R. Karlsch, J. Laufer (Hgg.): Sowjetische Demontagen in Deutschland 1944-1949

Cover
Titel
Sowjetische Demontagen in Deutschland 1944-1949. Hintergründe, Ziele und Wirkungen


Herausgeber
Karlsch, Rainer; Laufer, Jochen
Reihe
Zeitgeschichtliche Forschungen 17
Erschienen
Anzahl Seiten
550 S.
Preis
€ 48,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lutz Prieß, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Der Verlag Dunker & Humblot hat mit dem 17. Band seiner Reihe „Zeitgeschichtliche Forschungen“ einen spannenden Forschungsbericht über eines der bisher unzugänglichsten Themen der (ost-) deutschen Nachkriegsgeschichte veröffentlicht. Die Demontagepolitik der Siegermächte wird am Beispiel der sowjetischen Demontagen in Deutschland auf einer breiten russischen und deutschen Quellengrundlage untersucht. Den Autoren ist es gelungen, vor allem aus dem Russischen Staatsarchiv für Wirtschaft (RGAÉ, Moskau), umfangreiche neue Quellenbestände zu erschließen. Zu den wertvollsten Funden in russischen Archiven gehört ein Gesamtverzeichnis der in der Sowjetischen Besatzungszone abgebauten Betriebe.

Vierzehn Historiker, davon zwei aus Russland, widmen ihre Forschungsergebnisse dem Wirtschaftshistoriker Werner Matschke zum 90. Geburtstag. Jörg Roesler konstatiert in seinem Kurzbeitrag zum Geleit, dass die Autoren ein faktenreiches und detailliertes Bild über die sowjetischen Demontagen im Osten Deutschlands zeichnen.

Demontagen waren Teil der ökonomischen Entwaffnung Deutschlands und der Wiedergutmachung der durch den Krieg der Wirtschaft der Sowjetunion zugefügten Schäden.
R. Karlsch und J. Laufer beleuchten einführend die Entwicklung der Forschung zur sowjetischen Demontagepolitik in Deutschland, Russland und in der englischsprachigen Literatur. Ihr Credo für eine kritische und vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit den Hintergründen, Zielen und Wirkungen der sowjetischen Demontagepolitik ist die prinzipielle Anerkennung „der völkerrechtlichen und moralischen Berechtigung der alliierten und insbesondere der sowjetischen Reparationsforderungen an Deutschland“ (S. 20).

Auf der Basis der sowjetischen Berichterstattung und Berechnungen untersucht J. Laufer die Politik und Bilanz der Demontagen der UdSSR in der SBZ. Er konstatiert, dass nach Einstellung der Demontagen in der SBZ im Jahr 1948 weder die vollständige „ökonomische Entwaffnung“ Deutschlands erreicht wurde noch die abgebauten Ausrüstungen den erwarteten Beitrag zum Wiederaufbau der sowjetischen Wirtschaft leisteten (S. 77).

In den Einzelstudien über die Verwendung von deutschen Anlagen des Jenaer Zeiss Werkes und Ausrüstungen der Autoindustrie in der Sowjetunion wird der „Nutzen“ der Demontagen für den sowjetischen Wiederaufbau im Hinblick auf die Verwendung von deutschen Rüstungswerken analysiert. (M. Uhl, Das Ministerium für Bewaffnung der UdSSR und die Demontage der Carl Zeiss Werke in Jena; eine Fallstudie/A. Minjuk, Deutsche Betriebsanlagen und Technologien in der sowjetischen Automobilindustrie 1945-1950).

M. Uhl arbeitet am Beispiel der Verlagerung von Carl Zeiss vier wichtige Gründe für das Scheitern der erwarteten Nutzeffekte in der UdSSR heraus (S. 134 ff.). A. Minjuk beschreibt die Massenproduktion von Pkws in der Sowjetunion auf der Grundlage des Opel Kadett K-38, nach sowjetischen Maßstäben urteilend, als eine kurzfristig gelungene Remontagepolitik in einem konkreten Industriebereich.

Zwei Untersuchungen sind vorrangig militärischen Aspekten gewidmet. V. Zakharov bringt Licht in die Vorgänge um die Sprengung bzw. Nutzung von unterirdischen Rüstungsbetrieben und Militärobjekten in der SBZ. Den von den alliierten Siegermächten artikulierten Zielen der Entmilitarisierung und industriellen Entwaffnung standen bald eigene Nutzungsinteressen sowjetischer Militärs entgegen. So wurden z. B. die unterirdischen Objekte des ehemaligen Oberkommandos des Heers in Zossen (Wünsdorf) niemals gesprengt, sondern bis September 1994 von der russischen Armee militärisch genutzt. Die Autoren B. Ciesla, C. Mick und M. Uhl behandeln den Technologietransfer im Flugzeug- und Raketenbau von Deutschland in die UdSSR (1945-1958).

In den regional- bzw. wirtschaftszweigspezifischen Studien von D. Krienen und St. Prott (Zum Verhältnis von Demontage, Konversion und Arbeitsmarkt in den Verdichtungsräumen des Flugzeugbaus in der SBZ 1945-1950), F. Sattler (Demontagen und Reparationsentnahmen als Problem der beginnenden Wirtschaftsplanung in der SBZ: Das Beispiel der Provinz Brandenburg 1945-1947), U. Müller (Demontagen, gesellschaftliche Transformation und industrieller Strukturwandel in Brandenburg/Havel), F. U. Schulz (Demontagen in Leipzig: „geeignet, den Lebensnerv der Stadt abzutöten“?), W. Halder („Verhängnisvolle Wirkungen und empfindliche Lähmungen im Wirtschaftsablauf.“ Zur Einschätzung von Ausmaß und Folgen der Demontagen im sächsischen Wirtschaftsressort 1945-1947) und R. Kühr (Die Folgen der Demontagen bei der Deutschen Reichsbahn/DR) werden nicht nur zahlreiche Details vermittelt, sondern kommen die unmittelbaren und langfristig wirkenden wirtschaftlichen und politischen Folgen der sowjetischen Demontagepolitik zur Sprache.

Für die Autoren blieben bisher etliche Aktenbestände in verschiedenen russischen Archiven weiterhin gesperrt, u. a. die des zuständigen sowjetischen Sonderkomitees für Demontagen beim Staatlichen Verteidigungskomitee (bzw. seiner Nachfolger). Es ist zu hoffen, dass das vorliegende Werk auch unter russischen Kollegen und in russischen Archiven zur Kenntnis genommen wird. Einer der Autoren regt an, tiefgründigere Forschungen in den russischen Werksarchiven (M. Uhl bezogen auf die Optikbetriebe, S. 144) zu betreiben.

Als Beispiel für eine betriebsbezogene Recherche sei hier vom Rezensenten die Arbeit über die Demontage des Berliner Betriebes „Hasse & Wrede“ und seiner erfolgreichen Remontage in Rjasan in der Publikation „Standort Berlin-Marzahn. Historische Knorr-Bremse, Industriekomplex im Wandel“ genannt 1. Für einen kritischen Vergleich mit den Hintergründen, Zielen und Wirkungen der Demontagepolitik der Westalliierten in den drei westlichen Besatzungszonen muss der interessierte Leser die einschlägige Literatur nutzen bzw. weitere Forschungsergebnisse abwarten. Ein Desiderat der Forschung bleiben Untersuchungen zur Demontage deutscher Industrieanlagen in Österreich und in osteuropäischen Ländern.

Das Buch enthält folgende Anhänge: Verzeichnis der Archive, Literaturverzeichnis, Personenverzeichnis, Firmenverzeichnis und Autorenverzeichnis.

Anmerkungen:
1 Günter Peters; Alla Stojanovskaja: Die Eroberung des Berliner Nordostens durch die Rote Armee, Berlin 2001, S. 69-85.

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