädchen von Spinges“ (1797) oder die „Sterzinger Amazonen“ (11. April 1809) historisch nicht belegbar sind. Die Frauen waren, so Schennach, nicht die von der Propaganda verherrlichten Heldinnen, sondern die Leidtragenden der Tiroler Erhebung.

Unter kritischer Sichtung der Quellen überprüft Schennach die verschiedenen wirklichen und vorgeschobenen Gründe für den Aufstand, wobei er auch hier vieles zurechtrückt. Für „Kaiser und Vaterland“ allein, wie es die zeitgenössische österreichische Propaganda und später auch die Tiroler Geschichtsschreibung verkündete, hat sicher kein Tiroler zur Waffe gegriffen. Eine besondere Rolle spielte dagegen in Tirol nach Schennach das religiöse Element. Vor allem das gottlose Treiben der Franzosen, denen die Vertilgung der Religion und der katholischen Kirche als Hauptziele unterstellt wurden, spielte in der entsprechenden Propaganda eine beherrschende Rolle. Freilich ist der Religionskampf gegen die „gottlosen“ Franzosen und den „Antichrist“ Napoleon nicht unbedingt eine Tiroler Spezialität. Schennach verschweigt auch nicht, dass neben dieser Religionsfrage, neben der wirtschaftlichen Not (Steuer) und neben den Konskriptionen, vor allem der Krieg Österreichs gegen Frankreich und seine Verbündete letztlich entscheidend für die Erhebung war. Österreich hat nicht nur versucht, Tirol von langer Hand in seine Kriegsvorbereitungen einzubeziehen, sondern war im entscheidenden Moment auch militärisch zur Stelle. Ohne die professionelle Unterstützung der Tiroler durch österreichisches Militär wäre nach Schennach die Tiroler Erhebung ebenso wenig möglich gewesen wie der spanische Aufstand ohne Unterstützung durch die Engländer.

Sehr ausführlich äußert sich Schennach zum „Krieg im Land“ (Truppenversorgung, Verluste bei Militär und Zivilbevölkerung) sowie zu den Ausschreitungen bei der Plünderung Innsbrucks (vor allem auch gegen Juden). Auch die Beutezüge nach Oberbayern waren kein Ruhmesblatt für die Tiroler und führten im Tiroler Lager zu heftigen Auseinandersetzungen. Hier wie in anderem Zusammenhang betont Schennach, wie wenig einig sich die Tiroler bei den Zielen des Aufstands waren und wie stark die Partei der Aufstandsgegner war.

In seinem Element befindet sich Schennach bei der Behandlung von rechts- und verwaltungsgeschichtliche Fragen, etwa bei der Behandlung der strafrechtlichen Aufarbeitung des Aufstands. Erstmals wird auch die völkerrechtliche Einordnung des Aufstands, vor allem der umstrittene Kombattantenstatus der Aufständischen umfangreicher erörtert. Die Frage nach dem Kombattantenstatus der Aufständischen stellte sich sehr bald nach den ersten standrechtlichen Erschießungen von Aufständischen durch die Franzosen.

Abschließend räumt Schennach mit der lange Zeit von Teilen der Geschichtsschreibung vertretenen These auf, dass der Tiroler Aufstand (ebenso wie der spanische Aufstand) vorbildlich und zukunftsweisend für die sich entwickelnde Nationalstaatsidee war. Dies sei eine Deutung aus der Sicht des späten 19. Jahrhunderts. Der Tiroler Aufstand war nach Schennach keineswegs zukunftsweisend, sondern reihte sich nahtlos in die frühneuzeitlichen Bauernrevolten der europäischen Geschichte ein. Es ging nicht um eine „national“ motivierte „Insurrektion“ gegen Fremdherrschaft, sondern um die Bewahrung der Werte und der autonomistischen Organisationsformen des „Kommunalismus“. Daher lässt sich nach Schennach der Aufstand von 1809 weit besser mit den Bauernaufständen von 1525 vergleichen, was freilich frühere Geschichtsschreiber tunlichst vermieden, da sich die Bauernaufstände von 1525 vor allem gegen das Haus Habsburg richteten. Dass es beim Aufstand von 1809 nicht um eine Parteinahme für Habsburg, sondern um einen Aufstand des „Kommunalismus“ gegen die Zentralisierungsbestrebungen des modernen Staates ging, beweise auch die Tatsache, dass nach 1814 zur grenzenlosen Enttäuschung der Tiroler die von den Bayern eingeleitete Vernichtung der kommunalen Strukturen von Österreich nicht mehr rückgängig gemacht wurde. Österreich profitierte demnach von der militärischen Niederwerfung des Aufstands und nicht umsonst fürchteten die Österreicher nach 1814 den „Geist der Widersetzlichkeit“ in Tirol. Die noch bis dahin gültigen Werte des Kommunalismus wurden sehr bald durch einen dynastisch ausgerichteten Patriotismus ersetzt. Damit war Tirol nach 600 Jahren Zugehörigkeit zu Österreich – mit bayerischer Hilfe – endlich beherrschbar geworden. Auf diese Weise trug der Tiroler Aufstand, so die Meinung Schennachs, in entscheidender Weise „zum Ende Alteuropas“ bei.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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