Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitische Gesellschaft; Röbke, Thomas; Wagner, Bernd (Hrsg.): Jahrbuch für Kulturpolitik 1/2000. Bürgerschaftliches Engagement. Essen 2001 : Klartext Verlag, ISBN 3-88474-958-7 446 S. € 19,90

Institut für Kulturpolitik der Kulturhistorischen Gesellschaft; Röbke, Thomas; Wagner, Bernd (Hrsg.): Jahrbuch der Kulturpolitik 2/2001. Kulturföderalismus. Essen 2002 : Klartext Verlag, ISBN 3-89861-096-9 469 S. € 19,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
PD Dr. Gerd Dietrich, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Geschichtswissenschaften

Jahrbücher und Jahresberichte gibt es in Hülle und Fülle, für nahezu alle wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Bereiche. Ein Jahrbuch für "Kulturpolitik" aber hat es für die Bundesrepublik noch nicht gegeben. Da war die "Kulturhoheit" der Länder vor. Gefördert mit Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien ist es wohl auch ein Ergebnis des integrativen Wirkens dieser neuen Einrichtung. In dem Jahrbuch nun sollen die verschiedenen kulturpolitischen Träger und Akteure zu Wort kommen: von den Städten und Gemeinden, von den Verbänden und Vereinen bis zum Bund und darüber hinaus. Es ist ein wichtiges Signal dafür, so Julian Nida-Rümelin im Vorwort, "dass 'Kulturpolitik' auch hierzulande zunehmend Gegenstand kontinuierlicher Analysen und theoretischer Reflexionen wird." (S.7)

Das Konzept umreißt einen hohen Anspruch: "Das Jahrbuch Kulturpolitik greift ein bemerkenswertes Thema der kulturpolitischen Diskussion als Schwerpunkt auf; reflektiert wichtige gesellschaftliche Entwicklungen im Lichte der Kulturpolitik; dient als Plattform, um Perspektiven der Kulturpolitik - jenseits des hektischen Tagesgeschäfts - zu diskutieren; versteht sich als Instrument der Politikberatung im kommunalen Bereich, wie auf Länder- und Bundesebene; stellt zentrale Ergebnisse der kulturstatistischen Forschung zusammen und widmet der Kulturstatistik ein besonderes Augenmerk; dokumentiert wichtige Daten und Ereignisse der Kulturpolitik des abgelaufenen Jahres; verweist in einer umfangreichen Bibliographie auf Veröffentlichungen zur Bundes-, Landes- und lokalen Kulturpolitik".

Das Thema des Bd. 1 "Bürgerschaftliches Engagement" ist "aktuell und in aller Munde, längst aber noch nicht 'ausdiskutiert'. Das betrifft sowohl die allgemeine gesellschaftspolitische Dimension der Bürgergesellschaft als auch die kulturpolitische Einordnung des bürgerschaftlichen Engagements im Kulturbereich sowie schließlich die Reflexion der Kulturpolitik in der Bürgergesellschaft." (Oliver Scheytt, S.11) Hiermit ist ein Querschnittsthema des gegenwärtigen politischen Diskurses aufgegriffen. Das Spektrum der Beiträge reicht von demokratietheoretischen und gesellschaftspolitischen Betrachtungen - Stichworte: Zivil- bzw. Bürgergesellschaft und "aktivierender Staat" -, bis zu historischen Begründungen und Darstellungen von Denktraditionen; von kommunalen und regionalen Erfahrungen und Orientierungen bis zur Bundes- und europäischen Ebene der Bürgergesellschaft; von spezifischen Themen wie Stiftungsrecht, Kulturfinanzierung und Kulturstatistik bis zu einer Umfrage unter namhaften kulturpolitischen Akteuren zum Thema. Für nahezu alle kulturpolitischen Bereiche in der Bundesrepublik, bis zur Arbeit der Enquete - Kommission des Bundestages "Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements", werden die Fragen und Probleme, die Realitäten wie Möglichkeiten bürgerschaftlichen Engagements erörtert. Dies geschieht sowohl in der Auflistung einer Fülle von Tätigkeitsfeldern als auch mit zahlreichen detaillierten statistischen Angaben. Natürlich sind die Definitionen freiwilligen Engagements nicht einheitlich und mit weiteren Begriffen wie "Ehrenamt" oder "Volunteering" umschrieben, gleichwohl ist man sich doch einig darin, daß Bürgerengagement als Oberbegriff "das weite Spektrum individueller Aktivitäten umfaßt, die nicht vorrangig mit der Zielsetzung des Gewinnstrebens und der monetären Gratifikation verbunden sind." (Annette Zimmer, S.76)

In Beiträgen aus der empirischen Sozialforschung wird ein allumfassendes und gesamtgesellschaftliches Bild der freiwilligen und ehrenamtlichen Tätigkeit in der Bundesrepublik geliefert. Immerhin übernahmen 1999 rund 22 Mio. Menschen (über 14 Jahre) in Deutschland gemeinwohlorientierte Aufgaben, das waren rund 34 % der Bürger. Das Potenzial wird auf 30 - 35 Mio. geschätzt. (S.269/270) Dabei geht es um Tätigkeit im "Dritten Sektor", der weder dem Markt noch dem Staat zuzuordnen ist, den Nonprofit-Organisationen einerseits und der informellen Familien- und Nachbarschaftshilfe andererseits. (Wobei die theoretische Debatte, ob letztere der "Zivilgesellschaft" zugehört oder nicht, keineswegs abgeschlossen ist. Auch in diesem Band gibt es unterschiedliche Positionen.) Im Kulturbereich sind von jenen 22 ca. 2 Mio. ehrenamtlich aktiv. Kulturpolitik überhaupt wird in diesem Jahrbuch nicht als Schönwetterpolitik oder Absichtserklärung sondern in bemerkenswert konkreter und analytischer Weise behandelt. Die vielfältigen Facetten der Kultur in der Bürgergesellschaft erfahren eine gleichwertige Beachtung: ehrenamtlich getragene Vereine, Verbände und Einrichtungen, Kultureinrichtungen in freier Trägerschaft, ehrenamtliche Tätigkeit in kommunal und staatliche getragenen Kultureinrichtungen, Formen von Public-Privats-Partnership, Mitarbeit in zeitlich befristeten Projekten, Stiftungen, Mäzenatentum und Sponsoring, Freiwilligenagenturen, Ehrenamtszentren, Seniorenbüros usw., das unternehmerische Engagement für Kunst und Kultur jenseits materieller Zuwendungen. Auch sind wohl alle wichtigen Personen aus der Kulturpolitik vertreten. Der Band zählt immerhin 49 Beiträger, verständlich daß keine einzelnen Titel und Namen genannt werden können. Beeindruckt der 1. Band durch die dargestellte Quantität und Vielfalt bürgerschaftlichen Engagements, so interessieren am 2. Band vor allem die Kontroversen, denn sein Thema lautet: Kulturföderalismus.

Nach der Ernennung des "Kulturstaatsministers" Michael Naumann 1998, nach dessen provokanten Worten, daß der "barocke Begriff der 'Kulturhoheit'" zur "Verfassungsfolklore" (Die Zeit, 45/2000, S.59) gehöre und nach der Schaffung der Kulturstiftung des Bundes2001 sind - wieder einmal - die Debatten über den Föderalismus entbrannt. Das Problem wird im Jahrbuch in sieben Komplexen mit insgesamt 28 Beiträgen prominenter Kulturpolitiker angegangen. Erstens kommt sowohl der vehemente Widerstand, insbesondere der sog. B-Länder zum Ausdruck, als auch zweitens die Offensiv- bzw. Verteidigungsstrategie des Bundes. Freilich entschlüsselt sich die Sprache der Streithähne dem ungeübten Leser nicht so leicht. Deshalb gibt es drittens Beiträge, die die historischen Hintergründe und politischen Zusammenhänge aufdecken und viertens Beiträge, die die unterschiedlichen juristischen und verfassungsrechtlichen Positionen darlegen. In einem fünften Komplex werden spezifische und konkrete Beispiele eines kooperativen Föderalismus entwickelt: Beiträge zu der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Kulturstiftung der Länder, dem Denkmalschutz, der Filmförderung, den Kulturbauten, dem Musikschulwesen und dem sächsischen Kulturräumegesetz. Eine sechste Gruppe von Beiträgen beschäftigt sich mit den Zusammenhängen und Aufgaben von deutschem Föderalismus und europäischer Gemeinschaft. Und siebentens äußern sich vierzehn kulturpolitische Akteure in einer Umfrage zum Thema Kulturföderalismus.

Unbestritten ist, daß der Reichtum von Kunst und Kultur in Deutschland auf der Vielfalt seiner regionalen Strukturen beruht. Deutlich wird auch, daß der Kulturföderalismus als Hauptargument der Länder gilt, um ihr Gewicht als eigenständige Staatsebene herauszustellen, und wohl auch als Hauptkampffeld dient, um einen schleichenden Kompetenzverlust aufzuhalten. Thomas Röbke und Bernd Wagner benennen fünf Probleme, die den Föderalismus wiederum auf den Prüfstand stellen (S.17-27): 1. hat die deutsche Einheit und die "Kulturstaatsklausel" des Einigungsvertrages das eingespielte Geflecht und die Regeln des Kulturföderalismus durcheinander gebracht. 2. beschleunigte sich zugleich der europäische Einigungsprozeß, in dem die Konfliktlinien künftig zwischen der Marktdominanz der EU-Politik und den gewachsenen Kulturlandschaften verlaufen werden. 3. ist die Stärkung regionalen Bewußtsein nicht nur Folge und Gegenpol der europäischen Einigung sondern auch der Globalisierungprozesse. Dabei wird Kultur im Konkurrenzkampf der Regionen zum weichen Standortfaktor. 4. werden die Metropolen zu Aushängeschildern ihrer Länder und wird der besondere Charakter der neuen Hauptstadt Berlin und ihrer nationalen Kulturinstitutionen die kulturpolitische Rolle des Bundes stärken. Und 5. verlangen die knapper werdenden Kassen neue wirtschaftliche Lösungen und einen Paradigmenwechsel: Mischfinanzierungen, Trägerpluralismus, Mixturen aus staatlichen, privaten und frei-gemeinnützigen Elementen.

"Föderalismus ist also kein unumstößliches Dogma, sondern als eine 'regulative Idee' zu verstehen, die nach den jeweiligen Zeitläuften immer wieder neu zu überdenken ist." (S.27)
Sei noch erwähnt, daß Wolfgang Thierse für den kulturellen Reichtum als Stärke Ostdeutschlands und Wolfgang Clement für eine Reform des Föderalismus plädieren. Der Ausgang der Debatten freilich muß offen bleiben.

Und wer bis hierher nur interessiert geblättert hat, wird spätestens an den festen Blöcken der Jahrbücher hängen bleiben: Beiträgen zur Kulturstatistik, zur Lage der öffentlichen Kulturfinanzierung und der Kulturwirtschaft in Deutschland, einer detaillierten Chronik wichtiger kulturpolitischer Ereignisse des Jahres, einer umfangreichen Bibliographie zur Kulturpolitik des Jahres und einer Liste kulturpolitischer Gremien und Verbände sowie von Webadressen zur behandelten Thematik und zu Kunst und Kultur. Die beiden ersten Bände des Jahrbuches realisieren ihren hohen Anspruch und sind in jeder Hinsicht gelungen. Wenn diese Qualität beibehalten wird, kann das Jahrbuch für Kulturpolitik eine wichtige Chronistenpflicht und Informationsaufgabe übernehmen und sich zu einer umfassenden Dokumentation wie zu einem unverzichtbaren Nachschlagewerk entwickeln.

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